"Wagenleben ist und bleibt eine unkonforme Lebensform in einem erkämpften Freiraum, der auf diese Art für viele unvorstellbar ist."
Während des Gespräches mit Jean und Patrick von GUTS PIE EARSHOT stellte sich heraus, dass Patrick
auf dem Wagenplatz Münster wohnt. Grund genug, ihn über das alternative Leben zu befragen...dieses Interview erschien im UNDERDOG #33!
Es gibt ja viele Wagenplätze. Warum hast du dich für den in Münster entschieden?
Patrick: Durch das unterwegs-sein mit GUTS PIE EARSHOT bin ich seit Anfang der 90er auf viele verschiedene Wagenburgen gekommen. Oft haben Leute von Plätzen die
Konzerte organisiert oder wir haben auf Wagentagen gespielt und immer wieder haben wir nach Konzerten auf einem Wagenplatz geschlafen. In der ersten Zeit von GUTS PIE kam ganz viel Input über die
Wagenszene und die Leute, die da gelebt haben.In der Zeit waren wir auch meist mit Wagenleuten auf Tour, mit deren ausgebauten LKWs oder Bussen. Außerdem haben Jean (Drums) und Gunther (Tasten) in Köln auf dem Wagenplatz gewohnt.
Für mich kam es in Köln nie in Frage in den wagen zu ziehen, warum auch immer, ich habe damals in WGs gewohnt, war auch gut… 1998 bin ich über eine Freundin auf den Platz in Münster gekommen, fand Platz und Leute direkt super, war 3 Jahre lang oft und viel als Besucher hier und habe mir 2001 einen Wagen gekauft, in dem ich immer noch wohne.
Die Entscheidung für das Wagenleben ist demnach ein Prozess und keine spontane Entscheidung. Oder hattest du vielleicht keinen Bock mehr auf die Betonwelt, also auch auf die Menschen mit Betonköpfen, und bist in die Wagenburg "geflüchtet"?
Patrick: Nein ich bin nicht geflüchtet.
Allerdings ist die Wagenburg in Münster kein Innenstadtplatz, sondern 5-6 Km außerhalb, angeschlossen an ein Recycling-Industriegebiet, was natürlich super für die Infrastruktur hier ist; wegen Baumaterial, Brennholz, Batterien fürs Stromnetz etc., aber ansonsten total im Grünen und so ein bisschen eine Insel im Nirgendwo. Paralleluniversum Wagenburg….
Wenn ich hier bin und Konzert- und probenfreie Zeit habe, dann kann es passieren, dass ich eine Woche lang nicht vom Platz runterkomme, weil es ja immer genug Dinge hier zu machen, zu erleben und zu erzählen gibt.
Klingt nach einem gemütlichen Leben, was aber bestimmt auch seine beschwerlichen Momente hat. Ist das Leben in der Wagenburg auch ein politisches Statement, eine Möglichkeit Widerstand zu leisten?
Patrick: Natürlich ist das Wagenleben an sich schon ein politisches Statement, auch wenn es ja völlig normal für mich ist.
Wagenleben ist und bleibt eine unkonforme Lebensform in einem erkämpften Freiraum, der auf diese Art für viele unvorstellbar ist.
Es ist ein Gegenentwurf zur Vereinzelung, gegen das neo-liberale Denken, dass doch jedes für sein eigenes Glück zuständig sei und das bitteschön, ohne sich mit anderen zusammenzutun und zu organisieren, schaffen soll.
Eine Gruppe ohne hierarchische Strukturen oder zumindest mit dem Ziel diese zu bekämpfen, kommt -denke ich- irgendwann automatisch an den Punkt diesen kapitalistischen Wahnsinn, der uns umgibt, nicht mehr so selbstverständlich mitmachen zu wollen.
Das gemeinsame Leben ist für mich ein Versuch, mich diesem Scheiß ein Stück weit zu entziehen, nicht planlos mitzukonsumieren, auch wenn ich ja weiterhin hier lebe und das ausbeutende System mittrage.
