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e*vibes

Für eine emanzipatorische Praxis

e*vibes ist eine Gruppe von Menschen, die sich im Herbst 2011 in Dresden gegründet hat. Diese setzt sich schwerpunktmäßig mit Feminismus und Sexismus auseinander, denn „diese Auseinandersetzung findet einerseits (erzwungenermaßen) ständig im Alltag, andererseits auf unseren wöchentlichen Treffen statt“(1).

Auf diesen Treffen tauschen sich Menschen aus, bilden sich gegenseitig weiter, planen Veranstaltungen und (Re-)Aktionen. So bietet die Gruppe monatlich „Feminismus zum Kennenlernen“ im cafém (2) an und die Möglichkeit, den Raum mit emanzipatorisch, feministischem Ansatz zu gestalten. Darüberhinaus gibt es einen Brunch, Infostände, Bücherecken und Workshops zu sexistische Diskriminierung, Geschlechtsidentitäten, feministische Theorien und Handlungsstrategien.

Was ist e*vibes: Alternativer Frei-, Schutzraum, kollektiver Akt des Widerstands?
Malte: Tja, was sind wir?! Vielleicht nichts von alledem.
Gloria: Doch, irgendwie schon – von allem ein bisschen. Wir versuchen, unsere Veranstaltungen und Plena zu einem geschützten Ort zu machen. Einen Raum bzw. Rückzugsraum, in dem man freier ist von Diskriminierung und freier ist, sich zu entfalten, Widerstand zu üben. Diese Räume können Menschen auch wieder Kraft geben, um Widerstand (in privaten Räumen) zu leisten.
Malte: Wir sind eine Gruppe, der es um Austausch mit anderen oder untereinander, sowie wie um (Weiter-)Bildung geht, die Veranstaltungen unterschiedlichster Art (Partys, Konzerte, Diskussionen, Workshops, Vorträge, Camps, Inputwochenenden) organisiert, eine Politgruppe, eine Gruppe von Freund_innen und  mittlerweile auch ein Verein.

Welche eigenen Erfahrungswerte hat es notwendig gemacht, e*vibes zu gründen?
Gloria: Puh. Da gab und gibt es immer noch super viele Gründe. Zumeist  Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen. Beispiele gibt es sehr viele. Um ein paar zu nennen: Sprüche, Beleidigungen gegenüber Lesben, Frauen*, sexuelle Grenzüberschreitungen.. .
Malte: …Rollenerwartungen, die man nicht erfüllen will oder kann, die daraus folgenden Zurechtweisungen und Ausgrenzungen.
  Gloria: Ja, die Anforderungen, die an Frauen* gestellt werden – Familie gründen, Mutterschaft, Emotionalität, hübsch sein, nett sein, vorsichtig sein und damit einhergehend die Problematik nicht ernstgenommen zu werden. Frauen* müssen sich leider immer noch doppelt beweisen, wenn sie für ihre Meinung, Sexualität, Willen und/oder Fähigkeiten Anerkennung bekommen möchten. Dies führt oft zu einem Knick im Selbstbewusstsein. Darum ist eine Gruppe wie e*vibes, die versucht, einen sichereren Raum zu schaffen – und damit auch zu empowern – sehr wichtig.
Malte: Leider ist es auch immer noch so, dass viele Männer* kein Bewusstsein über ihr häufig dominantes Redeverhalten haben und noch weniger versuchen es zu verändern. Auch innerhalb von „linken“ Kreisen müssen sich Frauen* immer wieder dahingehend behaupten.   Sie kämpfen täglich gegen lautes und permanentes Reden an, um überhaupt zu Wort  zu kommen, sich Gehör zu verschaffen, auch ihrer Sozialisation zum Trotz. Männliche* Dominanz setzt sich auch in Bezug auf die Aufgabenverteilung fort. Wer steht bei Demos in der ersten Reihe? Wer ist der Theoriepro und monologisiert im Lesekreis vor sich hin? Wer setzt sich im Gegensatz dazu mit Inklusion auseinander? Wer kocht bei der Küfa? Und vor allem warum ist das so? Alles Fragen, die sich leider zu wenige Menschen stellen..
Gloria: Und wie du auch schon gesagt hast, noch weniger Personen, die dann daraus den Schluss ziehen und in der Praxis etwas verändern möchten. Aber das ist notwendig, wenn es auch eine gesellschaftliche Veränderung geben soll. Die Reduzierung auf zwei Geschlechter, welche permanent auf- bzw. abgewertet werden. Es bedeutet, du hast nur die Alternative zwischen hart/aggressiv/aktiv oder schwach/friedlich/passiv.
Malte: Sei es in der Werbung, durch die pausenlose Wiedergabe entsprechender Bilder und Filme, in der Schule – überall. Es gibt wenig alternative role models.
Gloria: Dies und im Endeffekt die Erkenntnis, dass ich selbst nicht entscheiden kann, wie ich sein will, bzw. dafür keine Anerkennung bekomme. Dass mein individueller Handlungsspielraum sehr begrenzt ist, dass ich an einer gesellschaftlich weniger privilegierten Position sitze, dass daran auch nicht „die Männer*“ schuld sind – auch wenn sie  unterschiedlich sinnvoll mit ihren Privilegien umgehen können -, dass ich auch privilegiert bin, z.B. als weiße Frau*, wenn ich über die Kategorie Geschlecht hinausblicke.
All diese Erfahrungen und Gedanken, der Wunsch sich mehr mit den Hintergründen, Entstehungsformen und tagtäglicher Reproduktion von Kategorien wie Geschlecht, Race usw. sind Gründe, warum e*vibes gegründet wurde.
  Malte: Aber im Gegensatz zu vielen Gruppen, wo sich Freund_innen oder Bekannte zusammensetzen und mehr oder weniger spontan beschließen gemeinsam politische Arbeit zu leisten, war dies bei e*vibes anders.    

