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Mietshaus-Syndikat

Was bringt Menschen dazu, sich mit anderen Menschen zusammenzuschließen, um gemeinsam ein Hausprojekt zu organisieren, und einen erheblichen Teil ihrer Freizeit in ein Haus zu investieren, das ihnen am Ende gar nicht „selbst“ gehört? Sind es die bezahlbaren Mieten oder das Gemeineigentum? Ist es die Solidarität oder der Wunsch nach Selbstverwaltung, der Menschen zum Engagement in Syndikatsprojekten motiviert? Vielleicht ist es die Chance, in Mietshäusern Freiräume zu etablieren oder die Idee, dem Immobilienmarkt seine Spekulationsobjekte zu entziehen?


Das Mietshäuser Syndikat ist ein dezentral wachsendes Netzwerk selbstorganisierter Wohnprojekte. Es sichert den Status Quo der in ihm organisierten Häuser, indem es einen Weiterverkauf dauerhaft verhindert. Weiter organisiert es einen Solidartransfer, der es neuen Initiativen erleichtern soll, die finanziell schwierige Anfangszeit zu meistern. Schließlich bildet es eine Vernetzungplattform zur gegenseitigen Unterstützung bei Fragen und Problemen rund um das Thema selbstorganisiertes Wohnen. Dabei entscheiden die einzelnen Hausprojekte – ganz im Sinne von „die Häuser denen, die drin wohnen“ – über ihre internen Belange autonom und selbstorganisiert. Anders verhält es sich mit Fragen, die den ganzen Verbund betreffen. Sie werden im Verein des Mietshäuser Syndikats auf basisdemokratischer Grundlage diskutiert und beschlossen. Mitglieder dort sind die Hausvereine der beteiligten Wohnprojekte, BewohnerInnen von Syndikatsprojekten und andere interessierte Einzelpersonen bzw. Gruppen, die das Modell gut finden.
Im Ergebnis entsteht durch die Beteiligung des Syndikats an den Hausbesitz-GmbHs ein Unternehmensverbund selbstorganisierter Hausprojekte, die sich der Idee des Solidartransfers von Altprojekt zu Neuprojekt verpflichtet haben. Die generelle Autonomie der Projekte wird durch ein Vetorecht des Mietshäuser Syndikats gegen Zugriffe auf das Immobilienvermögen eingeschränkt, um eine mögliche Reprivatisierung und erneute Vermarktung der Häuser zu verhindern. Das Mietshäuser Syndikat als Bindeglied bildet das stabile organisatorische Rückgrat des Verbundes, in dem sich ein vielfältiges Geflecht von Beziehungen, auch direkt zwischen den Projekten, entwickelt und Kommunikation und Solidartransfer ermöglicht wird(1).


Rücke vor zur Schloss-Allee

Hallo Jochen. Wer hat sich das clevere, staatlich unabhängige Finanzierungsmodell ausgedacht? Welche Kenntnisse waren wichtig und welche zentralen Aspekte wurden dabei berücksichtigt?
    Jochen: Das Mietshäuser Syndikat ist kein Finanzierungsmodell, sondern eine Struktur zur Weitergabe von Potenzial. Die Idee dahinter ist, dass jede Gruppe in der Lage ist, ein Hausprojekt zu starten.

Magst du mal kurz das Syndikats-Prinzip erklären?
    Jochen: Die Immobilie gehört einer GmbH, ihre Gesellschafter sind ein Bewohnerverein und das Mietshäuser Syndikat. Das Syndikat sorgt dafür, dass die Immobilie im Netzwerk bleibt und nicht zum Objekt auf dem Immobilienmarkt wird. Statt der Eigentümer wechseln nur die Bewohner, also die Mitglieder im Verein. Das Modell soll langfristig bezahlbare Mieten sichern.

Wie wurde das erste Hausprojekt finanziert und welches war das?
    Jochen: Grether West in Freiburg 1982, damals noch ohne Syndikatsbeteiligung. Grether West finanzierte sich wie viele andere Hausprojekte später auch: Über Direktkredite von Privat, Bankkredite und eine große Portion Eigenleistung(2).

Wie sieht konkret deine Syndikatsarbeit aus?
    Jochen: Meine Arbeit erstreckt sich auf verschiedene Bereiche:
Beratung für neue Hausprojekte
Teilnahme an der Syndikatskoordination
Bürotätigkeiten wie Buchhaltung und Mitgliederverwaltung

Inwiefern ist für dich die Syndikatsarbeit immer noch eine politische Protestform?
    Jochen: Die Schaffung von Freiräumen ist für mich unverändert wichtig und politisch.

