Patti hat in mehreren Bands gewirkt, ist Sängerin und Texterin bei CUT MY SKIN und hat ihre oft sehr persönlichen Gedanken in ihrem Zine „Life sucks” zusammengetragen und liebevoll gestaltet. Die Texte sind wie ein Seelenpuzzle aus einem Leben voller Liebe, Hass, Verzweiflung, Wut, Trauer, Angst, Hoffnung. Patti greift auch in Textinhalten und Songs wie „Menace” sexuelle Gewalt durch Männer auf…
“(…)not even tears to surrender, ’cause friendship will make the sun go shine. Some of are you are dead and gone(…)but hey, our unity will stay. I won’t forget you(…)”); Never forget; Patti Pattex
Gerade aber Bands wie THE SLITS, die sich auf der Bühne nackt gezeigt haben, wurden von der Presse immer nur als Objekt und auf Äußerlichkeiten beschränkt wahrgenommen. Obwohl Provokation
im PunkRock immer ein Mittel zum Zweck war, wurde sie oft missverstanden. Wenn du heute den Fernseher einschaltest, habe ich das Gefühl, das klassische Rollenverständnis hat sich gar nicht
geändert. In der Werbung kochen die Frauen und sagen „Mmmh”, Deutschland sucht das Top-Model, müssen schlank sein. Hat der Kampf gegen Sexismus versagt?
In den 20er Jahren waren die Frauen molliger, da standen die Typen da drauf. Jetzt sehen sie wieder aus, als wären sie magersüchtig. Ich weiß nicht, wen das anmachen soll. Die haben alle große
Titten, sind schlank und sehen aus wie Barbies. Finde ich voll Plastik, unerotisch. Ich mein’ THE SLITS oder TRIBE 8 sind ja sehr krass. Ich hab’ nichts dagegen, wenn sich Frauen auf der Bühne
ausziehen…hm, ich überleg’ gerade, wir hatten eine Band im Kob…wie hieß die noch mal…die Drummerin hat sich ihr T-Shirt ausgezogen und sich mit einem Lippenstift das Frauenzeichen auf die nackte
Brust aufgemalt. Die Band hatte eine ganz klare politische Aussage. Trotzdem standen da Typen und geiferten ‚Ah, die Titten wackeln so schön, wenn die trommelt‘. Obwohl die vielleicht gedacht hat
‚Mir ist warm‘.
Das Ding ist ja, wenn du sagst, ‚Ich bin gegen Pornos‘, heißt das nicht ‚Ich bin gegen nackte Menschen, nackte Frauen‘. Sondern wie das immer dargestellt wird, auch in der Werbung, wie du das
eben angesprochen hast. Die sexuelle Gewalt fängt im Kopf an. Gegen nackte Menschen hat ja niemand was!
Wenn sich im PunkRock früher Frauen auf der Bühne ausgezogen haben, war das Provokation, aber auch die Einstellung ‚Hey, ich bin eine Frau, ich darf das auch‘.
Mir fällt auf, dass Punk noch sehr männerdominiert ist. Und auf Konzerte tanzen wenige Frauen, weil sie sich vielleicht nicht trauen, wenn vorne der Macho-Pogo tobt. Ist es denn deswegen
notwendig geworden, dass durch eine eigene Frauen-Kultur eigene Festivals gestartet sind, wo nur Frauen eingeladen wurden, um auch mal tanzen und feiern zu dürfen?
Ja, das glaub’ ich schon. Dass die Frau lernen kann, sich einfach mal gehen zu lassen. Ich mein, Brutal-Pogo macht keinen Spaß. Klar. Ich hab mich ‘79 beim ersten HASS-Konzert einfach in die
Menge geschmissen. Da war das im kleinen Rahmen und irgendwie lustig. Die umstehenden Leute haben mich aufgehoben, wenn ich hingefallen bin und ich hab gedacht ‚Ui, Pogo ist gar nicht so schlimm,
wie es immer aussah’. Und ich finde heute, je größer die Hallen sind, umso schlimmer ist der Tanzstil. Gewalttätig. Vorne die Macker. Wenn da jemand umkippt…
Aber was du meintest, wenn Frauen erst mal unter sich sind, um sich auszupowern, ist das gut, um auch mal die Hemmschwelle abzubauen ‚Ich trau‘ mich nicht, sind ja nur Männer’. Aber manchmal
denk’ ich auch, die Macker machen das voll extra. Weil die keinen Bock auf die Frauen haben…
Oder weil sie imponieren und ihr Revier abstecken wollen…
Die wollen dich gar nicht. Und wenn da drei Frauen stehen, die – sagen wir mal – klischeemäßig lesbisch aussehen, dann musst du mal die Macker sehen. Also, wenn Blicke töten könnten. Ich weiß gar
nicht, warum Männer Frauen so hassen. Die haben den gar nichts getan. Nur die bloße Anwesenheit reicht schon aus. Und weil sie sich nicht so verhalten und benehmen, wie die Macker sie gerne
hätten, ziehen die so’n Hass. Werd’ ich nie begreifen!
