· 

GUTS PIE EARSHOT


Die Band wurde 1991 als „Punkband mit Cello“ namens Flowerhouse in Köln gegründet und war aus Lucy Killed The Dragon hervorgegangen. Von Anfang an war ihr politischer Bezug die Hausbesetzer- und Bauwagenplatz-Szene, und ihre Verbundenheit zu Bands wie The Ex, Chumbawamba und Dog Faced Hermans. No Means No beeinflussten sie in ihrer Anfangszeit ebenfalls. Die Konzerte waren und sind immer noch oft kleine Locations und Squats, und dem Do It Yourself-Gedanken verbunden.

1993 wurde die Band in Guts Pie Earshot umbenannt. Sie bestand damals aus Patrick Cybinski (div. Orchester, Theatermusik und Hörspiele), Jean Jacobi (Tecbilek, Ministry of Good Vibrations), Anneke Pohl (früher bei der Bonner Band Loonies), Alex Franke (techn. Tonmeister, Produzent; auch PHEW!) und Gunther Steudel (inzwischen Komponist von zeitgenössischer Filmmusik).
Seit 2004 ist die Band ganz minimalistisch zu zweit unterwegs: Cello und Schlagzeug. Zusammen haben Patrick „Rizio“ Cybinski und der Schlagzeuger Jean „Scheng“ Jacobi die Alben Chapter two-Volume one, Revolt against und Smart desert eingespielt.
Das Duo webt einen dichten Teppich aus Breakbeat-Patterns, Punksongs, Streicher-Stakkati, orientalischen Melodien und Techno Attacken - und erschafft damit eine Musik, die spielend die Grenzen zwischen Punk, Elektronik, Drum’n Bass und Rock aufhebt ohne damit auch nur in die Nähe peinlicher „Rock meets Classic“-Acts zu kommen.
Dass Guts Pie Earshot trotz minimalistischer Besetzung gänzlich auf elektronische Stützen wie Sampler oder Laptop verzichten, ist bewundernswert - und kaum zu glauben, hört man sich ihre dichten und hypnotischen Klangwelten an, die man sonst nur aus der Elektronik kennt.
Ungestüm sind sie geblieben - explodierende Punkbeats und Metal-Anleihen wechseln sich ab mit Trance, Orientpop und Breakbeats.
Klangwände der Unterlassung, die je nach Song charakterisierbar sind als «Punk ohne Gitarre», «Drum 'n' Bass ohne Bass» und «Techno ohne Technik».

Am 11. 12. gab es ein Konzert (End of Season) mit Anneke, Sängerin der ersten Stunde. War das ein einmaliges Ding sein oder könnt ihr euch vorstellen, erneut mit Gesang/SängerIn zu arbeiten?
Jean: Das wird auf jeden Fall erst mal ein einmaliges bzw. seltenes Ding bleiben. Es ist jedenfalls keine "Reunion" vorgesehen oder so. Es ist mehr als eine Idee aus der Geschichte und Freundschaft zu Anneke entstanden. Irgendwann erzählte sie uns beim zusammen essen, dass sie sich ja auch nach den 10 Jahren wieder vorstellen könnte mal wieder zu singen. Den Gedanken mit Gastgesang mal etwas zu versuchen hatten wir schon länger, da war es naheliegend, das mit Anneke zusammen zu versuchen. Das ist natürlich so ein kleiner Ausflug in die Vergangenheit, ein Nachspüren wie das so war, und wie sich das jetzt so anfühlt. Beim Proben kamen jetzt schon so viele alte Erinnerungen wieder hoch.
Ich denke, es ist dann einfach etwas völlig anderes, denn unsere aktuelle Musik lebt ja viel auch davon, dass es keinen Fokus auf einen Frontmenschen gibt. Wir vergleichen uns ja mehr mit dm DJ, der sein Set aufbaut in Kommunikation mit dem Publikum, dabei aber sich selbst hinter der Musik hält. Der Prozess des Setaufbaus braucht manchmal seine Zeit, es gelingt uns aber eigentlich immer, dass das Publikum es dann dankend aufnimmt, und genau das Fehlen der Front zur Qualität wird. Das wollen wir auf gar keinen Fall aufgeben und missen.
Wie das dann gehen kann, den anderen Teil auch auszuleben mit Gastgesang, und ob das auch klappt, ohne dass die Leute direkt nur noch auf die Front / Stimme fokussiert sind. Wir sehen dem mit Spannung entgegen, denn mehr als die Hälfte der Leute im Publikum kennen Anneke ja gar nicht. Der Gesang gibt dem Ganzen auch definitiv mehr gängigen Punkrock-Faktor - und das ist nicht unbedingt nur Konsens in unserem Publikum.