Eine unbekannte Person erstellte im August 2011 die Facebookseite „Slutwalk Dresden“(3). Ziel war, dass deutschlandweit mehr Slutwalks stattfinden und viele Leute aus Dresden zeigten Interesse. Es fanden sich im Rahmen dieser Seite Leute aus verschiedensten Kontexten zusammen und trafen sich, um einen Slutwalk in Dresden zu organisieren. Bereits  beim ersten Treffen begannen konkrete Planungen. Innerhalb der nächsten Wochen wurde jedoch die kritische Auseinandersetzung wichtiger und der Slutwalk wurde verschoben. Es fanden Diskussionen über verschiedene slutwalkkritische Texte statt, insbesondere wurden wir dabei von Les Migras (4)und Hydra(5)beeinflusst. Mit einer zeitlichen Verschiebung des Slutwalks hin zu einer theoretischen Betrachtung der Thematik blieben Leute den Treffen fern, Neue kamen hinzu und das Bedürfnis eine feste Gruppe zu gründen entstand: e*vibes – für eine emanzipatorische Praxis.

DIY-feministische Aktionen haben viele Formen. Welche sind in e*vibes eingebunden?
Gloria: Wir machen nur wenig kleine, direkte Aktionen – wobei wir daran durchaus Interesse haben – oft fehlen uns zeitliche Kapazitäten, um eine Aktion zu organisieren, die  unseren Ansprüchen genügt. Vielleicht sind wir da auch manchmal etwas zu verkopft, aber bei vielen stattfindenen Aktionen wird aus unserer Sicht zu wenig mitgedacht.
Malte: Trotzdem machen wir viel, oft auch zu viel. Vorletztes Jahr haben wir als unsere erste selbstorganisierte Veranstaltung ein ganzes Wochenende gestaltet das „eh – 2,7 emanzipatorische Tage“(6). Dann beteiligten wir uns 2012 noch bei den Aktionstagen gegen Sexismus und Homophobie an der TU Dresden und organisierten den Protest gegen einen sogenannten Burschenschaftsball in Dresden mit.
Zu allem gab es auch von uns geschriebene Texte und teilweise öffentliche Planungs- und Reflektionstreffen. Generell versuchen wir regelmäßig etwas zu schreiben. Zum einen zu unseren Veranstaltungen wie bei der sechstägigen Veranstaltung das „e*camp – gegen Kapitalismus  und sein Geschlechterverhältnis“(7). Aber nicht nur zu unseren eigenen Veranstaltungen. Es gibt immer mal wieder Reaktionen bzw. Kritik in Textform von uns an andere Gruppen, Zeitungsautor_innen, zu konkreten Aktionen und gesellschaftlichen Zuständen. Auch werden wir manchmal angefragt etwas zu schreiben, wie nun hier von euch, oder auch im Sommer letzten Jahres von der Phase 2(7), für die wir einen Beitrag mit dem Titel „Sind Femen noch zu retten?“(8)geschrieben haben.
Gloria: Ansonsten haben wir im letzten Jahr noch eine Soliparty fürs Camp organisiert und mehrere Vorträge gehalten, sowie mit dem Durchführen der Workshops zum Thema „Überlegungen zu einem emanzipatorischen Umgang mit Diskriminierung und Gewalt“ begonnen. Der Workshop wurde von e*space, einer innerhalb von e*vibes bestehenden Interessiertengruppe, erarbeitet.
