VASMERS BRUDER
v. Peer Meter, David v. Bassewitz
176 Seiten; € 17,90.-
ISBN 978-3-551-72969-9
carlsen.de
Zum Buch: Der Fall des Serienmörders und Kannibalen Karl Denke ist bis heute rätselhaft. Zwischen 1903 und 1924 hat er im schlesischen Städtchen Münsterberg (heute Ziebice) rund
30 Menschen getötet und zum Teil verspeist, und nur durch Zufall wurde er verhaftet. Bevor er jedoch verhört werden konnte, erhängte er sich in seiner Zelle.
Seine Motive blieben im Dunkeln. Peer Meter, der bereits das Szenario zu HAARMANN schrieb, hat sich zusammen mit dem Zeichner David von Bassewitz, daran gemacht, auf Grundlage dieser
Begebenheiten die Geschichte eines Mannes zu erzählen, der über Denke forscht, sich aber während dieser Arbeit selbst verliert.
Inhalt: In der polnischen Kleinstadt Ziebice ist der deutsche Journalist Martin Vasmer von der Polizei aufgegriffen worden. Vasmer ist auf der Suche nach seinem Bruder, der
spurlos verschwunden ist. Vasmers Bruder war nach Ziebice gereist, um vor Ort für eine Filmdokumentation über den Serienmörder Karl Denke zu recherchieren, dessen Fall bis heute rätselhaft ist.
Zwischen 1903 und1924 hatte Denke in der schlesischen Kleinstadt Münsterberg (heute Ziebice) mindestens 30 Menschen getötet, deren Fleisch gekocht und verspeist. Nur durch einen unglaublichen
Zufall wurde Denkes mörderisches Treiben aufgedeckt, jedoch niemals vollständig aufgeklärt, denn am Tage seiner Verhaftung erhängte er sich in seiner Gefängniszelle. Auf der Suche nach seinem
Bruder trifft Vasmer die Studentin Hanna Jablonska. Sie vermittelt ein Treffen mit Adam Sadowski, der mit Vasmers Bruder in Kontakt zu stehen scheint. Doch anstatt über das Verschwinden seines
Bruders Näheres zu erfahren, wird Vasmer von Sadowski tiefer und tiefer in die schockierenden Abgründe der Welt des Karl Denke geführt: Sadowski hat die alte Mordwohnung Denkes angemietet und
scheint dort einen seltsamen Kult um diesen Serienmörder zu betreiben. Aber wo ist Vasmers Bruder? Was ist in Ziebice geschehen? Die schreckliche Wahrheit offenbart sich wenige Stunden später auf
dem Polizeirevier.
Gesamteindruck: Peer Meter hat für seine dritte Graphic Novel erneut Polizei- und Prozessakten eines Serienmörders durchforstet, um das menschliche Grauen sichtbar zu machen. Der
"bleierne Alptraum" begann erst nach dem Selbstmord von Karl Denke und der darauf folgenden Hausdurchsuchung, als die Beamten u.a. Gefäße mit in Salzlake eingelegte Brustwarzen, behaarte
Fleischstücken, sowie Skelette im Schuppen und im Stadtwald und Schnürsenkel aus Menschenhaut gefertigt auffanden. Denke hatte offensichtliche Spuren hinterlassen und auch auf losen Blättern
Angaben zu den Opfern (Nummer, Name, Gewicht) festgehalten. Durch Denke's Selbstmord gab es keinen Prozess. Allerdings sorgte die weltweite Berichterstattung über die Serienmorde für einen
schaulustigen Auflauf am "Mordhaus". Denkes Leiche wurde auf den Friedhof anonym verscharrt, die Asservate an einer unbekannten Stelle vergraben. Diese Aspekte greift Peer auf und inszeniert ein
dramaturgisches Bild, das David von Bassewitz schauerlich-blutrünstig illustriert. Dabei setzt er auf eine Kohle-Wischtechnik und schärft die wesentlichen Merkmale, die für die Situation und
Handlung entscheidend sind, beschränkt sich auf kleine grafische Details und lässt Raum für Spekulationen und Suggestion. Auffällig ist, dass David sich selbst als die Figur Vasmer porträtiert.
Künstlerisch beeindruckend ist auch, wie David es schafft, Gefühle wie Angst einzufangen und zu illustrieren (z. Bsp.: S. 90, 91), die Beklemmung ist spürbar und die Situation immer bedrohlich.
Durch den zeichnerischen Stil und die verwischten Schwarztöne entstehen Schatten und Lichteffekte, die Dramatik und das Grauen visualisieren.
Peer Meter vermeidet Erklärungsmuster des Serientäters und verknüpft drei wesentliche Faktoren für eine neue Handlungsstruktur: das Haus des Täters, die Asservate, die antisoziale
Persönlichkeitsstörung. Gelungen ist die Verbindung zu den damaligen Geschehnissen und den Forschungsergebnissen, die durch die Figur Sadowski erzählt und von David illustriert werden. Die
zunehmende Beklemmung und die fortschreitende Angst gipfelt in einen dramatischen Höhepunkt, der begleitet wird von einer Wahnvorstellung und Affekthandlung der Hauptfigur Vasmer, die wiederum
ein Trauma auslöst und die psychotischen oder schizophrenen Symptomen von Vasmer und Denke überlagert. Ein gelungener Schachzug, den Peer und David angewandt haben, um die Gewaltphantasien, die
organisierte Besessenheit einerseits und die konstruierte Angst, Panik und das Entsetzen anderseits kreativ umzusetzen. Das Böse ist allgegenwärtig und meist sind es die eigenen Dämonen, die
angstbesetzte Visionen auslösen und konkrete Folgen haben.