MOLOKO+ #49

 MOLOKO+ #49
MOLOKO+ #49

MOLOKO+ #49
72 Seiten; €3.-
Torsten Ritzki, Postfach 110537, 45355 Essen
www.moloko-plus.de
Da ist Torsten nach seinem ultimativen Covermotiv fündig geworden und hat mit Coveroldboy "Kübel" (fotografiert von Tim Hackemack für seine Reihe Yesterdays kids") ein Porträt verwendet, was in mir folgende Assoziationen weckt: "Zu dir oder zu mir?", "Frag mich bloß nicht nach einem Euro!", "Obdachlos und trotzdem sexy!"
Paradise ist entzückt vom Debütalbum der THE BLOODTYPES, hat Blut geleckt, die jedes Mal, wenn sie in eine anderen Stadt spielen, das Publikum auf ihre Seite ziehen müssen, weil sie keine traditionelle Punkband sind. Üblich und gewohnt folgen einige Porträts und Biographien alter Szenehasen. Sir Paulchen greift tief in die Lebenskiste von Arthur Kitchener und reflektiert dessen unstetes Leben und sein Erweckungserlebnis, vom Frechdachs zum Skin zu mutieren, um dann in dem Liedermacher-Stand sesshaft zu werden. Abgezockt fühlen sich AGENT BULLDOG und nehmen die Sache lieber selbst in die Hand und betteln nicht, um nur bei einem bestimmten Label unterzukommen, "damit sie sich dann hinter einen bestimmten Namen verstecken können". Wichtige Ziele verfolgen auch MR. IRISH BASTARD und wollen das beste Album machen, was sie machen können. Harald Juhnke hat auch das beste aus seinem leben gemacht, ging barfuß und mit Lackschuh durchs selbige und handelte nach dem Motto: Spielen wie ein Gott, saufen wie ein Loch.
Paul von REAGAN YOUTH interessiert Geld nicht und erkennt ein gewisses Konzept zwischen alten und neuen Songs, die von freier Liebe und Punkrock handeln, "sowas wie Mischung aus Hippie und Punk!"
Paradise entführt die LeserInnen in den dritten Teil seiner California Punkrock_Safari und gibt viele Details und Anekdoten zu BLACK FLAG, DESCENDENTS und THE LAST preis, die mit The Church eine Begegnungsstätte hatten und mit Joe Nolte einen Zeitzeugen, der die Vergangenheit lebendig werden lässt. Auch die Vergangenheit vom "Strength thru OI!"-Coverboy Nicola Vincenzio Crane wird aufgearbeitet, der mit einschlägigen Argumenten die Ideale und Ziele der British Movement auf die Straße trug, sich für die Schwulenszene begeisterte und sich in der homophoben NS-Ideologie zunehmend als Heuchler fühlte.
Die EASTSIDE BOYS lassen mich teilhaben an ihren Traum von ihrer ersten eignen Single aus dem Jahr 2000 und sind immer noch aufgeregt, wenn heuer ein neues Baby(Tonträger) das Licht der Welt erblickt.
Auch die Karriere von BOOTS&BRACES wird aufgezeigt. Gegründet von den Gebrüdern Walz zog es die Band zum Rechtsrock-Label Rock-O-Rama, B&B spielte auch mit Rechtsrock-Bands wie NOIE WERTE zusammen. Mitte der 90er Jahre versuchten sie, ihren rechten Ruf loszuwerden, wollten aber auch niemanden ausgrenzen: Matze erklärt im Interview, "wir waren nie eine politische Band" und weiter "Aber(...)wir haben uns auch nie gegen unsere Fans aus der rechten Ecke ausgesprochen(...)Solange die Leute ihre Gesinnung am Eingang draußen ließen, kamen wir mit allen zurecht(...)." B&B geriert sich einerseits als "unpolitisch" und will ihre "rechten" Fans nicht enttäuschen. Das soll Verständnis für eine apolitische Haltung ausdrücken und als ein heterogenes Gebilde im Punk und OI verstanden werden. Das Problem: Immer häufiger stößt mensch (nicht nur) in Kulturszenen auf ein Verständnis, das "Politik" auf die reduziert, die sich selbst politisch definieren (wie Parteien) und allenfalls in unmissverständlichen Neonazi-Parolen etwas "Politisches" erkennen mag. Es mangelt also an einem Bewusstsein über die unterschiedlichen Ebenen und Ausdrucksformen gesellschaftlicher Diskriminierungs- und Ausschlussmechanismen, die für B&B einfach nicht existieren, zumindest solange wie ihre Fans diese vor der Türe lassen.
Gesamteindruck: In der vorletzten Ausgabe bestimmen Biographien und Karrieren den Inhalt, die durchaus widersprüchliche Entstellungen und Weltbilder offenbaren, die Gewalt und Rebellentum suggerieren und im Zusammenstoß mit der traditionellen Subkultur eine Illusion erzeugt, die einen Zusammenhang von Rationalität und Gefühl, von Intelligenz und Emotionalität herleitet, und unter Ausschluss von politischen Inhalten die Abtrennung von Eigenverantwortung und hegemoniale Diskurse standardisiert.

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