Punk und Queer schließen sich nicht gegenseitig aus. Im Gegenteil, beide sind ähnlichen Ursprungs, haben gleiche
Widerstandsformen und -kulturen. Historisch betrachtet sind PUNK und QUEER Verwandte, die sich immer wieder auf den gleichen Wegen begegnen.
Beide stellen sich gegen den gesellschaftlich auferlegten Alltag und dessen Normverhalten. Daraus resultierten eigene Strukturen und Subkulturen, die sich immer wieder überschneiden.
Doch mit der Zeit wurden beide Bewegungen konservativer und eingefahrener, es wurde sich ab- und ausgegrenzt. Die Punkbewegung ist partiell (hetero)sexistisch, homophob, klischeebeladen und in
sich festgefahren. Noch immer sind manchmal Punkerinnen zu sehen, die als Kleiderständer für ihre pogotanzenden Boyfriends fungieren, im Konzertraum herumstehen (und sich zu Tode langweilen). –
Und dies ist nur EIN schlechtes Beispiel..
Diesen Boyfriends scheint es nach wie vor zum Teil nicht zu kratzen, solange sie nur weiter ihre heldenhaften Klischees unreflektiert weiter feiern können, die leider auch nicht ohne sind:
destruktiv, sexistisch, gewaltbereit und homophob, und nicht selten mega-spießig.
Es geht hier nicht um eine Moralpredigt gegen Destruktion und Gewalt. Es geht ausschließlich um die Tatsache, dass dieses Verhalten nichts Anderes als ein hetero-patriarchalisches Scheißverhalten
ist!
Solange Homophobie in dieser heterosexistischen Gesellschaftsstruktur ein fester Bestandteil ist, sind wir nicht radikal genug!
Wer ist die Multi Conflict Family und was verstehst du unter dieser Bezeichnung?
Ja, darum ranken sich riesige Geheimnisse! Voll die krasse Truppe, ‘n bisschen wie ‘ne fiese Sekte, die alle möglichen Menschen in ihren Bann zieht und schon massenhaft Opfer eingefordert hat. Da
werden VeganerInnen bei lebendigem Leibe verspeist, alle sind taub von immer fies brüllend-lauter Mukke, kommuniziert wird ausschließlich übers Vögeln, auf Kamillentee steht der Tod – das ist
Konsens – und wer mit ‘ner Wandergitarre ankommt muss VeganerIn werden. Alles ist sehr, sehr harmonisch, der Name ist nur Tarnung. Mehr darf nicht verraten werden.
Das hört sich ja abenteuerlich, geheimnisvoll und esoterisch an.
In Nordamerika/Kanada gab es mit HOMOCORE ein eigenes QUEER PUNK Medium und Bands wie Fugazi/MDC, die dieses unterstützten. Wie konnte sich QUEER PUNK als eigenständige, selbstbestimmte Subkultur
hierzulande entwickeln?
Welche eigenständige, selbstbestimmte Subkultur hierzulande? Das is ma ganz schön weit ausm Fenster gelehnt. Queer-Punk steckt als Subkultur echt noch in den Kinderschuhen. Wir machen den Kram
ja, weil uns offensichtlich was gefehlt hat. Dit war ma schwer von Nöten. Wir hatten zwischen den beiden Queer-Punk-Thingys (Anmerkung: www.myspace.com/queerpunkthingy) sechs Jahre Pause und kein Mensch und keine Gruppe war der Meinung, mal dieses Loch in der
Festivallandschaft füllen zu müssen. Es gibt ja genug Elektroparties, wo Mensch jeden Feierabend wieder hinpilgern kann. Da wir uns alle dem D.I.Y. verschrieben haben, kann ja durchaus jedeR ma
den Arsch hochkriegen.
