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Tötet Onkel Dittmeyer

„Tötet Onkel Dittmeyer!“

skandierte die Osnabrücker Komödiengruppe DIE ANGEFAHRENEN SCHULKINDER 1991. Wo die doch sehr aufdringliche Form zur öffentlichen Gewaltanwendung herrührt, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich vermute aber, dass die extreme Abneigung der SCHULKINDER durch den saisonal bedingten Arbeitseinsatz auf Onkel Dittmeyer’s Fruchtplantagen zustande kam. Oder aber, sie haben sich vom puren 100% reinen Fruchtsaftgeschmack verführen lassen, bis das firmengewollte Suchtverhalten zu Entzugserscheinungen bei den KonsumentInnen führte. Der persönliche Einsatz des Onkels von Valensina in der Werbung garantierte eine Beziehung zur Fernsehkundschaft, die über das pure Orangenvergnügen hinaussging. „Aber ich komm einfach nicht mehr ‘raus aus Hamburg“, verzweifelt Onkel Dittmeyer.

Der liebe Gutmensch ist vor den Billiganbietern in die Knie gezwungen worden. Onkel Ditte kann sich nicht mehr aufrappeln und neu anfangen. Der Segen von frisch gepressten Orangensaftes ist zum Fluch geworden. Heute kämpft er nicht mehr für 100% reines Saftvergnügen sondern gegen die Maulwurfplage im Garten.
Genauso plag(t)en und verfolg(t)en mich seit geraumer Zeit Werbemenschen, die in alle Intimphasen des Alltags, ja, des Lebens, eindringen und mit mir Kontakt aufnehmen woll(t)en. Die Tante Klementine mit dem Charme der Donna Medusa zwang mich mit einem autoritären Blick die Wäsche rein zu halten. Fortan traute ich mich nicht mehr, zu onanieren, weil ich dachte, im nächsten ARIEL-Werbebspot sei ich ihr Opfer und müsse das Laken mit Zahnbürste und Waschmittel eigenhändig säubern. Andernfalls gebe es einen ordentlich Klapps auf das Hinterteil und einen Schnitt im Genitalbereich. Manchmal zucken ich und mein Gießkännchen zusammen, weil ich die „Waschexpertin der Nation“ in weißer Latzhose und weiß-rot kariertem Hemd vor dem Supermarkt erblicke. Ach nee, doch nicht, war nur Maria Hellwig.

Da war der MELITTA-Mann schon gnädiger und erklärte mir mit sanfter Stimme die Wirkung des Filterpapiers. Heute lebt Egon Wellenbrink auf Mallorca und trinkt Jasmin-Tee. Die Werbung hat erkannt, dass reale Personen einen vertrauenswürdigen Eindruck hinterlassen und schickt die Deppen von Calgon auf Kalkspurensuche, hebt Herrn Kaiser von der Hamburg-Mannheimer wie ein Rockstar in den Himmel, bis mich die Lotto-Fee in den Schlaf zaubert und ich einen Wunsch frei habe:
Abschaffung der Werbung. Schließlich beeinflusst die Werbung, hat Auswirkung auf unser Sexleben, auf unser Kommunikations-System. „Schatz, ich bin willig, lass uns ficken!“ klänge in der Werbung plakativ und anzüglich. Dafür wird der sexuelle Akt durch runde Schokostücken ersetzt, die Geilheit assoziieren, wenn sich eine Frauenhand die Mon chérie -in detaillierter Großaufnahme und im slow motion Verfahren- genüsslich mit einem lang gezogenen „Mmmmmmhhh“ oral einführt. Werbung leistet also Orgasmushilfe und fördert den Fetisch. Ob Socken, Shampoo, Pizza. Beim ersten Mal tut’s immer weh!
Ich habe mich dennoch von den Onkels und Tanten losgeeist. Mehr noch, ich habe ihnen offiziell durch „zapping“ die Freundschaft gekündigt. Schließlich ersticke ich hier im Müll der Verpackungen diverser Test- und Probierpakete. Ein Zustand, der nicht länger mehr haltbar ist. Die MAGGI-Produkte sind abgelaufen, die Rabattmarken aber nicht und das payback-Konto wurde mangelnder Benutzung gelöscht. Derweil rieche ich nach verschiedenen Duftproben, dass mich -sobald ich die Haustür verlasse- sämtliche Hunde aus der Nachbarschaft erschnüffeln und sich mit mir paaren wollen. Und wenn ich beim Klingeln des Weckers mit der Titelmusik aus dem McDonalds-Spot („nanananana, ich liebe es“ geweckt werde, möchte ich Ronald Mc Donald erschießen. Ich wünsche mir vor meiner Hinrichtung noch eine Juniortüte als Henkersmahlzeit, die bei mir einen Herzstillstand von den ungesunden Fetten einbringt, und ich als letzten Eindruck vom Diesseits, das dämliche Grinsen eines winkenden Clowns wahrnehme. Auftrag erfolgreich ausgeführt!
Wie bereits erwähnt, konnte ich mich aus den Fängen der Werbetanten und -onkels befreien. Das ging natürlich nicht ohne Fremdhilfe, Therapie und länger anhaltenden Entzugserscheinungen.
Und auch heute erkenne ich versteckte Botschaften in der angeblich werbefreien Zone, bei TAGESSCHAU und TAGESTHEMEN, bei der Telenovela am Nachmittag, TRAUMSCHIFF und dem Wort zum Sonntag: „Er nahte mit Brausen!“ Gut, Jesus mag der erste Kellner gewesen sein, und ich düse zum Supermarkt meines Vertrauens und kaufe Sinalco Brause im Vorratspack, bevor die Welt untergeht.
Mag sein, dass ich zu Übertreibungen neige und Wortdeutungen falsch interpretiere. Aber ist es nicht doch so, dass eine versteckte Werbe-Botschaft mitschwängert, wenn sich Ede Stoiber zu Wort meldet: “Ich habe natürlich dargelegt, dass ich als Parteivorsitzender, der auch ein Stück seines Lebens der Idee der CSU gewidmet hat und es auch weiter tut, ja wie ein Hund darunter leide, dass jetzt gegenwärtig das Ansehen der CSU ein Stück weit Schaden genommen hat.” Stoiber verglich sich mit einem Hund, nachdem er sich für Berlin als ungeeignet einstufte. Ich hingegen bin Fische als Sternzeichen, sensibel und habe Mitleid. Aus Solidarität trete ich 3 Tierrechtsorganisationen und der CSU bei, nehme 15 Hunde auf und will Stoiber kastrieren. Gut, ich kann nicht alles auf einmal haben, obwohl Werbung an meine sofortige Befriedigungslust appelliert. Doch da hilft mir Actimel und „aktiviert Abwehrkräfte“.

Manchmal ist es wie bei Dr. Kimble auf der Flucht: Du, allein, gegen die Werbung. Gibt es ein kitschiges Happy end, ein fulminanter show down? Das Leben ist kein „Lifestyle Club“, sondern das Mindesthaltbarkeitsdatum auf der Familienpackung.
© by F. Spenner
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