Tierbefreiung Hamburg versteht sich als Teil der Tierbefreiungsbewegung. Die global agierende Tierbefreiungsbewegung setzt sich für die Befreiung von Tieren aus dem ihnen gesellschaftlich auferlegtem Untedrückungs- und Ausbeutungsverhältnis ein und fordert damit einhergehend das Ende der institutionalisierten und systematischen Gewalt an Tieren. Im Unterschied zum traditionellen Tierschutz verfolgt die Tierbefreiungsbewegung nicht das Ziel der Reform der Gewalthandlungen an Tieren, sondern deren Abschaffung.
Das Verhältnis, das wir Menschen zu den Tieren aufgebaut haben, ist grundlegend durch Gewalt, Herrschaft und Ausbeutung charakterisiert. Dieses Verhältnis
erscheint derart ‚normal‘, dass die meisten Menschen darüber keinen Gedanken verschwenden. Die Opfer dieser Gleichgültigkeit sind die Tiere, deren Leben systematisch und durchorganisiert
gewaltsam beendet werden. Doch diese Normalität ist das Resultat eines stillen, gesellschaftlichen Übereinkommens, eines kollektiven Wegsehens, Verdrängens, Schweigens. Sie ist keineswegs
‚natürlich‘ und unveränderlich – die Ausbeutung der Tiere ist das Resultat menschlichen, gesellschaftlichen Handelns und somit von eben dieser Menschenheit auch überwindbar!
Das Schweigen zu brechen, hinzusehen und anzuerkennen, dass Tieren Gewalt angetan wird, ist der erste notwendige Schritt!
Die Aktivist_innen arbeiten vor allem im Rahmen von Kampagnen gegen tiernutzende Unternehmen, sind aber auch in den Bereichen Bildungs- und Aufklärungsarbeit sowie Vernetzung und Theorie
aktiv.
«Strategie heißt für uns: Das Problem der Tierausbeutung als gesellschaftlich vermittelt erkennen und infolgedessen das eigene Handeln auch
gesellschaftskritisch auszurichten»;
Barbara
Was bedeutet Tierbefreiung für dich?
Maria: Ganz kurz und einfach runtergebrochen erstmal die Befreiung von Tieren aus einem gesellschaftlichen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnis, in dem sie
heute in unserer Gesellschaft gehalten werden. Grundlage hierfür ist die Anerkennung ihrer Interessen und Bedürfnisse und die Prämisse, dass Tiere ein Anrecht darauf haben, diese Interessen auch
zu verwirklichen. Also dass sie so frei von Fremdbestimmung sind, wie es in einer friedlichen Koexistenz verschiedener Individuen eben möglich ist.
Welche Schlüsselerlebnisse sind dir im Gedächtnis geblieben, um sich aktiv für Tierrechte zu engagieren?
Barbara: Viele Leute denken, es müsse so ein Schlüsselerlebnis geben – die Schlachtung, die man als Kind beobachtet, der enge Kontakt zu einem „Haustier“, der
Fernsehbericht über Massentierhaltung. Sicherlich kommt das häufig vor, aber bei mir persönlich war das nicht so. Es war eher eine allgemeine und tiefe, wenn auch anfangs naive Abneigung gegen
Ungerechtigkeit. Als ich dann mit jemandem ins Gespräch über Tierausbeutung und Fleischkonsum geriet, hat sich einfach ein Schalter umgelegt, und ich habe plötzlich all die Verbindungen gesehen,
die ich vorher zu ignorieren gelernt habe. Ab da gab es kein Halten mehr: Ich habe mich in einer lokalen Initiative engagiert, an Blockadeaktionen und Go-Ins (1) teilgenommen,
habe Rechercheaufgaben ausgeübt und eigentlich jeden Tag für die Befreiung der Tiere gekämpft. Das hat sich bis heute – gut 10 Jahre später – nicht geändert.
Andreas: Bei mir war es auch eher ein stetiger Prozess, als ein bestimmtes Erlebnis. Auch ich hatte schon als Kind ein ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein, und
bin mit 12 Jahren Vegetarier geworden, des Weiteren habe ich mich damals für Tierschutz- und Umweltthemen interessiert. Als ich dann studierte, erfuhr ich, dass es Leute gibt, die vegan leben und
sich für Tierrechte einsetzen. Im Zuge einer umfassenderen Politisierung bin ich dann vegan geworden und habe gemerkt, dass für mich die Umstellung einer Lebensweise nicht ausreicht. Ich wollte
aktiv etwas für die Befreiung der Tiere tun.
