Punk statt Postgender, Agitation statt Arbeit, Radikal statt Rassismus: Respect My Fist aus Berlin stellen sich gegen Herrschaft, Normen und den alltäglichen Gesellschaftsirrsinn. Mit ordentlich Rotz unterm Rock ziehen die Sekretärinnen für feministische Propaganda durch linke Zusammenhänge und verkuppeln Katy Perry mit Manowar.
Respect My Fist spielt nicht nur ihre Musik überall, sondern hält auch Vorträge
und Workshops.
Der Vortrag zu „Männlichkeitskonstruktion und Whitness im HC (und Emo)“ wurde ja schon mehrfach in Kombination zu den Konzerten angeboten.
Im Vortrag wird anhand von ausgewählten Songtexten und Bildern über verschiedene Rollenbilder und Subjektkonstruktionen der beiden nahen und doch so fremden Szenen diskutiert. Durch einen
ethnographischen Zugang werden Themen von HomoCore, Riot Grrrl & Heterosexismus als Reaktion auf Emo angeschnitten. Es geht vor allem um die Wahrnehmung und reflexive Arbeit zum Thema
Männlichkeit und Whiteness. Wer nimmt in den Szenen wie Raum ein? Wo lassen sich subversive Strategien/Handlungen oder Emanzipation ausmachen?
Neu hinzu kommt ein Empowermentworkshop: „Sexismus und Musik: Erfahrungsaustausch und Interventionsstrategien für Aktive in verschiedensten Musikszenen“.
„Der Workshop richtet sich an FLT Musiker_innen, DJ_anes, Veranstalter_innen, Tontechniker_innen und an alle, die in verschiedenster Form musikbezogen aktiv sind und Erfahrungen mit Sexismus
als Betroffene machen. Wir wollen uns darüber austauschen, was uns antreibt, was wir lieben, was uns wütend macht, wie wir mit Sexismus umgehen oder gern umgehen wollen und was Empowerment
diesbezüglich bedeuten kann.“
„Wir nehmen nicht hin, was die Gesellschaft definiert/ wir nehmen nicht hin, was ihr uns diktiert/ being subjects, not objects, proud of myself , dont preach! Change your fuckin‘ point of view!“ ; Eure Mädchen
“Wir nehmen nicht hin, was die Gesellschaft definiert” heißt es in “Eure Mädchen“. Welche Faktoren sind für euch wichtig, um euch selbstbewusst zu fühlen?
Andrea: Eine wichtige Frage ist für mich immer, was Selbstbewusstsein überhaupt ist und wer das definiert. Im Englischen steht der Begriff sehr nahe mit dem Wort „self awareness“
und das macht es bei mir aus. Sich selbst wahrnehmen und ein positives Gefühl mit sich selbst haben, das ist leider nicht so ganz einfach in einer Gesellschaft, bei dem vorgeschrieben wird was
gut ist, was gut aussieht, was Erfolg ist und wie dieser auszusehen hat. Dieses Streben nach kollektiven Idealen hat für mich wenig mit self awareness zu tun, dabei geht es vielmehr um mich und
wie ich meine Bedürfnisse schützen kann – und das dann unter anderem in Bezug auf Sexismus, Lookism und den Bedürfnissen anderer Menschen. Selbstbewusst fühle ich mich demnach, wenn ich einen Weg
oder Raum finde, mich (so wie ich bin) und meine Bedürfnisse zu schützen – das können spezielle queerfeministische Räume sein, meine Proberäume oder auf der Bühne mit tollen Publikum welches eine
supportet.
Tine: Für mich ist es wichtig in einem Raum oder einer Gruppe dabei sein zu können, ohne dass meine Anwesenheit in Frage gestellt wird. Wenn ich wahrnehme, dass ich mich erklären
muss, dass ich (z.B. in männerdominierten Räumen) als das Andere wahrgenommen werde und verbal oder durch Blicke etc. darauf verwiesen werde oder bewertet werde, dann fühle ich mich unwohl und
kann auch nicht selbstbewusst auftreten. Für mich hat das Gefühl von Selbstbewusstsein viel mit einem selbstverständlich-anwesend sein zu tun. Keine blöden Blicke oder Kommentare, sich nicht
erklären müssen, Personen um mich herum haben, die ähnliche – auch politische – Positionen haben wie ich. Und Anerkennung zu bekommen für das, was ich bzw. wir machen, das führt dazu, dass ich
mich selbstbewusst und wohl fühle. Das heißt nicht, dass ich immer und von allen will, dass wir abgefeiert werden, sondern eher dass uns mit Interesse und Wertschätzung begegnet wird.
