HOSTAGES OF AYATOLLAH waren vermutlich die erste deutsche Punk-Combo, die versucht hat, die Ideen und den Sound von US-Hardcore und Skatepunk in eigene (deutschsprachige) Songs zu
übersetzen.
Schon bald nach der Gründung (Ende 1981) und Zusammenfinden des endgültigen Line-Ups - Jah-Jah Vox, Jacho Git, Micha Bass und der fantastische Torso an den Drums - im Jahr 1982, schrieb die
schwer von California-Punk und Ostküsten-Hardcore beeinflusste Band ihre ersten Klassiker, die sich ziemlich vom typischen "generic Deutschpunk" dieser Zeit abhoben, mehr Orange County als Daily
Terror, mit unpathetischen Alltags-Texten, die auch unter dem Einfluss von frühen Neue Welle- und Punk-Helden wie KFC, Male, Hans-a-Plast oder Abwärts entstanden.
Das Demo-Tape "Aha" (1983) erntete großartige Reviews bei den Insidern und die erste Single "Hallo Nachbar" (1984) öffnet der Band die Tür zum frisch entstandenen europäischen
Hardcore-Network.
1985 ist die Band auf dem Höhepunkt, viele Konzerte in den AZs, Squats und Juzis der DIY-Szene, großartige Shows mit sich meterhoch stapelnden Stagedivern, jedes Wochenende eine kleine Tour. Aber
dann wird die überfällige LP "Kaaba Kaaba Hey" (Split mit Manson Youth, 1986) durch miese Abmischung ein akustisches Desaster, zu diesem Zeitpunkt befindet sich Band auch stimmungsmässig im
Niedergang. Sie löst sich vorübergehend auf.
1987 folgt eine Wiederbelebung, viele neue Songs entstehen, teilweise unter Postcore- und SST-Einfluss, jetzt mit englischem Gesang. Die 2. LP "Simply Too Much Nothing" (1988) spaltet die
Fangemeinde. In den nächsten Monaten zerfällt die Band endgültig, nachdem Bassist Micha seine Drogenprobleme nicht mehr in den Griff bekommt.
1989 Abschiedskonzert und Auflösung. Torso wird Drummer der Kritiker-Lieblinge Carnival Of Souls, Gitarrist Jacho gründet 1993 in Berlin-Kreuzberg die Punkband Terrorgruppe.
2009 Nach circa sechs Jahren Sammeln von alten Aufnahmen, Fotos, Fanzineartikeln usw erscheint die HOA-Anthologie mit neu gemischten/gemasterten Versionen der Aufnahmen aus den 80ern. Die Platte
ist dem Bassisten Micha gewidmet, der 2004 tragisch in Indien gestorben ist.
Das Gespräch führte ich mit Jacho
20 Jahre nach dem Abschiedskonzert kommen die gesammelten Werke auf den Markt. Ist das Geschenk zur Silberhochzeit ein einfaches Unternehmen gewesen (gab es Differenzen mit den
verbliebenen Bandmitgliedern), bzw. warum ist gerade jetzt die Zeit reif, dieses Tondokument herauszubringen?
Eigentlich hätte das Teil ja auch schon 2003 oder 2004 erscheinen können, da war auch noch unser Bassist Micha noch am Leben, aber die ganzen Vorbereitungen wegen den Remixen und Masters und
dieses ganze Suchen und Sammeln von Fotos, Fanzines und "Dokumenten" aus der Zeit von 82 bis 89 haben super lange gedauert. Viel Recherche. Zwischendurch hat auch alles einfach nur Brach gelegen,
niemand hatte Zeit sich drum zu kümmern. Am abstraktesten war die Geschichte mit den "Kaaba Kaaba Hey"- Bändern, die ja tatsächlich 2004 in einem Keller gefunden wurden, allerdings komplett
durchnässt. Die sind dann in einem Küchenherd-Backofen getrocknet worden und wurden auf der alten 70er Jahre Bandmaschine eines Fernsehsenders ausgespielt und digitalisiert. Die Lieder konnten
dann schließlich im Jahr 2007 endlich remixed werden.
