Anarchist Academy haben 2012 bereits eine 20jährige Bandgeschichte aufzuweisen. Ihre künstlerische Bandbreite kommt besonders in ihren Liedern, teilweise auch vorgetragenen Gedichten zum Tragen. Mit größtenteils sehr politischen als auch gesellschaftskritischen Texten fanden Big B., L.J., N.D.A. und Babak, später auch Deadly-T und Bütti bei vielen Jugendlichen Gehör und zumeist positives Feedback. Mit ihrem Debütalbum "Am Rande des Abgrunds" nahmen sie Stellung zum Thema "Gewalt und Widerstand". Mit "Anarchophobia" nahmen sie später im Herbst 1994 ein noch heute sehr begehrtes Album auf, indem sie vor Heroin warnen und gegen den Kapitalismus und das System rappen. Hannes Loh, Mitbegründer von Anarchist Academy, ist heute Lehrer, schreibt in der Musikzeitschrift Intro und Bücher über die Subkultur Hip Hop und wird dazu auch des öfteren von Medien zum Interview eingeladen. Bomba, Bütti und Deadly T sind weiterhin als Anarchist Academy aktiv und haben mit 4 neuen Songs die EP „Jetset Paranoia“ veröffentlicht und zum kostenlosen Download ins Netz gestellt(1).
1992 habt ihr die Punx vor der Bühne noch überfordert. Trotzdem gibt es zwischen Punk und Hip Hop sehr wohl Parallelen. Welche Gemeinsamkeiten hast du entdecken
können?
Bomba: Auf jeden Fall sehe ich Parallelen in der Entwicklung von einer hochenergetischen Jugendkultur, die eher eine systemkritische Grundhaltung pflegte, zu einem Modeimage, das
Geld in die Kassen bringt. So wie bei jeder anderen Jugendkultur, die sich über einen „eigenen“ Musikstil definiert auch. Ich bin darum auch sehr froh, dass die Entwicklung von AA etwas außerhalb
einer festen „Szene“ stattfand und ich dadurch musikalisch auch sehr frei werden durfte.
Anfang der 90er Jahre gab es ja auch Bands wie RAGE AGAINST THE MACHINE, CLAWFINGER, die den aufkeimenden Crossover-Trend mit Rap und durchaus sozialkritischen Texten erfolgreich prägten.
Habt ihr von diesem Trend profitieren können und haben diese Bands einen Einfluss auf euch gehabt?
Deadly: Musikalisch waren wir ja schon immer open minded, aber direkten Einfluss auf unsere Musik hatte Crossover nicht. Wir haben mit vielen guten Crossoverbands gespielt wie
Thumb, Headcrash oder Such A Surge. Das waren alles prima Menschen.
Bomba: Na ja, ich denke eher, dass wir da ja auch selber ein ganz kleines Stück zu dem Crossover Trend beigetragen haben. Instrumente in der Rap Musik von damals waren ja eher die Ausnahme, bei
uns aber eher die Regel. Aber ich denke das RATM den maßgeblichen Startschuss gaben. JEDER Musiker zu der Zeit wollte klingen wie die. Ist aber auch kein Wunder, wenn da 4 kleene Jungs auf die
Bühne stiefeln und dir mit 'nem 12 Tonnen Hammer Sound einen vor den Kopf geben.
Waren oder sind für euch politische Inhalte immer auch mit einer bestimmten Ideologie verknüpft?
Deadly: Im Prinzip schon. Nur wenn du selbst weißt, wo du stehst, kannst du auch zu deinen Aussagen stehen. Aber auch bei uns in der Band hat ja jeder so seine eigene
Ideologie im Kopf…da gibt es also durchaus unterschiedliche Ansichten und Reibungspunkte.
Bomba: Bei mir zu mindestens nicht mit voller Absicht. Irgendjemand auf dieser Welt hat bestimmt irgendeine Schublade erfunden, in die man mich prima reinstecken könnte.
Aber ich für meinen Teil bin schon ganz zufrieden, wenn ich morgens mal ein paar gleiche Socken finde.
Was mir bei euch auffällt, ist, dass ihr stets produktive Kontakte pflegt und mit anderen (politischen) Rappern Projekte startet (La Resistance, zusammen mit Callya, Chaoze
One & Lotta C, Meditias und Microphone Mafia) oder sie bei Studioaufnahmen unterstützt. Wie wichtig sind euch diese Freundschaften. Seht ihr euch mit diesen Protagonisten, die ja auch schon
lange am Start sind, besonders verbunden, gerade weil sie auch politische Inhalte haben?