Selbstbewusstsein stellt sich mit positiven Erfahrungen und Erlebnissen ein. Also z.B. Erfolgserlebnisse. Welche Stärken und Talente nutzt du, um erfolgreich zu sein?
Andrea: Mein Selbstbewusstsein hat wenig mit Erfolg oder Talent zu tun und das ist auch das, was ich nicht vermitteln möchte. Positive Erfahrungen und Erlebnisse können
vielfältig sein, unabhängig ob sie nach außen nach Erfolg aussehen. Erfolgsorientiert ist alles da draußen, das fängt im Kindergarten an und hat das Finale in der Schule/Studium/Job, hast du es
nicht geschafft, hast dann kein Selbstbewusstsein?
Es braucht viel mehr Räume um sich auszuprobieren, ohne dass etwas bewertet. Die angesprochenen positiven Erfahrungen können sich allein durch den Spaß an der Sache, der Motivation, der
FreundInnenschaft, durch geteilte Leidenschaften entwickeln.
Tine: Also positive Erfahrungen haben als solches für mich viel damit zu tun, ob ich mich wohl fühle und ob das, was ich mache wertgeschätzt wird. Das ist sehr häufig bei
Konzerten der Fall, die einen feministischen Hintergrund haben und/oder bei denen wir es mit lieben und umsorgenden Veranstalter_innen zu tun haben. Wenn ich diese Anerkennung und Wertschätzung
als Erfolg bezeichne, dann würde ich sagen hat das gar nicht so viel mit meinen Stärken oder Talenten zu tun, als vielmehr mit den Konzert_Räumen, in denen ich unterwegs bin.
„(…) kein Bock darauf meine Privilegien auszublenden(…)und wir müssen Privilegien reflektieren“ ist ein Textausschnitt aus „Radikal tanzbar“. Welche Privilegien sind dir denn zuteil
geworden? Strebst du danach, ein besserer Mensch zu sein?
Andrea: Ein besserer Mensch als was oder wer? Nö?
Geht es bei reflektierten, linken, sexismus- oder rassismuskritischen Denken darum? Es sollte eigentlich nicht um das Ego und meine eigene Aufwertung gehen, das wäre in meinen Augen nicht
gesellschaftskritisch.
Tine: Naja, in dem Songtext geht es ja darum, dass aus unserer Perspektive Feminismus nicht heißt sich an einer weißen heterosexuellen männlichen Mittelschichtsnorm zu
orientieren, was zur Konsequenz hat, dass dann weiße Hetera-Mittelschichts-Frauen auch diese Norm mitleben dürfen. Spielregeln und gesellschaftliche Normen werden ja dadurch nicht radikal in
Frage gestellt oder gar verändert.
Ich finde die Frage nach dem besseren Mensch sein wollen schwierig, denn ich denke es geht nicht darum, sich über andere Menschen, die gleiche (oder andere) Privilegien haben wie ich, irgendwie
moralisch zu erheben, sondern eher zu gucken, welche Vorteile habe ich z.B. als weiße Person in dieser Gesellschaft, wie bestärke ich rassistische Verhältnisse durch das Ausblenden meiner
Privilegien und was hat das für gewaltvolle und ausschließende Konsequenzen. Ich will nicht, dass Menschen gegen verschiedene Formen von Diskriminierung sind, weil sie bessere Menschen sein
wollen – ich denke auch nicht, dass das ein verantwortungsvolles Handeln nach sich ziehen kann. Es geht eher darum, sich klar zu machen, weniger gewaltvoll und ausschließend zu handeln und sich
immer wieder zu fragen, wie das möglich sein kann. Das ist auch grundlegend für mein Feminismusverständnis: verschiedene gesellschaftliche Machtverhältnisse radikal in Frage zu stellen und immer
zu überlegen, was hat das mit mir zu tun?