Warum reicht es nicht aus, Tierhaltungsbedingungen „nur“ im Sinne des Tierschutzes zu reformieren?
Ansgar: Weil das Problem nicht darin liegt, wie jemand Opfer von Gewalt wird, sondern dass jemand Opfer von Gewalt wird. Der wesentliche Unterschied zwischen
Tierschutz und Tierbefreiung (bzw. Tierrechten) liegt in der Grundsatzfrage, ob Tiere legitimerweise von Menschen genutzt werden dürfen oder nicht. Wird diese Frage bejaht, bleibt lediglich, die
konkreten Bedingungen ihrer Ausbeutung und Tötung zu regulieren, beispielsweise indem „Kompromisse“ gefunden werden, die dann euphemistische Bezeichnungen wir „artgerechte Haltung“ oder „humane
Schlachtung“ erhalten. Für uns war das stets paradox und schlichtweg himmelschreiendes Unrecht, denn die These, dass die Ermordung eines Lebewesens dadurch zu rechtfertigen sei, dass dieses
Lebewesen im Vorfeld weniger Ausbeutung und Leid erfährt, spottet unserer Ansicht nach der Vernunft. Tierschutz ist lediglich eine Legitimationsideologie für die Ausbeutung der Tiere. Neuerliche
Entwicklungen wie die „Tierschutzsiegel“ für Tierprodukte, etwa von „Vier Pfoten“ (2) oder dem Tierschutzbund, verdeutlichen dies eindrücklich.
Die Tierbefreiungsbewegung hingegen lehnt Gewalt an Tieren konsequent als illegitim ab. Für die Agrarindustrie umfasst das sowohl die Einsperrung, Kontrolle und Zurichtung tierlicher Körper
während der Zucht und der Mast, als auch die letztendliche Schlachtung. Ähnlich sieht das natürlich im Zusammenhang mit Tierversuchen, Jagd, Bekleidungsproduktion (Pelz, Leder, Wolle etc.) aus.
Wenn die Grundsatzfrage der Nutzbarkeit von Tieren verneint wird, folgt daraus natürlich eine abolitionistische politische Ausrichtung, also eine auf die Überwindung der Tierausbeutung im
Allgemeinen zielende politische Praxis.
Maria: Natürlich heißt das nicht, dass nicht auch die Tierbefreiungsbewegung die Gesellschaft nur langsam und in Schritten verändern kann. Viele Kampagnen der
Bewegung, wie z.B. zur Abschaffung des Pelzhandels bestimmter Unternehmen, zielen daher auf mittelfristig erreichbare Ziele ab. Dabei wird jedoch, anders als beim Tierschutz, die Perspektive der
Abschaffung von Tierausbeutung immer deutlich gemacht und niemals reformistische Forderungen (z.B. bessere Haltungsbedingungen von „Pelztieren“) gestellt.
Inwieweit wird das Thema Gewalt in eurer Gruppe diskutiert? Welche Methoden werden von euch festgelegt, um die Verbesserung der Lebensbedingungen der Tiere zu erreichen?
Barbara: Das Thema Gewalt spielt natürlich konstant eine Rolle in unserer politischen Arbeit, da wir uns ja gegen (institutionalisierte) Gewalt an Tieren
engagieren. Darauf zielt die Frage ja aber wahrscheinlich nicht ab, sondern hier geht es sicherlich um die Frage der Gewalt im Hinblick z.B. auf sogenannte direkte Aktionen. Dies sind
illegalisierte Aktionsformen der Tierbefreiungsbewegung, z.B. Sabotageakte oder Tierbefreiungen, wie sie von der „Animal Liberation Front“ durchgeführt werden. Wir machen selbst keine solche
Aktionen, solidarisieren uns aber mit ihnen, und halten sie für einen wichtigen Teil der Strategien der Tierbefreiungsbewegung. Mit solchen Aktionen ist es möglich, direkt in den
Tierausbeutungsapparat einzugreifen, finanziellen Schaden zu verursachen oder direkt das Leben von Individuen zu retten. Bedingung bei diesen Aktionen ist jedoch stets, dass keine Menschen oder
Tiere zu Schaden kommen, sich die „Gewalt“ also stets nur gegen Sachen richtet.
Ob also der Gewaltbegriff für solche Aktionen angemessen ist, steht auf einem anderen Blatt und würden wir hinterfragen. Auch in der Gewaltforschung wird dies diskutiert und viele ForscherInnen
sind der Ansicht, dass im Zentrum von Gewalt immer ein verletzungsfähiges Individuum steht. Frei nach Brecht könnte man fragen: Was ist die Zerstörung einer Fensterscheibe gegen das Töten
eines Lebewesens? Wir selbst organisieren vor allem Proteste in Form von Demonstrationen und Kundgebungen, Kampagnenarbeit, zivilen Ungehorsam und Aufklärungsarbeit.