Malte: Es gibt auch noch eine weitere Interessiertengruppe – „cafém – feminismus zum kennen_lernen“. Diese hat sich im Sommer des letzten Jahres gegründet und organisiert seitdem einmal im Monat ein  Café. Das Café bzw. cafém ist ein Ort, an dem sich Menschen treffen können die Lust haben sich mit Feminismus zu beschäftigen, es kennenzulernen oder einfach nur mit netten Leute in einer angenehmen Atmosphäre rumzuhängen. Jedes Mal gibt es einen inhaltlichen Schwerpunkt, welcher mit verschiedenen Methoden aufgearbeitet wird. Da gab es in den letzten Monaten nicht nur einen Vortrag und Workshop, sondern auch schon eine Audiostück-Ausstellung, Dj*s, Lesekreise, Spielrunden, Vorleseecken mit und ohne Kindern und Filme.
Gloria: Außerdem sind wir nun auch ein Verein geworden. Dieser bringt erst mal eine Menge ungewohnter Arbeit mit sich, aber wir sind guter Dinge, dass es sinnvoll war, ihn zu gründen.

«Uns ist es wichtig, einen Beitrag zum Wandel der Gesellschaft zu leisten

Welche konkreten Hilfsangebote kann e*vibes als Gruppe zur selbstbestimmten Bewältigung und Gestaltung des eigenen Lebens anbieten?
Gloria: Ich glaube, so richtig konkret machen wir da nichts in der Richtung. Wir bieten keine Empowermentworkshops an.
Malte: Bei allem, was wir machen, geben wir keine konkreten Handlungsanweisungen. Es ist uns wichtig Personen bzw. Gruppen Hilfestellungen, Materialien, Diskussions- und Gedankenanregungen mitzugeben, wodurch sie dann selbst Wege und Konzepte für sich erarbeiten können. Darin sehe ich persönlich aber einen wichtigen Aspekt von Empowermentarbeit enthalten. Ähnlich wie unser Anspruch, Orte und Räume zu schaffen, die Leuten ein sichereres Gefühl geben und die einen angenehmen Umgang miteinander ermöglichen, oder zumindest, darauf hinzuarbeiten. Die so entstehende Atmosphäre kann auch einen empowernde Wirkung haben.
Gloria: Bei unseren Veranstaltungen unterstützen wir Betroffene von Diskriminierung und Gewalt – aber das beschränkt sich dann eher auf konkrete Situationen, nicht auf einen längeren Zeitraum.     Wobei diese Situationen möglicherweise auch positive „Langzeitfolgen“ haben.

Welche Bedeutung hat e*vibes für dich persönlich und was ist deine Motivation hier mitzuwirken?
Gloria: Wir haben da mal irgendwann in der gesamten Gruppe gesammelt und nun gibt es hier die Antworten in Stichpunktform.
Ich bin bei e*vibes weil:
ich mich weiterbilden möchte; weil ich andere weiterbilden möchte; die Gruppe hilft mir mein Verhalten und meine Privilegien zu reflektieren; sie macht mich kritischer gegenüber der Gesellschaft (teilweise auch blöd, weil ich nun überall sehe wie scheiße alles ist); weil ich angenehme Menschen treffen möchte; weil ich mich hier über den Alltag auskotzen kann; weniger für mich sondern für die Gesellschaft – die Gesellschaft braucht eine Gruppe wie e*vibes; weil wir (gemeinsam) etwas schaffen (können); weil es mir Kraft gibt, den Alltag durchzustehen; weil es immer wieder neue Herausforderungen gibt,..

