Die Bezeichnung „Gentrification“ von der Namensherkunft her, umschreibt einen Prozess, in dem Besserverdienende die Geringverdiener aus der Innenstadt oder bestimmten Vierteln verdrängen. Für
das, was wohnungspolitisch in Berlin oder anderen Städten passiert, ist dies als Beschreibung schon sehr dürftig. Viele Aktivisten nehmen das aber sogar als Begriff der Sache.
Die zuziehenden Reichen treiben die Mieten in die Höhe. Entsprechend dieser Theorie sehen die praktischen Widerstände von manchen Leuten aus.
Gegen diese Erklärung der Stadtentwicklung wendet sich u.a. Andrej Holm. Erstens verweist er darauf, dass die steigenden Mieten immer noch eine wichtige Grundlage in den
Renatbilitätskalkulationen der Eigentümer von Grund und Häusern haben. Zweitens sagt er, dass diese Rentabilitätskalkulationen in den letzten beiden Jahrzehnten durch neue Akteure des
Immobilienkapitals sich wesentlich verändert haben und somit der ökonomische Grund der Veränderung sei.
Dagegen soll im Folgenden dargestellt werden.
„Jede praktische Wohnungspolitik wäre eine Wende im Vergleich zur jetzigen Situation, weil im Moment schlicht keine Wohnungspolitik existiert(...)“; Andrej Holm
1. Die Freiheit der Grundeigentümer in der kapitalistischen Gesellschaft schließt das Interesse an steigenden Mieten aufgrund der eigentümlichen Bodenbewertung prinzipiell ein und nicht erst wenn
die Immobilienfonds kommen.
2. Der Erfolg dieser Kalkulation hängt dabei nicht einfach von zuziehenden reichen Leuten ab, sondern von der Gesamt-Entwicklung des Kapitalismus vor Ort.
Eigentümer von Grund und Boden mit den darauf vielleicht schon befindlichen Gebäuden können von denjenigen, die diesen Boden nutzen wollen eine Pacht oder Miete verlangen. Altertümlich nennt man
das eine Bodenrente (die nicht zu verwechseln ist mit der Altersrente). Die Eigentümer wollen den Boden nicht selbst benutzen, um darauf zu ackern, zu produzieren oder zu wohnen. Andere
Mitglieder der Gesellschaft wollen das tun. Damit sie das tun können, müssen sie die Zustimmung des Eigentümers bekommen. Wie bei jedem Ding, das jemand als Privateigentum exklusiv besitzt und
andere haben wollen, ist das der Auftakt für eine freundschaftliche Beziehung namens, „gib mir Geld“. In diesem Falle wird der Boden nicht gleich verkauft, sondern die Nutzung gestattet für einen
regelmäßigen Tribut namens Pacht oder Miete.
Wonach richtet sich die Miete?
Vom Grundeigentümer her: Soviel wie möglich. Das Märchen vom Eigentümer, der nur soviel nimmt, dass er davon irgendwie leben kann, kann man getrost als Märchen behandeln. Das soviel wie möglich
hat eine Schranke an den Angeboten der Konkurrenzeigentümer an Boden.
Von den Nutzern her: So wenig wie möglich? Das stimmt so schon nicht mehr, denn die Uckermark ist bekanntlich nicht der neue Hot Spot für alle möglichen Mieter. Mal an den möglichen Interessenten
durchgespielt:
Jede Sorte Kapital braucht einen Boden, um das Geschäft abzuwickeln. Die Böden haben aber unterschiedliche Beschaffenheiten und Lagen und sind dadurch unterschiedlich interessant fürs jeweilige
Kapital. Für das Agrikulturkapital ist die Fruchtbarkeit sehr entscheidend. Für den Rohstoffabbau ist auch offensichtlich, dass die Qualität der Böden eine Rolle spielen. Für das industrielle
Kapital im engeren Sinne sind Verkehrsanbindungen, Nähe von Zulieferern, ggf. Nähe von Universitäten für die Facharbeiter usw. bedeutend.