Natürlich gibts auch andere Gruppen und Veranstaltungen, die auch Queer-Punk aufm Schirm haben (Gay-Edge-Liberation-Front, Queeruption…), aber es fehlt einfach ma echt an Kontinuität und
effektivem Networking. Queer-Punk sollte natürlich auch keine abgekapselte Szene sein, denn Queer gehört für uns mit ins Spektrum Punk als Variante alternativen individuellen Lebens.
Siehst du die Entwicklung von QUEER PUNK auch eng mit RIOT GRRRL verknüpft?
Queer-Punk und Riot-Grrrl sind befreundete Parallelbewegungen mit vielen Überschneidungen (Fanzines, radikale Schnipselpropaganda, D.I.Y….). Riot-Grrrl entwickelte sich aus der Unterdrückung
heraus, um sich zur Wehr zu setzen, zu organisieren und zu vernetzen. Den Boden bereiteten schon im Anfang von Punk viele Frauen(-dominierte-)bands wie Hans-a-plast, Östro430,
Poison-Girls, Dirt, Slits, Crass, Raincoats, Liliput, Kleenex, Tip-Ex, X-Ray-Spex, Unterrock, Plasmatics und Co.
Prinzipiell sind für uns Kapellen/KünstlerInnen aus der Riot-Grrrl-Ecke wohl noch die, die die meisten Überschneidungen mit Queer-Punk haben.
Denkst du, dass es leichter ist, über Musik queere Ideen in die breite Öffentlichkeit zu transportieren oder ist die queere Subkultur zu dogmatisch?
Wir haben eine Weile diskutiert, um deine Frage zu verstehen, aber weder ist Punk für die breite Öffentlichkeit, noch ist Queer dogmatisch, und missionieren wollen wir auch keinen.
Wie können Strategien aussehen, sich Räume anzueignen und auf der Bühne als Queer/Frau präsent zu sein?
Hingehen, die Band auf der Bühne verprügeln, ihre Instrumente aneignen und fett losbrettern.
Aber wie kommt die Kombination Queer/Frau zustande, sollte dies eine Beschreibung für Minderheiten sein, die sonst nicht zum Zuge kommen? (Anmerkung: Nö. Aber die Frage zielt darauf hin, dass
gerade Frauen in der heterosexistischen Gesellschaft auf der Bühne mit Angriffen konfrontiert werden.)
Die Berührungspunkte zwischen schwuler und lesbischer Subkultur sind seltener geworden, und die rechtspopulistische Aneignung von Theorie hat schon seit einigen Jahren die Negierung von
Homosexualität im Auge. Welche Aktionsformen können deiner Meinung nach dieser Entwicklung entgegenwirken? Muss QUEER PUNK radikaler werden?
Solange Homophobie in dieser heterosexistischen Gesellschaftsstruktur ein fester Bestandteil ist, sind wir nicht radikal genug! Homophobie war und ist schon immer ein weit verbreitetes Phänomen
in unserer Gesellschaft, vor allem auf Schulhöfen und ähnlichem, wo „Schwule Sau“ ein gängiges Schimpfwort ist. Dit is kein spezifisches Ding von Rechtspopulismus. Gesellschaftlich erscheint dit
nich so durchschlagend, schließlich böten sich dafür in der herrschenden Politik viele Figuren als Ziele. Genderkritisches Kindertheater und politische Schulbildung sind gute Strategien um
dauerhaft Toleranz und Selbstbewusstsein zu stärken, denn mit den Jüngsten wächst und entwickelt sich auch unsere Gesellschaft.
Die Zusammenarbeit von Lesben und Schwulen ist ein ganz anderes Thema. In gesellschaftlichen Entwicklungen mag es zwar gemeinsame Interessen geben. Konkrete gemeinsame Projekte wie das
Café-Anal hat es selten gegeben.
“Mit der schwulen Partyszene kann ich nichts anfangen, aber in der Alternativ-Szene mag ich mich nicht outen”. Ging dir das ähnlich?
