Im Religionsunterricht 3. Klasse wurden wir zu Gott befragt, wie wir ihn uns vorstellen und was er so alles getan hat bzw.
tut. Zunächst sollten wir ein Bild malen. Gott schien bei uns Jungen und Mädchen irgendwie gleich auszusehen. Ein großer alter Mann mit weißen Haaren und einem weißen Bart. Sabine hat ihm noch
einen Hut aufgemalt und bekam von der Lehrerin ein Sternchen mehr, Markus hingegen malte Gott mit einer Flosse anstatt 2 Beinen und einem Dreizack in der Hand und wurde
ausgelacht.
Ich zerknüllte mein Bild und warf es weg. Frau Liebherr-Sonnemann befragte mich nach dem Grund. „Ich glaube, Gott ist tot!" flüsterte ich und fing an zu weinen. Frau Liebherr-Sonnemann verschlug
es die Sprache, in der Klasse wurde es mucksmäuschenstill. Als sie sich wieder gefasst hatte, ging sie vor die Tür und es dauerte unendlich lange, bis sie wieder zu uns hereinkam. Sie war nicht
alleine, sondern brachte den Rektor, Herrn Konrad, mit. Gemeinsam standen sie vor der Tafel, als Herr Konrad das Wort ergriff: „Nun, Gott ist keine Person wie der Briefträger, der Polizist, kein
Politiker oder Zugführer. Gott ist überall und manchmal gibt er ein Zeichen, wenn du nach ihm rufst. Du solltest dann hinhören und mit ihm sprechen. Auch wenn du keine Antwort erhältst, wirst du
verstehen, was du zu tun hast und du wirst glücklich und zufrieden sein. Und vor allem: dankbar!“
Herr Konrad faltete beim Reden die Hände, lächelte sanftmütig und wartete auf eine Reaktion der Klasse. „Ist Gott in der Ampel drin?“ fragte Lisa. „Immer wenn ich über die Straße gehen will und
es dauert so lange, dann wünsche ich mir, dass die grün wird...und dann piept es und es wird grün...war das Gott?"
Die Klasse fing an zu lachen. Herr Conrad hob die Hände und bat um Ruhe: „Fragt doch mal eure Eltem, wie sie mit Gott reden und wie sich ihn vorstellen. Das ist eure Hausaufgabe und morgen
wird euch Frau Liebherr-Sonnemann dazu befragen!" Es klingelte. Wir hatten große Pause. Wir rannten nach draußen, aßen unser Schaumkussbrötchen, tranken Kakao und stellten Vermutungen an, wo Gott
lebt, ob er eine Frau hat oder was er gerade so tut, wenn er mit seiner Arbeit fertig ist. „Der weiß alles, der kann auch alles!“ sagt Tobias. Wir stimmten ihm zu. „Mein Vater hat gesagt, er kann
auch alles. Er repariert alles im Haus...Mama sagt, er weiß immer alles besser. Hm, genau wie bei Gott!" mutmaßte Claudia. „Du spinnst doch...Gott ist im Himmel und wacht über uns...wie ein Hirte
seine Schafherde!“ weiß Klaus-Dieter. „Mäh....Mähh" riefen wir, jagten Klaus-Dieter und tobten über den Schulhof...
Am Mittagstisch fragte ich Mama nach Gott. Es kam wie aus dem Nichts...
“Mama, kann Gott alles reparieren und alles wissen wie Claudia's Vater?“
Meine Mutter legte das Besteck beiseite und sah mich kauend von der Seite an: „Wie kommst du denn auf so was?“
Reichlich desinteressiert widmete sie sich wieder dem Zerschneiden der Frikadelle zu. „Na, Herr Konrad hat uns gebeten, die Eltern nach Gott zu fragen?" erklärte ich und stocherte mit der Gabel
in den Kartoffelbrei. „Und was hat das mit Claudia's Vater zu tun?"
Meine Mutter blickte nicht einmal hoch. Sie stand auf und räumte ihren Teller weg. „Nun iss mal zu, es gibt noch Nachtisch“, sagte sie mir, während sie mir den Rücken zukehrte und an der Spüle
stand. „Ist Gott überall?" hakte ich vorsichtig nach.
„Du stellst aber auch Fragen heute?! Pffft, Gott...ist ein großer alter Mann mit weißen Haaren und einem weißen Bart. Weiß auch nicht. Nun is mal deinen Nachtisch, sonst räum ich ab!"
Plötzlich geht die Tür auf und Frank kommt herein. Frank ist mein Bruder und 3 Jahre älter. „Redet ihr über Gott? Ich denke das Gott ein hässlicher alter Mann ist, der mehr tot als lebendig ist
und von Satan geknechtet wurde...sozusagen ein Gemobbter, der sich nie wehren konnte. Deswegen hat er sich eine eigene Welt geschaffen die er regieren kann...".
Das klang irgendwie logisch. Frank ist ein kluger Junge und kann Dinge immer so gut erklären. „Wasch dir noch die Hände, bevor du dich hinsetzt" mahnte meine Mutter und Frank flüsterte mir
zu.
„Gott sieht alles, also pass bloß auf!" und sprach übertrieben laut: „Gott sitzt vor einem großen Fernseher und sieht alles, was wir machen!"
„Die Eltern von Claudia haben auch einen großen Fernseher!" sagte ich, als meine Mutter wortlos meinen Teller abräumte und mir den Nachtisch in einer Schüssel reichte. 'Hm, vielleicht ist
Claudias's Papa doch der Gott', dachte ich.
„Mama, kann ich nachher noch zu Claudia?“ fragte ich zielsicher. „Ja, aber sei vorm Dunkel werden wieder zu Hause!"
Auf dem Weg zu Claudia malte ich mir aus, wie Gott aussieht und stellte fest, dass Claudia’s Vater gar keinen Bart hat. Auf der Einfahrt zum Haus stand Claudia‘s Vater am Auto und hatte einen
verschmierten Lappen in der Hand.
„Na, Fred, Sportsfreund, willste zu Claudia? Die ist oben...geh mal rein!"
Claudia's Papa hat immer was zu tun und ist immer sehr freundlich. „Na, Claudia? Ich habe eben Gott getroffen!" sagte ich freudestrahlend. „Und, wie sieht er aus?" fragte Claudia gespannt und
aufgeregt. „Genau wie dein Vater“ nickte ich zustimmend. „Hab ich's doch gewusst!" sagte Claudia stolz. „Was wollen wir morgen in der Schule sagen?" fragte ich etwas ratlos...
„Na, das Gott immer freundlich ist, alles weiß, alles kann und am Sonntag Taschengeld verteilt, wenn wir lieb sind!" sagte Claudia selbstsicher und bestimmt. „Genau...das klingt gut!“ bestätigte
ich und dachte bei mir, dass ich das mit dem großen Fernseher besser weglassen sollte...das würde mir eh niemand glauben.
© Fred Spenner