Für das Handelskapital ist die Nähe zu den Kunden entscheidend. Für Banken ist die Darstellung von Reichtum als Bedingung für Kreditwürdigkeit wichtig. Für die Tourismusbranche die Nähe zum
touristisch attraktiven Ort oder Verkehrsanbindungen, die einen Massentourismus ermöglichen – Stichwort Easy Jet.
Für alle Geschäftsarten ist der Boden nicht einfach nur eine wichtige aber ansonsten gleichgültige Bedingung, sondern eine Bedingung des Konkurrenzvorteils. Eine vergleichsweise hohe Pacht mag
sich hier lohnend auf den Profit auswirken.
Entsprechend der Bedürfnisse der Geschäftswelt jenseits der Grundeigentümer ergeben sich sogenannte günstige Lagen, für die dann eine relativ höhere Miete verlangt werden kann. Entsprechend gibt
es auch ungünstige Lagen, wo keine Miete verlangt werden kann.
Dies ist wichtig gegen den Gedanken hochzuhalten, dass die Miete einfach daher komme, dass der Boden ja generell knapp ist und nicht durch Produktion beliebig vermehrbar ist, wie etwa
Autos.
Die Mieten entwickeln sich entlang der Entwicklung des kapitalistischen Geschäfts vor Ort.
Soweit kann man auch erstmal festhalten, dass für die Pachteinnahmen die Grundeigentümer gar nicht weiter tätig werden müssen. Soweit das Geschäftsleben außerhalb von ihnen an ihrem Grund und
Boden Interesse hat, ist das reine Verfügungsrecht über den Boden automatisch eine dauerhafte Geldquelle. Für die Grundeigentümer ist dann das reine Eigentum an Grund und Boden ohne weitere
Zwischenschritte wie das Produzieren ein Goldesel.
Bodenpreisbildung
Bevor auf die weiteren Nutzer, die Wohnungssuchenden, eingegangen wird, soll zunächst die Bodenpreisbildung, wie sie sich aus dem bisher dargestellten weiter entwickelt, verfolgt werden.
Der Bodenpreis bildet sich nicht einfach analog zur Pacht über die oben dargestellte bestimmte Art und Weise von Angebot und Nachfrage. Die Pacht oder Miete wird kapitalisiert und ergibt im
Ertragswertverfahren den Bodenwert. Dazu ein Beispiel:
Ein Bodeneigentümer bekommt für die Nutzung seines Bodens eine Pacht von jährlich 100.000 €.
Jemand ganz anderes besitzt 1.000.000 € und könnte dieses Geld bei der Bank für 10% Zinsen im Jahr anlegen. Die 10% Zinsen sind gerade der übliche Zins in der Gesellschaft für Geldanlagen. Diese
Person würde im Jahr also 100.000 € im Jahr an Zinsen bekommen, also genausoviel wie unser Bodenbesitzer an Pacht bekommt. Daher könnte die Person anstatt die Million zur Bank zu bringen
genausogut das Stück Boden kaufen und hätte denselben Nutzen: 100.000 € jährliches Einkommen.
In einer funktionierenden kapitalistischen Gesellschaft, in der alles dem Geldverdienen untergeordnet ist und man mit Geld alles einkaufen kann, was man zum Gewinnemachen braucht, entwickelt sich
ein Banksystem, innerhalb dessen eine Geldsumme schon gleich mehr ist als sie selbst. Die Million ist Kapital und ist die Lizenz für 1.100.000 €. Wo das allgemein gilt, wird umgekehrt jede
regelmäßige Geldeinnahme so behandelt, als wäre sie das Kind eines zugrundeliegenden Ursprungskapital. In diesem Falle ist der Boden selber quasi Kapital. Der Wert dieses Kapitals wird dabei
nicht nur nach der Pacht berechnet, sondern auch danach, welcher Zins in der Gesellschaft üblich ist. Der Boden bringt jährlich 100.000€ und so berechnet als wäre dieser Betrag das Zinsergebnis
von 10% einer zugrundeliegenden Grundsumme, dann ist der Bodenwert 1.000.000 €. Um diesen Bodenwert schwankt dann der Preis, zu dem dann tatsächlich verkauft wird.
