Homophobie in Bewegung
Punk/HC sind nicht nur Musikstile, sondern auch Medien kultureller Artikulation. Als
wichtiges Element dieser Selbstpositionierung dient die Konstruktion einer Geschlechtsidentität, die spezifisch für die betreffende Subkultur ist.
Die Spurenlese nach Männlichkeitssymbolen in der Musik ist gebunden an die Geschichte von Männlichkeitsstereotypen. Die
These, dass Männlichkeit, nicht anders als Weiblichkeit, ein Kunstprodukt sei, ein kunstvollkünstlich erzeugtes Gewebe von Vorstellungen, Bildern und Zuschreibungen, hat neue
Forschungsperspektiven eröffnet. Wie verläuft jener Konstruktionsprozess, wer ist daran beteiligt und interessiert? Gibt es konkurrierende Bilder, und auf welche Weise werden sie an den Mann
gebracht? Verändern sich Zuschreibungen, und wenn ja, warum?
Diese Fragen stehen auch im Mittelpunkt des Buches von George L. Mosse (“Das Bild des Mannes-Zur Konstruktion der modernen Männlichkeit” aus dem Amerikanischen von Tatjana Kruse S. Fischer,
Frankfurt/M. 1997)
Der amerikanische Historiker deutsch-jüdischer Herkunft unternimmt darin einen Streifzug durch zwei Jahrhunderte vornehmlich deutscher Geschichte. Vom späten 18. Jahrhundert bis in unsere
unmittelbare Gegenwart hinein sucht er nach dem “Bild des Mannes”, nach dem “männlichen Ideal”, dem “maskulinen Stereotyp”. Er untersucht den Prozess der Normsetzung im Zeitalter Lavaters und
Winckelmanns, er verfolgt den Siegeszug der “modernen Männlichkeit” in Turnvereinen, Schulen und Militär, er arbeitet die Gegenbilder und Anti-Typen heraus.
Frauen, Juden, Homosexuelle, Zigeuner – gegen diese Außenseiter der bürgerlichen Gesellschaft wurde das normative Bild moderner Männlichkeit konstruiert und popularisiert. Wie machtvoll und
durchsetzungsfähig es war, zeigte sich nicht zuletzt daran, dass selbst jene Gruppen und Bewegungen, die sich davon zu distanzieren suchten, ihm immer wieder aufsaßen. Auch Homosexuelle und
Sozialisten, so Mosse, konnten sich der “Strahlkraft” des Stereotyps nicht entziehen auch die Arbeiterbewegung huldigte dem Kult starker, disziplinierter, mutiger Männlichkeit.
Üblicherweise lassen sich diese Stereotype verdinglicht bzw. konkretisiert in Texten oder Bildern entdecken. Die meisten Beispiele zu musikalischen Männlichkeitssymbolen sind textgebundener Musik
entnommen, und ihre Deutung ist primär text- und nicht musikbezogen. Das ist kein Zufall. Denn bei Musik handelt es sich, im Gegensatz zu Bildern und Sprache, um ein nicht-diskursives
Kommunikationsmedium. Musik mit ihren Tönen, Klängen, Geräuschen, Harmonien und Rhythmen ist erst einmal und vor allem eins: geschlechtsneutral.
Punk hat die Popkultur sexualisiert (S/M-Mode, Malcolm McLarens „Sex“-Shop, Bandnamen wie The Sex Pistols, The Vibrators, The Slits etc.) und war doch gleichzeitig asexuell, richtete sich gegen
das Diktat von Schönheit im Pop und gegen die ewig gleichen (heterosexuellen) Liebeslieder. Schon früh haben Musikerinnen im Punk weibliche Klischees in der Gesellschaft aufgedeckt (The Slits,
X-Ray Spex), queere Ästhetik hat vor allem in der ersten Punk-Generation eine wichtige Rolle gespielt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (z.B. The Dicks) bestand jedoch bereits die zweite
Generation – Oi!-Punk in Großbritannien, Hardcore in den USA – aus männerbündlerischen Szenen. Aktive Musikerinnen finden sich hier kaum, manche Bands (z.B. die Bad Brains) waren extrem
schwulenfeindlich. Erst im Zuge der Riot Grrrl-Bewegung Anfang der 1990er-Jahre kehrten verstärkt feministische und schließlich auch queere Elemente im Punk zurück. Der Vortrag zeichnet anhand
der historischen Entwicklung von drei Jahrzehnten Punk nach, wo sich im Punk gewinnbringende queere Ansätze finden und wo Punk in tradierte Geschlechterrollen zurückgefallen ist. Erstaunlich
genug, dass eine Bewegung, deren Name auf eine Bezeichnung für Schwule im Gefängnis zurückgeht, auch homophobe Tendenzen hat ausbilden können!
Gleichgeschlechtliche Liebe und Liebende werden trotz reformierter Gesetze im Alltag diskriminiert, bedroht und sogar umgebracht, wenn sie sichtbar und nicht im Geheimen gezeigt wird.
Allein die Sichtbarkeit von Schwulen oder Lesben in der Öffentlichkeit erleben viele Menschen nach wie vor als „Provokation“.
Je sichtbarer und selbstverständlicher queeres Leben im Alltag wird, desto eher schaffen wir einen öffentlichen Raum, der homophobe Gewalt nicht duldet. Ein jeder Mensch hat ein Anrecht auf
psychische und körperliche Unversehrtheit.