Es musste auch viel Geld zusammen gesammelt werden, denn die beiden Labels “X-Mist” und “Plastic Bomb” hätten niemals die Kosten für diesen extra-ordinären Aufwand alleine tragen können. Es gab
dann deswegen den sogenannten "HOA Gedächtnis-Fond". Einige haben bis zu 400,- Euro in den Topf eingezahlt, obwohl sie von Anfang an wussten, dass dieses Geld vermutlich nie recouped werden wird,
bei so einer "Sammler-Edition". So hat es bis 2009 gedauert. Insgesamt haben wohl so ca. 12-15 Leute regelmäßig-unregelmäßig daran mitgearbeitet, davon 5 richtig tief involviert, da saß man schon
mal am Wochenende 20 oder 25 Stunden am Rechner um alles aufzuschreiben, Mitschnitte von Interviews abtippen, Fotos und Fanzine-Schnippsel scannen, Layout/Grafik anzulegen... und das über mehrere
Monate.
Die H.O.A-Mitglieder haben sich übrigens nie wirklich zerstritten, die hatten sich bloß über die Jahre aus den Augen verloren.
Nur die Probleme wegen Michas Drug-Habit hatten 1988 zu einem heftigen Zerwürfnis gesorgt, das ist klar. Wenn es schon soweit ist, dass in der eigenen WG irgendwelche Leute an einer Überdosis
krepieren und nochmal in letzter Sekunde reanimiert werden können, dann ist das ja wohl auch etwas ganz Normales, dass man sich zerstreitet und auseinandergeht.
Ab 2000 gab es aber auch mit Micha wieder unregelmäßige Kontakte. Er wohnte in Indien, in sicherer Entfernung von (Drogen-)Straße und deutscher Justiz und dort besaß ja dann auch irgendwann jedes
Dorf einen Internet-Anschluss.
Es gab Anfang der 80er Jahre kaum Netzwerke und Konzertorganisationen, die vom DeutschPunk ausging. Dafür sorgten dann die HC-Einflüsse aus Amiland. War auch das subkulturelle Stadtbild
von Velbert geprägt vom asseligen Punkrocker...haben die dir Angst gemacht? Durftest du am Ende keinen Iro und Lederjacke tragen?
Haha! Die Szenen in so´nen Städten wie Velbert waren so klein und überschaubar, in jeder Stadt maximal 10-15 Leute, dass es eigentlich abgesehen von persönlichen Aversionen niemals irgendwelche
"Gruppenspaltungen" oder so´n Zeugs gab.
Die jungen Nachwuchs-Punkers wurden zwar am Anfang nicht für voll genommen und bekamen auch mal eins aufs Maul, nach dem Motto "Du Pseudo-Kiddie!", aber wer dabei blieb, war dann auch irgendwann
mitten drin und hatte bei den Veteranen auch so was wie einen oder mehrere ältere "Punk-Paten", die ihn dann in der Welt der Älteren mitgeschleift haben. Bei den jungen Grünschnäbeln von
„Hostages of Ayatollah“ und deren Vorgänger-Combo "Suizid-Kommando" war das zum Beispiel die Velberter Urpunk-Band “La Vache Qui Rit”, die haben uns auf die entlegensten Konzerte mitgenommen. Wir
saßen zu 8 oder 9 im Polo oder Kadett, 2 im Kofferraum, 2 auf dem Beifahrersitz und so weiter....Das Outfit der Leute spielte eigentlich nie ´ne Rolle... weder in Velbert noch in den bei den
befreundeten Szenen in Essen oder Mülheim war Iro-Frisur , Nietenjacke & T-Shirt mit Hitparade England 81 die Kleiderordnung, alles war ein bisschen mehr Free-Style und phantasievoller, bunte
Hemden, selbstgekrakelte Logos von ziemlich unbekannten, frei erfundenen oder etwas abseitigen und "unkonventionellen" Bands, dazu Slogans und Zeichnungen von irgendwelchen Comics oder
PopArt-Typen, Turnschuhe statt Docs, manche auch mit Skateboard unterwegs...Die Szene war bunt und vielfältig und viele Leute, die optisch überhaupt nicht nach "Punk" aussahen, gehörten auch
ebenso selbstverständlich dazu.
