Das widerspenstige und abschreckende deutsche Ausländerrecht ist ein System, das den Flüchtling und Schutzsuchenden mit dem polizeilichen Gefahrenabwehrrecht konfrontiert.
Noch vor wenigen Jahren waren die Ausländerbehörden vielfach in den Polizeipräsidien räumlich untergebracht – in unmittelbarer Nähe der Haftanstalten. Bis zum
Inkrafttreten des Ausländergesetzes am 28.04.1965 wurde das Rechtsverhältnis zwischen Deutschen und Ausländern durch das nationalsozialistische Gesetz über das „Ausländerpolizei und das
Meldewesen sowie das Ausweiswesen“ und die „Ausländerpolizeiverordnung“ geregelt. Das Ausländergesetz von 1990 setze einen Schwerpunkt auf die Abwehr von Ausländern. Der für Ausländer zuständige
Referent der Stadt München erklärt dann auch, das „Ausländerrecht habe polizeiliche und sicherheitsbehördliche Aufgaben, es diene der Gefahrenabwehr“ (SZ vom 13.12.1994).
Die wirklichen Gefahren liegen allerdings in den Repressionen verborgen, die das eventuelle Aufenthalt- und Bleiberecht erheblich beeinträchtigen: Lagerunterbringung, Gutscheinsysteme, und die
Residenzpflicht. Wer ein zugewiesenes Gebiet verlässt, begeht beim ersten Mal eine Ordnungswidrigkeit, bei allen weiteren Verstößen ist eine Straftat gegeben. Dabei hat es zum großen Teil die
Ausländerbehörde in der Hand, die Betroffenen in die Strafbarkeit zu treiben. Viele Ausländerbehörden vergeben Erlaubnisse zum Verlassen der Residenz nur sehr restriktiv. Sozialämter können
Leistungen sanktionieren und sind bemüht, das vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärte Asylbewerberleistungsgesetz zu „retten“ und Leistungskürzungen (etwa wegen fehlender
Mitwirkung bei der Passbeschaffung) vorzunehmen. Depressionen, Suizid sind keine Seltenheit. Ab dem 01. 07. nun ist die neue Beschäftigungsverordnung in kraft getreten. Asylsuchende werden beim
Arbeitsmarktzugang mit den Geduldeten gleichgestellt. Das heißt sie erhalten einen Ausbildungszugang ohne Vorrangprüfung nach zwölf Monaten und einen Arbeitsmarktzugang ohne Vorrangprüfung nach
vier Jahren. Was sich auf den ersten Blick für eine Verbesserung und den Zugang zur Arbeitswelt für Asylsuchende anhört, geht PRO ASYL(1)nicht weit genug und setzt sich für eine
umfassende Gleichstellung von Asylsuchenden und Geduldeten ein. „Integration muss am ersten Tag beginnen und dazu gehört auch, dass Asylsuchende möglichst umgehend Integrationsangebote erhalten.
Dazu gehören Arbeitsmarkt-qualifizierende Maßnahmen wie auch Sprachkurse sowie das Recht, zu arbeiten.“(2)
Armutsmigration verhindern
Im Jahr 2013 (Stand bis Mai) wurden in Deutschland insgesamt 38.794 Asylanträge gestellt(3).
2012 stellten rund 65.000 Menschen einen Asylantrag in Deutschland. Per Veto in Brüssel hat Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) verhindert, dass Deutschland zum Hauptziel von Armutswanderern
aus Bulgarien und Rumänien wird. Beide Länder werden, obgleich Mitglieder der EU, bis auf Weiteres nicht Mitglieder des Schengenraumes. Sprich: Bulgaren und Rumänen werden, wenn sie in den
Schengenraum reisen wollen, bis auf Weiteres kontrolliert. Friedrich begründete sein Veto kurz gesagt damit, er wolle ein Signal gegen Einwanderung in die deutschen Sozialsysteme setzen. Das
klingt nicht nur selbstgerecht, sondern schürt auch Angst vor einer sogenannten „Armustwanderung“, die das Sozialwesen „belasten“. Wir unterhielten uns mit PRO ASYL über diese Äußerungen und
Mutmaßungen.