Deadly: Ja. Aus dieser Gemeinsamkeit sind erste Kontakte und später auch echte Freundschaften entstanden. Wenn wir da nicht, zumindest auf einer breiten Ebene, ähnliche Ziele und
Einstellungen hätten, würde das gar nicht funktionieren. Weder musikalisch noch privat.
„Ich finde die einzige Position die man beziehen kann, ist für ein gutes Leben zu sein, und das für alle, und das egal wo und zwar im Einklang mit der Natur“; Bomba
Chaoze One wurde von taz fälschlicherweise im Artikel "Gangsta unter brauner Flagge" (2) als Beispiel für extrem rechten Hip Hop aufgeführt. taz hat diesen "schweren Fehler" eingestanden
und sich entschuldigt. Was waren eure Reaktionen?
Deadly: Ganz ehrlich, ich musste erstmal über so viel Dummheit lachen. Wie kann man so schlecht recherchieren, mit dem Internet vor der Nase? Dann kam erst die Ernüchterung, wie
rufschädigend und verletzend das für Chaoze sein muss. Echt sehr peinlich für die taz, dass da niemand die Artikel mal gegenliest…aber der „Journalist“ hat echt den Vogel abgeschossen. Ich fand
es aber beeindruckend zu sehen, dass da eine riesige, solidarische Wand von Menschen hinter Chaoze stand und richtig Rabatz gemacht hat.
Bomba: Der Artikel wurde ja von dem Herrn Youssef Zauaghi, einer offensichtlich sehr schlampig recherchierenden Journallie aus Düsseldorf, geschrieben. Die taz hat leider nicht
richtig hingelesen und somit mal richtig ins Klo gegriffen. Shit happens. Ich hatte der taz dazu geschrieben, unter vielen anderen, sich vielleicht mal persönlich zu entschuldigen, was sie ja
auch schon gemacht haben.
Makss Damage, der sich einst als Stalinist erklärt und linke Inhalte propagiert hatte, kritisiert heute die linke Bewegung, macht Querdenker-Aussagen und ist in der extremen Rechte
verortet. Ein Grund für ihn waren neben der "fehlenden Kameradschaft" offenbar auch die Anti_Deutsche, die die Linke spaltet und unterwandert. Gab es für euch als politische Rapper auch Momente
der Desillusion und bedarf es einen politischen Diskurs und eine Auseinandersetzung mit politischen Inhalten, um sich klarer zu positionieren?
Deadly: Natürlich gibt es Momente der Desillusion, aber deswegen gleich das politische Lager wechseln, ist wohl eher eine etwas überzogene Reaktion. Bevor es soweit kommt, muss
ja vorher schon was arg schief gelaufen sein. Als politischer Rapper reflektiert man sich wahrscheinlich sowieso mehr und hinterfragt seine Aussagen. „Kritisch ist, wer kritisch ist, zu dem worin
er steht“ heißt es ja so schön.
Bomba: Also erst mal „Schlacks Dämlich“ (Anmerkung der Red.: gemeint ist Makss Damage) bedarf keiner Diskussion, ich fürchte bei dem hilft noch nicht mal Haue mehr. Und
wenn die Nazis den nicht mehr liebhaben wird der dann FDP Politiker. Hör mir bloß auf du. Aber Lachnummer beiseite. Ich habe genügend gute Projekte scheitern sehen, oft auf Grund lächerlicher
Kleinigkeiten, um mich den Rest meines Lebens mit Pipi in den Augen in eine Ecke setzen zu können. Hatte ich dann aber keine Lust zu. Und ich finde die einzige Position die man beziehen kann, ist
für ein gutes Leben zu sein, und das für alle, und das egal wo und zwar im Einklang mit der Natur.
„(...)Glauben Nazi Rapper wirklich, die hätten sich in die Herzen ihrer Kameraden gerappt?“;
Bomba
Welche Anknüpfungspunkte hat die Extreme Rechte im Hip Hop, um ihre Ideologie zu verbreiten?
Deadly: Im Hip Hop weniger. Das läuft fast ausschließlich über Rap. Viele Rapper propagieren sich ja gerne als Übermenschen mit ausschweifenden Gewalt- und Sexphantasien
gegenüber Minderheiten und vermeintlich Schwächeren. Da passt dann rechte Ideologie prima rein und über die Schiene passiert es ja am Häufigsten auch.
Bomba: Hip Hop sind die 5 Elemente DJing, B-Girl-/ Boying, MCing, Beatboxing und Graffiti Writing. Alles mächtig entartete Kunst. Ich meine mal im Ernst, glauben Nazi Rapper
wirklich, die hätten sich in die Herzen ihrer Kameraden gerappt? Also ich hätte da wohl Kopfschmerzen, aber ich hab ja auch ein Gehirn. Die einzige Gefahr ist, dass bei dem Aufregen über Nazi
Rapper vergessen wird, den Kids zu erzählen, was diese Leute wirklich wollen und darstellen.