Klar ist, dass der Bodenwert nach der Berechnung steigt, wenn die Pacht sich erhöht. Kann der Bodenbesitzer eine Pacht von 200.000 € jährlich durchsetzen und kapitalisiert diesen Betrag zu 10%,
dann ergibt das einen Bodenwert von 2.000.000 €. Um sich das anschaulich zu machen, kann man wieder den Vergleich machen: Hat eine Person 2.000.000 € und kann die zu 10% bei einer Bank anlegen,
bekommt sie jährlich 200.000 €.
Sinkt die Pacht um die Hälfte, sinkt auch der Bodenwert um die Hälfte.
Der Bodenwert kann sich aber auch alleine dadurch ändern, dass der gesellschaftlich übliche Zins sich verändert. Fällt der Zins auf 5 % dann erhöht sich der Bodenwert auf das Doppelte. Für die
Anschauung wieder der Vergleich: Um 200.000 € Zinseinnahmen im Jahr zu bekommen, muss jemand schon 4.000.000 € zur Bank bringen, wenn der Zins nur 5% beträgt.
Der Bodenbesitzer nimmt 200.000 € pro Jahr ein. Als Kind eines Grundkapitals, dass sich zu 5% verzinst, ist das Grundkapital also 4 Millionen.
Steigt der Zins in der Gesellschaft, sinkt der Bodenwert entsprechend.
Die gesellschaftlichen Zinsen sind hier gemessen an den letzten Jahrzehnten sehr hoch, also unrealistisch angesetzt. Sie sollten das Rechnen etwas einfacher machen. Dennoch kann man an den obigen
Beispielen erkennen, welchen Schwankungen der Bodenwert durch veränderte Pachteinnahmen und den Zinsänderungen erfahren kann. Das macht eine neue Kalkulation für die Eigentümer auf: Man verdient
zwar auch noch an der Pacht, aber diese ist dann ein Posten neben den errechneten oder durch Verkauf tatsächlich realisierten Gewinnen aus der Bodenwertentwicklung.
Auch die einfachen Hausbesitzer, die ihre Geldquelle geerbt haben, gucken neben den Mieten auch auf den Bodenpreis. Ist die Wohnlage bleibend schlecht, dann lohnt sich der Verkauf nicht. Wird die
Lage besser, sind sie auch geneigt, eine große Einnahme auf Basis von Bodenpreisentwicklungen einzustreichen.
Im Vergleich zu Immobilienfonds besteht hier der Unterschied in der Verfügung über entsprechende Geldmittel. Der einfache Hausbesitzer kann eine Modernisierung nicht ohne weiteres stemmen, um
dann die Mieten zu erhöhen, die dann evtl. aber keiner zahlen will, weil nebenan noch billigerer Wohnraum zu haben ist.
Immobilienkapitale verfügen über derartige Geldmittel, mit denen sie ihre eigene Bodenwertentwicklungskalkulation positiv beeinflussen können. So können sie ganze Massen an Wohnungen kaufen, sie
modernisieren und höhere Mieten verlangen. Dadurch wird der billigere Wohnraum am bestimmten Ort knapper und man kann nicht mehr so einfach sagen, „ach dann geh ich doch zum anderen Vermieter“.
Sie können gestalterisch so Einfluss nehmen, dass die Wohnungen und deren Umgebung für neue zahlungsfähigere Mieterschichten, die direkt umworben werden, attraktiver sind, für alte nicht so
zahlungskräftige Schichten unattraktiver.
