Nichts kann ich verstehen, weder das Strudeln meiner Gene, noch das Schreiten meiner Füße, verstehe weder Vater noch
Mutter, den Mond, was er zu leuchten hat, die Sonne, was sie zu brennen hat, nichts kann ich verstehen, weder das tägliche Abwenden der Selbstmordschübe aus dem Nichts, noch die stets
wiederkehrenden, horrenden Betriebskostenabrechnungen der sozialen Wohnungsbau-Genossenschaft, nicht den Bo-Frost-Mann, der stets vergeblich schauend vor meinem Fenster eine Glocke läutet, nicht,
daß ein schon blitzblanker Treppenflur dennoch geschrubbt werden muß.
Kann nicht verstehen, weshalb das Hirn durch ausbruchsichere Bahnen wankt, sich hinkend um die eigene Achse schwingt, nichts kann ich verstehen, weder Trieb noch Liebe, deren Reue noch Hass,
weder vertrockneten Saft, noch den platzierten.
Ich kann es mir anschauen und nicht verstehen, weder den recycelten Schrott zerschossener Stahlhelme, noch die Asche deren Träger, nicht das Tummeln der Maden auf noch heilenden Wunden, nicht das
Ablegen von Leichen zum Verwesen in einem eingezäunten Park der Wissenschaft, kann es schmecken und nicht verstehen, daß der Hunger vor dem Tode aufgeblähte Bäuche macht, ich kann es sehen und
hören und nicht begreifen,
weder das Getute der Instrumente des Lebens, noch die besinnungslose Macht der schwungvollen Stücke im Hupen ihrer Sinfonien, nicht das Schnäuzen und Verschlucken, nicht das Sticken eigenen
Speichels, den Qualm der Zigaretten, den Schnaps, die Pillen, das Geld, das Sparbuch...,
die Lust auf Rosenkohl und heißen Fisch aus kaltem Wasser.
Nur das Nichts tut manchmal so, als könnte es begreifen, weil es nicht vermutet, worum es sich dreht.
Die alte Frau schlägt die Eiskarte zu. Schaut ihren Mann an. Und dann schlägt sie ihre Karte mit den bunten Eisbildern wieder auf und fragt leise: "Möchtest du mal sehen, was für einen schönen
Eisbecher ich mir bestellt habe?"
Ihr Mann brüllt einfach aus dem Nichts: "Das ist mir doch egal, was du dir bestellst!Von mir aus kannst du dir auch einen Becher voll Scheiße bestellen!“
Und der Schwiegersohn sagt: "Das ist aber nicht so lecker“, steht auf und sucht das Klo. Und der rangeschleppte Eisbecher der alten Frau sieht blutig aus, und ihr Mann ißt zwei Kugeln ohne alles,
zahlt und die Kellnerin hört: „Ich eß immer nur zwei Kugeln, weil ich die an Frauen auch so mag.“
Doch sie lacht nicht, "hat es geschmeckt?", und wendet sich ab. "Nächstes Jahr feiern wir sechzigsten Hochzeitstag. So lange mußt du noch durchhalten Mutti"‚ sagt der alte Mann zur alten Frau,
„und ihr seid herzlich eingeladen. Ihr kommt doch?“
Und die Tochter sagt: „Ja.“
Und der Schwiegersohn sagt: „Selbstverständlich.“
© J. Landt