Für diesen Gig habt ihr in Griechenland geprobt...(beschreib mal die Umstände)
Patrick: Naja, wir haben gerade 5 Tage in Köln mit Anneke geprobt, zum ersten Mal nach über 10 Jahren! Und im November sind wir nach Griechenland und haben dort 2 Konzerte zusammen gespielt. Kontakte dahin gibt es schon lange, in den 90ern haben Leute unsere Musik mit nach Griechenland genommen und dort verteilt, u.a. NAFTYA und STATELESS IN THE UNIVERSE, die hier auf Tour waren.
Als wir dann 2007 das erste mal in Thessaloniki waren, kannten super viele Leute unsere Musik und es kamen 500 Leute zu dem Konzert.
Jean: Gerade da haben sich unsere alten Aufnahmen sehr verbreitet - und die sind ja mit Anneke….daher war die Idee naheliegend, das erst mal da zu "proben"...

Ihr seid ja sehr konzert -und reisefreudig unterwegs. Welchen Aspekt dabei mögt ihr besonders gerne und welche positiven wie negativen Eindrücke gewinnt ihr aus den Reisen? Habt ihr Zeit dabei, die lokale D.I.Y.-Szene kennen zu lernen?
Patrick: Stimmt, in den letzten 3 Jahren waren wir wirklich viel unterwegs, ca. 250 Konzerte. Trotzdem hat sich bei mir Abnutzung eingestellt und ich hatte bisher nie das Gefühl, dass sich etwas wiederholen würde. Wir sind beide daran interessiert, die Menschen kennen zu lernen, die zu unseren Konzerten kommen bzw. die, die den Abend und die Zentren organisieren. Das ist immer wieder spannend und neu, ob D.I.Y. oder halb-kommerziell oder auch mit städtischer Unterstützung.
Mich persönlich fasziniert es immer wieder aufs neue, wenn ich Menschen kennen lerne, die genau wie wir mit unserer Musik einen Traum, eine Vision verfolgen, die darum kämpfen, ihren Raum zu gestalten und zu halten, einen Freiraum, den wir dann für einen Abend mit unserer Musik füllen können/dürfen. Wir sind als Reisende ja völlig darauf angewiesen, dass Menschen die Räume machen, in denen die Party oder das Konzert stattfinden soll!
Jean: Also die Eindrücke wären Bücherfüllen. Wirklich, und ich finde es schade, dass keiner von uns beiden literarisch begnadet ist. Das Ding ist ja auch, dass wir in den letzten Jahren immer alleine fahren, also keine FahrerInnen, keine MixerInnen etc. dabei haben - dadurch sind wir immer sehr direkt konfrontiert mit den Leuten, also nichts mit zurückziehen, nichts mit in der Menge der Band untergehen…also ausgeliefert allem tollen - aber auch den heftigen und krassen Erlebnissen. Die D.I.Y..-Szene kennen lernen, hm, ja sicher auch. Da haben wir so einige kommen und gehen sehen, Hoch und Tiefs von Häusern, Zentren. In letzter Zeit auch öfter Erlebnisse, wo auf einmal ein tot geglaubter Ort wieder anfängt zu leben - oft weil neue junge Leute wieder Bock haben was zu machen. Wenn man sie denn lässt. Denn es gibt dann auch die, die immer von den alten tollen Zeiten faseln, und dass ja heute alle angeblich nur zu Technopartys gehen wollen und konsumieren, ohne zu merken, dass sie selbst es sind, die den Ort blockieren, junge Leute vergraulen und intolerante Altpunk-Spießer geworden sind.

