Punk war Anfang der 80er Jahre in der Realität der Ostromantik angekommen, seine Figuren zu Staatsfeinden erklärt. Die Wut und die Radikalität wurde durch staatliche Verhaftungswellen erstickt. Die ungeordneten Verhältnisse durch das Punkertum sollten durch den Gewaltmonopolismus in geregelte Verhältnisse umgewandelt werden. Ein Mittel, die Wut, die Unzufriedenheit, die Tristesse und die Ausweglosigkeit zu kanalisieren, war die Musik. Die oben beschriebenen Verhältnisse waren der „Nährboden“ für Bands wie SCHLEIMKEIM, L'ATTENTAT und die bereits 1983 gegründeten PARANOIA aus Dresden. Die Botschaften wurden in ungeschönte Texte verwandelt, die in ungeschliffene Musik erklangen.
Wer in der DDR mit der eigenen Band musizieren wollte, benötigte eine Spielerlaubnis, eine Einstufung. Dass die Bedingungen für die MusikerInnen in der real existierenden DDR nicht zu
paradiesisch wurden, dafür sorgten die Kultur-(=Partei-)Funktionäre mit diversen Regularien und Schikanen: Am bekanntesten wohl war die Regelung, dass 60% des Repertoires aus Titeln von DDR-
Komponisten bestehen mussten.
Die restlichen 40% durften aus der Zeit vor 1949, dem Jahr der DDR-Gründung oder aus dem Westen stammen.
Letztere aber nur, wenn diese bei DDR Verlagen publiziert wurden. 60% des Repertoires hätte folglich kaum Jemand gekannt, denn mensch orientierte sich fast ausschließlich an westlichen
Charts.
Was blieb den Bands übrig? Sie setzten sich über die Vorschriften hinweg. Und das mit dem Risiko, ein Auftrittsverbot einzufangen, wenn sie erwischt wurden. Und Punkmusik war sowieso illegal.
PARANOIA erhielten aufgrund fehlender Spielerlaubnis Ordnungsstrafen. Der operative Vorgang der Stasi gipfelte bei ihnen bis zur Verhaftung zweier Mitglieder der Band und die damit
zusammenhängende Zerschlagung der „illegalen Punkband”.
Punk in Dresden
Der Punk schwappte Ende der 70er Jahre auch in die DDR. In Dresden ging es etwas später los. Über alle Grenzen hinweg ertönten die neuen Punkscheiben von westlichen Feindsendern wie bspw. John
Peel im Ost-Radio. Punk geisterte aber auch durch negative Artikel in den Ostmedien und bescherte einen Teil der Arbeiter-Jugend eine gesteigerte Aufmerksamkeit, die schnell in Begeisterung
umschlug. Bevor überhaupt eine Punk-Szene entstehen konnte, waren die antiautoritären, nihilistischen Einstellungsmuster des Punk ausschlaggebend für ein gesondertes Interesse nach dem Motto
„Einfach dagegen“.
„Die Stadt war bekannt für Kultur, Kunst, barocke Ruinen, die vor sich hin gammelten und triste Plattenbauten. die vom Sieg des Sozialismus künden sollten. Für jugendliche war es eher
frustrierend. Entweder mensch passte sich an und machte das Spiel mit oder mensch versuchte die vorgezeichneten Bahnen zu verlassen, andere Wege zu gehen und merkte schnell, dass die Freiheit
Grenzen hat. Doch Perspektivlosigkeit war oftmals ein Antrieb zur Kreativität“; Jörg Löffler
Punks haben sich schon durch ihr Äußeres als nicht gerade systemtreue Jugendliche zu erkennen gegeben. Da darf es nicht verwundern, wenn sie überall schikaniert wurden. Auch wenn es für viele
hauptsächlich darum ging, Spaß zu haben und sich irgendwie kreativ zu betätigen (z.B. Musik machen), wurden sie durch den paranoiden Wahn der Staatsorgane zu Staatsfeinden gestempelt. JedeR, der
aus dem gewohnten, durch die Verhältnisse aufgezwungenen Trott ausbrach, war suspekt.
