„Kommt nach vorne“ - Staatliche Repression gegen die Antifaschisten Tim und Deniz
von Regula
Ende letzten Jahres/Anfang dieses Jahres wurden zwei Antifaschisten zu mehrmonatigen Haftstrafen für ihre Aktivitäten im
Rahmen antifaschistischer Aktionen verurteilt. Im Folgenden möchte ich kurz zeigen, um was es bei den beiden Fällen ging und geht und wie es zur Anklage und Verurteilung kam. Die Fallbeispiele
stehen exemplarisch für zahlreiche weitere Betroffene staatlicher Repression.
Alle Unstimmigkeiten in den Prozessen darzustellen würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, der lediglich noch einmal auf die beiden Fälle aufmerksam machen möchte. Also am besten lesen und
danach weiter informieren und engagieren.
Chaotische Situation auf einer Demonstration: Es wurde mal wieder eine nur sehr unzufrieden stellende Demoroute genehmigt. Das nervt, schließlich will man mit seinem Anliegen gehört und in Stadt
wahrgenommen werden. Folglich wird aus dem Demonstrationszug heraus von einigen Leuten versucht die Begrenzung durch die Polizei zu umgehen. Es werden Absperrgitter der Polizei überwunden, die
Beamt_innen reagieren mit Schlagstock und Pfefferspray. Jede_r die/ der solche oder ähnliche Situationen kennt weiß, dass es da durchaus auch mal zu Rangeleien kommen kann. Soweit so gut, nichts
Neues.
Was aber auf eine solche Situation bei einer Demonstration des Antifaschistischen Aktionsbündnis Nürnberg am 31. März 2012 unter dem Motto „Nazistrukturen zerschlagen – Verfassungsschutz
abschaffen – Antifa in die Offensive!“, folgte ist, auch für Menschen die schon länger nicht mehr ganz so von der „Rechtsstaatlichkeit“ in Deutschland überzeugt sind, kaum zu fassen. Deniz K.,
der an besagter Demo teilgenommen hat, wird gut einen Monat später festgenommen und direkt in die JVA Nürnberg verbracht. Der Vorwurf: 3-fach versuchter Totschlag. Deniz soll mit einer
mitgeführten Fahnenstange (nach dem Demorecht in Bayern eine Weichholzstange, mit einem Durchmesser bis zu 2 cm) beim Überwinden der Polizeigitter versucht haben, die Beamten lebensgefährlich zu
verletzten. Deniz wird in U-Haft festgehalten, da angeblich Fluchtgefahr (er hat Verwandtschaft in der Türkei, das reicht als rassistische Begründung aus) bestünde. Zwei Monate später legen die
Vorwürfe gegen Deniz noch einmal an Absurdität zu: Zwei weitere Beamt_innen erklären, auch sie seien mit einer Fahnenstange bei besagter Demonstration angegriffen worden. Obwohl es keinen
erkennbaren Zusammenhang zwischen der Tat und Deniz gibt, wurde der Vorwurf gegen ihn wegen 5-fach versuchter Tötung erhöht.
Anfang November 2012 kommt es dann zum Prozess gegen Deniz. Während des Prozesses kommt es zu zahlreichen Unstimmigkeiten. Um nur einige zu nennen: Die Aussagen der „Geschädigten“ und als Zeugen
geladenen Beamt_innen gleichen sich teilweise bis auf den Wortlaut, mensch kann also von einer Absprache der Zeug_innen ausgehen. Auch wurden zwei der „geschädigten“ Beamt_innen zur gleichen Zeit
im gleichen Raum vernommen, angeblich aus Zeitmangel. Das verstößt eindeutig gegen die Strafprozessordnung. Der einzige, nach Zeugenaussagen, verletzte Beamte kann nicht sagen, ob Deniz ihm die
Verletzungen zugefügt hat. Durch seine „Ritterrüstung“ geschützt scheint die Verletzung auch nicht allzu tragisch gewesen zu sein, zumindest lässt er sich weder vom Dienst befreien noch ein
ärztliches Attest ausstellen. Aber Deniz wird vorgeworfen, er hätte ihn lebensgefährlich (!) verletzten wollen! Ein Mitarbeiter des Staatsschutzes ist sich dann aber ganz sicher, Deniz, (naja
eigentlich auch nicht Deniz, sondern das Innenfutter seiner Jacke...) auf einem Video identifizieren zu können, dessen Auflösung so schlecht ist, dass es eher eine Ansammlung von Pixeln, denn ein
wirkliches Bild ist.
Zum Ende des Prozesses wird festgestellt, dass Deniz für drei der versuchten Totschläge nicht als Täter identifiziert werden kann. In den beiden anderen Fällen ging das Gericht davon aus, dass
Deniz versucht habe die Polizeibeamt_innen zu verletzten. Seine Verteidigung fordert 4 Wochen Jugendarrest. Die Staatsanwältin hält dagegen am versuchten Totschlag fest und fordert 3 Jahre Haft.
Deniz wird letztlich wegen versuchter, schwerer Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Landfriedensbruch zu 2,5 Jahren verurteilt. Sowohl seine Verteidigung als auch die
Staatsanwaltschaft haben Revision gegen das Urteil eingelegt.