Es ist schwer die Frage als Gruppe zu beantworten. Obwohl wir stundenlang heiß darüber diskutiert/geredet haben. Es ist auf jeden Fall viel einfacher, sich als heterosexueller Mensch zu outen.
Das ist wohl in allen gesellschaftlichen Gruppen so und nicht nur spezifisch auf die Punk-Szene zu beziehen.
Punk war als Form und Subkultur lange Zeit offen für gleichgeschlechtliches Begehren. Buzzcocks-Sänger Pete Shelley verhandelte in seinem Solodebütalbum “Homosapien” (1980) offen schwule
Subjektpositionen zwischen dem erfahrenen Cruiser und dem schüchternen Eckensteher. Die transsexuelle New Yorker Punk-Sängerin Jayne County spielte in Derek Jarmans Film “Jubilee” (1976) mit.
Eine androgyne Tradition führt vom ersten Fernsehauftritt der Sex Pistols bis ins Batcave. Warum hat sich Punk und HC heutzutage unkritisch sexistische Normen angeeignet?
Mode hat heute einen viel krasseren Einfluss. Damals war Androgynität zur Abgrenzung geeignet – heute können wir eh fast rumrennen wie wir wollen und uns damit nicht mehr absondern. (In einem
bayerischen Kleinstkaff oder ähnlichem isses vielleicht noch drin, auf die Art den Punk raushängen zu lassen). Sexistische Normen waren im Punk und HC leider schon immer da und wurden nie
wirklich bekämpft.
Sollten geschlechtsspezifische Stereotypen verstärkt in einen öffentlichen Diskurs thematisiert werden?
Ja und mehr noch, sie sollten nicht nur thematisiert sondern am besten auch dekonstruiert werden.
Ein Problem in Teilen der Gesellschaft ist die generelle Ideologie der Ungleichwertigkeit mit der Funktion, Menschen als ungleich zu bewerten und diese Ungleichwertigkeit durch das
Vorurteil zu legitimieren. Welche konkreten Maßnahmen (Bsp: Sexualerziehung an Schulen) können diese Vorurteile abbauen?
Masturbation, Kastration, Polygamie, Aufbau eines strukturlosen Harems sind auf jeden Fall ein Anfang um den Menschen jedwedes Wertigkeitsdenken abzugewöhnen.
Wie wird in deinem Freundeskreis das Thema Schwulsein gesprochen? Wer spricht überhaupt davon? Und wie ernsthaft?
Hey, wie wird in deinem Freundeskreis über Schwulsein gesprochen?
Als Gruppe ist das schwer zu beantworten. Wir umgeben uns kaum mit Leuten, die Probleme mit unserer sexuellen Orientierung haben, und wenn, dann wären das vielleicht kein echter Freundeskreis,
oder?
Dabei geht es viel um Fragen von Identität(en). Welchen politischen Sinn macht es sich als Queer, Dyke, Femme oder Butch zu bezeichnen?
Es macht genauso viel oder wenig Sinn, sich als Punk zu bezeichnen. Es hilft, sich als Gruppe zu organisieren, gibt Stabilität und politische Identität über Abgrenzung, denn verschiedene Menschen
haben verschiedene alltägliche Probleme und über einheitliche Begrifflichkeiten lässt es sich einfacher vernetzen um gemeinsam zu agieren.
War das primäre Ziel, einen eigenen Freiraum für QUEER PUNK zu schaffen, der über ein virtuelles Netzwerk (Homepage, Forum) heraus aktive Arbeitsformen und -möglichkeiten (Workshops)
ermöglicht? Ist eure queere Arbeit zumindest in Berlin einzigartig oder gibt es Kooperationen?
Das Ziel der letzten beiden Festivals war, dass sich Punks und Queers mal wieder etwas mehr zusammenrotten.
Wichtig ist, dass wir NICHT eine Berliner Gruppe sind, sondern ne internationale Zusammenrottung. Unser erstes Festival in Berlin 2004 sollte nur der Anfang sein. Der ursprüngliche Plan war,
dieses Festival überall mal zu machen. Wenns wieder dazu kommen sollte, wird das sicherlich auch der Fall sein. Queer-Punk-Festivals sollten auch überall stattfinden, denn das ist dringend
notwenig!
