Zivile Selbstorganisation im politischen, sozialen und ökonomischen Bereich erfordert institutionelle Öffnung, die Enthierarchisierung, Dezentralisierung und Entdifferenzierung insbesondere lokaler Institutionen und Organisationen. Ziel ist es, der Engagementbereitschaft von BürgerInnen keine Verhinderungsstrukturen in den Weg zu stellen. Die Potentiale und die Engagementbereitschaft von BürgerInnen im lokalen Kontext brauchen experimentierfreudige und offene Politik- und Verwaltungsstrukturen und AkteurInnen in diesen Systemen, die aktiv nach innen und außen für eine bürgergesellschaftliche Politikkultur der Erschließung und Rahmung von Möglichkeiten eintreten. “Freiräume in Bewegung” haben ein Interesse, Selbstorganisationsprozesse insbesondere benachteiligter Gruppen aktiv zu fördern und gerade genossenschaftlichen Lösungen den Vorrang zu geben. Aktive Förderung heißt nicht nur finanzielle Unterstützung der Gründungsphase, sondern umfassende Rahmung und Überzeugungsarbeit ebenso wie eine kooperative Infrastruktur und insbesondere die Erhaltung von Handlungsfeldern und Möglichkeiten der Bedarfsdeckung lokaler Bevölkerung.
Im Manifest “Freiräume in Bewegung” (Düsseldorf) heißt es:
“Durch die Förderung der sogenannten „weichen Standortfaktoren“ versucht die Stadt in der Konkurrenz zu anderen Städten zu bestehen(…)Der verbliebene Freiraum wird mit Einschränkungen und
Verboten reglementiert. Das öffentliche Leben wird dadurch kontrolliert und in seinen Möglichkeiten beschnitten. Leerstehende Flächen und Gebäude werden möglichst schnell an Investoren verkauft,
egal ob für den hundertsten Büroturm oder für das X-ste Einkaufszentrum. Die politische Führung der Stadt zieht die Kriterien des freien Marktes gegen jegliche Bestrebungen einer sozialen Stadt
für ALLE klar vor -dabei spielt es keine Rolle, dass billiger Wohnraum fehlt und dass Düsseldorf in Zukunft massive Wohnungsnot droht(…)“.
“Wir wollen Kultur und Leben selbst organisieren und eigene Orte gestalten – für uns und für alle.”
Kreatives Handeln
“Freiräume in Bewegung” begreift sich als Teil einer bundesweiten Bewegung, die aktuell in mehreren deutschen Großstädten entsteht und ihr Recht auf Freiräume, Gestaltung und Selbstbestimmung –
kurz: auf ihre Stadt – einfordert.
Kultur wird vornehmlich reinen Vermarktungsaspekten untergeordnet. Wer diese nicht erfüllen kann oder will, dem bleibt die Flucht (nach vorne) – oder ein schimmelbefallener Proberaum. In
Düsseldorf herrscht ein Kulturverständnis, das viele Kulturschaffende ignoriert. Im Kampf um die stärksten Investoren und die finanzkräftigsten BewohnerInnen verkauft sich die Stadt als
massengerechtes Modeereignis. Der verbliebene Freiraum wird mit Einschränkungen und Verboten reglementiert. Das öffentliche Leben wird dadurch kontrolliert und in seinen Möglichkeiten
beschnitten. Leerstehende Flächen und Gebäude werden möglichst schnell an Investoren verkauft, egal ob für den hundertsten Büroturm oder für das X-ste Einkaufszentrum. Die politische Führung der
Stadt zieht die Kriterien des freien Marktes gegen jegliche Bestrebungen einer sozialen Stadt für ALLE klar vor -dabei spielt es keine Rolle, dass billiger Wohnraum fehlt und dass Düsseldorf in
Zukunft massive Wohnungsnot droht. Prozesse gezielter Aufwertungstendenzen in Stadtteilen wie Unterbilk, Hafen oder Flingern haben die Verdrängung nicht kaufkräftiger Schichten und alternativer
Kunst- und Kulturrefugien zur Folge. Diese Kollateralschäden werden billigend in Kauf genommen.
Höchste Zeit zu handeln.
Freiräume in Bewegung ist ein Netzwerk und keine feste Gruppe, was sich 2010 gegründet hat. “Wir beschäftigen uns politisch mit Stadtentwicklung, Gentrifizierung/Verdrängungsprozesse” berichtet
Carsten Johannisbauer, einer der Gründungspartner. “Viele von uns sind Künstler, Aktivisten, die seit Jahrzehnten in Düsseldorf aktiv sind!”
Auf dem ersten Treffen waren über hundert verschiedene Gruppen anwesend, also “jeder, der/die in Düsseldorf kulturell, subkulturell aktiv ist. Das reicht vom Kunstprofessoren bis
Bauwagenplatz-/Hausbesetzer.”