Welche Informationsstrategien kann AA gegen diese NS-Hip-Hop-Szenen-Entwicklung anwenden?
Deadly: Leider liegt es nicht in unserer Hand, sämtliche Einflüsse von Rechts im Hop Hop zu vereiteln. Musikalisch, bzw. textlich sollte klar genug rüberkommen wo wir stehen.
Aber großen Einfluss darauf, ob 13jährige auf dem Schulhof jetzt AA pumpen oder eben Makss Damage, hängt dann doch wohl eher vom jeweiligen Umfeld und der Sozialisation ab. Wir versuchen, linke
Initiativen und Gruppen, die unserer Meinung nach korrekt und wichtig sind, zu unterstützen, soweit wir können.
Bomba: Also im Ernst, ich glaube nicht, dass ein Nazi Rapper in 5 Jahren einen Echo gewinnt. Mir macht da eher die systematische Unterwanderung der Nazis von Sport- und
karitativen Vereinen Sorgen. Oder das die NPD immer erfolgreicher die, zum Teil schwer bewaffneten, Kameradschaften und Rockerbanden binden kann.
Was ist vom weltrevolutionärem Optimismus geblieben? Resignation, Frustration oder hast du revolutionäre Veränderungen auf das Persönliche, Private reduziert?
Deadly: Ich glaube ganz ehrlich, dass die Menschheit für ein anarchistisch orientiertes Zusammenleben noch nicht bereit ist. Ich versuche daher, weiter den Weg dahin zu bereiten.
Praktisch versuche ich das im Alltag zu leben und öffentlich propagiere ich das über die Musik.
Bomba: Und ich sag mal Weltrevolution schön und gut, aber ich habe noch kein überzeugendes Konzept für danach gehört und schon erst recht keins, in dem 7 Milliarden Menschen
machtfrei miteinander leben könnten. Also was bleibt mir, als dem die Hand zu reichen, der sie auch erreichen kann. Und das sind nun mal die paar Menschen in meiner Nähe.
„(...)Generell hat man es in der Rapszene schon eher mit Leuten mit erheblichen Egostörungen zu
tun“; Bomba
"Es kotzt mich an, wie sich die meisten Rapper präsentier'n, keine Aussage, doch heftig auf den Rapstil onanier'n" heißt es bei euch in „Die 5. Terroristengeneration(3). Ist dieses
ständige Selbstabfeiern auch ein Grund, warum politischer Rap in die Offensive gehen muss?
Bomba: Es ist ja erst mal schon mal so eine Sache, wer sich da gerade wofür abfeiern lässt. Ist das ein Torch, der sich nun bald 30 Jahre lang für die Hip Hop Kultur den Hintern
aufgerissen hat oder ein MC Toybacke, der sich für 2 Gramm Koks verticken feiern lässt. Aber generell hat man es in der Rapszene schon eher mit Leuten mit erheblichen Egostörungen zu tun. Ich
finde, da hat politischer Rap eher die Aufgabe, sich selber treu zu bleiben und eine facettenreiche Alternative zu dem Einheitsbrei zu bieten, damit die Kids auch was Gutes zu hören kriegen,
falls sie der fäkalen Phase jemals entwachsen sollten.
Deadly: Na ja, wir machen politischen Rap und feiern uns selbst ja auch dafür ab...“in die Offensive gehen müssen“ klingt so martialisch und erzwungen. Wir machen unsere Musik
und stehen zu unseren Texten und Aussagen, aber wer das wie im Endeffekt rezipiert, entzieht sich unserem Einflussbereich.
Der Umkehrschluss wäre, dass sich extrem rechte Inhalte leichter ausbreiten und Zustimmung finden können, weil die Klientel ansonsten unpolitischen Hip Hop hört und insofern leichter zu
agitieren ist...
Deadly: Ich glaube, dass das eher mit dem persönlichen Umfeld und der eigenen Sozialisation zusammenhängt, als damit, dass man unpolitischen Hip Hop hört. Aber klar, wer nur
unreflektiert konsumiert und keine eigene Meinung hat, ist definitiv leichter zu beeinflussen.
Bomba: Rassismus, Sexismus und Homophobie sind die hauptsächlichen, menschenfeindlichen Inhalte, die durch annähernd alle Gesellschaftsschichten und alle Altersgruppen
grassieren, da bildet Hip Hop keine Ausnahme. Für Menschen, die sich darin wiederfinden und sich auch gerne über andere stellen um sich selbst zu definieren, ist der Sprung nach Rechts bestimmt
leichter.
