Abschaffung der Jagd
- oder der seltsame Tod von Herrn Bahrs
(ein leicht überarbeiteter Artikel aus UNDERDOG #4)
“Im Wald, da sind die Räuber” heißt es in einem bekannten Kinderlied. Im Wald unterwegs sind aber auch Natur- und Wanderfreunde, Familien mit Kind und Kegel, Fahrradtouristen mit Picknickkörben, die allesamt im grünen Wohnzimmer Erholung suchen. Dann aber gibt es eine Spezies, die mit grünen Jacken, festem Schuhwerk, Knickerbocker und Kniestrümpfen und komisch geschmückten Hüten (meist mit einer Fasanenfeder bestückt) bekleidet – zumeist Sonntag Vormittag (denn um 12 Uhr gibt es Mittag bei Muddi, und die droht mit dem Nudelholz, sollte mann sich verspäten) – im Dickicht umherschleichen. Zusätzlich ausgestattet mit Feldstecher, Flinte und Feldflasche tritt diese Sorte Mensch oftmals im Rudel auf: Der deutsche Jäger!
Am Sonntag ist der Wald touristenfrei. Dann wird der Wald zum Jagdrevier. Wer einmal dem Konzert der Vögel beiwohnen, dem Brunftschrei des Keilers miterleben und das Gebärden einer kackenden Kuh
mitansehen durfte, wird erstaunt sein, wenn urplötzlich das fremd-klingende blecherne unmusikalische Geräusch aus dem Jagdhorn erklingt, was der ahnungslose Wald- und Wiesenläufer vernimmt, wenn
die Jäger zur Treibjagd anblasen. Die Ruhe im Wald ist vorerst vorbei. Die Treibjagd beginnt. Der männliche Jagdinstinkt ist geweckt. Der Puls rast, das Herz schlagt schneller. Um die Nerven zu
beruhigen und den Kreislauf zu stabilisieren, hilft oft nur noch ein hochprozentiger Schluck aus der Feldflasche. Nicht selten erschüttern uns Naturfreunde Kunde von seltsam anmutenden dubiosen
Jagdunfallereignisse aus dem Lokalteil der Feld- und Wiesenpost, die in etwa so lauten könnten: „War es ein Anschlag linker Jagdgegner oder war es ein heimtückischer Unfall, der sich
letzten Sonntag Vormittag im Wald zugetragen hatte? Tatsache ist, dass sich aus dem Drilling von Herrn Bahrs ein Schuss löste, als er versuchte die Flinte zu entsichern. Dieser traf ihn direkt
zwischen die Augen.”
Jagdschicksale wie mensch und Jäger sie in letzter Zeit immer häufiger zu lesen bekommen. Und das auf nüchternen Magen. Dennoch ist der Jäger in diesem Fall sehr gut vorbereitet. Schließlich weiß
der interessierte Jagdfreund, dass die Jägerschaft für ihre Treue und Kameradschaft bis über den Tod hinaus bekannt ist. So wird gleich an Ort und Stelle Abschied vom Jagdkollegen genommen.
Zwischen Hundekacke und Vogelgezwitscher, zwischen Hallali und Täterätä hält der Jagdfreund seine Abschiedsrede:
„Liebe Waldgenossen! Dem Schicksal…oder man kann fast sagen, dem Schöpfer, hat es gefallen, plötzlich und unerwartet, einen Gast aus unserer Mitte zu sich in die ewigen Jagdgründe
abzuberufen. Unsere Gedanken begleiten ihn jetzt auf seine letzte Fahrt: Ins gerichtsmedizinische Institut. Bevor wir das Treiben für heute abbrechen, halten wir noch einen Moment inne,
angesichts der Majestät des Todes und erinnern uns an ein Gedicht von Rudolf G. Binding: ‘Alles stirbt! Auch die Freunde sterben. Sorge! Nicht um sein Grab. Erde bedeck‘ es, Wind bedeck’
es. Sonne beschein’ es. Regen bewein’ es. Waidmannsheil!“
Und Waidmannsdank für diesen Volltreffer möchte die/der Naturfreund_in ausrufen. ‘Was war der Kollege doch ein Vollidiot’, möge der Jagdfreund insgeheim denken, während die Saboteure und
Befreier_innen weiter fleißig an den Hochsitzen sägen. Sicherlich ist der werten Leser_innenschaft folgende Situation schon einmal bei einem Spaziergang im Wald widerfahren. Vorausgesetzt, sie
und er ist Hundebesitzer_in. Der Wald- und Wiesenförster spricht dich an, dass der Hund gefälligst an die Leine zu führen ist. Es ist Schonzeit. Dabei schaut er dich so eindringlich an, als ob
die Schonzeit für dich abgelaufen wäre. Doch wer wird denn gleich die Flinte ins Korn werfen?!
Ein anderes Problem beschäftigt derweil die Jägerkollegen des verstorbenen Herrn Bahrs. Wie können sie den hinterhältigen Selbstmord in der Öffentlichkeit vertuschen und überlegen: War
er ein guter Jäger? Nein! Aber er traf an jenem schicksalhaften Tag das erste Mal ins Schwarze: Ein Blattschuss vor dem Herrn.
Und eine Schande für die Jagdgesellschaft. So wird er post mortem von dem „Deutschen Jagdschutzverband” ausgeschlossen. Ja, es wäre mitunter besser für Herrn Bahrs
gewesen, hätte er sich an Hermann Löns ein Beispiel genommen. Als Hermann Löns seinerzeit den Tod sucht, meldete er sich mit 48 Jahren an die Front, wo er anständig gefallen ist, wie sich das für
einen aufrechten Mann und pflichtbewussten Deutschen gehört.
