Neonazis instrumentalisieren die Ängste in der Bevölkerung vor Sammelunterkünften und Flüchtlingsunterkünfte, initiieren Protest-Aktionen, schüren Ressentiments und heizen die Stimmung im
bürgerlichen Milieu an, versuchen damit, Anschluss an weite Teile der Bevölkerung zu bekommen. Einen erheblichen Einfluss darauf haben soziale Netzwerke, auf denen rassistische Onlinehetze zu
tatsächlichen Angriffen auf Flüchtlinge und deren Unterkünfte führen. Neben besorgten BürgerInnen und AnwohnerInnen beteiligt sich die extreme Rechte an Anwohnerversammlungen und
Bürgerinitiativen, um gegen eine „Überfremdung“ und gegen das „Multi-Kulti-Empire“ vorzugehen und schreckt dabei nicht vor Gewalttaten zurückschrecken.
Im Jahr 2014 haben Pro Asyl und die Amadeu Antonio Stiftung 153 gewalttätige Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte gezählt, darunter 35 Brandstiftungen.
Das „Wir-Gefühl“ als Label
„Wir müssen unsere eigene Kultur schaffen, denn unsere Werte sind nicht die des Systems, und wir müssen alle Möglichkeiten nutzen, um diese unsere eigene Kultur zu verbreiten.“
Phalanx Europa(1) ist ein Projekt, an dem ausschließlich identitäre Aktivisten mitarbeiten und versteht sich als Teil einer identitären Gegenkultur. Dahinter
verbirgt sich eine selbsternannte „Jugendbewegung“, die sich dem Kampf gegen Islamisierung und die Multikulti-Ideologie verschrieben hat. Hip, modebwusst und kommerzielle versucht Phalanx Europa,
gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit als cool und chic zu propagieren und zu verkaufen und gleichzeitig die eigene kulturelle Identität und die imaginären Volksgemeinschaft zu verteidigen. Dazu
wird das Bild des guten Europäers suggeriert, „für eine geistige Revolution, für die multipolare Welt und ein goldenes Zeitalter.“
Wer die Klamotten trägt, positioniere sich klar und demonstriere eine ästhetisch-politische Tat: „Gegen das Multikulti-Empire, gegen tatenlose Spießer und visionslose Pessimisten. Nein zur
Überflutung Europas(...)“(2).
Eng verknüpft ist diese Ideologie mit der IDENTITÄREN, die den Stopp von Masseneinwanderung und den damit verbundenen Schutz der „deutschen Identität“ fordern. Die
Pseudo-Toleranz der Identitären Bewegung setzt sich aus einer Pseudo-Toleranz zusammen: Ja zu Vielfalt und verschiedenen Kulturen, Befürwortung die Existenz anderer Nationalitäten und auch
anderer nationaler Identitäten, die jedoch im „angestammten“ Heimatland gelebt werden sollen, damit sich die verschiedenen Bräuche, Sprachen, Kulturen nicht vermischen. Diese Idee der
Verteidigung des eigenen Landes gegen Masseneinwanderung oder die angebliche Islamisierung Europas findet nicht nur in den Köpfen dieser diskriminierenden Menschen, sondern nun auch auf ihrer
Kleidung Platz. Darunter gehören Shirts mit abgewandelten, linken Aussagen wie „Islamists not welcome“, „Still not loving Antifa“, „Let's fight Gleichheit“.
Die Aufdrucke erinnern zum Teil an popkulturelle Elemente oder gar linksalternative Kleidung. Die Macher Patrick Lenart und Martin Sellner sind als Identitäre in Österreich
bekannt, treten öfter auch bei identitären Aktionen vor Medien als Wortführer auf. So gelingt es ihnen, sich als politisch engagierte Identitäre darzustellen, die ihr weniges Geld zusammenwarfen,
um dieses Modelabel ins Leben zu rufen – um eine „Gegenkultur“ zu schaffen.
Das Konzept: Rassismus und Menschenfeindlichkeit in einen popkulturellen Hipster-Lifestyle-Kontext bringen.
