EXISTENZEN und andere Abgründe
v. Yoshihiro Tatsumi
320 Seiten (Taschenbuch); €19.90.-
ISBN 978-3-551-78689-0
http://www.carlsen.de
Inhalt: Mit Yoshihiro Tatsumi veröffentlicht Carlsen einen weiteren Meister japanischer Comicliteratur. Bereits in den 1950er-Jahren entwickelt er eine bis dato nicht gekannte
realistische Erzählweise, zusammen mit anderen Zeichnern gilt er als Gründer der Gekiga, der realistischen Manga. Seine Charaktere führen ein Leben, das geprägt ist von Frustrationen und
existentiellen Ängsten. Ohne jemals in Sentimentalitäten zu verfallen, zeigt Tatsumi tiefes Einfühlungsvermögen für die Verirrten und Verlierer, die die Gesellschaft in ihrem Kielwasser
aufgegeben hat. Den Abschluss bildet ein persönliches Nachwort des Autors und Zeichners.
Gesamteindruck: Verflucht, gescheitert, verloren und verkommen sind die geeigneten Attribute, die umschreiben, was Yoshihiro in seinen Geschichten mit seinen Figuren anrichtet.
Spannend im Aufbau, ein bißchen avantgardistisch und provokant im Milieu in der Erzählweise widmet sich der Autor dem Sujet des persönlichen Horrors, wenn sich unheilbringende und sexuelle
Vorlieben zu einer persönlichen Krise meistern, die nicht selten einen schicksalhaften Fluch weicht, der drastisch und tragisch komisch ist. Die gescheiterten Existenzen mit ihren individuellen
Problemen, Ängsten und Geheimnissen sind der Schlüssel für den Erfolg der Erzählkunst und den klar gerenderten Panel, in denen weinende, traurige Gesichter verletzlich sind und die
melancholische, depressive Atmosphäre verstärken, denn “nach unten geht es immer weiter!” Wenn Yoshihiro tatsächlich Geschichten und Gekiga unter Druck wie am Fließband hergestellt hat, erstaunt
die enorme Fülle an kreativen Ideen, der kraftvolle und schonungslose Niedergang von moralischen Instanzen, die weder vor Mord, Leid und Tod Halt machen, noch irgendwie im Glück enden. Es gibt
keine Hoffnung, keine glückliche Zukunft. Yoshihiro schafft es hervorragend, die Veränderung des Charakters und sein Schicksal aufzubauen, dafür kommt das Panel auch mal mit längeren Passagen
ohne Worte aus, bis die “Bombe” platzt und der Lauf der Dinge verändert wird. So bleiben die Geschichten unberechenbar, was Yoshihiro gekonnt in Szene setzt, ohne die LeserInnen zu überfordern,
sondern ihnen stets die Auswirkungen vor Augen hält, wenn die Frage nach dem “Warum” ungeklärt bleibt. Fürwahr ist die Philosophie ein großes Thema und Yoshihiro kokettiert mit existentiellen
Fragen, die den Verstand fordert und die erbitterte Erkenntnis zu Tage fördert, dass der Leser nichts zu lachen hat.