Welche Elemente sind dir wichtig, um eine atemberaubende musikalische Mixtur herzustellen?
Patrick: Hm, wir planen ja nicht so eine "Mixtur" herzustellen. Das passiert. Uns fasziniert einfach weniger der Mainstream - eigentlich in allen Bereichen - sondern das, was es sonst noch gibt: Das Individuelle, Ehrliche, das, was Menschen unterscheidet, verbindet: die Brüche, die Widersprüche, die Gegensätze, die Höhen und Tiefen.
Da wir das alles gerne in unsere Musik packen, kommt dabei etwas komplexes heraus.
Jean: Das Hauptelement ist für mich die Emotion und der Glaube, dass Musik politisieren kann. Mit welchen Mitteln, mit welchem Stil, das ändert sich bei mir immer wieder. Ein anderes Hauptelement ist für mich, dass wir nie Musik nur für uns selbst machen. Wir sind das Gegenteil des introvertierten Musikers, der auf die Reaktion des Publikums pfeift. Natürlich nicht zu verwechseln mit einer opportunistischen Herangehensweise dem Publikum alles recht zu machen. Eher so, dass wir versuchen, die Reaktion der Leute mit in unserem Gedanken beim Komponieren, Arrangieren etc. mit einbeziehen, in Kauf nehmen oder bewusst provozieren.

Beschreibe mal deine Entwicklung persönlicher Freiräume für Kreativität und Effektivität. Auf welcher Basis funktioniert eure Zusammenarbeit bzw. welchem Grundgedanken liegt diese zugrunde?
Patrick: Ich glaube, uns beide hat unter anderem das Wagenleben fett beeinflusst... oder tut es noch. Jean hat ja in Köln lange im Wagen gewohnt und ich wohne seit 2001 in der Wagenburg in Münster. Persönlicher Freiraum ist für mich dann spannend, wenn ich ihn gemeinsam mit anderen leben und gestalten kann. Es ist das Gefühl, dass wir eigentlich fast alles machen können, dass es auf uns selber ankommt, dass wir nicht andere für unsern Scheiß verantwortlich machen, dass wir uns motiviert kriegen unsere Träume (naja ich sach ma ansatzweise) realisieren. Mit GUTS PIE EARSHOT ist es ganz genauso. Natürlich ist das auch anstrengend, aber egal!!!

Wie arbeitet ihr an einem neuen Stück. Wer gibt da die Vorlage. Kannst du mal am Beispiel von "Revolt against" erklären? Ich kann mir vorstellen, dass "Rizio" den Ton, die Struktur vorgibt?
Patrick: Bei "revolt" gab es zuerst die orientalische Melodie. Meistens ist es so, dass ich tage-/wochenlang so eine Idee verfolge, erst noch recht simpel, irgendwas stört mich noch, oft weiß ich gar nicht genau was. Ich probiere dann immer weiter und plötzlich ist dann das Gefühl da "Jau, jetzt stimmt es, so muss es sein." Manchmal machen Jean und ich diese Suche zusammen im Proberaum, manchmal bringe ich so eine Melodie mit und wir bauen ein Stück daraus. Die Drum'n'Bass-Parts danach und der Rest sind gemeinsam im Proberaum entstanden. Und viel viel Zeit geht im Proberaum einfach auch dafür drauf, den richtigen Sound für die einzelnen Parts zu programmieren.
Jean: Es ist eben nicht so das klassische Songwriting, dass etwa Patrick als Melodie Instrument den Ton und die Struktur vorgibt, und dann kommt das Schlagzeug dazu. Die Songs entstehen fast alle Stück für Stück -eigentlich beginnen die meisten Stücke mit einer einzigen Melodie oder Riff von Patrick oder von mir, das wir dann erst mal als Skizze benutzen, daran schon mal weiterentwickeln, Variationen versuchen, uns gegenseitig Vorschläge machen, uns kritisieren, Sessions machen- in letzter Zeit meistens direkt auf der Bühne- bis das ganze eine Form annimmt. "Revolt against" ist aus mehreren solcher Prozesse und Stücke entstanden: einer Drum´n Bass Session, der orientalischen Melodie, dem Intro. Dann fangen wir an zu arrangieren -allermeist mündlich auf den Fahrten im Bus. Dann die Ideenteile miteinander verbinden, verlängern, verkürzen, live spielen, wieder verändern, Teile herausschmeißen. Daraus entsteht dann irgendwann das ganze Stück, was dann für eine Weile so bleibt, bis wir wieder weiter anfangen es zu verändern, weil jemand eine neue Idee hat.

