PUNKROCK! #22
116 DIN-A-4-Seiten; €4,90.-
Punkrock! Fanzine, Postfach 100523, 68005 Mannheim
www.punkrock-fanzine.de
Bocky sinniert über das Klima der Angst, über Verhaltensweisen, die von der Szene-Polizei kritisiert, angegriffen und sanktioniert werden und will sich nicht den Mund verbieten lassen,
um auch mal "Ficken" sagen zu dürfen, ohne dafür Konsequenzen erfahren zu müssen.
Auch die DONOTS gehen konsequent ihren Weg und singen jetzt auf deutsch, was für Ingo bedeutete, sich "nackiger" zu machen, weil mensch ihn ja nun versteht. Donots 2015
ist Musik "zwischen Politik und Tanzen" und Ingo fordert klare Positionen und Statements, weil er keinen Bock darauf hat, dass der deutsche Text vom "Oberlippenbart von nebenan mitgesungen" wird,
weil er den inhaltlichen Kontext und Hintergrund vielleicht gar nicht versteht. Johnny von den SWINGIN' UTTERS ist Freizeit- und Teilzeitpunker, der sehr kreativ ist,
bizarre Tierszenen oder Menschen zeichnet und zwischen den Touren Songs schreibt und als Abend spielt, "wonach wir uns fühlen". KRAFTKLUB witzeln und Till kriegt
schlechte Laune, wenn er sich Kommentare auf youtube durchliest. Fabienne hat ein 12-seitiges Comic-Special erarbeitet und lässt haufenweise ComiczeichnerInnen zu Wort
kommen, die ihren Lieblings-Comic benennen, also eher selbst einen Lese-Tipp abgeben. Schade, da hätte ich mir mehr detaillierte Einblicke in die Materie gewünscht. Fabienne hat im
Editorial zum Special ja bereits die richtigen Ansätze aufgegriffen (bestimmter Zeichenstil, Parameter, nach denen man das bemisst, Handlung/Punk-Charaktere, Klischees, Punk(pl)attitüde im
strip...). So ist das Special unterm Strich zwar hübsch gestaltet, es mangelt aber an konstruktiven Inhalten. Die liefern Gunnar (DRITTE WAHL) und Friedemann
(COR), wobei besonders Friedemann sehr persönlich wird und über den Burn-Out und die Folgen berichtet. Die Art und Weise wie Diana dieses Interview präsentiert,
gefällt mir. So bekommen beide Interviewpartner Stichworte, die ausführlich kommentiert werden und in der Folge ergibt sich ein zusammengestecktes Seelenpuzzle. BOMBSHELL ROCKS
klonen Songs für die Ewigkeit. Sänger Mårten ist Tätowierer, das interessiert Bocky natürlich. Er stellt auch ansonsten weitere persönliche Fragen, die Mårten aber
nicht gerne beantworten möchte. Aufgeschlossener ist hingegen Kelly von P.R.O.B.B.L.E.M.S., der gar nicht mehr aufhören mag, aus dem Nähkästchen zu plaudern, von DEAD
MOON und Mexiko in rustikaler Bauarbeiter-Erzählweise berichtet.
Martin fasst auf niedrigschwellig angelegte Art das braune Wintermärchen von PEGIDA zusammen, während Barney von NAPALM DEATH über die neue
Platte redet. Michi von KOETER tut sich indes schwer, über die eigenen Texte zu reden und findet es furchtbar, zu beobachten, dass in linken Kreisen genau darauf
geachtet wird, was du tust, was du sagst und das Gefühl hat, ständig in einem Klima der Angst zu leben.
Diana besuchte die Punk-Operette "Häuptling Abendwind und DIE KASSIERER" und muss mitansehen wie Wölfi wieder einmal den Pillemann blank zieht. Nudisten-Punk-Theater? Nein Danke!
Pavel stellt im "Punk-Trotter" Prag vor und gibt Tipps, wo punk Kultur schnuppern, Essen und Trinken und den Abend verbringen kann. Abseits von Punkmusik gibt es einen
informativen, aufschlussreichen Artikel zu "Schwarzmahler", die nicht fair-trade, sondern direct-trade produzieren. Schwarz wird es auch mit SWISS&DIE
ANDEREN, die so was wie Punk-Rap machen und in Vergleichen Wörter wie "behindert" und "angebitched" benutzen.
Zum Abschluss gibt es mit "Was bin ich" erneut eine heitere Raterunde, wo das vierköpfige Rateteam den Beruf eines Kandidaten erraten muss. Bei dem Ratespiel sind es vor allem
die bissig-witzigen Kommentare und Reaktionen des Teams, die das Spiel unterhaltsam werden lasen und ausarten würde, wenn Moderator Hötsch nicht ständig eingreifen würde.
Gesamteindruck:
Es gibt derzeit kein anderes Punkfanzine mit einem vergleichbaren professionellen Layout, das im PUNKROCK! den Inhalt optisch aufwertet. Doch das Layout ist kein Qualitätsmerkmal für den Inhalt,
das optimal in Szene gesetzt wird. So liefert der Schwerpunkt zwar gute Ansätze, scheitert jedoch an der Vorgabe, viele Aspekte aufzugreifen und auszuarbeiten. Mit DONOTS und NAPALM DEATH gibt es
Interviews, die einer redaktionellen Pflichterfüllung gleichkommen. Dennoch bietet die Kombination aus Punk, Politik und szenefremden Artikeln die Möglichkeit, innovative Ideen zu entwickeln.
Dafür haben sich Rubriken wie "Zwischen den Szenen", "Was bin ich" erfolgreich etabliert und sind - wie auch der Report über "Schwarzmahler" - eine willkommene Abwechslung zu lose
aneinandergereihten, abgedruckten Interviews. Was mir noch positiv auffällt, ist, wie Diana ihre Artikel und Interviews umsetzt und sich das Ergebnis deutlich von konventionellen
Frage-Antworten-Standards absetzt.