Die Wohnungsmieter und ihre Kalkulationen
Entwickelt sich ein kapitalistisches Geschäftsleben vor Ort, dann gibt es alleine deswegen einen wachsenden Bedarf nach Wohnraum, mit dem die Grundbesitzer kalkulieren können. Vom Management,
leitenden Angestellten, Fachkräfte bis hin zum einfachen Arbeiter wollen alle Wohnraum haben. Hat die Stadt dann noch eine Uni, kommen die Studierenden hinzu. Wird die Stadt zur Hauptstadt
erklärt, dann kommt die ganze Staatsbelegschaft hinzu.
Sie alle treten erstens mit ihrem Geldbeutel einerseits gegen die oben beschriebenen engeren Geschäftsinteressen nach Büroräumen etc. und zweitens gegeneinander an.
Sie haben die Freiheit entlang der Angebote des Wohnungsmarktes folgende Kalkulation aufzumachen:
Wieviel Prozent meines Einkommens bin ich bereit für wieviel Wohnraum in welcher Qualität auszugeben? In den höchsten Etagen des Einkommens führt das nicht zu einem Abtrag an den anderen
Bedürfnissen. Die anderen müssen schon die Miete gegen Restaurantbesuche, Kino, Reisen oder schlichte Kneipe kalkulieren und sich fragen, „wo mache ich Abstriche?“.
Die Abstriche bei der Wohnungsqualität umfasst solche Sachen wie: Größe der Wohnung, Helligkeit, Lautstärke der Umgebung, gute Luft, Verkehrsanbindung insgesamt und Nähe zum Arbeitsplatz,
Infrastruktur in der Umgebung (von Einkaufsmöglichkeiten über Amüsement bis hin für Familien sowas wie Kindergärten, Schulen), soziale Umgebung usw.
In diesem Salat von schlechten Entscheidungen, die zu treffen sind, sind vielfältige Trends möglich. Da entscheiden sich in Kreuzberg im Gegensatz zum Prenzlauer Berg scheinbar mehr bisherige
Mieter zu bleiben, nehmen dabei im Kauf, dass die Miete dann 40% ihres Einkommens schluckt.
Da gibt es Leute, die ziehen vor jeder Modernisierung ins nächste Loch bis zu dessen Modernisierung usw., bis kein Loch mehr übrig ist. In dem Maße, wie die Wohnraum an Löchern sich verknappt,
steigen auch dort die Mieten horrend.
Da wollen Familien nicht mehr unbedingt am Stadtrand mit viel Grünfläche wohnen, weil die Frau auch arbeiten will und muss, fühlen sich länger „jung“ und genießen ein modifiziertes
Innenstadtflair.
Da entscheiden sich Menschen lieber 1,5 Stunden Fahrtweg zur Arbeit in Kauf zu nehmen, weil das Miete spart. Andere nehmen 1,5 Stunden Fahrtweg in Kauf, weil sie in Wolfsburg arbeiten, aber in
Berlin wohnen wollen. Da entscheiden sich Wissenschaftler in zwei oder gleich drei Hauptstädten in Europa und USA eine Wohnung zu erhalten, weil ihnen das an Lebensqualität in Bezug auf ihren
Beruf wichtig ist.
Fazit: Städtische Veränderungen in Sachen Wohnpreis und Umgebung haben meist ein paar sichtbare oder fühlbare Begleitumstände, z.B. mehr Touristen und Hostels, veränderte
Sozialzusammensetzung der Nachbarschaft, andere Geschäfte etc. Man muss klar haben, dass diese Sachen Ausdruck eines viel umfassenderen Prinzips sind: Die Abhängigkeit von Geschäftsinteressen in
Sachen Boden, die Abhängigkeit durch die Entwicklung des kapitalistischen Geschäftslebens.