Welche Inhalte haben dich damals fasziniert und welche Stilelemente haben dich beeinflusst?
Ganz zu Anfang war das neben den vielen Singles und Styles aus England, die ab 79/80 selbst bis in unsere Kleinstadt geschwappt waren (Punk/Wave/ 2Tone/Mod...) vor allem die Sounds und Ereignisse
um die "Neue Deutsche Welle" bevor das ein Massenartikel mit pink gestylten Schlagerstars wurde. Bands aus Hamburg, Düsseldorf und Berlin... wir saugten alle erdenklichen Infos und Geräusche auf:
ABWÄRTS, HANS-A-PLAST, KFC, ZK, PVC, Der Moderne Man, Phosphor, auch Zeugs wie IDEAL, DAF und FEHLFARBEN. Oder WIRTSCHAFTSWUNDER und DIE RADIERER...Wichtig war auch immer das fotokopieren von
Textblättern und Covern.
Ami-Punk haben wir schon sehr früh entdeckt: DEAD KENNEDYS, GERMS, CIRCLE JERKS und etwas später BLACK FLAG und T.S.O.L... Diese gelangten irgendwie gleichzeitig mit der englischen
Nietenpunkwelle in den Ruhrpott. Zunächst noch gar nicht wirklich wahrgenommen als so was wie eine "Neue Bewegung" oder Welle, sondern nur als die “Härter-Schneller-Besser Sound-Alternative”zu
ANTI-PASTI und VICE SQUAD.
Irgendwann setzte sich dann auch die Erkenntnis durch, dass dieser neue schnelle Sound aus Amerika noch mehr beinhaltete... ich meine damit nicht speziell "Straight Edge" oder die Entdeckung von
Skatepunk, sondern generell die DIY-Philosophie, die Vernetzung von Szenen/Zines/Aktivisten. Selber machen, mitmachen...
Das, was zu dieser Zeit aus England kam, wirkte dagegen wie Fake-Punk, viel Style und Verpackung - wenig Inhaltstoffe. Ami-Punk kam zwar weniger aufgestyled, toupiert und mass-konfektioniert
daher, aber er bot viel mehr.
Dabei fällt mir im Nachhinein auf, in unserem Umfeld in Velbert waren eigentlich weniger diese Philosophien, die heutzutage als das Hardcore-Erbe angesehen werden (Straight Edge usw), sondern
eher die nihilistische und auf bösem Fun basierende Hardcore-Richtung angesagt: DAYGLO ABORTIONS, FEEDERZ, ANGRY SAMOANS, ganz zu Anfang FLIPPER und FEAR, später UNITED MUTATIONS und MEATMEN oder
GG Allin, eher so das ganze derbe und "sarkastische" Zeugs halt.
Kam denn nix Neues mehr von der Insel (England) nach, dass plötzlich Style (Karohemd, Arm-Stirnband), Inhalte (Fanzines machen, Band starten, Netzwerk aufbauen) aus Amiland kopiert werden
mussten? War für dich diese Abgrenzung, Abspaltung vom DeutschPunk ein Schritt, um eine neue, kreative Szene aktiv mit aufzubauen ? Welche Orientierungspunkte hast du gehabt?
Das hat sehr viel mit der Musik zu tun! Aus England kam zu dieser Zeit wirklich nix Neues Aufregendes, 1982-83 vielleicht gerade mal 2 oder 3 gute LPs, und bei den deutschen Bands waren DAILY
TERROR oder O.H.L. ja auch nicht gerade eine überzeugende Alternative (obwohl ich zugeben muss, dass die Letzteren tatsächlich einige Hits haben).