Gibt es für dich die Symbiose, dich vom "alt" und neu" inspirieren zu lassen? Entwickelst du daraus den Freiraum für deine Kreativität?
Patrick: Ich erlebe das tatsächlich als Einheit. Wenn ich alte Musik spiele, z.B. aus den Suiten von Bach, klar, das ist bald 300 Jahre alte Musik!!! Das ist ähnlich faszinierend wie vor einer 300 Jahre alten Linde oder so was zu stehen. Es gibt mir ne gesunde Relation dafür, wie wichtig unwichtig ich selber bin.

Ihr lebt mittlerweile von der Band. Bedeutet dass grundsätzlich dass ihr den Fokus auf kommerzielle Veranstaltungen legt?
Patrick: GUTS PIE EARSHOT hatte ja schon immer mehrere Fokusfokiwat (ist die mehrzahl von Fokus). Ja und das wird auch immer so bleiben!
Ich lebe seit 12 Jahren vom Musikmachen, ist mein Traum. Irgendwann war klar, wenn wir 100 Konzerte im Jahr machen, dann muss das auch für uns zum Leben reichen. Für uns als Band ist die Sicht gar nicht so sehr kommerziell versus anti-kommerziell. Weil wir von unserer Musik leben wollen, sind wir ja nicht kommerzieller als jemand der/die woanders sein/ihr Geld her kriegt. Es geht um die selbstbestimmten Räume und da ist dann halt manchmal klar, dass wir mit unserem Anspruch nicht in den antikommerziellen Rahmen passen.
Jean: Es ist so, dass wir gucken, dass wir überleben (denn als was anderes kann man das finanziell mit Familie und 2 Kindern in meinem Fall nicht bezeichnen). Den "Fokus auf kommerzielle Veranstaltungen" legen - davon sind wir ja sehr weit entfernt, aber na klar können und konnten wir nicht jedes Soli Konzert machen und sind einfach auf Gagen angewiesen. Sonst müsste ich anderswie arbeiten gehen, und wir könnten dann mit GUTS PIE EARSHOT lange nicht so viel machen, also auch nicht auf unkommerziellen Festivals, auf Wagenplätzen und in besetzten Freiräumen spielen.

Klassik und orientalische Elemente werden von euch in den Songs eingebaut. Was hört ihr denn eigentlich privat gerne für Musik? Und was läuft auf euren Reisen?
Patrick: Die Zeit, dass ich wirklich mehr so einen Stil gehört hab, ist irgendwie endgültig vorbei. Durch Mp3, Computer und Mix-Cds mit 80Stücken drauf, habe ich das Gefühl, dass die Musik, die mich im Leben begleitet, sich so nach dem Random-Prinzip von selber abspielt. Und plötzlich bin ich von irgendwas total begeistert, muss das haben, höre es und es wird ein Teil meiner eigenen inneren Musikbibliothek. Und klar, meine Ideen kommen genau von daher.
Jean: Auf unseren Reisen läuft gar nix! Motorgeräusch vielleicht. Das reicht dann. Privat hab ich mich schon immer allem möglichen und ausgiebigst ausgesetzt, eigentlich höre ich den ganzen Tag Musik. Guten Punk, Hardcore, Crust, Doom (Post Regiment, Assata, Harum Scarum, ZED) höre ich genauso gerne wie Fairuz (libanesische Sängerin), Dikanda (polnische Weltmusik Band), Manu Chao (!), sehr viel Goa, House, Techno und Dub oder eben Reggae, Heavy/Hard Rock (Black Sabbath, Motorhead, Sepultura) wie auch moderne Klassik oder auch Schlager à la Alexandra, ABBA, Kim Wilde…
Für mich gibt es nicht so sehr den Unterschied der Musikrichtungen, sondern eher die Intensität und Stimmung.