Wieso wird die Tierbefreiungsbewegung so stark kriminalisiert? Ein Testfeld für Repression?
Ansgar: Hier müssen zwei Repressionsfelder unterschieden werden:
Einzelfälle mit direktem Zusammenhang zu Aktionen und Repressionsschläge gegen Strukturen der Bewegung. Erstere sind in der Tierbefreiungsbewegung einfach deswegen häufig, weil viele Aktionen des
zivilen Ungehorsams (Ankettaktionen, Besetzungen, Go-Ins) passieren, aber im Strafmaß und dem Verfolgungswillen mit anderen sozialen Bewegungen vergleichbar.
Dann gibt es noch die „Kollektivdelikt“-Fälle, wo also eine Gruppe von Aktivist_innen, die beispielsweise eine Kampagne organisieren, oder zentrale Rollen in ihrer Region einnehmen, für allerlei
Aktionen verantwortlich gemacht werden soll, die im Rahmen einer Kampagne passiert sind. Solche Fälle gab es in den letzten Jahren in Österreich (278a-Verfahren), Spanien (Spanish 12), USA
(SHAC7) oder England (mehrere große SHAC-Prozesse). Diese Fälle sind wirklich besonders, da auf Grund der Organisation einer ganz normalen Protestkampagne AktivistInnen teilweise zu enormen
Haftstrafen verurteilt wurden, lange in U-Haft saßen, oder ihr Leben durch monatelange Prozesse völlig aus den Fugen geraten ist. Gründe liegen unserer Ansicht nach hier vor allem im ökonomischen
Druck, den die Kampagnen ausüben. Alle diese Repressionswellen wurden zur Wahrung ökonomischer Interessen der Tierausbeutungsindustrie (konkret: Pharmaindustrie, Agrarindustrie, Pelzindustrie)
eingeleitet. Wir bezeichnen diese Fälle daher auch manchmal als „Klassenkampf von oben“. Darüber hinaus scheint es plausibel, dass die Behörden und Repressionsorgane davon ausgehen, dass wenig
zivilgesellschaftlicher Gegenwind zu erwarten ist, da die Mehrheitsgesellschaft ja selbst von der Tierausbeutung profitiert. Der Österreich-Fall liegt da ein wenig anders, aber in England ist es
schon auffällig, dass mehrere Genoss_innen für 10-12 Jahre verurteilt wurden, weil sie zu Protesten gegen ein Tierversuchslabor aufgerufen und dieses dadurch „bedroht“ haben.
Was braucht es für effektive Strategien um Tierbefreiung zu erreichen?
Andreas: Du sagst das Stichwort bereits: StrategiEN. Jede soziale Bewegung braucht einen Strategienpluralismus, dessen gemeinsames Element eine geteilte
politische Position ist. In unserem Fall ist das - in Abgrenzung zum Tierschutz – die Ablehnung jeder Form der Gewalt an Tieren und nicht nur deren Reformierung. Wir selbst arbeiten vor allem im
Rahmen von Kampagnen gegen tiernutzende Unternehmen, sind aber auch in den Bereichen Bildungs- und Aufklärungsarbeit sowie Vernetzung und Theorie aktiv. Andere Gruppen setzen einen wesentlich
stärkeren Fokus auf die Verbreitung veganer Lebensweisen, wieder andere führen Recherchen in der Agrar- oder der Tierversuchsindustrie durch und gehen damit an die Presse. Die unmittelbare
Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner, also der tierausbeutenden Industrie, ist für uns jedoch weiterhin das Mittel der Wahl.
Maria: Ja, wir halten Kampagnen gegen die Tierausbeutungsindustrie für sehr wichtig, auch wenn diese sich derzeit eher in Feldern bewegen, die klassischerweise
vom Tierschutz besetzt sind (Pelz, Tierversuche). Bei diesen im Vergleich zur Agrarindustrie eher kleinen Branchen besteht aber die Möglichkeit, in kurzer Zeit Erfolge zu erzielen, und z.B. den
Absatzmarkt von Pelzprodukten zu verkleinern.