Ihr habt euch die KØPI als Freiraum ausgesucht und bietet Infoveranstaltungen, Workshops, Filme und Konzerte an. Wie ist die Resonanz? Sind bisher auch nicht queere Gäste erreicht worden
oder ist das gar nicht eure Zielgruppe?
Wie oben schon erwähnt, war das Ziel, Punks und Queers und Queerpunx mindestens gleichermaßen anzusprechen. Die Meinungen über das Festival, die uns zugetragen wurden, waren fast durchweg sehr
positiv. Viele Leute waren auch erstaunt darüber, dass diese Art Veranstaltung doch so viele Leute unterschiedlichster Coleur anspricht und alle wirklich fein miteinander gefeiert haben. Es ist
schon großartig Nietenkaiser und Tuntenköniginnen miteinander zu Mossuraya vor der Bühne schwofen zu sehen..
Das 1. QUEER PUNK THINGY Festival fand 2004 statt. Nun gab es wiederum im September 6 Jahre später eine Neuauflage. Ist für dich das Festival ein kultureller Höhepunkt, weil so alle
Aktionsformen präsentiert werden können? Wird es nun regelmäßig stattfinden?
Wie viele Leute vielleicht aus eigener Erfahrung wissen, macht es ganz schön viel Umstand, so ein Festival auf die Beine zu stellen, zumal unsere Gruppe über Europa verteilt ist und ein
eigentliches Zusammentreffen auf Plenumbasis nur höchstens zwei- dreimal stattgefunden hat. Der Rest lief übers Netz, und das war teilweise ganz schön anstrengend. Natürlich ist es dann
einfacher, sich mehr Vorlauf zu geben, um möglichst viel auf die Reihe zu bekommen. Es hat sich auch als schwierig herausgestellt, überhaupt KünstlerInnen zu finden, die gleichermaßen ins
Spektrum Queer und Punk passen (im weitesten Sinne). Davon gibt es echt nicht viele und wenn, dann sind die über den ganzen Globus verteilt. Wir haben die Priorität gehabt, das ganze Ding zum
‘Subkultur-Preis’ anzubieten, und somit wäre es nicht möglich gewesen ,alle Leute von überallher einfliegen zu lassen, da wir jedes mal nicht wussten, ob sich das Festival überhaupt tragen würde.
Ein bisschen Poker isses immer. Wir machen das nächste Festival, wenn wir wieder Bock drauf haben. Wann, is noch nicht absehbar.
Warst du mit dem Verlauf zufrieden? Was hat dir am Festival besonders gut gefallen? Wo lagen die Kritikpunkte?
Arthur sagt:
„Die Stimmung ist trotz der ganzen, zum Teil sehr unterschiedlichen Menschen echt großartig gewesen.“
Anna schreibt:
„Es gab keinen Stress zwischen den BesucherInnen und die Leute waren krass harmonisch miteinander unterwegs! Es war fast so hippiemäßig wie’s sich liest.“
Guido W. sagt:
„Krasse scheiße, ich dachte, die hätten wir schon längst gespalten! Da kriegt man’s ja mit der angst zu tun!“
Gregor G. sagt:
„Ich wünsche mich wieder in die DDR zurück.“
Udo Voigt beschwert sich:
„[..]und nächstes mal vergewaltigen sie meinen Flohzirkus und keiner greift ein!“
Die BILD titelt:
„Drohender Erstschlag! – eine Hass-Szene aus stacheligen Punker-Mädchen und langen Kerlen ohne Haare anne Beene rottet sich zusammen um die Hauptstadt ins Chaos zu stürzen! Erste Berliner haben
sich bereits angesteckt!“
Kontakt:
http://www.queerpunk.org/