Irgendwann zwischen 82 und 83 begannen bestimmte Grüppchen von Punks aus den verschiedenen Städten im Umkreis völlig unabhängig voneinander zu entdecken, dass dieser neue Sound aus Amerika auch
die besseren Inhalte und Ideen hatte. Es gab aber eigentlich nie so einen Bruch "Abspaltung von Deutschpunk" oder "Abspaltung von altem Punk". Dafür waren ja die einzelnen kleinen Mikro-Szenen in
den verschiedenen Städten viel zu klein. Auch die späteren "Bandana-Träger", "Skate-Punks" oder "Hardcore-Kids" oder wie man sie bezeichnen will, haben ja alle mit SLIME, RAZZIA, BETON COMBO
usw... angefangen. Es war eher so, dass der England-Fraktion so ein bisschen die Kreativität abging. Das war alles ziemlich prollig, reduziert auf Konsum von schicken T-Shirts aus London, auf
Saufen und Rumstressen. Dazu dann noch häufig Ärger mit Skins, die auch bei den "Englandpunk-Shows" rumhingen...
Irgendwann waren einfach die US-Punk- oder die Polit-Punk/"Hippie-Punk"-beeinflussten Menschen die fitteren und agileren, die die Freiräume und Juzis für sich entdeckten und dort ihre Konzerte
durchzogen, sich vernetzten, Musik und Zines tauschten, weit rumreisten, um sich auf den entlegensten Veranstaltungen zu treffen, die irgendwann tatsächlich eine eigenständig Szene entwickelten,
die dann auch ganz schnell eine riesige Wirkung nach Außen entfaltete.
Ob das jetzt bloß eine Kopie von amerikanischen Vorbildern ist?
Euro Hardcore war schon was eigenes Spezielles, zunächst geprägt von den rumreisenden Aktivisten aus Italien, die ja ab Winter 83/84 in jedem Squat und Juzi zwischen Bielefeld, Berlin und
Amsterdam anzutreffen waren. Es gab auch viel CRASS- und CRUST-Einflüsse. Die Mischung war sicher anders und spezieller als Washington DC oder Orange County. Aber da bin ich ja leider nie
gewesen, bzw. erst viele Jahre später...
Welche Umstände waren für dich ausschlaggebend, anstatt zu konsumieren, selbst eine Band zu gründen? Hast du zu Weihnachten eine Gitarre geschenkt bekommen und Unterricht genommen? Und
wieviel Geld hast du ausgegeben, um weitere Bandmitglieder zu finden?
Sehr witzig! Wir hatten am Anfang gar nichts, außer ein bisschen Willen, eine 100,- Mark E-Gitarre und einem geliehenen Höfner-Bass aus den 60ern. Zum Proberaum war´s eine endlos öde Busfahrt,
und die Stadt Velbert ein Ort der absoluten Kultur- und Ereignislosigkeit. Nix mit Proberäumen, eigene Freiräume usw.
Das JUZ wurde ständig von der Stadtverwaltung geschlossen, die einzigen Tage von Auflehnung und Hausbesetzungsversuchen endeten in ziemlichen Desastern. Die Band war irgendwann der einzige
Bezugsrahmen, der noch irgendwas an Fun und Ablenkung brachte. Jeder durfte mal mitspielen.
Und die Anderen versackten bei Wasserbongs, Hartalk, Tabletten und später Heroin. Aus Mangel an Alternativen wurden nämlich von den bored Kleinstadt-Teenagers jedes Drogen-Angebot dankbar
angenommen.
Was hatte die Stadt Velbert denn zu bieten, um sich auszutoben? Euer Proberaum war -glaube ich- in Ratingen, was ja auch nicht gerade um die Ecke liegt wie du eben bereits geschildert
hast. Wie kamen denn die ersten Kontakte zu anderen Bands, Leute zustande, um aus eurem Kaff herauszukommen?
Velbert hatte damals wirklich nichts zu bieten (außer Drogen), wir zogen durch mindestens 8 verschieden Proberäume, nur 2 davon in Velbert selber. Wir waren also ständig "auf Reisen".