Barbara: Für wenig zielführend und zuweilen auch strategisch völlig falsch halten wir es, für die Durchsetzung eines „Vegankonsums“ oder gar eines „veganen
Kapitalismus“ zu kämpfen. Als Linke und Antikapitalist_innen können wir nicht akzeptieren, dass die globale Destruktivkraft des Kapitalimus' unangegriffen bleibt und sich die
Tierbefreiungsbewegung lediglich darum bemüht, es sich in den falschen Verhältnissen gemütlich und vegan einzurichten, während auf der ganzen Welt Menschen ausgebeutet werden und um ihre Rechte
kämpfen, während noch der letzte Rest Natur der Verwertungswut des Kapitals zum Opfer fällt und während im Interesse westlicher Staaten Kriege geführt, finanziert, oder mit Waffen beliefert
werden. Strategie heißt für uns also auch: Das Problem der Tierausbeutung als gesellschaftlich vermittelt erkennen und infolgedessen das eigene Handeln auch gesellschaftskritisch
auszurichten.
Ansgar: Natürlich ist für die Abschaffung der von dir, Barbara, angesprochenen Problematiken die ‚Veganisierung der Welt‘ von Vorteil. Bei diesem Anspruch
sollte es aber nicht stehen bleiben. Veganismus ist kein Allheilmittel für die derzeitigen globalen Probleme.
Wieso sieht die Linke nicht, dass Tier- und Naturbefreiung wesentlich zum Befreiungskampf dazugehören?
Barbara: Das ist sicherlich nicht einfach zu beantworten, da es ja „die Linke“ als homogene Strömung so auch nicht gibt und ein gewisser Teil „der Linken“
diese Thematik ja auch mit beachtet. Ein Aspekt, dem wir manchmal begegnen sind falsche Vorurteile darüber, dass eine Aufnahme von Tieren in den Kreis der zu berücksichtigen und vor Gewalt und
Ausbeutung zu schützenden Individuen Menschen automatisch deklassieren würde bzw. dem Kampf gegen menschliche Ausbeutung und Unterdrückung schaden würde.
Des Weiteren spielen die starke gesellschaftliche Normalisierung und Institutionalisierung von Gewalt an Tieren, von denen auch linke oder „kritische“ Individuen nicht frei sind, sowie die
Unfähigkeit, sich mit eigenen Privilegien und der eigenen Verantwortung an einem Gewaltverhältnis (z.b. durch Fleischkonsum) auseinanderzusetzen (Analog zur Geschichte der (linken) Frauenbewegung
in den 60er und 70er Jahren) sicherlich auch eine Rolle.
Ansgar: Nicht zuletzt ist auch der Zustand gerade der oftmals subkulturell geprägten und zum Teil pseudo-politischen autonomen Szene mit dafür verantwortlich,
dass Tierbefreiung und ökologisches Engagement hier zum Teil diskreditiert werden. Ich denke da u.a. an den immer stärker werdenden Einfluss sogenannter Antideutscher, aus deren Reihen seit
Jahren gegen Veganismus und die Tierbefreiungsbewegung ins Felde gezogen wird, oder von denen Kampagnen gegen (tierausbeutende) Unternehmen als ‚verkürzte Kapitalismuskritik‘ gebrandmarkt werden.
Im Wesentlichen müsste bei dieser Frage auch erstmal geklärt werden, wer oder was die „Linke“ überhaupt sein soll, denn für uns ist so manche selbsternannte-linke Gruppe alles andere als
links.
Maria: Das Letztere ist zum Teil auch ein eher spezifisch deutsches Problem. Ich habe es in anderen Ländern, z.B. USA oder Schweden viel eher erlebt, dass
Tierbefreiung ganz selbstverständlich als ein Teil der dortigen linken Bewegungen verstanden wird. Die Bewegungen überschneiden sich dort zum Teil viel stärker.
Warum ist Tierbefreiung demnach auch eine Klassenfrage?