Hast du beobachten können, wie sich in unserer Gesellschaft das Rollenverständnis der Frau geändert hat? Wo früher das Mädchen entschieden hat, ich breche mit 15 Jahren die Schule ab und
heirate, um meinen Mann zu umsorgen und heute Beziehungen der Frauen aufrecht erhalten werden, aus Existenzangst oder selbstbewusste Frauen, die die Ehe als Gefängnis und Abhängigkeit
betrachten?
Ich finde das komisch, dass du so trennst zwischen heute und damals. Ich mein', früher ist mir das selbst nicht so aufgefallen, weil es mir auch egal war. Irgendwann wurde es politischer, wo ich
dann darauf geachtet habe, was um mich herum passiert. Für mich hat sich aber die Frage nicht gestellt ‚Bleibst du jetzt in Oberhausen, wirst Friseuse und kriegst 2 Kinder‘. Ich find’s ja auch
cool, wenn Frauen zu unseren Konzerten kommen. Richtig scheiße ist aber, was ich mitgekriegt habe, wenn 16-jährige junge Frauen so richtig abgehen und dann Minuten später neben einem Typen
stehen, der zu dir sagt ‚Willst du meine Fotze ficken?’‘und nicht darauf reagieren. Wie kann die mit so einem zusammen sein? Vielleicht sind halt eben auch viele junge Frauen im Punk dabei, weil
es – blödes Wort – Mode ist und Style hat, und zu Hause ganz anders sind und denken. Angepasst und unterdrückt bleiben. Die sehen dann so gestylt aus. Wie aus dem IMPACT-Katalog. Aber was steckt
dann dahinter? Vielleicht haben die auch noch nicht das Bewusstsein, Sexismus wahrzunehmen und ‘Wie viel lass ich mir gefallen?’. Also, wenn die auf einem DIE KASSIERER (oder sonstige Scheißbands
– weiß auch nicht, warum mir die wieder einfall’n, denn die Auswahl ist leider riesig, werd’ ma damit aufhör’n, sonst mach ich noch Werbung für die Penner, also nur als ein Beispiel) –Konzert
mitmachen, dann verstehe ich das nicht. Vielleicht machen die einfach nur so mit, weil sie nichts Besseres haben oder noch nicht von einem Frauen-Netzwerk gehört haben. Die lachen über
sexistische Witze.
Ich kenne da eine, die sagt „Ja, ich will mich von meinem Freund trennen. Der verkloppt mich immer, aber ich trau mich nicht“. Das ist ja echt schon total krass. Ich rede aber immer mit ihr, weil
ich das selber kenne und wie das ist, wenn frau Angst hat und sich nicht traut, darüber zu reden…
Gibt es für dich eine starke Frau, die dir wichtig ist?
Ja, klar. Wenn ich keine starken Frauen kennen würde, hätte ich auch nicht so ‘ne Stärke, dass alles durchzuhalten, weil ich das schon brauche, zu wissen, dass ich nicht alleine bin. Ist ein
wichtiges Ding, zu wissen, dass du nicht alleine bist. Ist immer wichtig, wenn du die ganze Zeit bombardiert wirst mit Scheiße, weißt du? Deswegen ist das gut und wichtig, einen Austausch haben
zu können und was öffentlich sagen zu können.
Bist du eher auch ein Gefühlsmensch, dem es einfach fällt, über Gefühle zu reden?
Ich bin, glaub’ ich, sehr offen. Es gibt eigentlich nichts, wofür ich mich schämen muss. Das Problem ist jemanden zu finden – also, wenn ich mal von einem Mann ausgehe – der das nicht affig,
hysterisch findet oder sagt ‚Das bildest du dir doch nur ein‘, ‚ist doch gar nicht so schlimm’. Ich bin doch nicht bescheuert. Ich bild’ mir doch keine Sachen ein. Und je mehr Leute ich habe, mit
denen ich darüber reden kann, je mehr ich da habe, die sagen ‚Oh, das ist mir auch schon passiert’, desto mehr kann ich sagen ‚Oh, Klasse, lass uns was dagegen machen und etwas dagegen setzen‘.