Die Rolle der Politik
Standortpolitik der Stadt
Häufig ist in den Debatten um Stadtentwicklung zu hören, dass die Kommune sich aus der Wohnungspolitik verabschiedet habe:
„Jede praktische Wohnungspolitik wäre eine Wende im Vergleich zur jetzigen Situation, weil im Moment schlicht keine Wohnungspolitik existiert. Wir haben unter der »rot-roten« Regierung wie auch
schon unter dem CDU-SPD-Senat einen Kahlschlag erlebt: Die Kürzung aller Fördermittel im sozialen Wohnungsbau und der sozialen Stadterneuerung auf Null, den Verkauf von mehr als 200000
öffentlichen Wohnungen. »Rot-rot« hat das Baurecht derart liberalisiert, daß in der Innenstadt heute noch dichter gebaut werden kann als zur Gründerzeit.“ (Andrej Holm in einem Interview mit der
Jungen Welt, 30.04.2011, Beilage, S. 1.)
Auf der anderen Seite gibt es dann die Verweise auf die standortpolitischen Pläne und Aktivitäten der Stadt. Das Projekt Mediaspree z.B. ist von der Stadt initiiert, unterstützt und mit umgesetzt
worden. Nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Städten wird aufgezeigt, wie sich Stadt und Bezirke darum bemühen bestimmte Unternehmen in ihre Region zu holen, Mieterschaften mit
Zahlungskraft anzulocken, dafür auf das Immobilienkapital setzt und dafür Menschen mit geldmäßig nicht so nützlichen Aktivitäten wie Hartz IV, Skateboardfahren, Obdachlose usw. indirekt oder
direkt zu vertreiben.
Zusammengefasst lautet die verbreitete Vorstellung so: Früher habe der Staat, die Kommune durch ordnungspolitische Maßnahmen wie sozialen Wohnungsbau, Mietobergrenzen etc. ausgleichend gewirkt.
Heute dagegen werden die armen Menschen vernachlässigt und dem Kapital Tür und Tor geöffnet. Der Staat oder die Stadt hat mal neutral, ausgewogen gewirkt – heute nicht mehr.
In dieser Vorstellung sind falsche Vorstellungen über Wohnungspolitik oder Stadtpolitik enthalten, die alle drei Ebenen der staatlichen Aktivität betreffen. Die drei Ebenen sollen hier in
folgender Reihenfolge abgehandelt werden: Wirtschaftsförderung, Regulation und Eigentum frei setzen.
Wirtschaftsförderung
Am Fall Mediaspree (1) ist das Interesse der Stadt sehr offensichtlich. Mithilfe einer Raumplanung, der finanziellen Unterstützung eines Interessenverbandes von Unternehmen und
dem schließlichen Verkauf von Grundstücken wird ein Stück Stadtraum explizit für den Zweck Wirtschaftswachstum aufbereitet. Es sollen sich Unternehmen ansiedeln, die erfolgreich ihr Geld
vermehren. An dieser Ecke kann man zunächst noch einfach sagen: Die Stadt ist von Geld abhängig, das sie nicht selbst verdient, sondern das Andere verdienen sollen. Über Steuern verschafft sich
die Stadt dann die Masse Geld für alle möglichen Projekte.
Soweit es um Wirtschaftswachstum und daher Wirtschaftsförderung geht, ist es oft einfach sichtbar, dass ärmere Menschen bei dem Projekt im Weg stehen.
Schlecht wäre an dieser Stelle zu sagen: Wirtschaftswachstum, das ist ja o.k., aber wenn dabei die Mieten ansteigen und der öffentliche Raum privatisiert wird, dann bitte nicht. Man muss sich
schon klarmachen, dass die materielle Ausgrenzung nicht erst beim Wohnungsmarkt anfängt. Wirtschaftswachstum zählt die geschäftlichen Erfolge aller Bürger zusammen und ist erfolgreich, wenn die
Summe gestiegen ist. Klar machen muss man sich, dass da ein Stoff zusammengezählt wird, in geldbemessener Reichtum, der nur über den Konkurrenzweg zu bestreiten ist. Und Konkurrenz schließt
Verlierer notwendig ein. Das betrifft Unternehmen untereinander. Das betrifft vor allem diejenigen, die sich als Lohnarbeiter für die Unternehmen krumm machen müssen oder gar nicht gebraucht
werden.