Siehst du dich als Kämpfer*in für den sozialen Wandel? Welche empowernden Methoden nutzt du, um diese Idee umzusetzen?
Malte: Uns ist es wichtig, einen Beitrag zum Wandel der Gesellschaft zu leisten. Da die Gesellschaft aus Menschen besteht, sehen wir die Aufgabe darin, diese zum Nachdenken anzuregen, um dadurch längerfristig ‘ne Veränderung zu bewirken. Wenn mit dem „sozialen Wandel“ hier die Befreiung aller, die Befreiung von Herrschaft gemeint ist, dann würde ich die erste Frage mit „ja“ beantworten, wobei ich mich eher als Aktivist, statt als Kämpfer beschreiben würde.
Gloria: Was ist hier denn mit „sozialer Wandel“ gemeint? Das kann ja alles mögliche bedeuten, der Nationalsozialismus war auch sozialer Wandel. Und sozialer Wandel findet ja sowieso immer statt, z.B. Verschärfung der Hartz4-Gesetze, Asylpolitik, die ständige Erneuerung des Kapitalismus. Somit könnte man auch sagen, dass wir gegen den sozialen Wandel kämpfen, der ohnehin stattfindet.
Malte: Um da Impulse zu setzen, würde ich hier als konkrete empowernde Methoden Aufklärung, Bildungsarbeit, Hilfe zur Selbsthilfe, Unterstützung (das vor allem auch intern!) benennen.
Gloria: Außerdem geht es uns noch darum, sich über Privilegien Gedanken zu machen und darum, den daran geknüpften Zugang zu Ressourcen auf alle auszuweiten.

Der Grundgedanke des Empowerment bezieht sich auf die Annahme, dass alle Menschen über individuelle Ressourcen verfügen, denen sich mensch bewusst werden muss. Welche Ressourcen nutzt du, um Kontrolle über die Gestaltung der eigenen sozialen Lebenswelt zu erlangen?
Malte: Wir versuchen Anreize und Hilfestellungen zu erarbeiten. Diese sollen es Personen oder Gruppen ermöglichen bzw. vereinfachen, eigene Konzepte zu entwickeln. Darin sehen wir einen Punkt von „Hilfe zur Selbsthilfe“ enthalten. Ach so, und unter uns gab/gibt es Menschen, die Erfahrung mit der Organisation von Partys haben. Wir gestalten zum Beispiel Räume – nicht nur Deko -, im Partykontext oder bei sonstigen Veranstaltungen, um uns auch selbst dort lieber aufzuhalten.
Gloria: Ja eben, es geht uns auch um Empowerment für uns als Personen der Gruppe e*vibes. Wir versuchen daher unsere unterschiedlichen Fähigkeiten und Ressourcen zu nutzen, sodass wir alle davon profitieren. Inwiefern sich das positiv im Output der Gruppe niederschlägt, müssen andere sagen. Ein Anspruch, der aber bisher nicht wirklich umgesetzt werden konnte, ist: Uns gegenseitig so unterstützen, dass wir individuell mehr Zeit haben. Es ist leider Fakt, dass man mit einer Politgruppe immer weniger Zeit hat als ohne. Um das aufzuweichen, müssten wir schon in Richtung Aufteilung von Lohnarbeit o.ä. gehen.


«Herrschaft zu überwinden(…)geht nur über individuelle Reflexion und Verhaltensänderungen

Wie wichtig ist Radikalität von Inhalt und Information eures Kollektivs?
Gloria: Radikalität im eigentlichen Wortsinn, nämlich an die Wurzel (von Problemen) gehend, ist uns unheimlich wichtig, da das Gegenteil bedeuten würde, nur oberflächlich an Symptomen rumzudoktern.
Malte: In dem Sinne, wie er hier vielleicht gemeint ist, also im Sinne von  Abgrenzung vom Mainstream, Provokation, „voll krass“ o.ä., finden bestimmt viele Leute unsere Ansichten oder einen Teil der Ansichten radikal.
Gloria: Oder langweilig, reformistisch.