Wann ist es für dich wichtig geworden, dass Punk wieder innovativ werden muss? Gab es da Schlüsselmomente zu Bands und Projekten?
Jean: Das war schon immer so: Für mich war und ist Punk das innovative. Alles was Punk einfriert macht den Punk kaputt. Das ist nicht etwas, was ich beschließen musste, für mich war Punk immer im Wandel. Deshalb haben mich schon immer DOG FACED HERMANNS, THE EX, CHUMBAWAMBA fasziniert und begeistert. Mehr jedenfalls als Abziehbildchenspießpunker wie G.B.H. etc....

Aufgrund eures grenzsprengenden musikalischen Cocktails seid ihr auf verschiedenen Bühnen der Subkultur zu Hause. Wo fühlt ihr euch am wohlsten? Setzt ihr je nach Klientel und Stimmung Schwerpunkte in der Party-Choreografie?
Patrick: Klar, das ist voll was anderes, ob wir nach einer Crust-Band, wie Anfang des Jahres nach den genialen ASSATA oder auf einer Goa-Party spielen. Und uns dann da mitnehmen zu lassen und unsere Musik in diesem Gefühl zu spielen und festzustellen, dass beides möglich ist!
Jean: Am tollsten war ein Wochenende, wo wir auf nem Punkfestival in Oberhausen, am nächsten Tag Hippiefestival, und dann auf ner Techno Party gespielt haben - wow, und es hat jedes mal funktioniert. Klar, jedes mal war es völlig anders, weil wir uns dem Einfluss, der Stimmung ausgesetzt haben.
Ein Erlebnis letztens waren 2 Freundinnen, die auf unserem Konzi waren: die eine hört nur Punk, die andere nur Techno - beide fanden es total geil, dass sie endlich mal zusammen auf einem Konzert begeistert waren.

 Welche Philosophie entdeckst du noch im Punk/HC? Ist die Idee vom D.I.Y., die Selbstkontrolle, -organisation und -verantwortung ein lohnendes Ziel, Erfolg zu haben? Oder ist es die Anerkennung, die ihr sucht?
Jean: Ich denke beides. Also, es gibt im D.I.Y. ( und wir machen ja nun wirklich fast alles selber…) vor lauter Selbstkontrolle etc. die Gefahr, nicht loslassen zu können, nicht abgeben…die Illusion, man könne alles am besten…das ist dann auch nicht besser als ein eigener Rip off. Leute wie Jello Biafra bewundere ich, genauso wie ich Manu Chao in seinem Weg bewundere und punkiger und diy-mäßiger finde, als viele andere... Anerkennung ist bestimmt auch ein Teil, aber eher der Kontakt zu Menschen, mit ihnen auf ne gemeinsame Reise zu gehen, ich sehe mich ja oft als Medium zwischen den Leuten und der Musik, den Emotionen, und erlebe mich darin -wenn es gut läuft- fast als durchlaufenden Posten.
Patrick: Tja.... Anerkennung... hm... natürlich ist es mir wichtig, dass unsere Musik bei Menschen ankommt. Ich mache ja nicht Musik nur für mich selber. Ich mache Musik und so viel unterwegs sein wegen der Kommunikation, weil Musik eine universelle megakomplexe und unendlich tiefgründige Sprache ist, in der ich mit Menschen überall (fast) alles teilen kann, wenn mensch und ich es so wollen.

