PLASTIC BOMB #77

PLASTIC BOMB #77
80 DIN A 4 Seiten; € 3,50.-
Plastic Bomb, Postfach 100205, 47002 Duisburg
www.plastic-bomb.de
HC Helge ist stolz und freut sich, das nun endlich sein lange angekündigtes Buch “Network of friends” erscheinen ist.  In diesem Zusammenhang beschreibt er die “Network of friends”-Party in Marl, auf der alte HC-Bands wie THE FREEZE, RAW POWER, H.O.A.-Society, UNWANTED YOUTH…gespielt haben. Helge vergleicht den Charakter der Party mit dem Esprit, der Punk und HC auszeichnet: politisch, bewusst, alternativ, integer, aktiv, chaotisch, voller Lebensfreude. Die weiteren “Vorwörter” von Micha, Ronja und Herder sind erschreckend ausdruckslos und langweilig. Auch mit ABWÄRTS geht es gleich zu Anfang qualitativ in die selbige Richtung. Das von Micha geführte Interview erfüllt lediglich den Zweck, das neue Album “Europa Safe” zu promoten. Das folgende SNIFFING GLUE-Gespräch ist so gemütlich wie beim Kaffee-Kränzchen mit einem alten Bekannten, entsprechend gehaltvoll sind die Fragen wie “Was erwartest du vom neuen Album”, “Wenn du trinken würdest was du ja nicht tust- wärst du dann(…)entspannter?” Au weia, das wird ja immer schlimmer: der Inhalt bewegt sich auf dem Level eines Freunde-Buches, wo JedeR seine/ihre musikalischen Vorlieben, Hobbys und “witzigsten” Erlebnisse auf- und beschreibt.  Auch die von Björn im P.B. geführten Interviews sind im Wesentlichen so gehaltlos, dass hier ein verfasster Artikel als Bandporträt ausreichen würde, die Bandbiographie aufzuführen. Erst das von Ronja geführte Interview mit Michael zum Thema “Grauzone” ist der erste Highlight. Michael arbeitet für das “Apabiz” und war maßgeblich für den redaktionellen Beitrag im A.I.B. #91 zum Schwerpunkt-Thema “Einblicke in die Grauzone” verantwortlich und beteiligt.
Helge belebt den Geist von ’77 und stellt in kurzen Porträts 10 Bands aus USA vor, die seiner Meinung nach einen wesentlichen Teil dazu beigetragen haben, Punk in den USA weiter zu entwickeln. Unterirdisch geht es bei einem Konzert bei Gunter Gabriel zu, das Micha besucht und reflektiert. Warum tut Micha sich das an??? Sind Altpunker Masochisten, die mit dem selbst auferlegten Schmerz ein befreiendes Lächeln finden. Ronja navigiert sich mit einer naiv-charmanten Geschichte durch eine Autoroute von Duisburg nach Wuppertal mit ungeahnten Folgen für die Mitreisenden und die Technik unter der Motorhaube. Immer wieder klasse ist die Rubrik “Anders Leben”, die dieses Mal “Guerilla/Urban Gardening” und Guerilla Knitting” vorstellt und Menschen präsentiert, die Städte und Objekte mit Handarbeiten und Pflanzen verschönern. Die Botschaft ist, dass die Stadt uns ALLEN gehört und wir die Natur wieder in unser Blickfeld holen. Die Ankündigung, die Reviews auf ein lesefreudiges Mindestmaß heraufzuschrauben wurde nach nur einer Ausgabe wieder fallen gelassen. Nun wird die volle Aufmerksamkeit auf eine Schriftgröße  gelenkt, bei der Menschen bei ausgiebiger Betrachtung in Hypnose versetzt werden.
Vasco widmet sich in seiner “Propaganda”-Aufklärungsreihe den Ländern DDR und Iran, seziert die Vorurteile und Klischees, die insbesondere Von Medien der Springer_Presse geschürt werden. Dafür greift er Beispiele auf und widerlegt die Vorwürfe zur DDR-Geschichte von Staatspleiten, Mauerbau, fehlendem Wirtschaftswachstum und erläutert den “alltäglichen zivilen Iran”, der mehr zu bieten hat, als Diktatur, Terror, rechtlose Frauen, bärtige Mullahs…und kommt zum Ergebnis, dass die Geschichte von der Pleite-DDR “Quatsch” ist und Iran eine zivilisierte Kulturnation ist, die “unter einer repressiven religiösen Diktatur leidet.
Das Thema Vinyl vs CD wird unterhaltsam in einem Pro-Contra-Battle zwischen Micha (Pro-Vinyl) und Philipp (Pro-CD) aufgeführt. Philipp gewinnt durch eine schlagkräftigere Argumentationslinie nach Punkten.
Abschließend wird der Film und die Filmemacher_Innen von NOISE&RESISTANCE vorgestellt. Kommerz, Kapital und Konsum sind keine unumstößliche Notwendigkeit unserer Gegenwart. Die Dokumentation „Noise & Resistance“ von Francesca Araiza Andrade und Julia Ostertag führt zurück zu den Anfängen einer (musikalischen) Szene, deren Anhänger lieber als Aktivisten bezeichnet werden sollten. Lebende Legenden des CRASS-Kollektivs, Hausbesetzer und Antifaschisten kommen zu Wort und erklären, was ihnen Punk und DIY bedeutet. Die Erklärungen der Aktivist_Innen ähneln sich und wiederholen sich ständig, führt auch zu einer allmählichen Ermüdung innerhalb des ersten Filmteils. In den zweiten 45 Minuten gewähren Andrade und Ostertag dagegen einen sehr gut recherchierten Einblick in aufregende Subsubsubkulturen und veranschaulichen, gegen welche realen Probleme die Punk- und DIY-Aktivisten besonders in Russland heute kämpfen.
Gesamteindruck: Die Ausgabe bietet mehr Schatten als Licht. und lässt die gewohnte Souveränität und kreative Intention vermissen, die in vorherigen Ausgaben immer aufblitzte und die Qualität des P.B. gehoben hat. Mensch kann sich am Punk auch abarbeiten. Das zentrale Merkmal um kreative Handlungen identifizieren zu können, ist Authentizität, Kenntnis und der Versuch, über die Möglichkeit der Tätigkeit Ressourcen zu schaffen und auszubauen. Das sollte sich die P.B.- Redaktion mal wieder ins Gedächtnis rufen und sich in einen offensiven Diskurs bewegen. Dann funktioniert das Modell “Fanzine” auch weiterhin.

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