Diskriminierung und die Verletzung persönlicher Grenzen sind alltägliche Praxis in unserer Gesellschaft. Was muss sich ändern und mit welchen Methoden soll das erreicht werden?
Malte: Ich würde da vor allem Sensibilisierung und theoretisches Verstehen verknüpft mit dem praktischen Bewusstmachen und Reflektieren von Herrschaftsmechanismen nennen. Das Wahrnehmen, Formulieren und Reagieren auf die Grenzen anderer sowie der eigenen Grenzen. Und dann natürlich Bildung beziehungsweise Weiterbildung und das nicht nur im Sinne von ganz viele Texte gelesen haben und wiedergeben können.
Gloria: Obwohl ich da immer mit anhängen würde, dass es dann trotzdem bei einem Auffangen oder Stillstand bleibt. An sich soll es darum gehen, Machtverhältnisse zu ändern, beziehungsweise Herrschaft zu überwinden und nicht nur dafür zu sensibilisieren, nur: mit welchen Methoden soll das erreicht werden?
Malte: Das geht natürlich auch nur über  individuelle Reflexion und Verhaltensänderungen. Es kann nicht alles auf einen imaginären „Tag der großen Revolution, den wir sowieso nicht mehr erleben werden“ verschoben werden. Als ob an diesem „Tag“ dann auch jegliche Diskriminierung wie vom Erdboden verschluckt wäre.
Gloria: Und trotzdem reicht das individuelle Sensibelsein nicht. Das Leid der Betroffenen muss dazu noch kraftvoll öffentlich gemacht werden, damit sich Veränderungen auch in Institutionen und Strukturen niederschlagen!