Die Definitionshoheit darüber, „wer was ist“, ist doch alleine schon ein Privileg! Gibt es konkrete Beispiele, an denen du über das Geschlecht fremddefiniert/kategorisiert wurdest und
soziale Ungleichheiten entstanden sind?
Andrea: Ständig…angefangen als Kind öfter gehört zu haben „…weil du ein Mädchen bist“
Als Musikerin ständig zu hören „als Mädchen…für ein Mädchen bist du…“ oder gar sexualisiert zu werden.
Sexistische Belästigung in allen Formen, die ich täglich erlebe – auf der Straße, in der Bahn…
Tine: Ich mache in Bands schon Musik, seit dem ich 14 bin, und damals kam ganz klar von außen die Kategorisierung „Mädchenband“. Diese Beschreibung zeigt ganz deutlich, was die
unbenannte Norm ist (eine Jungsband wird „Band“ genannt) und verweist auf soziale Ungleichheiten in den verschiedensten Musik_Räumen/ Musikszenen. Das haben wir dann auch anfangs als
Eigendefinition genutzt und erst nach und nach hinterfragt.
Und ja, die Möglichkeit zu haben, „Andere“ kategorisieren und einordnen zu können (und dabei gehört und anerkannt zu werden) weist auf eine privilegierte Position hin. Jedoch ist das Verhältnis
von Fremd- und Eigendefinition so eine schwierige Sache, weil sich die Kategorien und Worte, mit denen ich mich selbst beschreibe immer auch auf Kategorien und Worte von Außen beziehen, ich
teilweise einen vorgefertigten Rahmen in der Eigenbeschreibung gar nicht verlassen kann. Ich finde es allerdings cool für mich bzw. für uns, als Beschreibung Feministin zu nutzen oder von grrrrls
zu reden, um einerseits die soziale Position (Frau) zu benennen, aber auch eine bestimmte politische, kritisch-emanzipatorische Haltung.
Gehen diese Konstruktionen von Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität aus? Wie werden Abweichungen von diesem Modell – z.B. transgender, queer, Homosexualität – begründet und
sanktioniert?
Andrea: Ja und auch wieder verweise ich auf schon unzählige Menschen die das ausführlich beschrieben haben, die sich tagtäglich Mühe geben darauf aufmerksam zu machen. Aber
eigentlich steht schon alles in deiner Frage, es sind dann die Abweichungen, das Andere – und das wird sanktioniert. Ob verbal, mit Ausschluss aus Räumen, unsichtbar machen und nicht erwähnen in
der Sprache, bis hin zu körperlicher Gewalt.
Welche Möglichkeiten nutzt du, um auf bestehende Geschlechterverhältnisse einzuwirken?
Andrea: Allein der Umgang im Alltag macht für mich viel aus. Wie benutze ich Sprache, wie reproduziere ich damit Ausschluss, wie kann ich Privilegien teilen. Die einfachsten
Dinge sind dann doch nicht selbstverständlich.
Ganz praktisch arbeite ich als Sozialarbeiterin mit Jugendlichen und versuche da viel einzubringen. Alternativen aufzeigen, neue Räume für diese schaffen – Raum Erfahrungen zu teilen und bei
Diskriminierung zu intervenieren. Einfach Bewusstsein schaffen für verschiedene Formen von Ausgrenzung, ob Sexismus, Rassismus, Klassismus, Lookism… die Jugendlichen, mit denen ich arbeite, sind
alle davon betroffen oder reproduzieren es.
Dann nehme ich viel Einfluss darauf, dass ich als Schlagzeugerin bzw. Bassistin mit verschiedenen Bands auf der Bühne stehe, was nicht sehr selbstverständlich ist, gerade auch im Hardcore
Bereich. Ich organisiere seit Jahren Konzerte und gebe Vorträge zum Thema Männlichkeitskonstruktion und Whiteness auf Shows und Festivals oder Empowermenttrainings für FLT*I* in
Musikszenen.