Und an den Wochenenden sowieso, dann wurde mal ein paar hundert Kilometer zum nächsten Konzert gereist.
Wie kamen denn die ersten Kontakte zu anderen Bands, Leute zustande, um aus eurem Kaff herauszukommen?
Schon mit 15 hatten wir jede Chance genutzt, um irgendwie in die umliegenden Städte zu kommen, wir haben damals noch einige der deutschen Bands der "ersten Generation" live gesehen, ZK, Der
Moderne Man, Fehlfarben, Korpus Kristi...
Schon in dieser Zeit haben wir Leute kennen und schätzen gelernt, die eigentlich erst viel später selber was auf die Reihe bekommen haben, als Ziner, Veranstalter, Musiker, Aktivisten. Ab 1982
war das dann die Mülheimer und Essener Punkszene, vor allem um die Band BLUTTAT, man besuchte sich gegenseitig, man versuchte was auf die Beine zu stellen.
In den größeren Städten des Umlands waren auch die Möglichkeiten und Freiräume besser, hier gab es immer wieder größere Cliquen von Punks und "Angepunkten", die zumindest zeitweise Juzis, Läden
und andere Orte wie z.B. ein altes Kino für sich okkupierten, die „Börse Wuppertal“ 80/81/82, die „Zeche Carl“, Essen ab 1982, das Kino „Kassenberg“ in Mülheim etwa 84-85, das „Eschhaus“ Duisburg
nach seiner Wiedereröffnung.
Später lernten wir auch das „Hagenbusch“ in Marl kennen, eine Hochburg des "Skatepunk".
Wir waren mangels Alternativen in Velbert wirklich jedes Wochenende auf Reisen. Als wir zum ersten mal das AJZ Bielefeld sahen, konnten wir es gar nicht fassen...was für ein genialer Ort! Und
Konzert-mäßig hatten hier die Punks das Sagen, total Eigenregie.
Damals wurde ja noch fleißig Demo Tape aufgenommen und verschickt. An wen habt ihr das verschickt und wie habt ihr auf eure Musik aufmerksam gemacht?
Zunächst mal an alle Aktivisten und Bekannten des Umlands, später an Fanzines bis hin zu „Maximum Rock´n´Roll“ in San Francisco. Doch das Tape half wenig. Dadurch haben wir nur 4 oder 5 Auftritte
bekommen, von denen aber 2 dann gar nicht gespielt wurden, wegen zu viel Hauereien oder schlechter Organisation.
Es dauerte im Vergleich zu Heute ziemlich lange, bis ihr nach Bandgründung den ersten Tonträger herausgebracht habt. Wolltet ihr gut vorbereitet sein oder erst mal abchecken wie euer Demo
ankommt?
Das war damals einfach so. Der ganz normale Lauf der Dinge. Heutzutage nimmt ja jede Band nach der 2ten Probe eine CD auf, damals ging alles sehr langsam. Nichts war selbstverständlich: Studios,
Presswerke, Vertrieb und Mailorder...sowas musste erstmal ausgekundschaftet und erarbeitet werden, im wahrsten Sinne des Wortes. Schülerjobs. Trotzdem hatten es HOA da schon einfacher als die
ersten Generation von Punkbands wie z.B. MALE und SYPH. Als wir die erste Single aufnahmen, da gab es schon Studios mit "Punk-Erfahrung", es gab ein paar Plattenläden und Mailorders mit großer
Reichweite, ein paar Bands, die selber schon Platten gepresst hatten und uns ihr Know-how verraten konnten und vor allem ein Netzwerk von Zines mit angeschlossenem
Bauchladen-Mini-Mailorder.
Jeder dieser kleinen Bauchläden hat uns damals mindestens 40 bis 50 Singles abgekauft, daran kann man sehen wie groß die Nachfrage nach so einem Sound war.
Wo fanden dann eure ersten Konzerte statt? Gab es da schon immer auch einen internationalen Act oder waren das immer regionale Bands?