Eure Schwerpunkte sind Feminismus und Sexismus. Welche Kernthesen liegen eurer innerfeministischen Diskussionen zugrunde?
Gloria: Was ich gleich am Anfang sagen muss: Es herrschen heute immer noch patriarchale Verhältnisse, es findet Unterdrückung von Frauen* statt. Und das nicht nur in irgendwelchen ausgewählten Weltregionen, die gaaanz weit weg sind. Eigentlich ist diese Aussage recht offensichtlich, aber die meisten Leute reden ja davon, dass Frauen* heute (zumindest in Europa und den USA oder so) gewissermaßen „fertig“ emanzipiert wären und die Feminist_innen-Dinos sich nicht wegen etwas beklagen sollten, das längst ausgestorben wäre.
Gloria: Ich versuch mal einige Aspekte des heutigen, wie gesagt, immer noch hierarchischen Geschlechterverhältnisses zu nennen. Das soll jetzt keine vollständige Abhandlung werden, aber ein paar Sachen muss man schon aufzählen. Kannst mich gern ergänzen. Also. Da hab ich ja schon das „Verhältnis“ drin gehabt – darum geht’s. Nicht darum, dass die Frau* von nebenan immer Opfer wäre, weil der böse Mann* von nebenan sie ärgern will. Es gibt gesellschaftliche Strukturen, die sich überall durchziehen, auch wenn einzelne denen vielleicht nicht entsprechen.
Malte: Allerdings kann man, wenn man sich als Einzelne*r anders verhält, die Strukturen auch verändern, verschieben.
Gloria: Jaja, aber das ist sehr begrenzt. Die Individuen sind ja auch gesellschaftlich geprägt. Jedenfalls – in Bezug auf Geschlecht sind Frauen* gegenüber Männern* strukturell der untergeordnete ‘Teil’. Wenn man dann noch andere Herrschaftsverhältnisse hinzunimmt, wird’s schon schwieriger…dazu später. Erstmal muss ich noch sagen, dass wir Männer* und Frauen* als gesellschaftlich gewordene und immer wiederhergestellte Kategorien betrachten, nicht als biologische Tatsachen. Vielmehr sind eine ausschließliche Zweigeschlechtlichkeit sowie „Mann“ und „Frau“ jeweils zugeschriebene Eigenschaften, all die Dinge, die der „gesunde Menschenverstand“ für selbstverständlich hält, Schein, der für die Einzelnen zum Zwang wird.
  Malte: Worte wie „Frau“ muss man weiter benutzen, wenn man die Zustände kritisieren will, in denen ja eben Leute als „Frauen“ behandelt, also diskriminiert werden. Um auf die gesellschaftliche Konstruktion der Geschlechter hinzuweisen, verwenden wir z.B. Sternchen dahinter. Und dass sich Eigenschaften unterscheiden, stimmt natürlich bis zu einem gewissen Grade. Weil man ja als Mädchen* oder Junge* unterschiedlich behandelt wird – schon als Kleinkind.
Und im ganzen Sozialisationsprozess bilden sich ja bestimmte Eigenschaften heraus – wer als Kind ‘ne Puppe bekommt statt Bauklötzen, wird wohl weniger räumliches Vorstellungsvermögen entwickeln. Jedenfalls ist da absolut nichts angeboren.
Gloria: Alt an so patriarchalen Strukturen ist die gesellschaftliche Abwertung von Frauen*. Angeblich weibliche Eigenschaften sind weniger angesehen als Männern* zugeschriebene. Eher neu hingegen ist die Striktheit der nach zwei Geschlechtern zugeordneten Eigenschaften, die Wichtigkeit von Geschlecht als Kategorie und die Zentralität von Heterosexualität. Es ist auch komisch, patriarchale Strukturen einfach als Relikt, als Überbleibsel aus vormodernen Zeiten misszuverstehen, die mit der Zeit schon weggehen werden. Die damit verbundene Herrschaft wird nicht einfach weniger – ihre Formen verändern sich nur. Patriarchale Strukturen gibt es schon sehr lange, aber man muss unterscheiden, über welche Zeit bzw. Gesellschaftsform man redet.
Im Kapitalismus funktionieren die anders als davor. Bei Entstehung des Kapitalismus wurden die bestehenden ‘eingebaut’, und zunutze gemacht, z.B. um Arbeit und Arbeitsteilung zu organisieren. Flapsig gesagt: Irgendwie musste geregelt werden, wem nun die abgewertete, ausgeschlossene, unsichtbare Privatsphäre zugewiesen werden und wer in der öffentlichen Sphäre angesehene (auf andere Weise  beschissene) Lohnarbeit verrichten sollte.
Malte: Viele Pflege- und Sorgetätigkeiten (Stichworte: Reproduktionstätigkeiten, Care-Work), die früher zu Hause oder in der Familie stattfanden, sind heute lohnarbeitsförmig organisiert. „Natürlich“ wird diese Arbeit wieder vorrangig von Frauen* erledigt. Diese sogenannten Frauen*berufe sind gesellschaftlich wenig angesehen, gerade auch wegen ihrer Verquickung mit dem Geschlechterverhältnis. Was sich auch in der schlechten Bezahlung usw. niederschlägt.
Gloria: Also dass mehr Frauen* arbeiten gehen, war und ist ein emanzipatorischer Schritt – weg von familiären Abhängigkeitsstrukturen. Allerdings ist Lohnarbeit immer Ausbeutung, die irgendwie überwunden werden muss…also die Produktion hängt ja auch immer von ihrer Kehrseite, den abgewerteten reproduktiven Tätigkeiten, wie kochen, putzen, Kinder bekommen, ältere Menschen pflegen, ab. Und diese machen, wie eben schon gesagt, größtenteils Frauen*.
Auch neben dem eigenen Job kümmern meist sie sich um Kinder und Haushalt, und die Wiederherstellung der Arbeitskraft ihres Partners nach ‘nem anstrengenden Tag…und dann sollen die sich auch noch gut fühlen und sexy und kreativ sein. Hausmutti mit Schürze ist eher out.
Malte: …und wenn die berufstätigen Frauen* das alles nicht mehr auf die Reihe bekommen, was nicht so verwunderlich ist, wird ein Teil der notwendigen Tätigkeiten z.B. an noch schlechter bezahlte, oft migrantische, Haushaltshelfer*innen abgeschoben; oder aber überhaupt nicht mehr gemacht.
Im Kapitalismus ist es irgendwie immer so, dass den Preis der Emanzipation einer Gruppe eine andere Gruppe zahlen muss. Das asymmetrische Geschlechterverhältnis wird vermutlich nicht ohne ganz andere Gesellschaftsordnung verschwinden (es sei denn, eine andere Gruppe übernimmt die Position der „Frauen“).