Ebenso absurd ist der Fall von Tim H. Er soll am Rande des alljährlichen Naziaufmarsch im Februar in Dresden 2011 eine Ansage durch ein Megafon gemacht haben. Ihm selbst wurde nicht eine einzige
Straftat vorgeworfen, aber er soll durch seine Ansage zum „Durchbrechen einer Polizeikette aufgerufen haben“. Die Staatsanwaltschaft konstruierte daraus eine Rädelsführerschaft und macht ihn für
alle am Ort des Geschehens verübten Straftaten verantwortlich. Auf dem verpixelten Video - das diese Rädelsführerschaft belegen soll - sieht mensch eine größere Person die, die sich an die
Anwesenden mit dem Satz: „Kommt nach vorne“ richtet. Von einem Aufruf zur Gewalt kann also nicht die Rede sein! Es ist nicht eindeutig nachweisbar, ob es sich bei der Person im Video um Tim
handelt, dennoch geht die Staatsanwaltschaft davon aus. Ein Hauptbelastungs-Zeuge, der die Szene von seinem Balkon aus gesehen haben soll, sagt dagegen vor Gericht aus, die Person, die die
Durchsage gemacht habe, hätte keine Ähnlichkeit mit Tim gehabt. Die Staatsanwaltschaft fordert letztlich 2 Jahre und 6 Monate Haft. Verurteilt wird der nicht vorbestrafte Tim letztlich wegen
schwerem Landfriedensbruch und Körperverletzung zu 1 Jahr und 10 Monaten ohne Bewährung. Und dass, obwohl ihm selbst keinerlei Tätlichkeiten vorgeworfen werden können, lediglich die
Rädelsführerschaft ist ausreichend. Auch im Falle Tim haben sowohl Verteidigung als auch Staatsanwaltschaft Revision beantragt.
Die hier aufgeführten Fallbeispiele von Tim und Deniz zeigen deutlich, es geht hier absolut nicht um die Verfolgung konkreter Tatbestände, sondern um die Kriminalisierung der Proteste und die
Einschüchterung der antifaschistischen Bewegung. Es soll gezeigt werden, dass es sich bei den Protestierenden um Gewalttäter bzw. potentielle Mörder handelt, nicht um Menschen, die entschlossen
Neonazis und der Verbreitung ihrer menschenverachtenden Ideologie entgegentreten. Das passt dann auch prima zur weit verbreiteten Gleichsetzung zwischen „Links“- und „Rechtsextremisten“. So kann
dann gezeigt werden dass letztlich beide Seiten doch nur auf Gewalt und Krawall aus sind, die angeblichen leidtragenden sind dann die Polizeibeamt_innen und die restliche Gesellschaft. Und wenn
mensch dann diese beiden angeblichen „Extreme“ hat, kann mensch es sich wieder in seiner konstruierten „Mitte“ gemütlich machen, ohne die eigenen rassistischen, antisemitischen, sexistischen,
homophoben und nationalistischen Strukturen hinterfragen zu müssen. So werden dann aus politischen Aktivisten Kriminelle und Extremisten am angeblichen Rande der Gesellschaft, die es zu bekämpfen
gilt. Wie gern diese Argumentation angenommen wird, zeigen auch einige der Kommentare, die sich unter dem Onlineartikel der Nürnberger Nachrichten/ Nürnberger Zeitung zum Prozess gegen Deniz1
sammeln. Da ereifert sich @ Ernst im Bezug auf einen vorhergehenden Kommentar: „"Weil er nicht jammert, sondern die Verhältnisse klar benennt, die zu so etwas führen" Aha, Polizisten verletzten,
randalieren oder mit Schlagringen auf Demos laufen ist dann "klar benennen" oder was? Sie können nicht jede Schweinerei der Linken mit den Untaten der Nazis rechtfertigen. Es gibt auch hunderte
von Drogendealern die "niemand getötet" haben, zumindest nicht direkt, und dafür im Gefängnis hocken. Warum? Ganz einfach, weil sie gegen die Gesetze verstoßen haben.“ Hier werden Straftaten von
Neonazis mit denen von „Linken“ relativiert und gleichgesetzt. Gleichzeitig wird das Gesetz um obersten moralischen Bezugspunkt erhoben und wer dagegen verstößt hat automatisch unrecht (egal es
nun um Drogenhandel oder eine politische Aktion geht). Außerdem wird Deniz angehängt Menschen verletzt zu haben, Schlagringe mitzuführen und zu randalieren. Ähnlich unreflektiert und zum Kotzen
ist auch was „Demokrat“ dazu weiß: „Warum wird die Antifa nicht verboten? Das ist eine kriminelle Organisation die sich offen zu Gewalt bekennt und die jedes Gesetz zu brechen bereit ist, um ihre
Ziele zu erreichen, dazu hat sie sich auch öffentlich bekannt. Wollen wir hier wieder Weimarer Verhältnisse, wo sich die Extremisten gegenseitig die Köpfe einschlagen? Ein Extremist lebt nur von
seinem Haß auf andere, weil er mit seinem Leben nicht klar kommt.“ (Fehler im Original)
Ich könnte kotzen!
Wer schon mal an Blockadeaktionen und Demonstrationen teilgenommen hat, kennt vermutlich Situationen wie die, die im Falle Deniz und Tim nun zu erheblichen Haftstrafen geführt haben. Es gilt also
einmal mehr: Es trifft Einzelne, aber gemeint sind wir alle! Deshalb: Informiert euch! Unterstützt die Betroffenen von staatlicher Repression! Seid solidarisch! Freiheit für Tim und Deniz!
Mehr Infos zu Deniz und Tim findet ihr hier:
denizk.blogsport.de
sachsendrehtfreistaat.blogsport.de
Quellen:
Zeitung der Roten Hilfe e.V., 38. Jahrgang, 4. Ausgabe 2012
Zeitung der Roten Hilfe e.V., 39.Jahrgang, 1. Ausgabe 2013
Homepage des Antifaschistischen Infoblatts: https://www.antifainfoblatt.de/artikel/deniz-k-repression-made-bayern
Homepage des Antifaschistischen Infoblatts: https://www.antifainfoblatt.de/artikel/stellvertreter-prozess
Homepage des Solikomitees für Deniz: http://denizk.blogsport.de/