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Der Traum von Olympia

Der Traum von Olympia
Der Traum von Olympia

Der Traum von Olympia
v. Reinhard Kleist
154 Seiten, gebunden; € (D) 17,90 | € (A) 18,40 | sFr 25,90
ISBN 978-3-551-73639-0

carlsen.de
Zum Buch: Mit „Der Traum von Olympia“ erzählt Reinhard Kleist die wahre und dramatische Geschichte der Leichtathletin Samia Yusuf Omar. Die Sprinterin vertrat Somalia bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking. Sie gelangte abgeschlagen ins Ziel und doch verfestigte sich bei ihr ein einziger Wunsch: bei den Olympischen Spielen 2012 in London erneut an den Start  zu gehen.

Ihre Armut, die repressive islamische Gesellschaft Somalias und nicht zuletzt auch die schlechten sportlichen Bedingungen im Land brachten sie zu dem Entschluss, Somalia zu verlassen und ihr Glück in Europa zu versuchen. Ihr monatelanger Weg führte sie über Äthiopien, in den Sudan und schließlich nach Libyen, wo sie ein Boot nach Italien bestieg. Doch Italien erreichte sie nicht – bei ihrer Überfahrt in einem Flüchtlingsboot kam sie ums Leben.  
Hintergrund: Reinhard unterhielt sich mit der Journalistin Teresa Krug, die mit Samia befreundet war und sprach mit Samias Schwester Hodan Yusuf Omar, der es 2006 gelungen war, von Somalia nach Helsinki zu fliehen. Reinhard räumt ein, dass er aufgrund der Tatsache, dass viele Ereignisse der Flucht nicht mehr nachvollziehbar sind, Situationen für die Graphic Novel konstruieren musste. Schwierig für ihn war es, sich in Menschen hineinzuversetzen, die wie Samia auf der Flucht sind und was ihnen widerfährt. Gleichzeitig weist Reinhard daraufhin, dass die vielen Facebook-Einträge im Buch frei erfunden sind und der Vermittlung von Informationen dienen.

Gesamteindruck: Reinhard beginnt die dramatische Schicksalsgeschichte mit dem sportlichen Ereignis, Samias Olympia-Lauf in Peking und wie ihre Familie diese wahrnimmt. Kaum zurück aus Peking wird Samia mit einem Alltag konfrontiert, in dem die die radikalen al-Shabaab die Straßen kontrollieren und Angst, Schrecken und Tod bringen. Für Frauen schickt es sich nicht, zu rennen oder sich in der Öffentlichkeit ohne Kopftuch zu zeigen. Das bekommt Samia auch deutlich zu verstehen und wird von Milizeinheiten bedroht. Reinhard verzichtet größtenteils auf zeichnerische Details im Hintergrund, sondern konzentriert sich auf die Figuren, auf die Gestik und Mimik, die einer Charakterstudie gleicht, um die Emotionen stärker hervorzubringen. Samia ist nur glücklich, wenn sie läuft, denn dann kann sie alles vergessen. Reinhard bringt den Drang nach Freiheit und das Bürgerkriegs-Szenario in einen krassen Kontext und lässt Samias fiktive Gedanken freien Lauf, in denen sie nicht länger in "diesem Chaos leben" will und daran glaubt, dass es noch etwas mehr geben muss. Absurd ist aber, dass Reinhard Samia in den Mund legt, Madonna sehen zu wollen, die "aber bestimmt nie nach Mogadischu kommt".
Und dann beginnt die Flucht. Eigentlich hätte schon bei ihrer ersten Station in Äthiopien alles gut werden können. Hier wollte sie mit anderen Olympia-Teilnehmern für die nächste Olympiade in London trainieren, aber diese wollten nicht mit einer Frau trainieren, zudem wird ihr Visum nicht verlängert. Also wird Samia immer weiter von ihrem Willen getrieben, es in Europa zu schaffen. Und ab hier beginnt die dramatische Odyssee, die gekennzeichnet ist von Repressionen, Warten, Vertrauen, Gefängnisaufenthalt, Angst und Tod.
Reinhard hat sicherlich lange an einem Ende gearbeitet, das die Dramatik widerspiegelt und löst es geschickt mit zwei Übergängen, die sich aus der Fluchtsituation im Boot lösen: Ein großes Bild, das Samia im Zieleinkauf zeigt und ein philosophisches Zitat, wie Laufen und das Paradies im Einklang stehen können. Zum Anderen führt Reinhard eine zeichnerische YouTube-Recherche zu Samia durch und lässt Abdi Bile (Landsmann, 1500-Meter-Weltmeister von Rom 1987) zu Wort kommen, der anlässlich der Feier zu den beiden Olympiasiegen des in Somalia geborenen britischen Läufers Mo Farah unter Tränen an Samia erinnert: "Die junge Frau ist tot, tot, weil sie in den Westen wollte."

Reinhard hat das Schicksal von Samia ganz ohne Übertreibungen rekonstruiert und lässt die LeserInnen ganz nah an einer starken Persönlichkeit teilhaben, die im Grunde niemals aufgibt und mit Gottvertrauen alles opfert, damit ihr Traum von einem besseren Leben, von einer erneuten Olympia-Teilnahme Wirklichkeit wird. Eine starke Frau, die sich gegen den Widerstand muslimischer Kräfte in ihrer Heimat den Olympiastart erkämpft hat.
Darüberhinaus macht Reinhard das Scheitern sichtbar, schildert die verzweifelte Auswirkungen und die Lage der Frauen im Islam, prangert auch das Geschäft mit dem Menschenschmuggel an, bei dem Menschen sich finanziell an dem Leid und der Not anderer bereichern.

Samia Yusuf Omar
Samia Yusuf Omar

Samias Schicksal steht stellvertretend für eine repressive EU- Flüchtlingspolitik, die systematische Menschenrechtsverletzungen, sogenannte push backs und Mord zur Folge haben. Reinhard klagt diese nicht direkt an, erwähnt aber im Vorwort, dass die Schicksale, der im offenen Meer ertrunken Flüchtlinge, zu einer Randnotiz verkommen, Zahlen, die "man nicht mehr wahr nimmt".
Reinhard holt mit "Der Traum von Olympia" eine Geschichte aus dem Vergessen heraus, die sich hinter den abstrakten Zahlen der Toten verbirgt. Umso wichtiger, dass wir uns vor Augen führen, dass eine humane Flüchtlingspolitik nicht gewollt ist, und dass Samias Schicksal auch eines offenbart: das Scheitern der europäischen Flüchtlingspolitik.