«In der linken Szene wird Geschlecht trotz diverser feministischer Interventionen zumeist immer noch konsequent ausgeblendet»

Gloria: Aber auch mit einer ganz anderen Gesellschaftsordnung ist das Problem nicht automatisch gelöst. Das ist ja das Ding mit dem „Nebenwiderspruch“, der sich dann von selbst lösen würde, wenn die Arbeiter_innen die Fabriken übernommen haben. Man muss sich ja nur mal die Leute angucken, die heute das Anliegen einer radikalen Gesellschaftsveränderung vor sich her tragen- also   Nazis jetzt mal ausgenommen. In der linken Szene wird Geschlecht trotz diverser feministischer Interventionen zumeist immer noch konsequent ausgeblendet. „Wir sind doch alle Menschen“. Und wenn wir irgendwas „Freiraum“ nennen, dann brauchen wir nur noch mit den Fingern schnippen und schon ist die Bruchbude frei von Herrschaft und Diskriminierung.
Malte: Jetzt sei doch nicht schon wieder so aggressiv. Vermutlich bist du das nur, weil du dir nichts sehnlicher wünschst.
Man kann ja dann auch nicht resigniert stehenbleiben und sagen „Ja, aber du kannst doch alleine die Strukturen nicht…“.
Man muss schon irgendwo anfangen, einzelne Impulse zu setzen. Alles andere wäre entweder bloße Verzweiflung oder die irrationale Hoffnung auf die große Revolution, die einfach irgendwann von allein kommt. Was irgendwie auch Verzweiflung recht nahe kommt. Klar können diese Impulse nicht irgendwelche sein, sondern müssen schon mit Weitblick gesetzt werden, damit es nicht in eine falsche Richtung geht…
Ich wollte aber noch was anderes sagen: Das hierarchische Geschlechterverhältnis ist anderen Herrschaftsverhältnissen nicht über- oder untergeordnet.
Verschiedene Herrschaftsverhältnisse sind miteinander verknüpft und dementsprechend sind die Ausprägungen von Frauen*unterdrückung oder -abwertung sehr unterschiedlich. Dies ist sowohl klassen- oder milieuspezifisch, als auch z.B. in Verknüpfung mit Rassismus zu sehen. Es ist wichtig zu betonen – und das hat die weißen Mittelstands-Frauen*bewegung in den 70ern vernachlässigt: Frauen* erleben nicht alle dasselbe. Das muss man im Blick haben. Aber dennoch geht es darum, die Gemeinsamkeiten (Erfahrung von gesellschaftlicher Abwertung, Ausschluss, sexistischer Diskriminierung usw.) stark zu machen. Die Bewegung, die diese anprangert und abschafft, wäre dann wohl der Feminismus.
Gloria: Ja, die teilweise grässlichen Gemeinsamkeiten werden heute vor lauter Differenz-Abfeierung oft aus den Augen verloren.
Malte: Möchtest du nicht noch ein bisschen queer-Bashing betreiben? Gegen diese queere Szene mit ihrer Queer Theory? Die super mit neoliberalen Forderungen nach mehr Flexibilität zusammenpasst?  Das fehlt doch hier noch.
Gloria: Nein, das weiß doch heutzutage jedeR. Keine Ahnung, ob wir uns da nochmal einig werden, Malte. Auf jeden Fall gibt es eh keine Möglichkeit, heute zu leben und nicht irgendwie zum Weiterbestehen des Kapitalismus beizutragen, ihn zu optimieren oder Krisen abzufedern, wenn man sich halbwegs angenehme Lebenssituationen schaffen will. Wir müssen halt darüber nachdenken, wie wir noch irgendwas darüber hinaus(!) hinbekommen. Und welche Theorien und Praxen uns das ermöglichen.
Ich will noch auf unsere eigene Beschränktheit kommen: Wir können uns als Gruppe auch nicht aus patriarchalen kapitalistischen Strukturen rausbeamen. Wir haben innere Hierarchien, eigene Denkbeschränkungen, wir sitzen Ideologien auf…und natürlich optimieren wir uns selbst in unserer Politgruppe, erlernen nützliche Kompetenzen für den Arbeitsmarkt, Antidiskriminierungs-Soft-Skills und so, und geben die dann zu selbstausbeuterischen Preisen an Leidensgenoss_innen weiter.