Tine: Ich arbeite unter anderem für den Verein Ruby Tuesday(1), der seit 2009 Musikcamps für Mädchen/Frauen, Trans* und Inter* organisiert, darüber hinaus aber
auch Konzerte, Festivals und Workshops veranstaltet hat. Dies ist ganz klar ein Projekt, was den unterschiedlichen männerdominierten Musikszenen etwas entgegensetzen will und darüber hinaus auch
viel emanzipatorische politische Ansätze entwickelt, um sich gegen Mehrfachdiskriminierung einzusetzen und dementsprechend zu handeln. Das heißt es geht in unserer Arbeit nicht nur um Sexismus
und um Geschlechterverhältnisse, sondern um Fragen von unter anderem Rassismus, Klassismus, Ableismus (Benachteiligung von Menschen, die gesellschaftlich als behindert eingeordnet werden).
Ansonsten ist die Frage, wie eine auf das bestehende Geschlechterverhältnis einwirkt für mich eine, die sich auf mein alltägliches Handeln und auch meine Musik bezieht: Welche Erwartungen trage
ich an andere heran? Welche Sprache benutze ich? Über welche Witze lache ich? Welches Wissen (oder auch Musik, Literatur, Kunst, Filme) von wem trage ich als wichtig und bedeutsam weiter? Über
wen singe ich und für wen? Nach welchen Standards richte ich mich und was stell ich in Frage? Wie gehe ich mit Kritik (von wem) um, die an mich herangetragen wird?
Was wir unter Geschlecht verstehen, ist veränderbar. Hat sich deiner Meinung an diesem wichtigen Punkt eine Ernüchterung/Enttäuschung eingestellt, weil insbesondere individuelle
Entscheidungen oder Songtexte gegen klassische Rollenerwartungen nicht ausreichen?
Andrea: Ich wurde an ganz anderen Stellen und von Menschen und Szenen enttäuscht oder ernüchtert, wo Patches und Facebookseiten sich rühmen mit „wir sind so anti…“ aber dann
nichts kommt außer Sexismus und das Ausruhen auf den Privilegien. Was ich in Songs schreibe oder auf den Bühnen performe enttäuscht mich nicht und es kommen viele Menschen, welche sich bedanken,
das toll finden. Das ist mir dann auch wichtiger als die antisexistische Antwort für Typ XY zu sein.
Tine: Gesellschaftliche (Geschlechter_Begehrens)Normen zu hinterfragen und auch selbst diese nicht Leben zu können und_oder zu wollen führt für mich ganz klar auch immer wieder
zu Traurigkeit, Frustration oder auch Wut – gerade weil sie allgegenwärtig sind und ich in den verschiedensten Situation, ob Werbung, Gespräche mit Bekannten/Verwandten/Freund_innen, Songs,
Filmen damit konfrontiert werde. Es ist tatsächlich immer wieder eine intensive Auseinandersetzung notwendig um sich nicht zu ernüchtert oder enttäuscht zu sein, wenn ich merke, dass mein Handeln
oder das meiner feministischen Gruppe nicht das „große Ganze“ verändern kann. Ich denke, dass es notwendig ist andere Perspektiven auszutesten und einzunehmen, denn es ist nun mal leider auch so,
dass ungleiche Machtverhältnisse in gesellschaftlichen Strukturen und im individuellen Handeln unglaublich wirkmächtig sind. Zu hoffen, dass ein Songtext alle erreichen und viel verändern oder
umwälzen kann, würde dies vollkommen ignorieren. Meine eigenen Ziele anders und neu zu formulieren ist ein für mich möglicher und befriedigenderer Perspektivwechsel. Räume, Songs, Texte, Blogs zu
schaffen, die meine Position in der Welt sichtbar machen und anderen die Gelegenheit bietet sich darauf einzulassen und ein Stück weit in ihren Positionen, in ihrem Begehren, in ihrer Kritik etc.
wiederzufinden, oder gemeinsam spannende Fragen zu entwickeln, das ist für mich notwendig um mit Freude, Interesse und Fürsorge auch für mich selbst beständig emanzipatorisch politisch aktiv sein
zu können.
Ist RESPECT MY FIST auch eine Reaktion auf das patriarchale Musik-Business?