Das Projekt kapitalistische Wirtschaftsförderung richtet sich auf jeden Fall gegen arme Menschen. Wer das Projekt nicht mag, weil da für die armen Menschen als arme Menschen dann kein Platz mehr
ist, dessen Interesse oder Mitleid hat eine komische Form angenommen. Es richtet sich nicht gegen das kapitalistische Wirtschaftswachstum, weil es Armut hervorbringt, sondern weil es die Armen
als Arme dann nicht in Ruhe lässt.
Ergänzung: Die stadtpolitische Standortpolitik ist notwendig spekulativ. (Im Gegensatz zu gesellschaftlich verbreiteten moralischen Abwertung, die im Adjektiv „spekulativ“
drinsteckt, soll hier erstmal nur sachlich festgehalten werden, dass auf eine unsichere Zukunft geplant wird. Unsicher nicht, weil es auch mal regnen kann, sondern notwendig unsicher, weil auf
die Entwicklung einer Konkurrenzangelegenheit gesetzt wird). Die Stadt will für zukünftige Geschäfte gute und attraktive Bedingungen schaffen. Ob das von der Geschäftswelt angenommen wird, hängt
ab von deren eigener konkurrenztechnischen Entwicklung und zweitens davon ob nicht andere Städte attraktivere Angebote machen. Albern ist es bei einem Projekt, dass dann in den Sand gesetzt wurde
zu behaupten: Das hätte man ja vorher wissen können.
Regulation
Während der Wirtschaftspolitik nachgesagt wird, da kümmere sich die Stadt einseitig um das Kapital oder plumper um die Reichen, wird man an anderen Aktivitäten fündig, wo die Stadt auch mal was
für die normalen Menschen, die Mieter oder die Armen macht. Sozialer Wohnungsbau, Sanierungsgebiete mit Mietobergrenzen, Beschränkungen von Mieterhöhungen in laufenden Verträgen. Zwar werden auch
diese Sachen skeptisch darauf begutachtet, ob nicht auch hier das Kapital zu sehr zum Zuge kommt, aber immerhin: Hier wirke die Stadt ausgleichend, da ist die Stadt irgendwie für alle da.
Der Irrtum ist einer über den Bezugspunkt der Stadt, warum sie Kapitalinteressen auch beschränkt und armen Menschen auch unter die Arme greift.
Der Bezugspunkt war niemals der: Die Stadt findet entgegengesetzte Interessen vor und beschränkt beide irgendwo in der Mitte.
Der Bezugspunkt war und ist immer der, dass das eigene Stadtziel erreicht wird.
In Berlin sind Mieterhöhungen bei bestehenden Verträgen durch die Regel bestimmt, dass alle drei Jahre höchstens 20% der Miete erhöht werden darf. Weiter wird alle zwei Jahre ein Mietspiegel
erstellt, der mit allen Lücken und Tücken, die Durchschnittsmieten einer bestimmten Wohnungsklasse erfasst. Über diesen Durchschnitt hinaus dürfen die Vermieter die Mieten in bestehenden
Verträgen nicht erheben (von Modernisierung und Staffelmietverträgen hier mal abgesehen).
Das Interesse der Vermieter an Mietsteigerungen ist hier anerkannt und wird erlaubt. Zugleich wird es beschränkt.
Das Interesse der Mieter an Mietsenkungen ist hier nicht im Besonderen anerkannt. Was anerkannt ist, ist das Interesse mit der Mietentwicklung der eigenen Wohnung kalkulieren zu können. Durch
diese Art der Regulation kann sich jeder Mieter frühzeitig die Frage vorlegen: Muss ich mit einer Mietsteigerung rechnen? Wenn ja, wie hoch wird die ausfallen? Und dann: Kann und will ich den
Preis in Kauf nehmen und dafür bei anderen Konsumtionsgüter Abstriche machen oder stelle ich mich auf einen Umzug ein?