Wer keine Lust zum arbeiten hatte, war ein Feind des Sozialismus. Offiziell bemühte man sich, die ganze Sache totzuschweigen. Keine Ostpunks in den DDR-Medien. Bands durften natürlich auch nicht
öffentlich spielen. Da der Staat sie nicht alle internieren konnte, mussten Punks notgedrungen im Straßenbild geduldet werden. Aber auch nur unter häufigen Repressalien wie Ausweiskontrollen,
Platzverboten, willkürlichen Mitnahme aufs Polizeirevier etc.
In Dresden ging es zunächst auch sehr cliquenmäßig und familiär zu. Die ersten musikalischen Gehversuche waren recht dilettantisch, verursachten aber immerhin eine Menge Spaß, der 1981 zur ersten
nennenswerten Band führte. ROTZJUNGEN waren Hans Gammel aka Hortel (Gesang), Steffen Jonas (Gitarre), Paul Kuck (Schlagzeug) und Sidding Bull (Bass). Nach dem Ausstieg des Sängers konnte kein
neuer Sänger gefunden werden, sodass es lediglich außer einem einzigen Song mit Gesang („Nachts herrscht die Einsamkeit“) nur Instrumental-Aufnahmen gab. Das Bedürfnis, Gleichgesinnte zu treffen,
führte die Dresdner Punx bis nach Berlin, wo die Clique 1982 im Kulturpark Plänterwald mit Berliner Punx in Kontakt kam.
"Punk in Dresden war vielleicht nicht der große Tumult, aber er hatte mit anderen spektakulären Bildern aufzuwarten. Jedenfalls, wenn man sich vor Augen hält, daß die Punks, die alles andere
als repräsentabel sein wollten, sich hier nicht nur in den Kulissen der üblichen Repräsentationsarchitektur sozialistischer Bauart bewegten, sondern daß sich Punkrock hier auch inmitten der
Repräsentationsarchitektur des Barock abspielte.
Dresden war und ist als „Perle des Barock“ eine Stätte der Hochkultur. In dieser Bewertung waren sich die beiden deutschen Systeme einig. (Nach dem Streit um die Aberkennung des Siegels
„Weltkulturerbe“ müßte sich eine Dresdener Punkband eigentlich Unesco nennen.) Insofern prallten in Dresden nicht nur Subkultur und Diktatur, sondern auch Subkultur und Hochkultur
aufeinander.
Jahre vor Punk, in den 70er Jahren, existierte in der Stadt eine äußerst agile Szene von Freejazzfreaks, Vertretern der „jungen Wilden“ und allerlei Dichtervolk. Sie befleißigte sich der
Subversion des sozialistischen Realismus und seinem Prinzip des „Kunst als Waffe“ durch einen Parallel-Realismus, der seine eigenen Tatsachen in Musik, Bild und Wort schaffte. Die Malerei, die im
Umfeld von Punk entstand, in Ost wie West, ist mit Ausnahme seltener surrealistischer Anwandlungen (die letztendlich romantischer Natur waren) nicht zuletzt aus dem Geist des Expressionismus
geboren – vereinfacht ausgedrückt. Vielleicht prallten Romantik, Expressionismus und Punk unmittelbar und für einen kurzen Moment in der Dresdner Avantpunkband Zwitschermaschine aufeinander. Die
Texte der Band waren auf eine sachliche Weise romantisch, die Musik war Punk in einem expressiven Sinne. ZWITSCHERMASCHINE gründeten sich 1979 im Umfeld der hiesigen Kunsthochschule. Die Band
steht weniger für die Anfänge von Punk in Dresden, sondern vielmehr für eine erste Vormagnetisierung von Punkrock in der DDR. Etwa vier Jahre später, als sich die Band durch die Ausreise, aber
letztlich durch die totale Überwachung ihrer beiden Gründungsmitglieder auflöste, legte die Dresdner Punkrockkapelle PARANOIA los. Der Band lag nichts ferner, als ausgerechnet an
ZWITSCHERMASCHINE anzuknüpfen. Sie machte kein großes Federlesen um wie auch immer geartete Kunstambitionen und spielte, musikalisch wie textlich wenig verklausuliert, Punkrock „klassischer“
Prägung, der keine Fragen offen ließ. Fühlten sich PARANOIA schlicht aus ihrer Jugend in eine trostlose Ordnung verdrängt, so entstand Zwitschermaschine nicht zuletzt durch die Verdrängung zweier