Der Bundesinnenminister zeigte sich bei der Präsentation der Asylantragszahlen 2012 überrascht vom Anstieg von Asylbewerbern aus den Staaten des Westbalkans, „in denen in der Regel keine
politische Verfolgung stattfindet“. Folglich wurde keiner der Asylsuchenden als Flüchtling anerkannt. Wie hat pro asyl darauf regiert?
Wir haben die Kampagne des Innenministers gegen Asylsuchende aus Serbien und Mazedonien scharf kritisiert. Hier wurde bewusst eine Stimmungsmache betrieben. Hinzu kommt: Auf
Betreiben des Bundesinnenministeriums führte das Bundesamt ab Herbst 2012 für Flüchtlinge aus Serbien und Mazedonien pauschale Ablehnungs-Schnellverfahren durch. Mit einem Rechtsstaat ist dies in
keiner Weise zu vereinbaren. Eine Einzelfallprüfung hat schlicht nicht stattgefunden, stattdessen wurde pauschal abgelehnt. Da es beim BAMF an Personal mangelt und diese Ablehnungen für
Balkanflüchtlinge vorrangig zu erledigen waren, mussten Asylsuchende aus Afghanistan, Irak, Iran oder Syrien trotz guter Anerkennungschancen regelmäßig mehr als ein Jahr auf die erste
Entscheidung warten. Insgesamt eine inakzeptable Situation.
Schickt Deutschland auch zu viele qualifizierte Migrant_innen nach Hause und versäumt eine wesentliche Wende in der Migrationspolitik?
Die Frage ist in der Tat, was tut die Politik, um hier lebende Migrant_innen endlich eine faire Chance auf echte Teilhabe zu geben? Noch immer gibt es viele, die ohne ein
Bleiberecht in Deutschland leben, sondern nur mit einer Duldung. Wer kein Bleiberecht hat, darf in der Regel nicht oder nur unter komplizierten Voraussetzungen arbeiten. Immer noch leben fast
86.000 Menschen in Deutschland mit einer Duldung, rund 36.000 bereits länger als sechs Jahre. Über 22.000 der geduldeten sind minderjährig. Es ist integrationspolitisch verfehlt, diese Menschen
dauerhaft zum Nichtstun zu verurteilen. Wir fordern, ihnen endlich ein Bleiberecht bekommen und arbeiten dürfen.
Offensichtlich sind die Städte und Kommunen nicht auf die steigende Zahl von Asylsuchenden, Flüchtlingen vorbereitet. Welche Auswirkungen hat das für die Betroffenen und unter welchen
Bedingungen müssen sie oftmals leben? Welche Verbesserungen strebt pro asyl an?
Viel wird geredet über Unterbringungsprobleme aufgrund gestiegener Asylzahlen. Das Notstandsgerede verfehlt jedoch die realen Zustände. Sicher – es gab im letzten Jahr
vielerorts Schwierigkeiten, wenn neue Unterkünfte gesucht wurden, insbesondere wenn es zu Widerstand aus der Bevölkerung kam. In einigen Städten wurden Flüchtlinge vorübergehend unzumutbar in
Zelten und provisorischen Notunterkünften untergebracht. Das Problem ist aber hausgemacht: Im Zuge jahrelang drastisch zurückgehender Asylsuchendenzahlen wurden vielerorts Kapazitäten abgebaut,
teure Unterkünfte geschlossen – verständlich. Dass die Behörden aber auch damit rechnen mussten, dass die Flüchtlingszahlen wieder steigen könnten, liegt auf der Hand. Nicht selten wurden dann ad
hoc neue (Groß-) Unterkünfte eingerichtet, ohne die lokale Bevölkerung rechtzeitig und konstruktiv in diesen Prozess einzubeziehen. Dort, wo dies geschieht und die lokalen Behörden auf Alarmismus
wie möglichst auch auf Großunterkünfte verzichten, kann der Aufnahmeprozess gelingen.