Es gibt ganz sicher so etwas wie eine gemeinsame Denke in der Wagenszene, aber das zu benennen, ich wüsste nicht wie. Für mich ist es die Möglichkeit, mit vielen Menschen zusammen Gemeinschaft zu leben und immer wieder neu zu üben. Wir sind für das verantwortlich, was mit und bei uns passiert. Dabei haben wir das Glück, von der Stadt Münster seit Jahren in Ruhe gelassen zu werden, was für Wagenburgen und deren BewohnerInnen ja eine absolute Seltenheit ist. Das Thema Wagenleben ist hier nie von der Lokalpolitik als Wahlkampfthema oder Profilierungsbaustelle für Innensenatoren oder ähnliche A***** benutzt worden.
In vielen Städten heißt Wagenleben ja, einen Fulltimejob zu haben, um diese Lebensform überhaupt leben zu können.
Du warst ja bereits vor deinem "festen" Wagenleben mehrfach Besucher. Was fandest du dabei besonders interessant?
Patrick: Jean und mich von GUTS PIE EARSHOT hat es immer schon fasziniert, wenn wir an Orte gekommen sind, wo ich gesehen hab, dass Leute megaviel Energie in ihr Projekt gesteckt haben. Das kann auch eine kleine Wandbemalung im Flur eines Abbruchhauses sein, wo für 3 Monate die Leute leben und wissen, dass sie geräumt werden. Und trotzdem kämpfen und ihren Raum gestalten.
Für mich ist dieses gemeinsame zur Normalität geworden und hat mich -denk ich- in den Jahren geprägt und verändert.
"(...)alles, was ich an Dingen habe, aber nicht benutze, belastet mich(...)"
Was für einen Wagen hast du? Bei euch gibt es ja auch Zirkuswagen, die über 10 Meter lang sind...ist dein Wagen mobil oder hast du es standhaft umgebaut?
Patrick: Ich wohne in einem alten holländischen Holzbauwagen, der theoretisch mobil ist. Das Fahrgestell ist zur zeit voll rott, das will ich aber wechseln, wenn ich die Zeit finde...
Natürlich ist im Winter mein Platz begrenzt, ich wohne auf 12qm², was aber einfach auch dazu führt, dass ich mir nicht irgendwelchen Kram kaufe, den ich eh nicht gebrauchen kann.
Ja, wir neigen dazu, uns mit Wohlstandsmüll zu umgeben. Welchen Luxus gönnst du dir im Wagenleben? Auf was kannst du gerne verzichten?
Patrick: Grins, jau das Wort Luxus hat sich für mich mit dem Wagenleben auf jeden Fall komplett umdefiniert. Ich empfinde es als Luxus, wenn ich gutes Holz zum Heizen habe, während draußen alles vor Kälte erstarrt. Außerdem haben wir einen Saunawagen, einen Kanal zum schwimmen direkt vor der Tür, einen großen Garten mit Gemüse, Kräutern und Obst... wir können uns diesen Luxus unabhängig von Geld und Müll selber basteln! Tja und alles, was ich an Dingen habe, aber nicht benutze, belastet mich, weil es mir Platz weg nimmt und mich unnötig beschäftigt. Also guck ich, ob jemand anderes was damit anfangen kann.
Parken ist Kunst. Bist du ein Dauerparker oder ein vorübergehender Aussteiger? Siehst du das Wagenleben als Experiment?
Patrick: Jein… gesellschaftlich gesehen ist das ein Experiment. Aber weil wir alle auf dem Platz ähnliche Dinge erleben und Probleme zusammenhaben und zusammenlösen, entwickelt sich so ein Gefühl, dass wir das Wagenleben völlig normal finden und oft gar nicht mehr nachvollziehen können, was so Normalbürger für Probleme haben. Völliges Unverständnis z.b. für Konsumwahn und Ersatzbefriedigungen oder für die unfassbar hässliche und menschenfeindliche Gestaltung der deutschen Innenstädte...
Das Glück, nicht die Hälfte der Arbeitszeit alleine dafür aufzuwenden, eine scheiß Miete zu bezahlen, um einfach nur wohnen zu können, was doch für alle einfach so gegeben sein sollte.
Gibt es für dich Momente, in denen du aufgeben möchtest? Die Winter sind ziemlich hart, oder???