Selbst wenn Herr Bahrs von seinen Jagdkollegen als “unzurechnungsfähig” und “Alkoholiker” beschrieben wird, der seine Frau nur selten verprügelte, ist er auf der Beerdigungsfeier ein
Held und wird von seinen treuen Ex-Gefährten wenigstens noch anständig totgetrunken.
Welche Konsequenzen hat der tragische Jagdunfall für die Nachwelt? Sollen die Jäger unter Aufsicht am Schießstand ihre Qualitäten unter Beweis stellen? Wer schlecht schießt und mit seinen
„Prügel” nicht umzugehen weiß, muss den Jagdschein abgeben? Letztendlich bleibt aber die Erkenntnis: Der Mensch ist von Natur aus ein Jäger! So waren es schon die Neandertaler. Während der Mann
mit der Keule auf die Jagd ging, saß die Frau in der Höhle und wartete auf Mann und Beute. Sie hatte die Arbeit. Der Mann den “Spaß” (am Töten). Es gibt heutzutage aber eine Alternative. Denn der
deutsche Neandertaler und Jäger ist zudem Sammler. So könnte er sich ein Hobby suchen und anfangen, Briefmarken mit Tiermotiven zu sammeln und die Flinte im Schrank zu lassen. Somit wäre
der Wald wieder die verdiente Ruhezone für die frei und wildlebenden Tiere. Und der Mensch betritt das grüne Wohnzimmer mit dem gebührenden Respekt vor den heimischen Lebewesen als Gast und
Freund. Demgegenüber besteht immer noch vielerorts die Ansicht, dass es in Deutschland eher zu viel Wildtiere gibt und glauben, die Jäger hätten das Recht, ein “Gleichgewicht” herzustellen.
Denn der Jäger von Heute ist auch ein Naturschützer, und das bedeutet in erster Linie harte Knochenarbeit. So bleibt der Wald, das grüne Wohnzimmer, das Revier des Jägers, welches er fortan bis
an die Zähne bewaffnet und ihn vehement gegen alle Eindringlinge verteidigt. Schließlich verursachen die Radfahrer und Spaziergänger, das ganze linksradikale “grüne” Pack eben, den Lärm im Wald
und stören, wo doch allgemein bekannt sein müsste, dass der Jäger im Wald Ruhe und Konzentration beim Schießen benötigt. Ja, der schlimmste
Feind des Jägers ist der Mensch!
Der deutsche Jäger ist aber vor allem auch ein sensibles menschliches Wesen mit unterschiedlichen Charaktereigenschaften: So gibt es zum Einen den
- impotenten Jäger, der zu Hause von seiner Frau unterdrückt und ausgelacht wird. Die einzige Größe, die auf seine Manneskraft hinweisen könnte, sind die Geweihe, die in jedem Zimmer und an der Hauswand zur Schau gestellt werden. Und während sich die Frau einen Liebhaber sucht, schleicht er Tag und Nacht im Wald umher und ballert mit seinem Prügel und Schwanzersatz auf alles, was sich bewegt, um seine Befriedigung zu stillen. Oder er geht ins Bordell, wo er sich als Hirsch verkleidet über die jungen Ricken hermacht.
Zum Anderen gibt es den
- moralischen Jäger, dem beim Pirschen im Wald das Jagdfieber (Schüttelfrost, Schweißausbrüche, Herzrasen, Augenflimmern) packt. Er hat ein relativ kleines Gehalt und die größten Skrupel, lehnt es bspw. aus ethisch-moralischen Gründen ab, Hirsche aus den Ostgebieten zu jagen. Schließlich sind die Ostblockhirsche reine Kunstprodukte. Zuchttiere in Spezialbetrieben mit Spezialfutter und Dopingmittel hochgepäppelt, um im Anschluss für harte Devisen abgeschossen zu werden. So schießt er lieber auf das unschuldige deutsche Rehlein, welches ihm direkt in die Augen blickt, wenn der tödliche Schuss fällt. Geplagt von Gewissensbissen, erhängt er sich noch an der Unglücksstelle im Wald an einer deutschen Eiche.
Des Weiteren gibt es den
- anständigen, ehrlichen und philosophischen Jäger, der bei seinen Eltern zu Hause wohnt und nicht verheiratet ist. Er verfügt über eine außerordentliche Sammlung von Zielscheiben mit Frauenmotiven. Darüber hinaus verfügt er über eine weitere Sammlung, vielleicht die größte seiner Art, die er nicht gleich jeder jungen Ricke beim ersten Rendezvous zeigt: Die Losung europäischer und afrikanischer Tiere. Geweihe, Gehörne und die anderen Knochen sind Symbole des Todes. Aber die Losung als Produkt der Verdauung, ist ein Symbol des Lebens. „Und das ist unsere Zukunft. Nicht das Töten soll der Sinn des Jagens sein, sondern das Leben.” So sammelt er die Scheiße von den Keilern, Dachsen, Füchsen, Elefanten…, katalogisiert und beschriftet sie in transparenten Plastikbeuteln und bewahrt sie im Kühlschrank auf.
Abschließend ein Blick in die grausame Realität des Jägerlateins. Der Jäger schützt sich vor sich selbst. Oder warum begegnen wir jene Schilder im Wald, die uns warnen sollen vor dem Betreten der Flora und Fauna:
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Vorsicht Wildschutzgebiet!
Warnung! Kreuzottern! Lebensgefahr!
Ruhezone! Kein Durchgang!
Vorsicht! Tollwutimpfgebiet!
Der Jäger riegelt den Wald ab. Er hat ein gutes Gewissen, kann letztendlich aber nichts damit anfangen. Denn der Wald bleibt für den Jäger gefährlicher als für das Wild!
Das hätte Herr Bahrs wissen müssen!
© by F. Spenner