unbotmäßiger Maler aus dem sozialistischen Kunstbetrieb. Dessen repräsentatives Zentrum wiederum aber war Dresden durch die alle 5 Jahre stattfindende nationale Kunstausstellung, die in erster
Linie ein Schaufenster des sozialistischen Realismus abgab. Hier traf, was entweder in Auftrag gegeben, verordnet oder gnädig abgenickt wurde, in einer seltsamen Konstellation auf die despotische
Attitüde des Barock. 1987/88 hingen auch Bilder in der Ausstellung, die Punks oder zumindest Punkverwandtes zum Motiv hatten. Absurderweise wurden sie von Malern des staatlichen Verbandes
Bildender Künstler zum Sujet erhoben, denn zur selben Zeit hagelte es in Dresden sogenannte „Innenstadtverbote“ für Punks. Spätestens da war es dann auch mit dem pittoresken Aufeinanderprall von
Barock und Punkrock vorbei. Dieser fand nun ausschließlich auf einer strafrechtlichen Ebene statt, denn die Punks landeten nicht selten in dem barocken Polizeipräsidium, unmittelbar hinter dieser
Wand, gegenüber dem Stadtmuseum gelegen. Dort wurden sie Verhören unterzogen und im Zweifelsfall gleich an die Staatssicherheit weitergereicht. Daran war dann auch nichts mehr spektakulär, außer
die völlige Ahnungslosigkeit der Vernehmer, die allem Fremden gegenüber allerdings erst recht mit ihrem Repressionsarsenal zur „Zersetzung“ der Szene aufwarteten.
Die Dresdener Punks wurden in die Vorstädte zurückgedrängt, fern der Touristenströme. Großer Beliebtheit, auch über die Stadtgrenzen hinaus, erfreute sich das Cafe P.E.P., ein Kirchenasyl für
alles mögliche Volk unter den Jugendlichen. Es lag inmitten von Prohlis, einer Plattenbausiedlung. Dort bewegten sich die Punks nicht länger in musealen Kulissen, sondern in einem durch das
Weltkulturerbe Punk tradierten Sujet aus Tristesse und Beton."
Quelle: Henryk Gericke1
Jörg, PARANOIA ist ja nur ein Teil deiner musikalischen Laufbahn in der DDR-Punk-Ära. Trotzdem ist PARANOIA heute das, was ihr auf dem 1. Demotape gesungen habt: A Kultband! Was war denn
denn an der Band so einzigartig?
Das können nur Außenstehende beurteilen. Es erstaunt mich auch, was für ein Interesse die Band lange nach ihrer Auflösung noch erregt. Der Titel des Tapes war natürlich nicht ernst gemeint.
Was waren die positiven Aspekte, als Punk und Staatsfeind in der Öffentlichkeit aufzutreten?
Als Punk in der Öffentlichkeit aufzutreten brachte einigen Ärger mit sich. Aber es ging uns nicht um Selbstkasteiung, sondern um Abgrenzung und Provokation gegenüber allen anderen. Das
funktionierte umso besser, je extremer man aussah. Wir hatten dadurch eine gewisse Narrenfreiheit.
Wie bist du mit den Ideen der politischen Linken umgegangen?
„Radikale Linke“ war für mich ein abstrakter Begriff. Ich habe damals nicht in diesen Kategorien gedacht. Als „Links“ hat sich die damalige Staatsmacht bezeichnet. Also wollte ich keinesfalls so
sein. Mit der so genannten DDR-Opposition hatten wir aber auch nichts zu tun. In die staatsfeindliche Ecke wurden wir von den paranoiden Staatsorganen gedrängt. Genau wie Hippies, Blueser,
Metals, Grufties etc. Eben alle, die nicht 100% linientreu waren. Das heißt noch lange nicht, dass es da so was wie „Unity“ gab. im Gegenteil, wir haben uns über Hippies und Pazifisten lustig
gemacht. Aus „Schwerter zu Pflugscharen” wurde „Schwerter zu Zapfhähne”. Natürlich war die Musik wichtig. Wenn ich Punkrock Scheiße gefunden hätte, wäre ich sicher nicht Punk geworden. Und wenn
wir keinen Spaß gehabt hätten, hätte ich das mir sicher auch nicht freiwillig angetan.