Siehst du den derzeitigen Standard (Cello und Drum) als Verfeinerungsprozess in eurer Bandlaufbahn und macht es die Arbeit einfacher?
Patrick: Für mich ist es zu zweit spannend, weil wir die Möglichkeit haben, als Band konzertmäßig wahrgenommen zu werden oder auch in gewisser weise optisch zu verschwinden. Es gibt ja viele Konzerte, wo ich merke, dass nicht nur ich, sondern auch viele andere die Augen zu haben und tanzen oder sich treiben lassen. Und auf dieser Ebene öffnet sich dann ein Kanal, wo es möglich ist, ohne Texte trotzdem eine politische Aussage zu machen.
Jean: Für mich ist es tatsächlich eins der tollsten Sachen, dass das zu zweit so geht und bin auch glücklich mit unserer Musik und den Ausdrucksmöglichkeiten. Rein pragmatisch wäre es zu mehreren in meiner momentanen Lebenssituation echt schwierig mir das mit mehreren vorzustellen. Es wäre mir -glaub ich- zu zeitaufwändig. Zu zweit geht alles sehr viel schneller, einfacher und direkter. Die bewusste Unterlassung hat mich auch schon immer gereizt. Schon damals waren wir die Punk/Hardcore Band "ohne Gitarre".

Es fehlt mir oft eine notwendig gewordene Radikalität in der Musik, in den Texten, in der Attitüde. Muss Punk wieder auf die Straße zurück, offensiv und in Konfrontation mit Gesellschaft und herrschender Klasse oder sind wir in einer Zeit angekommen, in der Revolution ein youtube Video ist, ein pseudo-rebellisches Arrangement im virtuellen Raum?
Patrick: Ich finde schon, dass wir auf unseren Reisen immer wieder superviele Leute treffen, die mit viel Energie dafür kämpfen, was ihnen wichtig ist. Etwas, was vielleicht nicht Punk aussieht, aber für mich trotzdem Punk ist!
Klar in den 90ern gab es einiges mehr an besetzten/selbstverwalteten Räumen, vielleicht mehr Konzertgruppen, die Konzerte machten, einfach auch eine Szene, die sich supergerne auch völlig unbekannte Bands angeschaut hat, Hauptsache die Konzertgruppe des Vertrauens hat es organisiert. Ich glaube, wir sind auf dem Weg dahin, dass sich mehr leute radikalisieren werden und wieder weg vom Individualismus kommen, sich für gemeinsame Belange interessieren. Und klar ist es ein Ding unseres Reisens, dass ich meinen Teil dafür tun will, linke Freiräume zu beleben und dafür zu kämpfen, dass diese Radikalisierung nicht mit Ignoranz, Betonköpfigkeit endet, all dem Shit, der irgendwann in rechter Ideologie mündet.

Euer musikalisches Konstrukt soll Hörgewohnheiten sprengen. Welche kreativen Muster werden hierfür benötigt und wie gegensätzlich darf eure Zielvorgabe sein?
Patrick: Uns ist es gerade wichtig, dass das, was wir machen, kein Konstrukt bleibt, eine irgendwie erdachte Kiste, sondern das Leben widerspiegelt, was wir führen. Klar gegensätzlich, mal einer Meinung, schnell und langsam.
Die Grenze ist dort, wo es beliebig wird, bzw. wo Gegensätze nicht mehr fruchtbar sondern unvereinbar sind.
Jean: Für mich ist es immer wieder fremd, mitzubekommen wie engstirnig die Leute musikalisch sind. Es ist für mich unbegreiflich wie man seinen musikalischen -und damit emotionalen- Horizont so eng in eine europäisch-amerikanische weiße Gegenkultur pressen kann. Zwar ist es ein Teil meiner Sozialisation und mein Hauptausdrucksmittel, aber die Einflüsse aus anderen Kulturkreisen, meine antinationale Bestrebung spiegelt sich in unserer Suche wider, nicht immer den gleichen white trash zu reproduzieren. Insofern ist auch die politische Dimension unserer Musik und die Integrativkraft verschiedener Szenen eine für mich immens wichtige.