Andreas: Schauen wir uns zum Beispiel die Form, unter der gegenwärtig Nahrungsmittel produziert werden, an. Produziert wird nicht, um Bedarfe oder Bedürfnisse
von Menschen zu befriedigen, sondern um die produzierten Güter auf dem Markt zu veräußern. Oder anders ausgedrückt, die Bedürfnisse von Menschen sind Agrarkonzernen erst einmal egal, denn die
Produktion folgt den Notwendigkeiten fortschreitender Kapitalakkumulation. So ist es halt nach der ökonomischen Rationalität im Kapitalismus egal, ob da Menschen unter unsäglichen Bedingungen
schuften oder sie schlichtweg hungern müssen, weil sie die produzierten Nahrungsmittel nicht bezahlen können. Aber auch Tiere gelten im kapitalistischen Produktionsprozess nicht als einzigartige
Individuen mit eigenen Bedürfnissen und Interessen, sondern als austauschbare Ressource, Produktionsmittel oder Ware. Das heißt, die Ausbeutung von Menschen und von Tieren hat eine gemeinsame
ökonomische Basis. Gestützt wird das Ganze dann von verschiedenen Ideologien, die dieses Verhältnis als unveränderlich und natürlich erscheinen lassen. So legitimiert etwa die speziesistische
Ideologie, dass „Tiere für uns da sind“, „es schon immer so war“ und so weiter. Das Perfide daran ist aber, dass es gemessen am technisch und gesellschaftlich Möglichen überhaupt keinen Grund
gibt, Tiere auszubeuten, um Menschen mit Lebensmitteln zu versorgen. Genauso wie es einen Zynismus darstellt, dass Menschen Hunger leiden, obwohl seit Jahrzehnten genügend Nahrungsmittel
produziert werden, um alle Menschen ausreichend zu ernähren.
Maria: Man kann das vielleicht mit Blick auf die zuvor genannten konfrontativen Kampagnen verdeutlichen. Diese zielen ja darauf die Berücksichtigung der
Bedürfnisse von Tieren in bestimmten Industrien durchzusetzen. Unternehmen haben von sich aus kein Interesse daran, auf die Ausbeutung von Tieren zu verzichten. Und sie wehren sich mit allen
ihnen möglichen Mitteln. Sie betreiben Lobbyismus, um Sondergesetze zu erwirken, die Tiere nutzende Unternehmen vor öffentlicher Kritik schützen, wie z.B. in den USA. Staatliche Akteure, deren
Ziel es immer auch ist, die gegenwärtige Gesellschaftsordnung aufrecht zu erhalten, reagieren mit Repression, wenn sie Kapitalinteressen gefährdet sehen. Das wurde beispielsweise in Österreich
bei den Ermittlungen gegen TierrechtlerInnen deutlich oder bei den Verurteilungen von Aktivist_innen die in die SHAC-Kampagne involviert waren. Die antagonistischen Positionen werden in solchen
politischen Kämpfen offenbar. Das Verwertungsinteresse des Kapitals steht der Perspektive einer freien Gesellschaft, in der Bedürfnisse von Menschen aber auch von Tieren oder der Schutz
natürlicher Lebensgrundlagen eine Berücksichtigung finden, diametral entgegen. Repression kann insofern auch als eine Form des Klassenkampfs von oben verstanden werden.
Inwieweit ist eine antikapitalistische Kritik an der Tierausbeutung notwendig?
Ansgar: Tiere werden in unserer Gesellschaft fast ausschließlich danach betrachtet, welchen Nutzen sie für Menschen haben. Das hat natürlich etwas mit einer
Wirtschaftsweise zu tun, die nur auf Verwertung und die Maximierung von Profit ausgerichtet ist. Denn in der kapitalistischen Produktion treten die Bedürfnisse und Interessen von Tieren hinter
ihren Wert zurück. Das heißt, wenn es uns darum geht, das Mensch-Tier-Verhältnis tatsächlich zu ändern, bedarf es auch der Überwindung dieser zutiefst destruktiven Ökonomie. Wir sind der Meinung,
dass ethische Appelle an einen „korrekten Konsum“ zwar nicht falsch sind, dass sie aber auch gesellschaftliche Probleme, wie zum Beispiel Tierausbeutung, und dass Menschen Hunger leiden,
individualisieren. Es kommt halt auch darauf an, eine Wirtschaftsweise, die diese Probleme systematisch hervorbringt, grundsätzlich zu verändern, und dies funktioniert nicht ausschließlich über
Konsumentscheidungen.
An der Uni in Bremen sind Tierversuche an Affen rechtlich erlaubt worden und ethisch begründet. Die Bremer Universität sah in der Anklage einen Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit. Die
Affen litten kaum unter den Experimenten hieß es. Kann mensch überhaupt Leiden messen?
Andreas: Das ist eine interessante Frage, die ja auch in der Diskussion um utilitaristische (tier)ethische Ansätze immer wieder diskutiert wird. Da Leid von
Individuen erfahren wird, hat es natürlich immer auch eine subjektive Komponente, und ist von außen, erst Recht, wenn die Opfer nicht in der Lage sind, sich sprachlich angemessen mitzuteilen, wie
im Falle von Tieren, schwer erfahrbar oder objektiv messbar. Gerade in der wissenschaftlichen Forschung zu Tierschutz wird sowas zum Teil aber versucht. Wir sind jedoch der Meinung, dass es für
die Frage der Legitimität der Tiernutzung nicht so sehr von Bedeutung ist, wie stark Tiere unter ihre Behandlung leiden. Wir erachten es generell als illegitim, andere Lebewesen für Zwecke zu
nutzen, die nicht ihre eigenen sind, d.h. sie einzusperren, ihnen Gewalt anzutun und sie letztendlich umzubringen. Auch Affen im Versuchslabor des Herrn Kreiter erleiden Gewalt und leben in
Gefangenschaft.