In “Kidpunx verpisst euch” ist das destruktive Verhalten auschlaggebend für eine leichte Beute für Trolls und Bullen. War die Punkszene in Dresden intolerant, unorganisiert und
unpolitisch? Mit welchen Inhalten wolltest du die Szene bereichern?
Die Punkszene war keine Jugendorganisation (FDJ von unten, haha, sondern selbstverständlich chaotisch und unkontrolliert. Trotzdem hat mich angekotzt, wenn sich die Kids einerseits beschwerten,
dass so wenige Konzerte stattfanden, andererseits aber diese seltenen „Highlights“, die von einigen Aktivisten mit viel Mühe organisiert wurden, durch sinnlose Randale torpedierten. Das, was sie
„Anarchie“ nannten richtete sich gegen ihre eigenen Interessen, nicht gegen die verhasste Staatsmacht. Es ging mir nie darum, “positive Inhalte” zu vermitteln oder irgendwen zu erziehen. Ich habe
mich auch hier abgegrenzt.
Am 10. Oktober 1987 gab es in der Berliner Zionskirche einen Naziüberfall auf ein Punkkonzert. Hat dich dieser brutale Angriff überrascht und bist du selbst mit rechten Skins in
Konfliktsituationen geraten?
Der Überfall auf das Konzert in der Zionskirche war für mich kein besonderes Schlüsselerlebnis. Dass es in der DDR Naziskins gab, wusste man da schon. Auseinandersetzungen waren nichts Neues
mehr. Der Zionskirche-Überfall schlug aber große Wellen, weil die DDR-Medien nicht mehr umhin kamen, die Existenz von Faschos zu bestätigen. Nazigewalt habe ich nicht körperlich erlebt. Gewalt
ging “zu meiner Zeit” eher von Fußballrowdies, Rocker und ganz normalen Vokuhilaprolls aus, wenn sie in größeren Meuten auftraten. Schockierend fand ich, dass dumme Nazi-Ideologie auch von diesen
Gruppierungen vertreten wurde. Viele von denen sind dann Skinheads geworden, als das “in Mode” kam.
Warum haben sich viele Punx zu Naziskins entwickelt? Was machte die rechte Ideologie für Punx interessant?
Irgendwann hat Punk zu sein nicht mehr so geschockt. Und da war es nur eine Frage der Zeit, bis Jugendliche, nachdem sie feststellten, dass man Punks nur noch belächelte‚ radikaler wurden. Das
größte Tabuthema im Osten war der Faschismus. Es bot sich regelrecht an, mehr oder weniger ernst mit Nazi-Habitus zu provozieren. Bands wie Laibach waren damals bei einigen Leuten sehr beliebt.
Die zweite Hälfte der 80er Jahre war eine verwirrende Phase. Allmählich zerbröckelten die festen Strukturen. Auch innerhalb der ‚Szene‘ gab es ständige Veränderungen. Punks wurden Skin, dann
wieder Punk oder Gruftie oder ‚normal‘. Manchmal änderte sich das wöchentlich bzw. blieb in so einem undefinierbaren Zwitterstadium. Richtig ernst und strukturierter wurde die rechte Szene hier
erst in den 90ern.
Wie hast du die Entwicklung wahrgenommen, dass aus der Subkultur Punk eine Jugendbewegung geworden ist. Gab es eine elitäre “Clique”, in der entschieden wurde, wer dabei sein darf, wer
nicht?
Das wurde im Laufe der Zeit immer krasser. Einige der Berliner fühlten sich als die Punkpolizei, die auf die Provinzler herab gesehen hat. Auch bei uns in Dresden gab es einen ‚harten Kern”, der
die „Neulinge“ erstmal skeptisch beäugt hat. Das hatte mit der ursprünglichen Punkidee „alles ist möglich” und “keine Regeln” nichts mehr zu tun.
Wo fanden in Dresden die “gefährlichen Zusammenrottungen” statt? Welche Kommunikationstechniken wurden von euch entwickelt, um andere Punx aus andren Städten kennen zu lernen. Hattest du
das Bedürfnis, überregionale Kontakte zu knüpfen?