Trotz der unterschiedlichen persönlichen und politischen Zielsetzung wurde auf Streitigkeiten weitestgehend verzichtet. “Es war sehr schön, die einzelnen Leute kennen zu lernen und zu sehen wie
die arbeiten und was die so machen!”
Durch die Vielfalt ergeben sich in der Folge auch eine große Ansammlung von Kontakte, die dann miteinander verknüpft wurden.
“Dadurch kommt das Netzwerk in Bewegung, d.h. du hast deine Kontakte und kannst viele Ideen umsetzen, da du auch unterstützt wirst.”
Der Auslöser für Freiräume in Bewegung war, das viele Kunst -und Kulturschaffende der Willkür von Seiten der Stadt ausgesetzt waren, die sie dazu gezwungen haben, ihre Räume zu verlassen und
Veranstaltungen abzusagen. Ein Grund dafür ist laut Carstens Aussage das Ordnungsamt, das immer wieder Veranstaltungen besucht, gestört und geschlossen werden. “Es geht bis zu
Gerichtsverhandlungen wegen Ruhestörung“. Hiervon betroffen waren auch Zentren wie das ZAKK, das kurz vor der Schließung stand, was dazu führte, “unsere Kräfte zu bündeln und dazu einzuladen,
etwas gegen diese Prozesse zu unternehmen.”
In diesem Netzwerk sind verschiedene Arbeitsgruppen involviert, die sich mit einer Thematik beschäftigen, die Pressearbeit machen, Aktionen planen und die dann auf einen großen treffen zusammen
kommen.
“Das Wichtigste ist der Aspekt, dass wir nicht für uns Probleme angehen und Aktionen planen, sondern mit den AnwohnerInnen und BürgerInnen mit der Absicht, ein Bewusstsein für ihr Viertel, ein
Interesse für die Nachbarschaft zu erlangen. Das fing an mit bürgernahen Aktionen wie Guerilla gardening, an denen sich Omas, Schüler, Migranten und Studenten beteiligt haben und zusammen Sachen
bepflanzt haben.”
Unsere Stadt soll schöner werden
Guerilla Gardening ist nicht nur die Verschönerung deines Viertels, sondern auch ein illegaler Akt, da städtische Flächen -Eigentum der Stadt- nicht einfach so bepflanzt werden. Du setzt dich
aber darüber hinweg, eignest dir diese Flächen an.
“Unter diesem Aspekt ist es für die rechtschaffene Oma ein schwerer Schritt, für dich vielleicht keine Überlegung wert.”
Ein Lerneffekt ist die Erkenntnis, dass mensch sich rumschubsen lässt und nicht alleine dasteht. Als Beispiel führt Carsten die Verdrängunsprozesse an, “in der ein Student noch einen
zusätzlichen Job annimmt, um die Mietsteigerung zu begleichen und im gleichen Viertel wohnen und bleiben zu können, was die Oma nicht kann. Da ist es wichtig, ihr zu helfen, sich mit ihr an den
Tisch zu setzen und zu beratschlagen, was zu unternehmen ist.
Carsten benennt Stadtteile, die sich rasant verändern, wo für altere Menschen oder für Leute, die dort lange wohnen, spürbar ist, dass das nicht mehr ihr Viertel ist.
Immer mehr Menschen verlieren aber den Anschluss an das soziale und kulturelle Leben in der Innenstadt. Die Anzahl der Sozialwohnungen sinkt, es gibt in Flingern und Bilk kaum ein WG-Zimmer unter
350 Euro. Arme, Alte und MigrantInnen sind gezwungen an den Stadtrand zu ziehen. Wegen der hohen Kosten für die öffentlichen Verkehrsmittel verlieren diese Menschen nicht nur ihren zentralen
Wohn- und Arbeitsplatz, sondern auch die Teilhabe am öffentlichen Leben. Wer sich diese Veränderung nicht leisten kann, muss gehen, oder?
Das Viertel erhalten und lebendig gestalten
“Wir haben in Eckkneipen Konzerte veranstaltet“, berichtet Carsten und vergleicht die “Tränken der Säufer” als sozialen Treffpunkt und Orte, an denen kommuniziert wird und Menschen zusammen
Weihnachten feiern, was sie privat nie machen würden, obwohl sie sich seit Jahren dort begegnen.
Diese Eckkneipen und soziale Ort verschwinden und werden durch In-Cafés ersetzt.
Die Viertel und Menschen (ver-)ändern sich, aber ein Ziel ist es, diese Veränderung selbst zu gestalten und Menschen zusammen zu bringen.