Ich mein’, darum geht es doch! Das geht ja nur, indem du dich öffnest und darüber redest oder dich bemerkbar machst, egal wie. Bloß anders kann ja niemand mitkriegen ‚Oh, da ist noch eine, der
geht es wie mir’. Das ist der Punkt, etwas zu starten, zu bewegen!
Patti erzählt, dass sie früher viel gelesen hat. Auf meine Nachfrage, was sie denn gelesen hat, entgegnet sie „Frauenbücher und -literatur.“ Ein weiterer Grund sei das persönliche Verarbeiten
nach einer Vergewaltigung. Ich unterbreche die Aufnahme und bin im ersten Moment schockiert. Aber auch irritiert, wie offen und direkt Patti ist. Aber nur diese Offenheit kann Frauen, die selbst
Opfer eines der schlimmsten, unmenschlichen Verbrechens – die Vergewaltigung – geworden sind, stärken und motivieren, ihre Ängste und das Trauma zu bewältigen. Und so folgt im beiderseitigen
Einvernehmen das intensive Nachempfinden in schriftlicher Form, was unbedingt in Pattis Sinne und Interesse ist…
Du hast dich nach deiner Vergewaltigung mit welcher Literatur beschäftigt?
Ich hab’ mich viel mit Pornografie befasst, nachdem ich vergewaltigt worden bin, um das mal zu schnallen, was da für einen Zusammenhang besteht. Das war sehr schmerzvoll und ekelig, aber ich hab’
das irgendwie verstanden, was damit zu tun hat…
Was hast du verstanden?
Den Zusammenhang von Pornos und Sexismus in jeglicher Form und Vergewaltigung. Es wird Profit gemacht mit dem weiblichen Körper zum Zweck der Lust für den Mann. Scheint harmlos zu sein, denn
natürlich wird das immer so dargestellt, als ob die Frau – oder besser das Objekt – Lust daran empfindet, erniedrigt und gequält zu werden. Was hinter den Kulissen abgeht , interessiert ja
niemand. Ich meine, wenn du weißt, dass es unglaublich viele Brutalo Pornos gibt, wo Frauen gefoltert, gefesselt und geknebelt, geschlagen und sadistisch zerstört werden, die Sexualorgane
natürlich mit Vorliebe, und es simulierte (und auch reale) Vergewaltigungen gibt, ist es ja wohl kaum verwunderlich, dass sowat auch passiert . Allein schon durch die Verachtung in der Sprache
ist klar, das dass Einfluss hat. Ich meine, nicht jeder, der sich ma`n Sexfilmchen angeguckt hat , wird automatisch zum Sexisten oder Vergewaltiger, aber da und vor allem in HartGewaltPornos geht
es immer um die Verfügbarkeit der Frau. Und wenn ich das alles weiß, brauch ich mir so was auch nicht anzuseh'n, um das zu verstehn.
Im Görlitzer Park zum Beispiel, in Berlin, sind öfter Frauen vergewaltigt worden. Die Frauen haben den Park als Abkürzung genommen. Nachdem das 3 bis 4 Mal passiert war, habe ich mich mit ein
paar Frauen zusammen getan. Es gibt im Park, glaub’ ich, 10 Eingänge. Wir haben also die Eingänge versperrt, hatten auch ein paar Infostände…da kam kein Mann durch. Einfach nur zu erwirken, damit
die mal checken, was das bedeutet, wenn du als Frau Angst hast, dass dir was passieren kann, überfallen oder vergewaltigt wirst. Und weil du Schiss hast, diesen Riesenumweg machen zu
müssen.
Die Reaktion von den Leuten war teilweise so krass. Die haben sich aufgeregt „Ihr blöden Fotzen, ich geh’ jetzt hier durch“. Es ging darum, das Bewusstsein zu wecken, was das für die Frau
bedeutet, die unfreiwillig nicht durch den Park geht, weil sie Schiss hat…
Gibt es für dich denn ein relevantes Strafmaß für Vergewaltiger?
