TRUST #149
68 DIN A 4 Seiten; €2,50.-
TRUST, Postfach 110762, 28087 Bremen
www.trust-zine.de
TRUST widmet der aktuellen Ausgabe dem Label "DISCHORD" aus Washington D.C. volle Aufmerksamkeit und gratuliert mit einem Special zum 30. Geburtstag. Für Jan und Dolf ist DISCHORD das
"integerste" Label. Der Labelrückblick ist zugleich auch ein Beleg für eine funktionierende DIY-Kultur, wobei sich die Labelarbeit und die Förderung auf Bands aus Washington D.C. konzentriert.
Dieses Konzept und die Starthilfe führte zur Kritik, dass das Label elitär sei, doch unbeirrt dessen benutzten sie Ressourcen, bauten Strukturen und ein Netzwerk auf, um damit vordergründig
Freunde und Bands zu helfen und eine Community aufzubauen, eine Gemeinschaft, kein Kommerz.
Diese spezielle Art der Labelpolitik ist es auch, was DISCHORD auszeichnet. Nach dem Erfolg von FUGAZI und nach dem NIRVANA-Hype folgte ein Run der Industrie auf
Underground-/Independentbands und -labels, aber weder FUGAZI noch DISCHORD haben sich kaufen lassen und verfolgten weiterhin die Idee, dass ein Label auch ein Geschäftsunternehmen ist, welches
ohne juristische Verträge auskommt, dass eine Alternative zur Industrie möglich ist, "die andere je nach Lust einbeziehen kann". Seltsam mutet es schon an, dass gerade die Philosophie, Musik für
sich selber sprechen zu lassen, diese zu bewahren und erhältlich zu machen zum Kaufargument wurde und DISCHORD bis heute charakterisiert. Musik als Kommunikation, als Kunstform verstehen, nicht
als "kaufbares besitz- und konsumierbares Merchandise" zu betrachten, ist die Motivation und der Funke, dass "Musik in Bewegung kommt, in den Umlauf gebracht wird, Menschen verbindet, den
Austausch von Ideen fördert, das Wachstum von Politischem und Persönlichem beschert" und nicht zur Ware verkommt. Insofern sind die Worte von Mark Andersen (Positive Force DC Abteilung) genau der
Kern dieser DIY-Kultur, nämlich dass DISCHORD mitgeholfen hat "saving the truth...with word, beat, voice and melody...but most of all, by the simple, humble, invincible power of example". Wow,
was für ein ergreifendes Schlusswort, das das Special beendet. Zuvor gibt es einen Labelüberblick aller bisherigen Veröffentlichungen, Interviews mit der DISCHORD-Familie von u.a. Ian MacKaye
(MINOR THREAT, EMBRACE, FUGAZI, THE EVENS), Jeff Nelson (DISCHORD-Mitbegründer, Schlagzeuger von u.a. TEEN IDLES, MINOR THREAT), Joe Lally (FUGAZI-Bassist), Gastbeiträgen von u.a. Alec Bourgeois
(Promoarbeit), Alec MacKaye, eine Labelgeschichte und die "Best of 5" Platten der TRUST-Redaktion und Gastschreiber, denen mensch ihre schiere Begeisterung über den Output anmerkt, stehen einige
subjektiv ausgewählte Scheiben doch im Zusammenhang mit einigen besonderen Lebensumständen. Fürwahr sind die frühen Veröffentlichungen des Labels und Platten von MINOR THREAT, DAG NASTY, RITES OF
SPRING, der Sampler "Flex your head", die späteren Werke von FUGAZI, GRAY MATTER, SCREAM zum Einen bedeutende Werke -Klassiker ya know- die den Prozess des Labels wie auch die Entwicklung der
regionalen Bands spezifiziert, zum Anderen auch dokumentiert, wie sich Punk verändert hat und DISCHORD es großartig verstand, sich niemals selbst zu limitieren -zumindest was die die musikalische
Ausrichtung anbelangt- und Pionierarbeit geleistet hat, der eben nicht einen speziellen DC-Sound hervorgebracht und produziert hat, sondern eben Musik in der rohen, energischen, einfachen Form
(STATE OF ALERT), rockige, gefühlvolle Komponente (BEEFEATER, RITES OF SPRING), melodische, poppige Nuancen (DAG NASTY, JAWBOX) und innovative, persönliche Projekte (THE EVENS) in einer
eigenständigen Art und Weise vorgestellt hat. Dass Ians Bruder, Ians Freundin und Mutter bei DISCHORD involviert waren, bezeichnet die vielfach beschworene Gemeinschaft, das familiäre Verhältnis
und die Freundschaften, die DISCHORD auch zu einem visionären Label werden ließen, das "die Menschen um das Label herum aus Punk einen lebendigen und atmenden Spirit gestalteten".
Gesamteindruck: Ein schönes, informatives Special mit Rückblicken, Anekdoten und ehrlichen Statements eines sympathischen Labels mit einer tragenden Labelpolitik voll engagierter
MitarbeiterInnen und Freund_Innen, die Musik als Kunstform betrachten, als Möglichkeit der Vernetzung, der Kommunikation, als Dokumentation einer facettenreichen Szene, die politische und
persönliche Inhalte aufgreift und weiter entwickelt. Die Schwierigkeit lag darin, sich mit Material und Auswahl zu beschränken. Die Ausarbeitung stellt indes einen wertvollen Beitrag dar, ist
vielfach Bewunderung und Ehrfurcht, der einen respektvollen Umgang und Dialog schafft und beweist, dass Punk eben doch mehr als Musik ist: "You can't be what you were. So you better start being
just what you are".