Wir hatten keine festen Clubs oder so. Getroffen haben wir uns privat oder auf öffentlichen Plätzen wie Kneipen oder Biergärten in der City oder auf dem Rummel. Überregionale Kontakte haben wir
bei Treffen in anderen Städten geknüpft, z. B. auf dem PW in Berlin oder bei Konzerten in Leipzig, Halle, Karl-Marx-Stadt. Solche Ereignisse haben sich herumgesprochen oder man hat sich
postalisch ausgetauscht. Telefon hatten nur wenige.
Der DDR-Staatsapparat hat eine Bestandsaufnahme durchgeführt, das MfS (Ministerium für Staatssicherheit) hat Punk als “gefährlich” eingestuft. Es folgten ausgesprochene Versammlungs- und
Aufenthaltsverbote an öffentlichen Plätzen, in Kneipen. Führte das zu Resignation oder zu Aufbegehren oder zum vermehrten Rückzug ins Private?
Zu meiner Zeit waren diese Maßnahmen noch nicht so radikal. Kneipenverbote gab es schon, aber die waren eher selbstverschuldet. Da sind dann wir halt in eine andere gegangen. Staatliche
Sanktionen, betrafen nur Öffentliche Einrichtungen. Wir haben uns unsere Nischen gesucht und gefunden. Es hat sich immer viel im privaten Rahmen abgespielt. Zu unseren Proben kamen manchmal viele
Besucher, auch von außerhalb, und sie arteten zu Partys aus.
Es gab am Rande von Dresden in einem alten Bauernhof so eine Art Kommune, wo wir uns oft aufgehalten haben. Es gab Diskos, wo wir geduldet wurden. In anderen aber auch wieder nicht. In Berlin gab
es das „Alex-Verbot” (Alexanderplatz-Aufenthaltsverbot). Das Innenstadtverbot für Punks in Dresden gab es erst Ende der 80er.
Hattest du eine Ahnung, dass du bespitzelt wurdest?
Bis zu meiner Verhaftung 1985 hatte ich nur Vermutungen. Bei manchen Leuten waren wir uns ziemlich sicher, dass die nicht ganz koscher waren.
Aber wirklich Sorgen haben wir uns nicht gemacht. Wir waren da etwas naiv…
Heute weißt du, dass der inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit “Michael Müller” verantwortlich für deine Bespitzelung war. Du hast den richtigen Namen dahinter herausbekommen und
ihn auf seine Spitzel-Tätigkeiten angesprochen. Wie waren seine und deine Reaktionen?
Endgültig klar wurde mir das während den Vernehmungen in der U-Haft. Es handelte sich um Sören Neumann, genannt Egon. Er hatte Paranoia einen Proberaum, Anlage etc. zur Verügung gestellt und hat
auch Gigs vermittelt. Ich traf ihn 2004 auf einem Konzert. Da war aber nicht viel zu klären, weil er rattendicht und auch schon gesundheitlich stark angeschlagen war. Voriges Jahr ist er
gestorben.
Hast du Punk über das äußere Erscheinungsbild definiert? Du hast dir ja auch mal den Kopf kahl rasiert…kein Bock mehr auf Iro-Styling gehabt?
Es fällt mir schwer, Punk überhaupt zu definieren. Zuerst ging es mir um die Musik und Selbstbestimmung.
Dann kam automatisch das Äußere dazu, wenn man akzeptiert werden wollte. Das führte aber schnell zu Gruppenzwängen und Uniformierung.
Irgendwann hat das total genervt. Vor allem als eine neue Generation dazu kam, die sich nur noch an diesen Klischees orientiert hat. Damit wollte ich nichts mehr zu tun haben. Das hatte für mich
nichts mehr mit Punk zu tun. ich weiß nicht, ob es nur ein Zufall ist, aber ich hatte den Eindruck, die die sich am meisten engagierten, waren nie die extremen Nietenkaiser. Als Provokation und
um mich sichtbar abzugrenzen habe ich mir Glatze schneiden lassen.
Aber ich weiß nicht, warum ich immer wieder darauf angesprochen werde. Das war auch nur eine von vielen Spaßaktionen, mit denen wir die Leute nur verscheißern wollten.
Es gibt keine Punx oder Skins, die Nazis sind. Es sind Nazis, die sich als Punk oder Skin verkleiden. Stimmst du dieser Formel zu?