Die IDENTITÄREN mischten sich auch in Hannover unters „besorgte“ Volk, um islamfeindliche Stimmung zu betreiben. Bei der ersten Hagida-Demo in Hannover Ende Januar war Olaf Schulz der
Organisator, der sich seit vielen Jahren in der engagiert sich seit Jahren in der islamfeindlichen identitären Bewegung engagiert. Nach Angaben des niedersächsischen Verfassungsschutzes trat die
Gruppierung erstmals im Oktober 2012 im Internet in Erscheinung – nur einen Monat nach dem Verbot des rechtsradikalen Zusammenschlusses „Besseres Hannover“.
Auf der ersten Hagida-Demo marschierten auch mehrere Ex-Mitglieder dieser Gruppe mit. Diese extrem rechte Gruppierung machte zwischen 2008 und 2012 mit fremdenfeindlichen
Aktionen auf sich aufmerksam. So zogen sie im Sommer 2011 als „Unsterbliche“ mit weißen Masken und Fackeln durch Kleefeld. Darüber hinaus gaben sie die Schülerzeitung „Der Bock“ heraus.
Mindestens eine Ausgabe landete auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. Bekannt wurde die Organisation durch mehrere Videos, in denen der sogenannte „Abschiebär“
auftrat. Im September 2012 verbot der damalige niedersächsische Innenminister Schünemann die Gruppierung und präsentierte bei Durchsuchungen sichergestellte Gegenstände wie Hakenkreuzfahnen. Bis
heute warten die Anführer von Besseres Hannover auf ihren Prozess wegen des Verdachts der Volksverhetzung in fünf Fällen. Auf der Hagida-Demonstration zeigten sich auch mehrere Sympathisanten in
Hogesa-T-Shirts mit dem Slogan „Gemeinsam sind wir stark“.
Die im Internet entstandene Bewegung „Hooligans gegen Salafisten“ (Hogesa) organisierte eine Kundgebung in Köln, die vor allem wegen der verübten Gewalttaten gegen Polizei und Journalisten
mediale Aufmerksamkeit erhielt. Etwa 3000 Personen nehmen an dieser Kundgebung am Kölner Hauptbahnhof teil. Der in großen Teilen der Gesellschaft akzeptierte Konsens bzgl. die Ablehnung von
Salafisten und „Islamischer Staat“ dient den Initiatoren dabei als Grundlage für einen offen propagierten Deutsch-Nationalismus und eine allgemeine Hetze gegenüber Muslimen. Auch aus der Bremer
Region beteiligte sich eine Gruppe von über 40 Leuten. Unter den Abgereisten sind bekannte Nazis wie Henrik Ostendorf, Andre Sagemann, Michael Kurzeja und Markus
Privenau mit ihrem Anhang sowie ein Teil der Bremer Sektion der „Brigade 8“, Mitglieder der aufgelösten Standarte-Bremen, „Endstufe-Crew“ und Farger
Ultras.
Zusammen sind wir stark
Die Bremer Nazi-Hooliganband „Kategorie C“ hat die islamfeindlichen Parolen, Vorurteile und Slogans aufgegriffen und im Song „Hooligans gegen Salafisten“ (Wir
wollen keinen Gottesstaat) verwurstet. In diesem Song suggeriert Sänger Hannes Ostendorf, dass die Deutschen ein Messer an der Kehle bekommen, dass Deutschland ein Massengrab wird und „wir
zusammen stark sind“. Das Ganze erinnert musikalisch stark an „Wind of Change“ von den SCORPIONS. Das Lied präsentierte KC, nachdem ein Redner die Menge mit „Wir wollen keine Salafistenschweine“
einheizte.
