Auch im Jahr 2010 wurden homosexuelle Menschen immer noch diskriminiert und verfolgt, auch in Potsdam. Blöde Blicke oder homophobe Sprüche bis hin zu körperlichen Übergriffen gegenüber (vermeintlich) homosexuellen Menschen sind alltäglich. Erinnert sei hier noch einmal an den Angriff auf das Café La Leander im vergangenen Jahr, bei dem zwei betrunkene Männer erst das Personal und die Gäste homophob beschimpften und anschließend mehrere Scheiben einschlugen. Ebenso sind immer wieder Zielscheibe verbaler oder körperlicher Angriffe Menschen, die sich weder als Mann oder als Frau einordnen lassen wollen oder ihre geschlechtliche Identität selbst wählen.
Da gab es kein spezielles Ereignis. Zur Gründung beigetragen haben eher die sexistischen Erfahrungen die jede_r von uns täglich erleben muss, im Bus, in der Schule, auf Arbeit, im Bekanntenkreis und das Bedürfnis endlich etwas dagegen zu machen. Ein weiterer Grund war, dass es keine feste antisexistische Gruppe in Potsdam gab, sondern nur engagierte Einzelpersonen, darum hat sich die „Antisexistische Aktion Potsdam“ im vorletzten Jahr gegründet.
Unserer Ansicht nach ist der homophobe und heterosexistische Mainstream in der Gesellschaft dafür verantwortlich. Wenn sich dieser nicht ändert, werden auch die staatlichen Organe (Bullen, Justiz), die ja eh nicht sonderlich fortschrittlich sind, sich nicht ändern.
Somit werden diese Straftaten auch nicht kategorisch als homophobe Gewaltdelikte erfasst. Müssen Polzeibeamte für das Thema besser geschult und sensibilisiert werden?
Das ist keine konkrete Forderung von uns und auch nicht unser vorrangiges Anliegen Reformen bei den Bullen und sonstigen staatlichen Institutionen einzuführen.
Uns geht es vielmehr darum, auf Sexismus, Homophobie und Transphobie in der Gesellschaft aufmerksam zu machen und die Leute dafür zu sensibilisieren, um irgendwann einmal in einer
Gesellschaft zu leben, wo es keine Unterdrückung von Menschen gibt und demnach auch keinen Staat und keine Polizei, die diese Unterdrückung fördern und aufrecht erhalten.
Es scheint, als würde sich schrittweise erkämpfte und erreichte Toleranz, Akzeptanz und Normalität von und für Schwule und Lesben schrittweise wieder zu bröckeln und zu verkleinern zu
beginnen….
Es hat sich in den letzten Jahren viel in dem Bereich formeller Gleichberechtigung von verschiedenen Lebensweisen getan, aber dies wurde noch nicht von allen Menschen verinnerlicht. Somit
gibt es leider immer noch Diskriminierungen und auch Gewalt gegen LSBT-Menschen*, weil diese als „das Andere“ und „Unnatürliche“ wahrgenommen werden. Unserer Meinung nach muss vor allem etwas
im Bereich der Erziehung und Bildung getan werden. Gerade die öffentlichen Bildungseinrichtungen sind hier in der Verantwortung, frühzeitig verschiedene Lebensformen zu thematisieren und
einen offenen Umgang damit zu fördern. Aber auch im „Privaten“ z.B. in der Familie oder im Freundeskreis muss sich noch einiges tun, damit LSBT-Menschen* gleichberechtigt leben können.
Mit welchen kreativen Ideen und Aktionen tretet ihr als ASAP an die Öffentlichkeit?
Das ist sehr unterschiedlich und hängt meist vom Thema ab.
So haben wir beispielsweise ein “Kisse” am Anti-Homophobie und Anti-Transphobie Tag veranstaltet. Das war eine Art Flashmob-Aktion, bei der sich Menschen verschiedenster sexueller
Orientierungen für 3 Minuten gleichzeitig küssten.
Dann haben wir rund um den Herrentag verschiedenste Aktionen in Potsdam gemacht. Außerdem machen wir gelegentlich Awareness-Arbeit bei verschiedenen Veranstaltungen, wo es darum geht
Betroffene, von sexualisierten Vorfällen, vor Ort, zu unterstützen.
Wir sind, was die Aktionen angeht, sehr offen. Unser Repertoire umfasst verschiedene Dinge, wie beispielsweise Texte schreiben, Infoveranstaltungen machen, Öffentlichkeitsarbeit und
“Stadtverschönerungsaktionen”. Derzeit planen wir einen Film mit anschließendem Workshop zum Thema alltäglicher Sexismus. So ein ähnliches Projekt hatten wir letztes Jahr schon mal gemacht,
jedoch nur auf Sexismus in der linken Szene bezogen. Der neue Film soll auf Erfahrungsberichte verschiedener Leute aufbauen und mehr als nur die linke Szene umfassen.
Es gab von euch Aktionen gegen den sogenannten Männertag. Bewertet ihr diese als Erfolg oder habt ihr damit die Bevölkerung eher verwirrt und überfordert…welche Intention stand hinter
den Aktionen?
Erfolgreich bei der Aktion war auf jeden Fall, dass Menschen vor den Plakaten stehen geblieben sind, irritiert waren, diskutiert haben und dadurch zum Nachdenken angeregt worden sind.
Innerhalb der Stadt und auch in verschiedenen Medien haben wir Aufsehen und Diskussionen erregt, was die Auseinandersetzung mit dem Thema hoffentlich voran bringt. Ohne unsere Aktionen wäre
der Männertag, ungestört wie jedes Jahr, verlaufen.