Die Lagerunterbringung ist ein wesentlicher Baustein der Repression gegen Flüchtlinge. Welche Maßnahmen ergreift pro asyl, um diese zu beenden, welche Handlungsspielräume ergeben
sich?
PRO ASYL protestiert seit Jahren zusammen mit den Flüchtlingsräten und vielen anderen gegen die Lagerunterbringung von Flüchtlingen. Solche Lager machen die Betroffenen krank.
Es besteht keine Privatsphäre und die Einrichtungen sind oft in einem katastrophalen Zustand. Flüchtlinge leben in Mehrbettzimmern in alten Gasthöfen, ausgedienten Kasernen und verrotteten
Containerunterkünften. Ein zermürbender Alltag, oftmals mit Essens- und Hygienepaketen, gebrauchter Kleidung oder Gutscheinen und Gemeinschaftsküchen und -bädern. In manchen Bundesländern konnten
wir erreichen, dass die Lagerpflicht abgeschafft wurde. Berlin z.B. ermöglicht es Flüchtlingen grundsätzlich nach drei Monaten in Wohnungen zu leben. Viele Länder überlassen es den Kommunen, für
die Unterbringung zu sorgen. In Bayern gibt es noch immer die Vorgabe, generell Flüchtlinge dauerhaft in Lagern unterzubringen – die Ausnahme für Familien funktioniert in der Praxis kaum.
Insgesamt leben noch immer viel zu viele Flüchtlinge viel zu lange in solchen Lagern.
Gibt es Erkenntnisse, wonach Betroffene, die sich gegen Missstände wehren, nachträglich hart sanktioniert werden? Wie reagiert pro asyl darauf?
Es gibt immer wieder Fälle, in denen uns Flüchtlinge davon erzählen, dass sie von den Behörden härter angegangen worden sind, nachdem sie sich politisch gegen restriktive
Lebensbedingungen und Schikanen zur Wehr gesetzt haben. Aber in vielen Fällen hat der Protest auch erst zu einer Veränderung der Situation geführt. Wenn Pro Asyl von Repressionen hört, dann
bieten wir natürlich unsere Unterstützung an.
Welche präventive Maßnahmen sollten organisiert und durchgeführt werden, um Vorurteile abzubauen? Welche Projekte haben diesbezüglich bereits Erfolge erzielen können?
Man muss die Menschen aufklären. Wir versuchen immer wieder zu erklären, unter welchen Umständen Flüchtlinge ihre Länder verlassen müssen und mit welchen staatlichen
Restriktionen sie hier leben müssen. Wenn Flüchtlinge hier z.B. nicht arbeiten, dann liegt das daran, dass der Staat es ihnen verbietet. Wir versuchen auch das Engagement für Flüchtlinge zu
stärken. Immer wieder können wir Ehrenamtliche gewinnen, sich zusammen mit Flüchtlingen für eine Verbesserung ihrer Situation einzusetzen. Im Rahmen unserer save-me-Kampagne(4)
gibt es sogar Patenschaften – wo Menschen dafür einstehen, neu ankommenden Flüchtlingen einen besseren Start in Deutschland zu ermöglichen.
Letztlich kann jede/jeder etwas tun, um Vorurteile abzubauen und auf die Menschen zuzugehen.
Anmerkungen:
(1) http://www.proasyl.de
(2) http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/neues_beschaeftigungsrecht_fuer_asylsuchende_und_geduldete/
(3) http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Statistik/statistik-anlage-teil-4-aktuelle-zahlen-zu-asyl.pdf?__blob=publicationFile
(4) http://www.save-me-kampagne.de/