Andrea: Da wir in unseren Texten unter anderem auch unsere Erfahrungen teilen, wir viel Wut aus eben den Zuständen herausziehen, ja.
Tine: Respect My Fist ist auf jeden Fall ein Projekt für mich, was patriarchale und sexistische Strukturen in der Gesellschaft und in Musikszenen kritisiert, Normen hinterfragen
will, Ausschlüsse thematisiert, Erfahrungen mit Sexismus benennt, über Themen singt, über die selten in Songs gesungen wird (z.B. Songs über Menstruation, heternormativitätskritische Songs ect.)
und daran arbeitet Teil eines Netzwerkes vieler toller feministischer Künstler_innen zu sein.
Es ist aber für mich (und das ist auch eine patriarchatskritische Handlung) in allererster Linie ein Projekt, was versucht für uns und für unsere Höher_innen Songs und Performances zu schaffen,
in denen sie sich, ihre Lebenswelt oder auch Kritik ein bisschen wiederfinden können.
Dafür benutzt ihr Aspekte aus „Riot Grrrl“. Welche Relevanz hat für dich das Rebellentum in der Popkultur heute noch?
Andrea: Rebellentum in der Popkultur hat für mich meistens nicht so viel Relevanz, weil diese sogenannten Rebellen meistens Personen sind, in deren Statements und Positionen ich
mich gar nicht so wiederfinden kann, z.B. wenn weiße heterosexuelle Typen sich als wütende gesellschaftlich Marginalisierte darstellen. Ich finde es allerdings immer toll – egal in welchen
Musikszenen bzw. Kontexten – wenn Normen hinterfragt, gesellschaftliche Verhältnisse kritisiert, Irritationen erzeugt werden, mit Stereotypen gebrochen wird und dies dann Hörer_innen anspricht
und bestärkt, die sich sonst mit ihrem Begehren oder ihrer Identität selten wiederfinden können. In Bezug auf (hauptsächlich) Sexismus hat das ja die Riot Grrrl Bewegung gemacht und ist für mich
dadurch ein positiver Bezugspunkt.
Freiräume sind notwendig, „in denen Menschen sich artikulieren können, deren Stimme_Musik_Kunst in einer männlich und weiß dominierten Gesellschaft selten Gehör findet.“
Welche anti-sexistische Ideen und Aktionen können hieraus entwickelt werden und wie können diese auf Milieus einwirken, in denen Stereotypen reproduziert werden und
vorherrschen?
Andrea: Freiräume sind vielfältig vorhanden, sei es als Ladyfeste, speziellen Partys, Orte und Veranstaltungen organisiert von Menschen die sich diese Räume schaffen möchten. Das
Konzept von eben jenen Freiräumen besteht meist darin, den betroffenen Personen Raum zu geben und nicht auf den Sexismus ausübenden Privilegierten. Allein diese Tatsache, dass neue andere Räume
geschaffen werden, wirkt schon und macht sichtbar.
Tine: Freiräume sind in erster Linie notwendig um Orte zu haben, an denen es möglich ist freier von z.B. hetero_sexistischer Kackscheiße zu sein als an anderen Orten, sich
auszutauschen, zusammenzuschließen, zu bestärken und wohler fühlen zu können. Darin können Räume für neue_andere Perspektiven entwickelt werden, welche radikaler bzw. fundamentaler Normen und
gesellschaftliche Verhältnisse in Frage stellen. Gleichzeitig können z.B. in diesen Kontexten auch Worte, Formen des Benennens, sprachliche Formen ausgetestet werden, die dann natürlich auch in
andere Räume getragen werden. Wie diese einwirken ist allerdings auch eine Frage davon, wer wem zuhört, was wahrgenommen wird, wie mit Kritik umgegangen wird etc..
Zu einem emanzipatorischen kritischen Anspruch gehört meiner Meinung nach, dass ich genau zuhöre und wahrnehme, was für Perspektiven und Praktiken in den verschiedensten (z.B. antisexistischen
oder antirassistischen) Freiräumen entwickelt werden, das dann auch anzunehmen und dementsprechend zu handeln.