Wenn wir von Tierrechte sprechen, dürfen wir Menschenrechte nicht ausklammern. Sind Tierrechte analog zu Menschenrechten zu verstehen?
Ansgar: Ja und nein, eben je nach Perspektive. Es gibt Projekte wie das Great Ape Project, das Menschenrechte für Menschenaffen durchsetzen will, mit einem
juristischen Vormund und positiven Rechten, die von diesem Vormund stellvertretend für den Affen eingeklagt werden können. Unserer Ansicht nach bezieht sich der Tierrechtsbegriff in der
Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung jedoch zumeist nicht auf Rechte im juristischen Sinne, sondern um Rechte im philosophischen Sinne. Bezeichnenderweise handelt es sich bei der Gruppe
„Menschen für Tierrechte“ de facto um eine Tierschutzorganisation, die das Tierschutzrecht verbessern will. In der Tierrechtsbewegung hingehen bezieht sich der Begriff meist auf abstrakte
Forderungen nach Rechten für Tiere, etwa auf körperliche Unversehrtheit oder Freiheit.
Barbara: Es darf auch nicht vergessen werden, dass Menschen Rechtssubjekte sind, die können Ihre Rechte einklagen und kämpfen weltweit für die Durchsetzung
eben dieser. In diesem Sinne wären analoge Tierrechte absurd. Ich denke mit Tierrechten wird im wesentlichen eine soziale Bewegung beschrieben, die eine Zäsur in der Mensch-Tier-Beziehung
hinsichtlich der „Entrechtung“ und Ausbeutung von Tieren einfordert. Letztendlich halten wir als Gruppe den Begriff in vielen Kontexten jedoch für irreführend und nutzen meist „Tierbefreiung“.
Letzterer ist jedoch weit weniger gebräuchlich und leider häufig missverständlich, da in der Rezeption meist die physische Befreiung aus Käfigen im Vordergrund steht und nicht die von uns anfangs
beschriebenen gesellschaftliche Befreiung.
Maria: Des Weiteren muss man natürlich die faktische Umsetzung von Menschenrechten kritisch betrachten. In vielen Ländern sind Menschenrechte formal ermöglicht
bzw. gesetzlich verankert. Hinter diesen Schritt sollte natürlich auch nicht zurückgegangen werden. Trotzdem gibt es weiterhin Ungleichheitsverhältnisse, Diskriminierung, Armut etc. innerhalb
dieser Gesellschaften. Auch mit z.B. der formalrechtlichen Gleichberechtigung der schwarzen Bevölkerung in den USA ist der (strukturelle) Rassismus dort noch lange nicht verschwunden.
Global gesehen reichen politische Freiheitsrechte nicht aus, um eine wirklich gerechte Gesellschaft zu erreichen, soziale Rechte wie z.B. das Recht auf Nahrung und medizinische Versorgung, sind
ebenso wichtig.
Rein hypothetisch gesprochen bin ich der Auffassung, dass auch bei der Durchsetzung von Tierrechten im grundrechtlichen Sinne die Tiere noch lange nicht befreit sind.
Öffentlichkeitsarbeit ist wichtig, auch für radikale Themen und Ideen. Welche Möglichkeiten ergeben sich durch eure Arbeit, das Bewusstsein in Teilen der Gesellschaft zu
verändern?
Andreas: Im Endeffekt ist ja jede Demonstration oder Kundgebung eine Form der Öffentlichkeitsarbeit, da wir in der Öffentlichkeit auf bestimmte
Tierausbeutungsformen, sei es Pelz, Tierversuche oder Fleisch, aufmerksam machen und die Öffentlichkeit darüber informieren, z.B. dass ein Unternehmen weiterhin Pelz verkauft. Einen
Bewusstseinswandel werden wir durch das Verteilen von Flyern und so weiter sicherlich in den seltensten Fällen erreichen, was einfach damit zusammenhängt, dass Tierausbeutung in unserer
Gesellschaft strukturell fest verankert ist. Aber Informations- und Aufklärungsarbeit ist auf jeden Fall ein erster wichtiger Schritt. Die klassische Öffentlichkeitsarbeit, also die
Zusammenarbeit mit den Medien, wird von der Tierbefreiungsbewegung bisher leider noch zu oft gemieden oder wenig professionell gemeistert. Hierfür wäre es sicherlich von Vorteil, wenn die
Bewegung über eine überregionale Organisation mit Presse- und Öffentlichkeitsabteilung verfügen würde.