Ich lehn’ ja eh die staatlichen Gesetze ab, weil…die sind unmenschlich und Frauen sowieso total für’n Arsch. Ich war schon desöfteren bei Gerichtsverhandlungen, wo es um Vergewaltigungen ging. Du
hast als Frau immer schlechte Karten. Du musst immer alles erzählen. Dann wirste noch angemacht ‚Warum läufste denn im kurzen Rock ‘rum?‘. Das ist noch mal verbale Vergewaltigung. Ich fand es
schockierend…ich hatte völlig absurde, perverse Rachegedanken. Wo ich selbst erschreckt war wie ich sowas denken konnte. Aber es war einfach diese Ohnmacht und der Schock ‘Wie kann dir jemand so
was antun?’. Die Typen können das nicht nachvollziehen. Für die reicht es nur zu ‚Ich steck’ mein Ding irgendwie ‘rein und das war’s. Das hat ja nicht weh getan. Was war denn so schlimm
daran?’.
Was das aber für die Frau bedeutet, wenn die Seele verletzt wird und ein Trauma hast, was du nicht mehr loswirst und Gewalt-Paranoia hast…Einfach mal nur rein körperlich betrachtet, wenn wir
jetzt mal die psychischen Prozesse weglassen…also, wenn das jemand wissen will, dann bind ich ihn an den Stuhl und ramm' ihm mal eine Stunde lang einen Stuhlbein in den Arsch. Und dann soll er
mir mal sagen, wie er sich danach fühlt. Das wär’ ungefähr vergleichbar. Wie du dich fühlst als Mensch…oder nicht mal mehr als Mensch…als Dreck. Ausgeliefert, du bist hilflos. Es ist kein Wunder,
dass die Frauen, die eine Vergewaltigung erlebt haben, sagen ‚Wir sind die Überlebenden, weil wir auch hätten drauf gehen können‘.
Polizei ist ja auch so super dabei, weil die so Ratschläge geben wie ‚Wehren Sie sich am besten nicht. Weil jeder Widerstand ….wie heißt es so schön…motiviert die Typen, weiterzumachen. Wenn Sie
nicht sterben wollen, machen Sie am besten gar nichts’. Ich mein’, was soll denn das?
Dann wehrst du dich nicht und gehst vor Gericht. Dann sagen die ‘Ja, Sie haben sich ja nicht gewehrt. Woher soll der Typ denn wissen, dass Sie das nicht wollten?’
So, dann wundern sich so viele Leute, warum die Frauen durchdrehen und verrückt werden, wenn es egal ist, was du machst und es immer falsch ist.
Und die Literatur hat dir geholfen, die Zusammenhänge zu verstehen?
Wenn du weißt, es gibt da Filme, die Standards sind, wo Frauen in echt vergewaltigt werden…diese Snuff-Filme, Frauen, die verschleppt wurden und nicht vermisst werden…erst vergewaltigt werden und
dann ermordet und verstümmelt..
Ich hab mit ein paar Frauen Plakate geklebt „Vergewaltiger, wir kriegen dich“ und dem Bild, kennst du ja. Und da gab es eines, das war nur so schwarz mit orangefarbener Schrift ‚Pornografie ist
die Anleitung zur Vergewaltigung und Mord an Frauen’. Und das bezieht sich darauf, dass Pornografie die Theorie und Vergewaltigung die Praxis ist. In vielen Hardcore-Pornos wird das auch so
dargestellt. Deswegen wundert es mich nicht, dass Leute, die sich so was reinziehen, für die muss das ja normal sein. Für die ist das im Kopf so ‘Die will das doch gar nicht anders’.
Und die Vorstellung, ich als Mann habe die Macht über dich und kann über dich bestimmen. Diese irrealen Filminhalte werden im Kopf abgespeichert und suggerieren eine falsche Welt. Dann
gehst du als Typ in die Großraumdisko, siehst die 15-jährigen halbnackten Hüpfdolls und denkst ‘Freiwild’. Das hat nichts mit Sex zu tun. Es geht um Macht!
Früher war ich auch so naiv, wo ich dachte ‚Vergewaltigung. Im Winter. Das ist kalt. Wie kriegt der einen hoch?‘ So blöde Fragen, die du dir so stellst. Wo du denkst, wo kommt die sexuelle
Erregung her?
Das ist das Machtgefühl der Männer. Mit jemand anderes tun zu können, was du willst, und die andere Person kann dagegen gar nichts machen. Das macht die Leute so an.