Politik und Party ist euch wichtig. Ist es nicht auch kontraproduktiv, wenn ihr euch nur auf radikale politische Inhalte konzentrieren würdet und damit den Absatzmarkt verärgert, weil ihr
mitunter auch die Hip Hop-Szene und ihre Verhaltensmuster kritisiert?
Deadly: Ich hab das bestimmt schon 1000mal gesagt, aber wir machen die Musik in erster Linie für uns. Wir machen keine Konzeptsongs, wo wir uns vorher hinsetzen und überlegen, ob
das bei der linken oder der Hip Hop Szene jetzt gut ankommt oder nicht. Wir würden jetzt auch keinen „Popsong“ machen mit dem Hintergedanken, ein größeres Publikum zu erreichen, das dann
entdecken könnte, wie wir wirklich drauf sind, in der Hoffnung, daraus dann Sympathisierende zu machen.
Außerdem kritisieren wir ALLES, von dem wir meinen, dass da was verkehrt läuft. Und Absatzmärkte verärgern??? Also bitte…da kann ich nur sagen: Arschlecken und rasieren!
Hat sich der flow zum Schaden des Inhalts weiterentwickelt?
Deadly: Sicher gibt es unzählige Rapper, für die der Flow alles und der Inhalt nichts ist. Wir versuchen, unsere Inhalte mit dem bestmöglichen Flow rüber zu bringen. Und manchmal
gelingt uns das auch.
Im Allgemeinen würde ich aber eher nein sagen. Nur weil mehr Rapper mit gutem Flow aber schlechten Inhalten erfolgreich und vielleicht bekannter sind, heißt das ja nicht, dass sich bei Rappern
mit guten Inhalten der Flow nicht weiterentwickelt. Ich mein, hört es euch doch an…Chaoze ONE, Callya, Schlagzeiln, Sookee, Absztrakkt….die flowen doch alle wie die Hölle!
"Bilder aus meiner Kindheit sind in mir, ich archivier' sie, kopier' sie und analysier', katapultier' mich in die Zeit zurück und überlege, daß die Wurzeln meines Denkens in der Rappelkiste
lagen"; Rappelkistenkids
"Rappelkistenrebellion" finde ich gut und erinnert mich auch an das -heute undenkbare- anti-autoritäre Bildungsfernsehen mit sozialpolitischer Programmatik. Warum warst du froh, ein
"Rappelkistenkind" zu sein?
Deadly: Also sorry, aber besser als im Text zu dem Song kann ich das nicht erklären. Also alle, die es nicht kennen: bitte mal anhören.
Die 4 Songs auf "Jetset Paranoia" sind ja sehr relaxt und unaufgeregt, mit eher ruhigen Beats. Ist das die Ruhe vor dem Sturm?
Deadly: Das sehe ich gar nicht so. „Brainwash & Mindstorm“ und der „Ruhe vor dem Sturm“ Remix sind zwar sehr laid back, aber „Flächenbrand“ und „Wer ist wieder da“ sind doch
eher Songs zum Abgehen. Auf der LP wird das ähnlich gewichtet sein, wobei die BPM Zahlen ja nicht immer die Stimmung repräsentieren, die ein Song erzeugt. Uns muss ein Beat eher von der
Atmosphäre her kicken, als von der Geschwindigkeit.
Bomba: Wer von uns immer die gleichen Zeigefingerparolen erwartet wie früher dürfte wohl eher etwas enttäuscht sein. Ich versuche meine Texte vielschichtiger zu verschachteln
und etwas zeitloser zu gestalten, damit man auch nach zehn Mal hören noch was Neues entdecken kann.
Wer sich davon überzeugen möchte und Neues entdecken will, informiert sich am Besten auf der Homepage der Band. Die LP lässt hingegen weiter auf sich warten: „Teilweise haben wir Songs schon
drei- bis viermal neu aufgenommen, bis wir zufrieden waren. Wir diskutieren und reflektieren die Texte, bis jeder (von uns) damit zufrieden ist und das braucht eben Zeit. Wir wollen bei Release
100% hinter jedem Song stehen können und jetzt nicht schnell irgendwas zusammenschrauben“.
Kontakt:
http://www.anarchist-academy.de/
Anmerkungen:
(1) http://www.anarchist-academy.de/media/JetsetParanoia/Anarchist%20Academy%20-%20Jetset%20Paranoia.rar
(2) http://www.taz.de/!91333/
(3) http://www.songtexte.com/songtext/anarchist-academy/die-5-terroristengeneration-5bfe8be8.html