Widersprüche werden überwinden. Punx mögen sich nicht für konservative Menschen aus der Eckkneipe interessieren, die vielleicht in Schützenkapellen spielen. “Wir haben auch mal eine
Schützenkapelle im autonomen Zentrum eingeladen, was ein lustiger Abend wurde“.
Ein differenziertes Kulturverständnis kann zu einer gemeinsamen Begegnung führen, ist sozial orientierte Stadtteilarbeit und Ausdruck von Aktionen gegen die Stadtpolitik, die ignorant ist und
nicht die Interessen und Wünsche der BürgerInnen wahrnimmt. Da alle bürgerlichen Parteien leere Versprechungen machen, sieht sich das Netzwerk „Freiräume in Bewegung“ als unmittelbare
Interessenvertreter der StadtteilbewohnerInnen, das sich mit Ihnen beschäftigt.
“Wer sich mit der politischen städtischen Arbeit auskennt, weiß, dass Parteien gerne mal einzelne bürgernahe Anträge oder Aktionen aufgreift, die mensch selbst initiiert hat, die dann für das
parteipolitische Image benutzt werden“, erklärt Carsten und sieht das Netzwerk politisch unabhängig, was außerhalb der parlamentarischen Gremien fungiert und auf deren Mitarbeit verzichtet.
Nur durch politische Selbstbestimmung, konkrete Mitgestaltung und aktive Teilnahme kann sich die Stadt zu einem lebenswerten Ort für alle entwickeln. In den Schenkungsbriefen an alle
Ratsfraktionen und den Oberbürgermeister heißt es, “Wir wollen Kultur und Leben selbst organisieren und eigene Orte gestalten – für uns und für alle.” In diesen Briefen werden die geplante
Aktionen beschrieben, mit der Absicht, “den BürgerInnen kreative Freiräume – abwechslungsreich, bunt und innovativ, abseits von Konsumkult und Umsatzbestrebungen, zu schenken.”
Diese Schenkung geht der Idee voraus, geplante illegale Aktionen von der Stadt zu legitimieren. Das Geschenk an die Stadt gilt rechtlich als angenommen, wenn es vom Tage Tage der Überbringung an
innerhalb von 7 Tagen nicht abgelehnt wird. Eine überzeugende und zugleich kreative Idee, sich illegale Aktionen genehmigen zu lassen.
Eine Idee war das Graffiti an der Bahnunterführung Ellerstraße in Düsseldorf.
Ein 25 Meter langes Geschenk. Die Stadt lehnte die Schenkung im Auftrag des Oberbürgermeisters zwar ab, trotzdem wurde eine Fläche von 25 Meter besprüht, was eine Strafanzeige nach sich zog. Dabei stellte sich heraus, dass der Eigentümer gar nicht die Stadt, sondern die Bahn war. Die Deutsche Bahn hat ihre Anzeige zurückgenommen und in einen Brief erklärt, dass alle Bahnunterführungen von “Freiräume in Bewegung” auf eigene Kosten gestaltet werden dürfen.
Durch Kunst könne ein so abstoßend düsterer Ort interessanter werden. “Wir wollen zeigen, dass mit wenigen Mitteln eine Verbesserung der Situation möglich ist, wenn man das kreative Potenzial der
Stadt nutzt, statt es mit immer mehr Ordnungsmaßnahmen zu behindern“.
Zuvor haben Wandmalergruppen und KünstlerInnen seit 10 Jahren vergeblich mit der Stadt verhandelt, diese Unterführungen zu verschönern.
Diese Aktion hat gezeigt, dass die Aneignung der Stadt funktioniert. Mitverantwortlich dabei ist auch eine enge Zusammenarbeit mit den Medien, die die Aktionen öffentlich machen und
begleiten.
Durch den öffentlichen Druck, den “Freiräume in Bewegung” aufbaut, sind bereits Erfolge erzielt worden. Carsten berichtet von finanziellen Zuschüssen für Musikfestivals, die es vorher nicht
gab.
Das Netzwerk “Freiräume in Bewegung Düsseldorf” arbeitet u.a mit anderen Projekten wie “Not in
our name” aus Hamburg zusammen, lädt Redner nach Düsseldorf ein, organisiert Kongresse mit europäischer Beteiligung, das Netzwerk führt selbst Interviews mit MusikerInnen, KünstlerInnen, u.a
mit Rocko Schamoni,
Schorsch Kamerun zu Themen wie Verdrängungsprozesse, Stadtteilpolitik.
“Ein ganz wesentlicher Aspekt in der globalen Vernetzung ist die gegenseitige Unterstützung und der Effekt, dass die Menschen einen Sinn für ihre Lebenswelt entwickeln lernen.”
Kontakt, Material: www.freiraum-bewegung.de