Prinzipiell stimme ich dem zu. Aber andererseits sind das Formeln, die mir aus heutiger Sicht nichts bedeuten. Ich sehe das Naziproblem nicht zwangsläufig in Zusammenhang mit der Punk- oder
Skinszene. Zumindest in meinem Umfeld gab und gibt es kaum so glasklare Naziskinheads. Nazis erkennt man nicht unbedingt am Äußeren. Im Vergleich zur Anzahl der stinknormal aussehenden
Stammtischnazis sind die paar Naziskins ein Lacher…
Wo konntest du dich über Punkmusik und -bands informieren?
Medieneinflüsse kamen zuerst durch die DDR-Presse, die mich auf das „Punkphänomen“ im Westen aufmerksam machte, und später Fanzines, die ich aus der BRD geschickt bekam. Visuelle Einflüsse waren
sehr gering. Ich erinnere mich an den Rockpalast mit Undertones, was mich aber enttäuschte, Plastic Bertrand und Elton Motello in ZDF-Musiksendungen und eine holländische Band namens New
Adventures in der DDR-Fernsehsendung ‚rund‘. Irgendwann fand in Dresden eine konspirative Vorführung von „The Great Rock’n'Roll Swindle” statt.
Wie wurde euer Demotape vertrieben? Wurde die Stasi auch durch euer Demotape auf euch aufmerksam?
Die Stasi ist nicht erst durch das Tape auf uns aufmerksam geworden. Das war sie schon lange vorher. Wir haben das Tape nicht kommerziell vertrieben. Zwei, drei Kopien wurden in den Westen
geschmuggelt. Ein paar weitere im Freundeskreis verbreitet. Verkauft haben wir damals kein einziges Band. Richtig bekannt ist es erst Ende der 80er und vor allem nach der „Wende“ geworden, als
die Band schon lange nicht mehr existierte.
Ihr hattet ja auch “West”-Kontakte. Wer hat über euch berichtet, wer wurde auf euer Tape auf aufmerksam?
Wir hatten Interviews bzw. Berichte im A.d.s.W. (Hamburg), Seelenqual (Bayern), Der Ketzer (Darmstadt) etc. Es ging uns darum, auch im Ausland Leute kennen zu lernen, über Punk in der DDR zu
informieren und irgendwie in diesem internationalen Netzwerk präsent zu sein. Man hat sich dadurch nicht mehr ganz so ausgesperrt gefühlt. Natürlich waren wir auch stolz, wenn in einem Heftchen
was über unsere Band stand.
Das Tape gelangte über einen Freund aus Hamburg zu Weird System. Aber denen war die Qualität zu mies. Es gab keine Absicht unsere Musik „international zu vermarkten”. Wir hätten aber nichts
dagegen gehabt, wenn jemand eine Platte veröffentlicht hätte. Ohne Rücksicht auf die negativen Konsequenzen, die es uns eingebracht hätte.
Welcher Reiz hatte die Ungarn-Punkszene?
Mir kam es so vor, als wäre in Ungarn damals mehr möglich gewesen, als in der DDR. Vor allem in Budapest gab es legale Punkkonzerte und Läden, die Punkplatten und begehrte Accessoires
verkauften.
Zu welchem Zeitpunkt fingen die staatlichen Repressionen an. Gab es in diesem Zusammenhang auch Überlegungen, eine staatliche Einstufung zu beantragen, um legal Musik machen zu
können?
Spürbar wurde es, als zum ersten Mal Ordnungsstrafverfahren wegen Auftritts ohne Spielerlaubnis eröffnet wurden. Allerdings wurden wir schon fast von Anfang an bespitzelt. Wir waren lange Zeit
viel zu naiv und zu unbekümmert, um die Anzeichen wahr zu nehmen. Unser ‚Punksein‘ war anfangs noch nicht der Anlass von Repressalien. Vielmehr wurden wir unter fadenscheinigen Gründen aufs
Polizeirevier vorgeladen und versucht uns auszuhorchen. Im Februar 1984 verschaffte sich die Polizei/Stasi gewaltsam Zutritt zu unserem Proberaum und schnüffelte darin herum.