Ansgar: Letztlich kann man natürlich den Output von Aktionen, die auf die Öffentlichkeit abzielen, schwer evaluieren. So ist z.B. meistens unklar, wie Menschen
Flugblätter rezipieren, und ob sie nach dem Lesen ihre Einstellungen oder sogar ihr Verhalten ändern. Wichtig ist uns bei unseren Aktionen auf jeden Fall, dass wir immer wieder das Thema Tiere
bzw. Tierausbeutung in den Mittelpunkt rücken. Wir möchten, dass die Menschen ihre Einstellungen zu Gewalt an Tieren aus antispeziesistischen bzw. politischen Gründen ändern, und nicht, weil z.b.
Veganismus von gesundheitlichen Vorteilen begleitet sein kann.
Barbara: Ich sehe unsere „Tierbefreiungsvokü“ auch als einen Ort an, an dem wir Informationsarbeit bzw. politische Bildung leisten. Zwar ist das eher ein Raum,
wo sich Menschen versammeln, die bereits vegan sind, aber auch diese wissen teilweise recht wenig über die Tierbefreiungsbewegung bzw. linke Politik. Durch Vorträge und Filme versuchen wir z.B.
über spezielle Aspekte der Bewegung (z.B Repression) zu informieren oder andere für uns ebenso wichtige politische Themen an Leute heran zu tragen.
Was sind die Voraussetzungen, damit das öffentliche Problembewusstsein wächst und Tierrechtsaktionen akzeptiert werden?
Barbara: Das ist natürlich ziemlich komplex. Ich würde ein zunehmendes Problembewusstsein schon einmal als ersten Erfolg sehen und die größere Akzeptanz von
Tierrechtsaktionen als wünschenswerte Folge dessen. Ein solches Problembewusstsein könnte aus einem öffentlichen (im Gegensatz zu einem bewegungsinternen oder wissenschaftlichen) Tierrechts- oder
Tierbefreiungsdiskurs resultieren. Dabei wird von Medien vor allem das aufgegriffen und wahrgenommen, was von politischer Bedeutung ist:
- durch stattfindende politische Entscheidungsprozesse,
- unkonventionelle politische Handlungen z.B. direkte Aktionen,
- aber auch Handlungen der Rechtsprechung und Strafverfolgung.
Fraglich ist, ob es sich derzeit bei den Diskussionen rund um Tierbefreiung und Tierrechte um gesellschaftlich relevante Konfliktlinien handelt und ob genügend Akteur_innen beteiligt sind, die die öffentliche Meinung durch Argumente und Strategien zu beeinflussen versuchen. Akteur_innen großer Vereine wie Peta oder der Albert-Schweitzer-Stiftung können sich mehr PR leisten als informelle, Grassroots-Gruppen wie wir, die ganz andere Ressourcen und Möglichkeiten haben. Oft lässt sich nicht voraus ahnen, welche gesellschaftlichen Ereignisse einen Umschwung in den öffentlichen Debatten und damit einen gesellschaftlichen Wandel bewirken. Eine bessere Struktur und Organisation unserer Bewegung würde da jedoch zumindest eine bessere Voraussetzung erfüllen.
Ich denke, dass das Gewissen mit dem Konsum einhergehen kann und über die Ernährungsänderung hin zum Veganismus viel erreicht werden kann. Entdeckst du heute einen Trend, eine gestiegene
mediale Aufmerksamkeit in Bezug auf vegetarische/vegane Ernährung?
Maria: Ja, dieser Trend ist ja recht eindeutig. Debatten und Diskurse um Fleischkonsum, Vegetarismus und Veganismus sind ja ‚in aller Munde‘. Einerseits ist
das natürlich positiv zu bewerten, dass Veganismus nicht mehr nur ein Nischendasein fristet, und immer mehr Leute vegan werden, oftmals auch aus ethischen Gründen. Andererseits beobachten wir
durch die Popularisierung von Veganismus auch eine zunehmende Entpolitisierung dessen.