Im November versammelten sich ebenfalls rund 3000 Anhänger auf dem Zentralen Omnibusbahnhof in Hannover. Die Veranstalter wähnen sich als Sprachrohr „des Volkes Stimme“, als
ehrenwerte Verteidiger des „christlichen, zivilisierten Abendlandes“ und „deutschen Werten“ des „deutschen Volkes“. KATEGORIE C erhielten ein Auftrittsverbot. Deren Sänger Hannes konnte dem
Pöbel-Volk jedoch selbst produziertes HoGeSa-Merchandise anbieten. Und genau diese Kommerzialisierung führte zum Bruch der „gegenkulturellen“ Bewegung. Ende 2014 kam es zum Bruch im
„HoGeSa“-Netzwerk und zur Gründung des Vereins „Gemeinsam-Stark Deutschland“, welcher der jetzigen „HoGeSa“-Führung unter anderem vorwirft, vor allem Interesse am Profit durch den Verkauf von
„HoGeSa“-Merchandiseartikeln zu haben.
Dieser nicht unberechtigte Vorwurf ist darauf zurückzuführen, dass die Wortmarke „HoGeSa“ beim Deutschen Patent- und Markenamt registriert worden. Markeninhaber ist Niclas Römer aus dem
mittelfränkischen Kammerstein nahe Nürnberg, der unter dem Label „FanXwear“ HoGeSa-Motive vertreibt.
Während „HoGeSa“ noch versuchte sich als unpolitisches Netzwerk, welches nur einen berechtigten Kampf gegen islamistische Extremisten führen wolle, darzustellen, wird ihre
Abspaltung „Gemeinsam-Stark“ deutlicher. Auf ihrer Homepage heißt es in bester Neonazi-Szenesprache, man sei für „den Erhalt deutscher Werte und Tugenden“ und gegen „den Multi-Kulti-Wahnsinn“
sowie gegen „den massenhaften Asylmissbrauch“.
Eine Bewegung auf der Straße
PEGIDA ist auffällig zeitnah mit den ersten öffentlichkeitswirksamen HoGeSa-Treffen entstanden und zeigte sich bis zu ihrem Höhepunkt im Dezember mit bis zu 15.000
TeilnehmerInnen als mobilisierungsstark und in ihrer Außendarstellung gemäßigter. Auch wenn die Pegida-Veranstaltungen einem verharmlosenden Abendspaziergang gleichkommen, entsprechen die
genutzten Parolen – „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“ – einander genau so wie die obligatorische verbale Selbstermächtigung („Wir sind das Volk“).
Anders als bei HoGeSa ist bei PEGIDA-Dresden ein enorm hoher Anteil aus dem bürgerlichen Milieu zu verzeichnen. Eine gemeinsame rassistische Überzeugung im Rahmen des
mittlerweile gesellschaftlich Akzeptierten.
PEGIDA-Mitbegründer Lutz Bachmann hat Montag für Montag immer wieder erklärt, dass man „keine Glaubens- und Stellvertreterkriege auf deutschem Boden“, „keinen
Islamismus“ und „keine Gewalt“ welle. Genauer gemeint ist die Formel: Zuwanderung bedeute Unterwanderung und dadurch würde die vaterländischen Gemeinschaft beschädigt. Das sehen und glauben nicht
nur Neo-Nazis, Islamhasser oder Hooligans, sondern laut dem jüngsten „Eurobarometer“(3)zufolge auch die Mehrheit der Deutschen, wonach 61% Immigranten von außerhalb Europas
ablehnen. Einwanderung ist für 37 Prozent der Deutschen das wichtigste Problem in Europa, noch vor der Schuldenkrise.
„Das Thema Migration ist brisanter geworden und hat die Mitte der Gesellschaft erreicht“, sagte der Vertreter der EU-Kommission, Richard Kühnel gegenüber der Süddeutschen
Zeitung(4). Das Thema werde überwiegend als Problem diskutiert, gespickt mit negativen Emotionen und negativen Stereotypen. Das macht sich die extreme Rechte zunutze und versucht
in brisanter Rhetorik eine ideologische Anschlussfähigkeit im bürgerlichen Milieu zu verknüpfen. HoGeSa und Pegida haben in vergleichsweise kurzer Zeit das erreicht, womit Nazis meist weitgehend
unter sich blieben; und sie haben das umgesetzt, was Gruppierungen wie die Identitäre Bewegung alleine nicht erreichen konnten.