Eine Einstufung als zugelassene Jugendtanzformation zu erhalten, um öffentlich auftreten zu können. Nein, das war für Paranoia kein Thema. Damals waren die Bedingungen noch nicht so, dass wir
ohne Kompromisse eine Einstufung bekommen hätten. Diese Einstufungen hat übrigens das zuständige Kabinett für Kulturarbeit vergeben. Jugendtanzformation zu erhalten, um öffentlich auftreten zu
können. Nein, das war für Paranoia kein Thema. Damals waren die Bedingungen noch nicht so, dass wir ohne Kompromisse eine Einstufung bekommen hätten. Diese Einstufungen hat übrigens das
zuständige Kabinett für Kulturarbeit vergeben, nicht die FDJ.
1986 hast du KALTFRONT mitbegründet. Da habt ihr euch ideologisch vom Punk distanziert, obwohl eure Musik deutlich vom Punk inspiriert war.
Am Anfang von Kaltfront war ich szenemäßig mit Punk durch. Ich wollte mit einem großen Teil dieser Leute nicht mehr in einen Topf geworfen werden. So wie mir ging es vielen aus „meiner
Generation”. Da war Punk fast so was wie ein Schimpfwort. Man bemühte sich davon abzugrenzen, ob mit Glatze oder mit bewusst glattgekämmten Haaren. Wir wollten machen, worauf wir Bock hatten,
ohne auf irgendwelche Konventionen achten zu müssen. Es ging aber weniger gegen Punk, als vielmehr gegen alle Szenebefindlichkeiten. Wir waren wohl aus dem Alter raus und zu selbst bestimmt, um
uns auf eine Gruppierung reduzieren zu wollen. Genau das ist wohl ein solcher positiver Aspekt, den uns die Punkerfahrung gebracht hat. Ich denke, Punk heißt nicht, bis ins hohe Alter mit lro und
Nietenjoppe rumzulaufen und die gleiche Scheiße zu machen wie mit 18, sondern auch, sich zu entwickeln.
Heute ist Punk für mich nur noch eine Worthülse, die ich benutze, um eine Musikart oder ein bestimmtes Lebensgefühl zu umschreiben.
Wie hast du dich an der “too much future”-Ausstellung beteiligt?
Ich habe mein Archiv zur Verfügung gestellt, habe Recherche betrieben, das Heft gestaltet etc. Nur mit den Inhalten der Ausstellung hatte ich nichts mehr zu tun. Dafür sind die Berliner Kuratoren
verantwortlich. Ich distanziere mich davon und will auch nicht so viel zu der Ausstellung sagen.
Warum bist du mit der Ausstellung unzufrieden?
Chance vertan. Wir haben uns leider auf die Zusammenarbeit mit den falschen Leuten eingelassen. Was wir aber erst merkten, als es zu spät war.
(Anmerkung: Jörg hat mir auf Nachfrage seine Sichtweise näher erläutert, wollte diese aber nicht weiter “auswälzen”. Seine Verärgerung steht aber im Zusammenhang mit Meinungsverschiedenheiten der
Kuratoren der “too much future”-Ausstellung und dem Bezug zur Dresden-Szene)
Waren denn die Liveauftritte eine Rückbesinnung auf alte Zeiten und die Möglichkeit einer PARANOIA-Re-Union oder nur Bestandteil eines Rahmenprogramms?
Klarer Bestandteil des Rahmenprogramms. Beim Thema Punk in Dresden kommt man an diesen Bands nicht vorbei (Und den Inhalt des Rahmenprogramms wollten wir uns nicht auch noch aus Berlin diktieren
lassen). Die Reunion vonParanoia war nur mit diesem Anlass vertretbar, während Kaltfront ja schon seit 6 Jahren wieder spielt und nicht mehr unter diesem Vergangenheitsblickwinkel gesehen werden
sollte. Wir spielen ja auch neue Songs.
Die Resonanz auf Paranoia war sehr gut. Das Konzert war ausverkauft. Bei KF, Creeks und Venusshells war sie auch gut, aber nicht ganz so euphorisch wie bei uns.
PARANOIA waren:
Fleck: Gesang
Olaf: Gitarre und Gesang
Oliver: Drums
Sonic Jörg: Bass und Gesang
Fußnote:
1. Zusammen mit Michael Boehlke Kurator der Ausstellung ostPUNK! - too much future. Mitherausgeber des gleichnamigen Katalogs. ↩