Kann sich eigentlich auch eine 5köpfige Familie an euch wenden, die ihr geplantes Eigenheim finanzieren will?
    Jochen: Aus drei Gründen Nein. Das Syndikat ist kein Finanzierungsmodell. 2 Erwachsene sind zu wenig und Privateigentum ist mit dem Syndikat nicht vereinbar.


Ich denke, bevor ein Projekt überhaupt realisiert wird, folgt eine fachliche Beratung. Was sind dabei die Inhalte und wer aus eurem Verein macht diese Beratung, die ja auch eine Menge an Fachwissen erfordert...
    Jochen: Wir haben etwa 60 ehrenamtlich tätige Berater_innen, die im Optimalfall aus Altprojekten stammen und daher ihr Wissen haben. Die Inhalte reichen von Gruppenstrukturen über bauliche Fragen bis hin zur Buchhaltung.


Das Syndikatsmodell ist eine Addition aus Stammkapital und Mitgliedseinlagen. Wie wird die Restsumme des Hauskaufs aufgebracht? Werden generell keine Schulden gemacht bei der Finanzierung?
    Jochen: Nein. Die Finanzierung läuft über Direktkredite und Bankkredite. Schulden werden also immer gemacht.

Wie wird der sogenannte Ausgleich organisiert?
Jochen: Durch die Weitergabe von Wissen und Geld zwischen den Hausprojekten. Geld in Form des Solidarbeitrags- und Direktkrediten.
 
Inwiefern sind die einzelnen Häuser miteinander verknüpft?
    Jochen: Sie sind alle Mitglied im Mietshäuser Syndikat und kommunizieren miteinander.

Wie ist das mit den Direktkrediten. Die „Syndikalist*innen“ vertrauen anscheinend keiner Bank...
    Jochen: Na ja, ohne Bank geht es meist nicht. Direktkredite sind oft günstiger.

Wie werden die Hausobjekte ausgewählt? Welche Kriterien sind dabei wichtig und wie wird darüber entschieden?
    Jochen: Selbstorganisation, Teilnahme am Solidartransfer und kein Privateigentum am Haus sind die Kriterien. Die Gruppen stellen sich auf der Mitgliederversammlung vor.

Das Mietshäuser Syndikat ist aus der linken Hausbesetzer-Szene hervorgegangen. Wer ist heute die Klientel?
    Jochen: Immer noch Gruppen aus dem „linken“ Spektrum und alle die mit den genannten Kriterien übereinstimmen.

Viele linke Zentren sind von der Räumung bedroht oder wurden geräumt. Gab es Fallbeispiele, in denen ihr aktiv wurdet, mit dem Ziel, diese Zentren zu erhalten?
    Jochen: Nicht das Syndikat wird aktiv, sondern immer die jeweiligen Gruppen vor Ort, Stichwort Selbstorganisation. Teilweise sind es neue Zentren, die so entstanden sind, wie z.B. in Stuttgart, Potsdam oder Neuruppin.

Zurück zur Entwicklung. Irgendwann kamen mehr und mehr Mitglieder und Projekte dazu. Das führte einerseits zu mehr Mitgliedern, andererseits auch zu mehr regionalen Projekten. Wie wird die Arbeit mittlerweile strukturiert und organisiert?
    Jochen: Es gibt den bundesweiten Zusammenschluss und es passiert immer mehr auf regionaler Ebene. Dort gründen sich regionale Strukturen(3).

Wie groß soll ein Syndikatsverbund werden? Gibt es Grenzen?
    Jochen: 100, 500, 1.000 Projekte? Gibt es eine optimale Größe? Wir wissen es nicht, werden es aber herausfinden. Durch die extrem dezentrale Organisation des Syndikats mit autonomen Hausprojekten ist der Gefahr einer Machtballung beim Knotenpunkt Mietshäuser Syndikat ein wirksamer Riegel vorgeschoben, und regionale Strukturen können sich nach Bedarf und Interesse entwickeln. Alle freuen sich über jedes weitere Mietshaus, das dem Immobilienmarkt entzogen wird, damit die Wertsteigerungsspirale der Immobilienverkäufe abbricht, und die Mieter_innen den Weg in die Selbstorganisation wagen. Deshalb sind wir grundsätzlich für neue Hausprojekte offen, genauso wie für Anfragen aus anderen Ländern. Oft ist die rechtliche Situation anders und das Syndikatsmodell muss erst „übersetzt“ werden. Derzeit gründen Menschen aus Österreich ein eigenes Mietshäuser Syndikat. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis das erste Syndikatsprojekt in Österreich, Spanien oder Frankreich Wirklichkeit wird.