Aber auch der Spaßfaktor ist bei unseren Aktionen wichtig, von daher war es auch ein Erfolg für uns.
Gibt es für euch ein spezielles Themenfeld, auf das ihr eure Aktionen ausrichtet?
Ja, in erster Linie ist das der Bereich Sexismus, Homophobie und Lookism.
Geschlechternorm und -identität sind mitverantwortlich, dass durch Kirche, Eltern das binäre Geschlechtersystem festgelegt wird. Wie können diese Denkmuster durchbrochen
werden?
In erster Linie durch kritisches Denken und ein kritisches Bewusstsein von allen Menschen. Dies kann durch Aufklärung und Selbstreflexion erreicht werden. Es sollte immer wieder ins
Bewusstsein gerufen werden, dass dieses zweigeschlechtliche Denken gesellschaftlich konstruiert ist und abgeschafft werden muss, da es zwangsläufig zu Ausschlüssen und Unterdrückung führt.
Konzentriert ihr euch mit der Arbeit verstärkt auf den Raum Potsdam? Welche Formen von Sexismus kommen in Potsdam besonders stark zu tragen?
Sexismus ist universell. Wir arbeiten in Potsdam, weil wir hier zum größten Teil auch leben. Es gibt aber in vielen anderen Städten und Ländern auch antisexistische Initiativen, mit denen wir
uns solidarisch zeigen und auch teilweise zusammenarbeiten.
Wie schätzt ihr eure Arbeit selbst ein. Ist es nicht hinderlich, wenn sich alle aus der Gruppe aktiv an Arbeits- und Entwicklungsprozessen beteiligen oder entstehen somit
vielschichtige Ideen?
Nee, denn die Gruppe ist nur so gut wie die jede Einzelperson. Wir legen viel Wert auf die gleichberechtigte Teilnahme und Mitsprache aller, denn nur so bleibt eine Gruppe dynamisch und es
können sich neue Ideen entwickeln. Wir entscheiden deshalb auch nach dem Konsensprinzip. Klar würde eine hierarisch organisierte Gruppe schneller arbeiten können, aber das ist nicht unser
Anspruch. Wir wollen alternative Arbeitsmethoden ausprobieren. Damit sehen wir uns auch in der Tradition der undogmatischen Linken und der Frauenbewegung.
Welche Medien benutzt ihr, um auf sexistische Strukturen und Verhaltensweisen aufmerksam zu machen?
Vor allem lokale Medien aus Potsdam, linke Medien und Medien aus dem antisexistischen und subkulturellen Bereich.
Das von euch organisierte “Smash Sexism” Open Air demonstriert eine vielfältige, emanzipatorische und progressive Musik und Kultur. Ist diese Art von Veranstaltung mit Workshops,
feministischen, queeren und antisexistischen Strukturen ein gelungenes Beispiel für Integration der Geschlechter?
Das “Smash Sexism” haben wir nicht als Gruppe organisiert, denn da gab es die ASAP noch gar nicht, aber als Einzelpersonen unterstützt und mitorganisiert.
Es war ein Versuch, zu zeigen, dass es auch was anderes als den sexistischen Mainstream gibt, wo „Männer“ sich um die Technik kümmern, auf der Bühne stehen und „Frauen“ nur “sexy Beiwerk”
sind. Es ging uns bei dem Open Air vor allem um Empowerment von „Frauen“ und LSBT-Menschen. Wir wollten einen Raum schaffen, der nicht von „Männern“ dominiert wird und in dem „Frauen“ die
Aktiven und Schaffenden sind. Das wurde zumindest für diesen Tag auch erreicht. Aber so ein einmaliges Event ändert natürlich erstmal nichts an dem weiterhin bestehenden sexistischen
Normalzustand in der Gesellschaft. Aber es zeigt, dass es auch anders geht.
Warum brauchen wir mehr geschlossene, geschützte Freiräume für Frauen?
Es geht gar nicht so sehr um „geschlossene Freiräume für Frauen“, sondern viel mehr um Räume, wo sich jede_r wohl fühlt und nicht diskriminiert wird. Die Idee eigene Räume für „Frauen“ zu
schaffen, stammt aus der autonomen Frauenbewegung der 70er Jahre. Diese Frauenräume wurden damals als Austausch- und Erfahrungsorte für „Frauen“ konzipiert. In einer Welt, die immer noch
patriarchal geprägt ist, geht es darum, Orte zu schaffen, an denen „Frauen“ zusammen kommen können und unabhängig von Männern bzw. von männlich geprägten Maßstäben agieren und ihre eigenen
Ideen und Bedürfnisse formulieren können. Es geht darum, sich über sexistische und sexualisierte Erfahrungen auszutauschen und gemeinsam Strategien dagegen zu entwickeln. Autonome Räume für
Frauen sind keinesfalls eine Lösung des sexistischen Normalzustandes, dennoch sie sind momentan noch notwendig und Mittel zum Zweck. In Potsdam gibt es, beispielsweise einmal im Monat einen
Frauen-Mädchen-Trans-Abend, bei dem „Männer“ keinen Zutritt haben.
Mit welchen Projekten, Bündnissen arbeitet ihr zusammen?
Das ist immer abhängig vom Thema und der Aktion. Es gibt in Potsdam viele engagierte Einzelpersonen, die uns unterstützen. Ansonsten sind wir in Kontakt mit dem autonomen Frauenzentrum in
Potsdam, antisexistischen und LSBT*-Gruppen und Initiativen sowie mit Antifagruppen.
Anmerkung:
*LSBT meint lesbische, schwule, bi und transgender Menschen
Weitere Infos: http://www.myspace.com/fight.sexism