Konkret geht es um Diskriminierung und Gewalt. Welche Strategien müssen angewandt werden, um damit umzugehen?
Malte: Ich versuche nochmal eine Kurzfassung, in Anlehnung an Ansätze wie Community  Accountability:
• Sensibilisierung, Prävention, Funktionen/Funktionsweisen/Bedingungen von Diskriminierung und Gewalt verstehen und erklären, Konzepte zum Umgang damit erarbeiten
• Betroffene von Diskriminierung parteilich unterstützen
• mit diskriminierenden/gewaltausübenden Personen hin zu Verhaltensveränderug, also  transformativ, arbeiten
•  grundlegende gesellschaftliche Veränderungen!
• eigene Grenzen wahr(nehm)en, wobei Optionen wie „professionelle Hilfe“, Polizei, Strafrecht  offen bleiben, wenn auch uncool.

Fragen der Differenz oder Gleichheit der Geschlechter, der Sexualität und sexuellen Orientierung sowie der Verschränkung von Sexismus und Rassismus. Diese Debatten werden bis heute heftig geführt. Dazu habt ihr u.a. das Schutz-Konzept entwickelt. In welchem Rahmen, mit welchem Anliegen ist das erarbeitet worden?
Malte: Ein sogenanntes „Schutzkonzept“ gab es im Rahmen des „eh! – 2,7 emanzipatorische Tage“, einem Workshop- und Partywochenende, das im  April 2012 stattfand. Uns war wichtig, dass wir auf mögliche diskriminierende Handlungen oder Gewaltsituationen vorbereitet sind und  wollten dazu ein Konzept zum Umgang miteinander erarbeiten, das von möglichst vielen (inklusive Einlass-, Barmenschen, DJ*s) getragen und umgesetzt wird. Aus diesem Grund entschlossen wir uns, im Vorfeld einen öffentlichen Workshop anzubieten. An zwei Tagen diskutierten wir über Begriffe, die Gestaltung von Rückzugsräumen, Interventionen, Unterstützungsgruppen, Grenzen etc. und sammelten konkrete Ideen für  das Konzept der Veranstaltung. Nach dem eh! gab es ein öffentliches Auswertungstreffen. Die dort zusammengetragenen Kritikpunkte waren sehr wichtig für unsere weitere inhaltliche Auseinandersetzung. Es wurde angemerkt, das Konzept lasse die betroffene Person schwach wirken, obwohl es unser Anliegen war, sie zu stärken. Seither verwenden wir u.a. den nicht sonderlich empowernden „Schutz“begriff so nicht mehr. Außerdem weiteten wir den Blick auf den Umgang mit diskriminierenden/gewaltausübenden Personen aus und beschäftigten uns mit dem umfassenderen Konzept ‘Community  Accountability’(9), das auch die gesellschaftlichen Bedingungen für z.B. gewalttätiges Verhalten mit einbezieht.
Gloria: Aber – was hat das mit den o.g. Debatten zu tun? Kontroverse ist wichtig und vor heftigen Debatten wollen wir niemanden „schützen“ – solange sie respektvoll und mit Worten geführt werden,  versteht sich.

Inwieweit ist e*vibes in ein gegenkulturelles Netzwerk eingebunden? Gibt es Allianzen und warum sind die notwendig?
Malte: Wir arbeiten mit verschiedensten Gruppen Initiativen/Institutionen/Vereinen oder Einzelpersonen zusammen: anarchosyndikalistische Gewerkschaft, freies Radio, Alternative Zentren, politische Hochschulgruppen, verschiedene Antifa-/Antiragruppen, KüFa-Kollektive, Beratungsstellen, Partyveranstalter_innen, parteinahe Gruppierungen, überregionale feministische Zusammenhänge.
Gloria: Und das ist dann „gegenkulturell“? Wogegen denn eigentlich? Wir haben jedenfalls nichts gegen Kultur.
Malte: Die Allianzen sind teilweise notwendig, teilweise unnützerweise gewünscht. Wir unterstützen uns gegenseitig, was Wissen, Materialien, Räume, Gelder, Erfahrungen, Know How, Diskussionen etc. angeht.
  Gloria: Wichtig ist auch, über Kontakte den eigenen Blick weit zu halten bzw. auszuweiten, das eigene Themengebiet nicht zu wichtig, gar als wichtigstes zu nehmen. Wir müssen Debatten über den eigenen Tellerrand, eigene Bekanntschaften bzw. den eigenen Dunstkreis hinaus führen, um kritisiert zu werden und sich weiterzuentwickeln.

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