Andreas: Ja, ich würde das auch so sehen. Im öffentlichen Bewusstsein spielen Vegetarismus und Veganismus heute sicherlich eine größere Rolle. Diese gestiegene
mediale Aufmerksamkeit ist natürlich zu begrüßen und vielleicht setzt bei dem einen oder der anderen auf diesem Wege ein Bewusstseinswandel ein. Allerdings sollten wir als Tierbefreiungsbewegung
diesen Trend auch nicht überbewerten. Zum einen folgt die mediale Berichterstattung auch bestimmten Wellen. Und ein Thema, das heute im Fokus steht, verschwindet auch wieder schnell von der
Bildfläche. Zum anderen handelt es sich ja im großen und ganzen nicht um einen Tierbefreiungsdiskurs. Meistens steht das Thema Fleisch im Zentrum und andere
Tierausbeutungsformen werden vernachlässigt. Und auch der Fleischverzicht wird dann weniger politisch, sondern ethisch oder ökologisch oder gesundheitlich begründet. Um eine grundlegende
Befreiung der Tiere aus ihrem Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnis geht es kaum. Vegetarismus und Veganismus werden viel mehr als ein Lifestyle gesehen, also als eine ökologisch und ethisch
bewusste Form des Konsumierens.
Barbara: Man merkt halt an diesem Phänomen recht deutlich, wie der Kapitalismus das widerständige Potential der Idee des Veganismus absorbiert bzw. integriert.
Vegane Produkte sind dann einfach ein neuer Markt, Veganismus eine Art Lifestyle, der zwar an Bedeutung gewinnt, den man aber auch ebenso schnell wieder ablegen kann, wenn etwas anderes „in“ ist.
Des Weiteren glauben wir auch, dass sich Tierbefreiung nicht lediglich durch eine Änderung persönlichen Konsumverhalten ändern lässt. Wir halten z.B. Diskussionen darüber, ob nun der
Etikettenkleber eines bestimmten Produktes vegan ist, nicht für zielführend. Um eine Gesellschaft zu erreichen, in der Menschen und Tiere befreit sind, kommt es auf eine grundlegende Veränderung
der Produktionsverhältnisse an. Ein Wirtschaftssystem, das auf Profit anstatt an den Bedürfnissen von Menschen und Tieren ausgerichtet ist, kann niemals frei von (Tier)Ausbeutung und
Umweltzerstörung sein.
Wer kämpft, braucht auch Erfolge. Welche Erfolge hast du erzielen können?
Andreas: Wir haben an erfolgreichen Kampagnen gegen pelzverkaufende Modehäuser wie ESCADA oder Peek und Cloppenburg teilgenommen und tragen durch unsere
Aktionen gegen Tierversuche dazu bei, dass die Pharmaindustrie weltweit in Bedrängnis gerät. Als kleiner Teil einer weltweiten Bewegung konnten wir zum Beispiel mit dazu beitragen, dass viele
Airlines keine Tiere mehr an Versuchslabore liefern(3). Aktionen wie unsere Jagdstörung Ende 2012 sind natürlich unmittelbar erfolgreich, weil sie Tieren das Leben retten. Die meisten Erfolge
sind jedoch schwer messbar, wir sind aber überzeugt davon, dass wir zur Stärkung und Vernetzung der Tierrechtsbewegung beigetragen haben und unser Anliegen einer breiten Öffentlichkeit darstellen
konnten. Nicht zuletzt ist für uns auch ein Erfolg, zu wissen, dass so mancher Pelzfarmer oder so mancher Vivisektor wegen uns schlecht schlafen kann. Zu wissen, dass der politische Gegner uns
ernst nimmt und dass wir diesen zusammen mit unseren internationalen Genoss_innen unter Druck setzen können, ist ein sehr motivierender Gedanke.
Maria: Ich betrachte auch die Arbeit, die wir ‚für die Bewegung‘ geleistet haben, als einen Erfolg. So haben wir zweimal Kongresse organisiert, bei denen
jeweils bis zu 200 Teilnehmer_innen anwesend waren. Dort wurden zentrale Problemstellungen der Bewegung diskutiert und hoffentlich Impulse geliefert, Strategiefragen und Ziele politischen
Handelns unserer Bewegung kritisch zu reflektieren.
Infos/Kontakt:
http://www.tierbefreiung-hamburg.org
Anmerkungen:
(1) Ein Go-in ist eine Demonstrationsform. Hier geht es darum, eine Universitätsveranstaltung (z. B. eine Vorlesung) zu stören, zu sprengen oder umzufunktionieren.
(2) http://www.vier-pfoten.de/
(3) Informationen über den Air France/KLM Transport von “Versuchs”tieren: http://www.tierbefreiung-hamburg.org/wp-content/uploads/aff_kl.pdf