Patrick: Hihi nee ganz anders, im Winter ist es mit Ofen im Wagen so warm, wie es in Wohnungen gar nicht zu machen ist.
Andererseits klar, es gibt Momente, wo ich genervt bin, nicht einfach Strom aus der Steckdose zu haben, oder das Warmwasser aufdrehen zu können. Aber ich war in allen Lebensformen, die ich ausprobiert habe, irgendwann genervt von dem, was ich gerade nicht habe, egal ob unterwegs oder zu Hause.
Ich mag es einfach, im Winter mit Feuer im Ofen in einem kleinen Raum zu leben.
Du lebst also schon einige Jahre dort. Zurückblickend auf die Anfangszeit, denke ich, musst du schon ein wenig handwerkliches Geschick und technisches Know-How mitbringen, um für die Wagenburg geeignet zu sein, oder bist du ein kreativer Autodidakt?
Patrick: Klar, ich hatte am Anfang wenig Erfahrung mit all den handwerklichen Sachen, aber es gibt genug Leute, die Ahnung haben und das ja auch weitergeben. Und ansonsten schreibt mir ja niemand vor wie gut oder ordentlich ich irgendeine Baustelle an meinem Wagen machen muss. Das Ding ist meins und wenn es scheiße geworden ist, weil es im Winter reinregnet oder zieht, dann mache ich es im nächsten Sommer besser. Das ist ja gerade auch so eine Erfahrung im selbstorganisierten, eben wegzukommen von dem Anspruch an mich und andere, dass alles sofort gut und perfekt sein muss. Und dass niemand kommt und mich ankackt, weil ich etwas nicht dem Standard entsprechend gemacht habe.
Funktioniert das Leben auf dem Platz also nur, wenn ihr euch gegenseitig helft, unterstützt, gibt es ein soziales Netzwerk, Kreativwerkstatt o.ä.? Wie sieht die Öffentlichkeitsarbeit aus?
Patrick: Bei uns organisiert sich das Zusammenleben -denke ich- immer auch an den Notwendigkeiten, die da sind oder die kommen. Dinge wie soziales Netzwerk, Kreativwerksatt oder Öffentlichkeitsarbeit heißen nicht so, sind aber irgendwie trotzdem vorhanden.
Es gibt Leute, die gut mit Ämtern reden können, andere die Handwerkern, aber es ist nicht nur wichtig, ob Leute messbar irgendwelche supertollen Dinge für die Gruppe machen, genauso wichtig finde ich es, dass die kleinen unauffälligen Dinge gemacht und organisiert werden. Weil das die Stimmung prägt.
Patrick, wie funktioniert die Stromversorgung, Wassernutzung? Arbeitet ihr mit Solartechnik? Und scheiße, wie sieht das aus mit der Fäkalienentsorgung? Habt ihr einen Graben gebuddelt??
Patrick: Nuja, ganz simpel...
Wir haben Strom und Wasser!
Nutzt du die Plattform "wagenburg.de" regelmäßig und hast du Interesse an Kontakten zu anderen WagenburglerInnen? Gibt es auch direkte Austauschmöglichkeiten, also konkrete Besuche, Reisen zu auswärtigen WagenburgerInnen?
Patrick: Da ich viel unterwegs bin, ist mein Kontakt zu Leuten aus der Wagenszene meist direkt, wir haben für viele bedrohte Wagenburgen Solikonzerte gemacht, und klar, ich sehe das Wagenleben als eine Lebensform, für die ich mit möglichst vielen kämpfen will. Ich habe die Räumung 1993 und die Zeit danach in Köln erlebt, wo um die 30 Wagen vor den Augen der WäglerInnen geschrottet wurden, die Bagger sind einfach über die Wagen drübergerollt. Danach war es für einige nicht mehr möglich weiterzumachen, weil das so ein Mega Schock war. Dafür kamen superviele Leute aus anderen Städten, haben sich solidarisiert und haben 3 Jahre ständige Räumungen und Vertreibungen mitgetragen. Ohne die wäre die Power, so lange durchzuhalten, glaube ich, nicht dagewesen. Und das sind dann in der Presse die reisenden Chaoten, die gewaltbereit zu jeder Gelegenheit durch Deutschland reisen.