Unangepasstheit, Selbstbestimmtheit und feministische Politisierung sind wieder einmal Mainstream-kompatibel geworden. Ärgert dich das? Welche Vorteile hat das für gesellschaftliche
Prozesse?
Andrea: Die Frage ist ja, wer dieser Mainstream ist, der irgendwie „unangepasst, selbstbestimmt und feministisch ist“ – weiße mittelstands Frauen, die sich selbst feiern mit Sekt
auf dem neuesten Cover. Ich möchte nicht diese ausschließende Form des Feminismus unterstützen, wo Rassismus, Klassismus, Ableism nicht mitgedacht werden, weil Hauptsache „wir Frauen“.
Tine: Dass Unangepasstheit und Selbstbestimmtheit (von Frauen, Queers, Trans*) und feministische Politisierung Mainstream-kompatibel sind, ist mir neu. Es ist auch nicht
Subkultur-kompatibel. Würde mich aber gar nicht ärgern, wenn es so wäre
Es gibt einige wenige feministische Künstler_innen, die einen größeren Publikumsradius haben. Jedoch ist da manchmal gar nicht so sehr die Frage, wie feministisch, selbstbestimmt und unangepasst
sie bzw. ihre Texte sind, sondern eher wie sie wahrgenommen werden und für welches Publikum sie was bedeuten. Und das kann ja sehr unterschiedlich sein.
Ihr habt auch mit SOOKEE zusammen gearbeitet. Sookee fordert und praktiziert ja auch u.a. die Rückeroberung von negativen Zuschreibungen, wie „Bitch“, „Girl“ oder eben „Schlampe“. Frauen
als „Sprecherinnen“ werden geduldet, es ändert sich aber nichts an der männlichen Vormachtstellung im HipHop, wo Geschlechterrollen konserviert, nicht reflektiert werden. Welche Maßnahmen sind
notwendig, um „wertkonservierende“ Unterdrücker ihre Rechtfertigung von Missständen zu entkräften?
Andrea: Ich bin es eher Leid, immer andere aufklären zu müssen – eine Erwartungshaltung die oft an mich herangetragen wird, ich aber nicht als meine Aufgabe sehe.
Ich finde es wichtig alternative Räume, Freiräume für FLT*I*, welche auch für andere Formen von Diskriminierung sensibilisiert sind, zu supporten, um andere Realitäten sichtbar zu machen und zu
stärken. Es geht weniger um „die anderen – die wirklich Bösen“, sondern um jede Person einzeln, was sie mit ihrem Handeln beeinflussen kann, Räume sicherer gestalten und weniger Ausschlüsse
produzieren kann.
Tine: Ich denke, der Ansatz „Maßnahmen“ zu entwickeln um „Unterdrücker“ zu überzeugen, so läuft das nicht. Es geht hier ja nicht um den Austausch von Argumenten und dann gucken
wir mal, wer die besten Argumente hat oder so. Der Ansatz führt auf Dauer auch eher zu Mund-fusselig- reden, sich ständig aufregen, frustriert sein und so weiter, denn: marginalisierte
Perspektiven und Erfahrungen gelten selten als anerkennungswürdige Argumente.
Außerdem, mit der Norm im Rücken lässt sich leider auch leichter diskutieren, als wenn ich die Norm in Frage stelle. Will sagen: Ich möchte hier für eine Perspektive plädieren, die auch ein Stück
weit davon wegkommt den Anspruch zu haben anderen aufzuklären oder zu überzeugen. Es ist ja auch nicht so, dass ich als Feministin nun in jedem Fall weiß, wie der Hase läuft und allen, die es
nicht verstanden haben das nun erkläre. Es geht für mich eher darum, irgendwie coole und angenehme Orte zu schaffen, für mich und für andere, die unter anderem sexistische Verhältnisse, Räume,
Sprache, Performances nicht mehr ertragen können und wollen.
Der weibliche Körper ist zu einem Massenartikel geworden. TV-Zeitschriften, großflächige Plakate, Werbespots. Die Veröffentlichung und Präsentation des Frauenkörpers führt zur Annahme,
dass sich frau über ihren Körper identifiziert. Die wird auch in Teilen der Jugendkulturen übernommen. Sind Aktionen wie der Slutwalk somit kontraproduktiv?