Gibt es bei euch nach wie vor neben Sympathien für Hausbesetzer-/Bauwagenszene auch aktive Mitarbeit an politischen Projekten? Welche sind das?
Patrick: In den letzten 3 Jahren war ich so viel unterwegs, teils mit GUTS PIE, teils mit Gilla Cremer, einer tollen Schauspielerin aus Hamburg, mit der ich das Theaterstück "Mobbing" -nach einem Roman von Annette Pehnt- spiele, dass dann neben dem Wagenleben mit 30 anderen einfach kein Platz oder keine Power mehr für andere Aktivitäten ist.
Jean: Außerhalb von GUTS PIE ist mein hauptsächliches politisches Projekt, Menschen zu politisieren, mobilisieren.

UNDERDOG: CHUMBAWAMBA entwickelte sich von anfänglich sehr starken Punk-Einflüssen zu einer immer lieblicher klingenden Klangvielfalt, die an Popstücke erinnert und haben damals mit EMI einen kommerziellen Versuch unternommen, anarchistische, politische Einstellung salonfähig zu machen. Glaubst du, dass dieses Konzept ein gesellschaftliches Umdenken herbeiführen kann?
Jean: Darüber kann man sich nächtelang streiten. Ich finde es einen gangbaren Weg, und ich bewundere und danke CHUMBAWAMBA dafür. Dass damit nicht der Kapitalismus abgeschafft wird ist schon klar. Ob das mein eigener wäre, weiß ich nicht. Wie Wahlen ja auch angeblich nichts ändern, was ja im Kern wahr ist. Aber dann doch für die konkreten Dinge nicht so ganz stimmt, denn dass Aids-Hilfe-Stellen, linke Projekte etc. konkret gestrichen werden oder eben Gelder bekommen, wenn die einen oder anderen dran sind, dass sind konkrete Sachen, die mensch auf der Straße spürt. Trotzdem ist es ja auch legitim, zum Wahlboykott aufzurufen, aber auch das ändert das System nicht.

Es ist nicht möglich, die hiesige Gesellschaft durch die Brille des Faschismus als Ganzes zu analysieren und zu kritisieren. Zugleich ist die Auseinandersetzung mit Neonazis trotz ihrer gesellschaftlichen Marginalisierung nicht obsolet geworden, da sie im lokalen Raum alles andere als nebensächlich sind. Welche Maßstäbe und Inhalte (Beispiel: Demonstrationsästhetik, Bündniskonstellation, Mobilmachen, Stören, Handeln, Reflexion) sind für antifaschistische Arbeit und ihre Wirksamkeit wichtig?
Jean: Ich lebe ja seit 2 Jahren in Berlin, und ein großer Unterschied zu Köln war das Bewusstsein, dass es die Faschos hier in einem ganz anderem Maße so gibt, dass sie auch meinungs- und stimmungsrelevant sind. Das kotzt mich an, und vor allem die Beliebigkeit, mit der linke Themen und Ästhetik übernommen und einfach umgedeutet wird. Dann wird eben der sozialistische Aspekt etwas mehr beleuchtet als das Wörtchen national und so getan, als ob man in erster Linie Kapitalismuskritiker sei und dann erst Rassist (kotz!).
Letztendlich glaube ich aber, dass sie sich ein Eigentor schießen. Denn die Ästhetik, die Musik und deren Spirit beeinflusst auch wieder deren Denken, Vielleicht ist das aber auch eine Illusion! Dass die Linke sich nun "andere Kostüme" kaufen sollte, finde ich völlig falsch, und die Autonome Antifa nun anhand der Autonomen Nationalisten zu diskreditieren, also anhand der Faschos zu definieren, dass die Antifa eh schon immer falsch lagen wie die TAZ das macht, finde ich völlig falsch.

Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...