Die Stadt nimmt in dieser Regelung zur Kenntnis, dass eine unbeschränkte Mietentwicklung ein Leben als Lohnarbeiter verunmöglicht. Wer von heut auf morgen feststellen muss, dass er die Wohnung
verlassen muss, der kann schlecht als Lohnarbeiter in der Gegend dienstbar sein oder auch als Lehrer an einer staatlichen Schule.
Die Wirtschaft braucht dienstbares Personal vor Ort und das versucht die Stadt durch gesonderte Regularien sicherzustellen.
Nicht erst bei der Wirtschaftsförderung im engeren Sinne, sondern auch bei der Betreuung der Interessenkollisionen hat die Stadt ihren Standort als Geldmaschine im Blick.
Daher ist es auch kein Wunder, wenn die Stadt auch mal austestet, ob es nicht auch ohne sozialen Wohnungsbau vor Ort irgendwie geht. Das zynische ist, dass sie dann abwartet, ob die Betroffenen
sich rühren. Ihr Protest ist dann ein Indikator dafür, ob die Stadt nicht übertrieben hat und wieder ein paar abfedernde Maßnahmen notwendig sind. Nimmt die Stadt solche Proteste auf und gibt
ihnen ein wenig Recht, ist das nicht ein Ausweis dafür, dass die Stadt eine freie Fläche ist, auf der ein Kräfteverhältnis sich hin und her verschiebt. Die Stadt hat ein eigenes Interesse und von
diesem aus, nimmt sie Bezug auf die bestehenden Interessen und gibt ihnen mal mehr oder weniger Recht.
Auch in den 90ern als in Berlin Sanierungsgebiete ausgeschrieben wurden und die Immobilienbesitzer sich auf Mietobergrenzen verpflichtet haben, wenn sie die großzügigen Subventionen der Stadt
erhalten, war klar, dass Verdrängung stattfinden wird. Es ging um eine sanfte Veränderung der Bevölkerungsstruktur. Das war im eigensten Interesse der Stadt und nicht einfach eine Wohltat für
arme Schlucker.
Freiheit und Eigentum setzen
Aber was heißt hier eigentlich „bestehende Interessen“? Findet der Staat oder die Stadt diese eigentlich einfach so vor und reagiert dann auf dieselben mit den Regulierungen?
Bei dem Grundeigentum wird es fast augenscheinlich, dass diese Erwerbsquelle eine reine staatliche Lizenz ist. Die Freiheit über das Grundeigentum nach eigenen Belieben unter Ausschluss aller
anderen Menschen zu verfügen, nimmt seinen Anfang schlicht in einem Eintrag im Grundbuchamt. Der Staat führt Buch darüber, welcher Flecken Territorium seiner Herrschaft unter die Verfügungsmacht
von Privatpersonen fällt.
So schafft der Staat spiegelbildlich die Figur des Mieters, also Personen, die nicht über Grund und Boden verfügen und für die Nutzung von den Besitzenden einen Tribut zahlen muss. Nicht erst bei
der Wirtschaftsförderung oder bei der Regulation, sondern schon hier im Allerprinzipiellsten kann man sehen, dass der Staat die Macht des Geldes ins Recht setzt.
Fazit: Der Staat und damit auch die Stadt als Unterabteilung schaffen die ökonomischen Kreaturen, die dann in Konflikt miteinander stehen. Für das Gelingen der Geldvermehrung vor Ort regelt der
Staat bzw. die Stadt die daraus resultierenden Konflikte so, dass ein Gesamtwachstum klappt.