Im "Westen der Republik" also Ruhrpott/Wuppertal/Düsseldorf/Köln gab es vier ganz unterschiedliche Phasen, die auch parallel liefen, kann man am besten so erklären:
Wir hatten zu Anfang die frühen Shows von Fehlfarben, ZK und Neubauten und so weiter eigentlich immer in einem "professionellen Rahmen" gesehen, in Clubs wie z.B. die „Börse“ oder das „Okie
Dokie“, alles reguläre Veranstaltungsorte, häufig mit Wochenende = Discobetrieb, oft mit Hippie-/Blues-/Krautrock-Vergangenheit.
HOA waren in einem ähnlichen Laden namens "Musikpalast Recklinghausen" zwar nicht als Band aber zusammen mit 15 anderen Verwirrten und Fehlgebuchten als Ordner bei der DEAD KENNEDYS-Show 1982
engagiert. Ein organisatorisches Desaster.
Schon Anfang 1981 begann dann die Phase 2 mit sehr vielen ganz kleinen, völlig unprofessionellen Punkshows in weit verstreuten städtischen Juzis, mit befreundeten Bands aus dem Umkreis. Einmal im
Jahr duften die Punker da auch mal ihren Krach machen, dann hatte der städtische Sozialarbeiter aber auch wieder die Schnauze voll. HOA haben mehrmals von 83 bis 86 bei solchen Gelegenheiten
gespielt. Dann ab Ende 82 (in Städten wie Bielefeld und Hannover auch schon viel früher) gab es auch immer öfter Konzerte in selbstverwalteten und mehr und mehr von Punk-Konzertgruppen
dominierten (besser "unterwanderten ;-) Freiräumen wie AZs oder (ex-)besetzten Hallen. Hier war dann auch die Keimzelle von "Euro-Hardcore", jedenfalls so wie ich es mitbekommen habe. Hierhin
kamen dann später die ersten komplett unabhängigen DIY-Touren von Ami-Bands wie TOXIC REASONS, YOUTH BRIGADE und SCREAM.
HOA hatten ihren allerersten Auftritt im Herbst 1982 in der selbstverwalteten Fabrik Altenberg / Oberhausen (daraus wurde dann mal später das "Zentrum Altenberg").
Ab Anfang 1985 waren wir dauernd an solchen Orten: Duisburg Eschhaus, Kino Kassenberg Mühlheim, AJZ Bielefeld, Juzi Göttingen, Kornstrasse Hannover, das Ex und das Rauchhaus in Berlin, Emma
Amsterdam, Bauplatz Venlo...
Und die vierte Phase dann die Zeit der aufkommenden professionellen "Alternativen Clubs" wie der „Rose Club“ und zeitweise das „Luxor“ in Köln (da haben HOA auch mal gespielt) oder der
„Zwischenfall“ in Bochum usw. Das begann so 85/86 ungefähr.
Interessanterweise gibt es genau diese vier Ebenen von Punk- und HC-Shows heute, 25 Jahre später, noch genauso.
Skate und Punk war im Pott (Mühlheim, Marl) schwer angesagt. Warum passen diese beiden Elemente gut zusammen? Bist du selbst auch auf dem Board unterwegs gewesen oder wurde eure Musik für
diese Szene nur benutzt?
Ich bin tatsächlich schon lange vor dem ersten Beschnuppern der Punk-Szene rumgeskatet. Jedes Kind ist damals in der Zeit 1976 / 1977 geskatet, auf billigen kleinen Plastikbrettern aus dem
Kaufhaus oder dem Sport- und Spielzeugladen. Dazu gab´s dann sogar irgendwann auch die passende Schlagermusik: Bennys "Skateboard Uh Ah Ah", später mal gecovert von DISASTER AREA.
Im Gegensatz zu anderen Städten ist in der Hometown Velbert diese kurze Skate-Spielzeugmode mit den Billig-Boards nie ganz verschwunden.
Die Stadt besteht ja eigentlich nur aus (reichlich asphaltierten) Hügeln und Bachtälern, da ist das Downhill-Gleiten ja quasi angeboren.