Welcher Grundsatz wird dabei verfolgt?
    Jochen: Recht auf Wohnraum für alle! Solange der Syndikatsverbund die Grundstücksgrenzen und die Selbstbezogenheit der einzelnen Hausprojekte überwindet, gibt es keinen wirklichen Grund, an Regional- oder Ländergrenzen Halt zu machen. Der Solidartransfer soll Ausgleich schaffen zwischen Ressourcenmangel einerseits und Ressourcenüberschuss andererseits, auch an verschiedensten Orten. Das ist ein Kontrastprogramm zum kapitalistischen Investitionsverhalten, welches Kapital als Hebel benutzt, um über Zinsen ein Vielfaches der investierten Gelder wieder heraus zu holen.

Arbeiten die Mitarbeiter*innen ehrenamtlich oder sind diese fest angestellt und werden auch über das Syndikat bezahlt?
    Jochen: 95 Prozent der Arbeit erfolgt ehrenamtlich. In Freiburg gibt es eine (Viertel)Stelle für Mitgliederverwaltung, Buchhaltung usw.

In Zeiten der Gentrifizierung müsste euer Projekt eigentlich Schule machen? Wie groß ist der Zuspruch, respektive Zulauf an Anträgen und Projektrealisierungen in den letzten Jahren?
    Jochen: Die Anfragen steigen jedes Jahr, ebenso die Realisierungen.

Dafür ist ein großes Netzwerk wichtig und hilfreich. Welche Aktionsformen werden angewendet, um überhaupt erst mal ein Bewusstsein zu schaffen, dass Wohnraum für Alle möglich ist?
    Jochen: Jede Gruppe ist vor Ort unterschiedlich aktiv. Sämtliche Aktionsformen finden Anwendung.
 
Werden auch Anfragen abgelehnt? Was sind die Gründe?
    Jochen: Selten, weil die Gruppen, die es bis auf die Mitgliederversammlung „schaffen“, bereits im Vorfeld einen Auswahlprozess durchlaufen haben. Ein Ablehnungsgrund wäre z.B, wenn durch den Hauskauf Altmieter vertrieben würden.

Wie hat sich deiner Meinung nach die Wohnraumsituation in den Städten und Gemeinden durch das Mietshäuser_Syndikat verändert?
    Jochen: Hausprojekte ändern nur wenig an der Wohnraumsituation insgesamt. Dazu müssen es noch viel mehr werden. Es geht dabei aber nicht nur um Wohnraum, sondern auch um die Schaffung von Freiräumen, zB. nichtkommerziellen Cafés.

Welchen Hintergrund haben die regionalen Treffen? Geht es hier nur um Vereinsinterna?
    Jochen: Nein, dort findet die Arbeit vor Ort statt. Sie sind offen für Interessierte. 

Wird „Synapse“, die Zeitung des Mietshäuser Syndikats, noch publiziert? Recherchen zufolge ist die letzte Ausgabe 2011 erschienen(4). Das Medium böte ja auch ganz andere Möglichkeiten und politische Perspektiven und Diskurse...
    Jochen: Ja sie wird noch publiziert. Jedoch ist auch die Synapse selbstorganisiert. Sobald Aktive eine neue Ausgabe machen wollen, gibt es eine neue Ausgabe.

Was war für dich bislang das beeindruckendste Erlebnis mit und durch das Syndikat?
    Jochen: Beeindruckend finde ich immer wieder die Mitgliederversammlungen. Dort treffen bis zu 200 höchst unterschiedliche Menschen, vom Punker bis zur 80ig-jährigen Pastorin, aufeinander und sprechen wie selbstverständlich über Millionenbeträge und einigen sich.

www.syndikat.org

Anmerkungen:
(1) Hier findet ihr eine Kurzvorstellung vom Mietshäuser Syndikat:
http://syndikat.blogsport.eu/files/2011/03/Flyer_Syndikat_2011.pdf
(2) http://www.syndikat.org/go/
(3) http://www.syndikat.org/de/regionalstruktur/
(4) http://www.syndikat.org/wp-content/uploads/2014/01/synapse_nr7.pdf

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