Klappt das Verhältnis, will die Stadt den Kapitalismus durch die gesonderte Förderung bestimmter Interessengruppen besonders gut bei seiner Entwicklung unterstützen. Das Gesamtwachstum soll
möglichst hoch sein. Das Gesamtwachstum ist das des in geldbemessenen Reichtums. Dieser wird notwendig auf dem Konkurrenzweg beschritten und schließt daher mit Notwendigkeit Verlierer ein.
Die Rolle des kreativen Milieus in der Standortpolitik
Die Kunst ist selber ein Aushängeschild der Stadt in der Standortpolitik. Darauf haben die Künstler im Gängeviertel Hamburg ja auch spekuliert und ein wenig Recht bekommen.
Kleine Ich-AGs, Kneipen- und sonstige Geschäfte werden im Quartiersmanagement unterstützt, damit überhaupt was in Gang kommt, Gebäude durch Nicht-Benutzung nicht verfallen, zahlungsfähigere
Mieter angelockt werden etc. Dass die Unterstützung nur gewährt wird, damit ein selbstständiges Geschäftsleben in Gang kommt, wird explizit gesagt. Dass diese kleinen Unternehmer dann später
weichen müssen, ist kein Geheimnis.
Als Mosaikstein innerhalb der Stadtentwicklungspolitik macht das kreative Milieu seinen kleinen Beitrag. Hier den Grund für die Mietentwicklung zu suchen ist aber ein wenig hoch gegriffen, als
Selbstkritik überschätzt man sich selbst.
Daher eine Präzision: Falsche Erklärung: Die Reichen treiben die Mieten in die Höhe.
Richtig: Erfolgreiche Standortpolitik befördert das kapitalistische Geschäft auf dessen Grundlage die Grundeigentümer die Mieten anziehen können.
Daher ist die Frage „Wem gehört die Stadt“ schlecht gestellt. Die Stadt ist als kommunaler Teil des Staates das Projekt desselben. Besser ist die Frage: Was ist der Zweck der Stadt? Dann kann man
sich auch erklären, warum manche Leute zunehmend in der Stadt nichts zu suchen haben und andere schon.
Schlecht ist auch die Vorstellung von kommunalen Besitz als Allmende = unserer Besitz im Gegensatz zum Privaten. Staatlicher Besitz schließt erstmal alle aus und was damit passiert richtet sich
nach den Kalkulationen des Staates.
Weitere Kritik der aufgenötigten Praxis und von entsprechender Ideologie: Bejahung von Elend
Teil 1: Neben den alle drei Jahre möglichen Mieterhöhungen um bis zu 20% bis zum Mietspiegel, ist die Modernisierung der zweite Weg bei bestehenden Mietverträgen die Miete zu erhöhen. Von den
Kosten, die über den bloßen Erhalt der Wohnung hinausgehen, kann 11% auf die Jahresmiete umgelegt werden.
Angesichts knapper Geldbeutel sind dann Mieter, also die Nutzer der Wohnungen auf folgenden Irrationalismus praktisch verpflichtet: Sie wollen mit allen Mitteln verhindern, dass die Wohnung
verbessert wird. Ganze Heerscharen von Mieter kämpfen darum, dass ja kein Balkon an die Wohnung gebaut wird. Mietergemeinschaften unterstützen die Mieter in ihrem Rechtskampf gegen eine
Verbesserung der Wohnqualität.
Teil 2: Verschlechterungen bekämpfen und dabei den bisherigen Scheiß Status Quo positiv fordern. Keine Verdrängung der Obdachlosen aus dem Park. Der Park ist für alle da.
Keine Verdrängung der Armen aus dem Kiez (also weiterhin so einen bezahlbaren Wohnraum, dass die Migrantenfamilie mit 5 Kindern in einer 2-Zimmer Erdgeschosswohnung leben kann).
©Agitare Bene Berlin vom 07.06.2011 in Zusammenarbeit mit junge linke (junge-linke.org)
Fußnoten:
(1) Aktuelle Entwicklung zu Media-Spree