Nachdem die ersten Fotos und Filmchen von Ami-Skatern mit großen Holzbrettern und Longboard-artigen Teilen in Fernsehen und Illustrierten auftauchten, mussten dann halt Väter, Onkel und
befreundete Ältere mit Tischler-Erfahrung dabei helfen, eigene Bretter zu bauen. Dazu gab es mit der Firma "A.S." dann in der Nachbarstadt sogar eine kleine Druckguss-Fabrik, die selber Achsen
und Rollen herstellte.
Von den breiten Halfpipe-Brettern (Sims / Alva / Powell...) haben wir erst viel später erfahren.
Was Skaten mit Punk/HC zu tun haben? Sicher die Bewegung, das Überwinden von Hindernissen und das Aneignen von eigentlich hässlichen und nutzlosen Bauwerken. Es gab viele Parallelen: Nicht nur,
dass die Skater meistens die geschickteren Leute beim Hüpfen, Slammen und Stagediven auf den Konzerten waren, sondern auch generell eine ähnliche Haltung zum Leben in der Stadt, in asphaltierten,
betonierten Innenstädten und Fußgängerzonen, nämlich 100% frei von Hippie-Attituden. Leben und Spaß haben in der Wirklichkeit, nicht in irgendwelchen Traumwelten. Aus "Zurück zum Beton" wird halt
das Gleiten über Beton. Skateboarding ist sicher die schönste und aufregendste Überwindung der Verbrechen moderner Architektur.
Was hat sich durch die Veröffentlichung von "Hallo Nachbar" für dich persönlich und der Band verändert?
Die EP hat uns die Türen zu Shows in ganz Deutschland geöffnet, vorher waren ja nur ein paar desaströse Aufritte in irgendwelchen Jugendheimen. Plötzlich kannte die ganze Szene die Lieder und
sang sie auf Konzerten mit, sogar Leute aus Amsterdam, Bristol oder Pisa kannten die Songs. Das war absolut großartig. Das Netzwerk hat damals total gut funktioniert, auch ohne Internet.
1985 kam dann die Split mit MANSON YOUTH. Vom Sound total verhunzt. Für das Abmischen warst du aber doch auch zuständig. Was ist schief gelaufen und warum hätte das nicht korrigiert
werden können?
Wir haben die ganze Platte in anderthalb Stunden abgemischt, davon wurden 45 Minuten damit verbracht zu diskutieren, welche Pizza man jetzt bestellt. Wir waren wirklich enorm professionell,
haha!
Ich bin total happy, dass wir es nach 23 Jahren wirklich nochmal auf die Reihe bekommen haben, die Platte neu zu mischen.
Waren diese Fehler der Grund, ECONO RECORDS zu gründen -ein eigenes Label? Mit welchen anderen Projekten wurde das Label aufrecht erhalten, warum wurde es eingestellt?
Nach der HOA-LP "Simply Too Much Nothing" erschien auf ECONO RECORDS noch 1989 die LP der großartigen „Toshimoto Dolls“ aus Marl. Eine super abwechslungsreiche Band mit Veteranen aus der Mid 80er
Skatecore-Szene, viele Einflüsse von 60ties-Punk / Garage / frühem Cali-Punk bis hin zu 70ties Prog Rock (!). Leider lösten sich die „Toshimoto Dolls“ schon vor Erscheinen der Platte auf,
übrigens eine typische Band-Krankheit in den 80ern.
Davor hatten schon die Hostages das Zeitliche gesegnet. Als dritte Platte sollte ebenfalls eine Band aus Marl erscheinen, die "Lunatics" bzw "Happy But How?", aber die wurden von Aufnahme zu
Aufnahme schlechter und lösten sich dann auch irgendwann auf.
Und dann gab es einfach keine Bands mehr, die auf Econo hätten erscheinen können oder sollen. Und dann war aus.
War das Bandaus eine schleichende Entwicklung, eine Entfremdung?