Andrea: Generell sind Aktionen zur Benennung von Sexismus, Austausch und Sichtbarmachung von Diskriminierung sehr wichtig.
Meine Kritik würde eher dahin gehen, dass der Slutwalk in vielen Ländern leider sehr viele Ausschlüsse produziert hat und ein Happening für weiße Mittelstands-Frauen war und viel Kritik nicht
umsetzen konnte. Kritik gab es von Women of Color und anderen Menschen, die durch die Verwendung von Wörtern wie Slut bzw. der Protestform nicht nur nicht angesprochen, sondern auch
ausgeschlossen wurden, teilweise kam es auch zu rassistischen Vorfällen. Dazu reiht sich auch die Inszenierung von weißen, normierten, gesunden Körpern.
Tine: Aktionen und Demos wie der Slutwalk oder auch enter_the_gap!? in Hamburg sind für viele Menschen, die alltäglich Sexismus abbekommen und in verschiedenen Ausprägungen
sexualisierte Gewalt erfahren wichtig und bestärkend. Es geht darum zu sagen, dass egal wie sich Frauen, Queers oder Trans* kleiden, es gibt nie, niemals, in keinem Fall eine Rechtfertigung für
sexualisierte Gewalt. Dass diese Aktionen in Bezug auf was kontraproduktiv sein sollen, leuchtet mir in der Frage nicht ein. Normschöne, sogenannte weibliche Körper in der Werbung sind in erster
Linie immer noch Ausdruck davon, dass Frauen nicht als selbstbestimmt handelnde Subjekte betrachtet werden, sondern als vom männlichen Blick bewertbare Objekte. Beides, die Gründe für den
Slutwalk und die Art der Darstellung sogenannter weiblicher Körper in der Werbung etc. ist Ausdruck einer sexistischen Gesellschaft.
Die Geschlechterrollen haben in den letzten Jahren eine radikale Wandlung durchgemacht. So hat auch die Piratenpartei „Freie Selbstbestimmung von geschlechtlicher und sexueller Identität
bzw. Orientierung“ ins Parteiprogramm geschrieben(2). „Gesellschaftsstrukturen, die sich aus Geschlechterrollenbildern ergeben, werden dem Individuum nicht gerecht und müssen überwunden werden.“
Wo also kein Geschlecht mehr ist, gibt es auch keine Diskriminierung. Was macht diese Neutralisierung von Geschlechterdifferenz so gefährlich?
Andrea: Zwar ist „Neutralisierung“ – die Überwindung von binären Geschlechterkategorien und –zuschreibungen, erstrebenswert, doch hebt die Nicht-Benennung im Moment keine
gesellschaftlichen Verhältnisse und Machtstrukturen auf. Auf eben jene Kategorien muss zurückgegriffen werden um Unterdrückung, Privilegien und Macht benennen zu können.
Tine: Dass Geschlechterrollenbilder überwunden werden müssen oder geschlechtliche Identität selbst bestimmt werden, soll ist erst mal eine Zielformulierung, eine Forderung, ein
Wunsch sein. Trotzdem gibt es ja sexistische Strukturen und trotzdem hat die Tatsache als Junge oder Mädchen nach der Geburt bezeichnet und eingeordnet zu werden einen enormen Einfluss darauf
hat, wie dein weiteres Leben verlaufen wird, wie andere dich wahrnehmen, einordnen, was du erreichen kannst etc. Dies zu ignorieren ist tatsächlich höchst problematisch, weil es gesellschaftliche
Gewalt- und Machtverhältnisse nicht mehr benennbar und angreifbar macht. Somit verfestigen sich sexistische Strukturen. Es ist aus meiner Sicht immer beides notwendig: Sich einerseits gegen
Stereotype, Geschlechternormen und für Selbstbestimmung einsetzen, andererseits gegen sexistische strukturelle Machtverhältnisse kämpfen und diese auch zu benennen.
Anmerkungen:
(1) https://de-de.facebook.com/rubytuesdayberlin
(2) http://wiki.piratenpartei.de/Parteiprogramm#Geschlechter-_und_Familienpolitik