Leute aus den unterschiedlichsten Schichten lassen sich mitreißen von der Strahlkraft der PEGIDA-Märsche und der politischen Stimmung, in der Menschen die „Sorge und Furcht“ teilen...auch mit
Neo-Nazis. Diese profitieren vom Zuspruch aus dem bürgerlichen Milieu, erlangen eine große mediale Reichweite und erzielen weitgehende Akzeptanz und Zulauf in verschiedensten Spektren. In der
Folge schossen allerorten Pegida-Ableger wie Pilze aus den Boden, zumindest in den sozialen Netzwerken. Und an Orten, an denen überhaupt keine Demos oder Spaziergänge angemeldet wurden (Bremen,
Oldenburg). Immer wieder wurde in den Netzwerken diskutiert, möglichst schnell einen lokalen virtuellen Ableger zu gründen, um gemeinsam gegen den Islam zu kämpfen und eine dynamische Bewegung am
Laufen zu halten. In der Realität mangelt es an erfahrene Versammlungsleiter, sodass oftmals kurz nach einer Anmeldung, selbige wieder zurückgezogen wurde.
Ausblick
Doch selbst wenn PEGIDA sich mittlerweile selbst zerlegt hat und die Zugkraft und Mobilisierung zunehmend abschwächt, bleibt die Islamfeindlichkeit, der Alltagsrassismus in weiten Teilen der
Gesellschaft verankert. Was bleibt ist also die Islam-Debatte, die Zuwanderungs-Debatte, das haben PEGIDA, HoGeSa erreicht, und das haben die Medien auch aufgegriffen. Pegida-Small-Talk bei
Jauch, Maybritt Illner, Anne Will. Medien, die auf eine Schwarz-Weiß-Logik zurückgreifen („Ist der Islam böse oder gut?“) und damit eben jene Ängste und Vorurteile weiter schüren. Und was bleibt
sind die Klagen der AnwohnerInnen, die keine Asylbewerberunterkünfte in der Nachbarschaft haben wollen.
Die antifaschistische Linke sollte das Problem des antimuslimischen Rassismus erst einmal akzeptieren und sich einer inhaltlichen Selbstkritik stellen, eine inhaltliche Analyse
vornehmen und sich vom Glauben lösen, dass das Problem Rassismus einzig und allein den Neo-Nazis zuzusprechen ist, sondern sich bis tief hinein in die gesamtgesellschaftliche Lager hineinzieht.
Kurzfristig können Aufmärsche und Kundgebungen gestört werden und es richtig und wichtig, die rassistische - und um nichts anderes geht es bei PEGIDA und HogeSa - Mobilmachung auf der Straße zu
intervenieren. Langfristig bedarf es einer ernsthaften Debatte um Strategie und Organisation, die auf lokaler und bundesweiter Ebene Erfolg haben. Ein erfolgreiches Beispiel auf lokaler Ebene ist
der Infoladen „Katzensprung“ in Bremen-Nord, das wir an anderer Stelle hier im Heft vorstellen. Ein antifaschistisches Bündnis, das die Nähe zum bürgerlichen Milieu sucht und aus einer offensiven
Position heraus etwas bewirken kann. Aufklärung, Information und Weiterbildung. Dieses Engagement ist wichtig und ein wesentlicher Faktor, Vorurteile, Sorgen und Ängste zu nehmen und gleichzeitig
dauerhaft Widerstand gegen alltagsrassistische Ressentiments zu demonstrieren. Der Zuspruch und die gut besuchten Veranstaltungen gibt dem Konzept der antifaschistischen Bündnisgruppe recht.
Subversion und Gegenkultur darf sich nicht nur auf Debatten und Analysen beschränken. Sie ist machbar, hat einen großen Handlungs- und Wirkungsspielraum.
Anmerkungen:
(1) http://www.phalanx-europa.com
(2) http://www.phalanx-europa.com/unsere-philosophie
(3) http://docs.dpaq.de/8574-nationaler_bericht.pdf
(4) http://www.sueddeutsche.de/politik/umfrage-der-eu-kommission-mehrheit-der-deutschen-lehnt-zuwanderung-aus-nicht-eu-staaten-ab-1.2358384