HOA haben sich ja 2x aufgelöst, das erste Mal 1986, es gab eigentlich keinen speziellen Auslöser... Ich glaube es lag viel an unserer beschissenen Proberaum-Situation. Wir waren zu unorganisiert
gewesen und flogen teilweise aus eigener Schuld, teilweise wegen irrsinnigen Anwohner-Vorwürfen immer wieder aus unseren Räumen raus. Zum Schluss gab´n nur noch diese kleine Abstellkammer neben
einer leeren Werkshalle, ein Ort mit schrecklicher Akkustik. Es gab einfach Nichts anderes in unserer Hometown. Jede Probe war ein entsetzlicher Lärm, wir hörten uns nicht richtig, wir spielten
aneinander vorbei, wir schrien uns an, die Konzerte wurden schlechter, wir ertrugen unseren eigenen Krach nicht mehr, zum Schluss waren wir alle nur noch glücklich, als es vorbei war.
Dazu kam natürlich das persönliche Auseinanderdriften, unterschiedliche Soundvorstellungen und Ansprüche von SST-Prog/Jazzcore bis 77 und 60ties-Primi-Punk oder Crossover-Metal-HC,
unterschiedliche Jobs und Kalender... es fiel immer mehr auseinander.
Bei der Reanimation 1987 war dann alles viel besser: ein guter Raum und große Motivation. Diesmal begann der schleichende Verfall mit Michas ausuferndem Drogen-Habit und Jah-Jahs neuem 70 Std.
Job als Fotograf.
Mit "Simply too much nothing" wurde eine ganz andere musikalische Richtung eingeschlagen. Sänger JahJah hat seinerzeit gesagt, Punk sei tot. Liest sich mensch eure Namen durch (Heia Bubu,
Don Cimento...), ist anzunehmen, ihr wolltet euch nach der Re-Union neu definieren und neu anfangen? Kam aber nicht so tolle an, oder?
Nee, kam nicht so gut an... die Stücke waren zu vertrackt für den Hardcore- Mainstream, obwohl im Nachhinein gehört... mindestens die Hälfte der Lieder waren richtig gut.
Unsere Musiker-Namen wollten wir eigentlich auf jeder Platte ändern, ein schönes Gimmick. Punk war in der Zeit 1987 bis 89 wirklich sehr tot, existierte eigentlich nur noch auf Revival-Partys.
Auf der Suche nach neuen Trends hat es euch ja schließlich in andere Gefilde getrieben. Waren alle verbliebenen Bandmitglieder an dem Dokument beteiligt oder warst du die treibende Kraft?
Wie ist der Kontakt untereinander?
Jah-Jah hatte im Sommer 2008 endlich mal Zeit für eine längeres Interview, das ja auch ins Booklet eingeflossen ist, Torso hatte hoch und heilig versprochen eine Art "Essay" zu schreiben, hat er
aber dann doch nicht geschafft.
So blieb ziemlich viel an mir hängen, ich hab´s ja nicht anders gewollt. Aber es gab zum Glück ein tolles Team aus der alten Velberter Fancrew, um das alles zusammenzutragen und aufzuschreiben.
Martin hat den Booklet-Text aus 100 kleinen Fragmenten zusammengesetzt und die wichtige Einleitung geschrieben, Tim hat Fanzines und Fotos gesammelt und es geschafft, dass alles irgendwie in
chronologische Reihenfolge zu bringen, andere haben geholfen bei den Tape-Restaurierungen, Cover-Artwork, Layouts, Abtippen von Interviews usw usw...
Die 3 lebenden Ex-HOA-Members hören voneinander eigentlich nur per Email, am 23. Mai gab es eine große Party in der Heimatstadt.
Unser Bassist Micha ist 2004 in Indien gestorben. Sehr tragisch, 2 Monate bevor er nach Deutschland zurückkehren wollte. Er hat ein paar Monate vor seinem Tod davon erfahren, dass wir an einer
HOA-Wiederveröffentlichung arbeiten. Er war ziemlich begeistert.