Tierbefreiung #87
80 DIN-A-4-Seiten; €3,00.-
die tierbefreier e.V., Postfach 150325, 44343 Dortmund
www.tierbefreiung.de
Der aktuelle Schwerpunkt thematisiert "Tiere im Abseits" und meint Insekten und andere Wirbellose, die bislang wenig bis gar nicht in der Tierethik, Tierrechts- und Tierbefreiung thematisiert
wurden. In der Tat haben Fliegen, Spinnen und andere Insekten einen schweren Stand. Daniel Lau arbeitet heraus, dass Wirbellose ein anderes Nervensystem haben, das als Diskussionsgrundlage dient,
ob diese tatsächlich über ein Schmerzempfinden verfügen und schlussfolgert, dass es unethisch sei, "solange wir im Unklaren sind", ob Insekten/Wirbellose über ein komplexes Nervensystem verfügen
und kritisiert, dass es es keine gesetzliche Grundlage gibt, Wirbellose vor zugefügten Schmerzen zu schützen.
Gleichzeitig kritisiert er die Tierbefreiungsbewegung, die Unterschiede macht, ob ein Beagle aus einem Labor befreit wird oder eine Schnecke aus Zuchtanlagen und stellt die moralisch-ethische
Frage auf, ob "wir" Insekten/Wirbellose als nicht relevant ausblenden.
Daran knüpft Boscho Bauknecht an, der trotz der Annahme, dass Insekten/Wirbellose über kein Schmerzempfinden verfügen, keineR das Recht besitzt, ihnen ein eigenen Lebenswert abzusprechen. Bienen,
Schnecken, Fliegen...er fordert keine willkürliche Grenzen innerhalb der Tierwelt zu ziehen und fordert eine Inklusion von Wirbellosen in eine "umfassende Tierethik, begreift diese als
Chance.
Mirjam Rebhan greift die Frage auf, welche Bedeutung Insekten/Wirbellose für den Menschen haben. Wissenschaftliche Studien beschäftigen sich wenig mit dieser Thematik,
Insekten werden als Objekt wahrgenommen. Mirjam greift als Fallbeispiele Ameisen und Bienen auf, wobei letztere Gruppe in der Tier-Mensch-Beziehung weitaus mehr Beachtung geschenkt wird,
nicht zuletzt durch Kinderserien und -filme, in denen Bienen vermenschlicht werden und mit positiven Eigenschaften ("nützlich", "fleißig") einegstuft werden.
Bianca Müller greift die Aspekte "Heimtierhaltung und Futtermittelindustrie" auf. Schmetterlinge, Käfer, Spinnentiere werden aufgespießt katalogisiert und ausgestellt. Bianca
führt die These auf, dass solange Insekten/Wirbellose keinen wirtschaftlichen Nutzen haben wie bspw. Bienen, die Honig liefern, Wirbellose vom gesetzlichen Schutz ausgenommen bleiben.
Hinsichtlich des steigenden Fleischkonsum weltweit fordert die Food and Agriculture Organization gar ein Ausweiten der Nahrungsquelle auf Insekten, die auch als Verwertungsmöglichkeit für Biomüll
angegeben werden.
Hieran schließt Loni Müller an, die die Industrie kritisiert, die auf der Suche nach Nahrungsquellen einen neuen Markt erschließt. Krabbeltiere schockgefrostet, zu Mehl verarbeitet und
den Konsument*innen das Verzehren marktstrategisch schmackhaft macht. Loni wirft den Blick auf die Essgewohnheiten in andere Länder, in denen rund 2 Milliarden Menschen Insekten essen.
Insekten als Proteinquelle werden in Insektenfarmen gezüchtet, das von der EU mit viel Geld gefördert wird und auch von der UNO wird die Insektenzucht und -Vermarktung gutgeheißen. Loni
kommt aus tierethischer Sicht zum Schluss, dass Insekten nicht als Lebensmittel deklariert werden dürfen, weil der Welthunger mit pflanzlicher Nahrung gestillt werden kann.
Gesamteindruck:
Das Insekten und andere Wirbellose hierzulande kaum in der Tierethik berücksichtigt werden, mag daran liegen, dass diese zum Einen negativ stigmatisiert ("Schädlinge", "ekelig") werden, zum
Anderen auch, dass sie nicht auf unserer Speisekarte stehen wie bspw. in anderen Kulturen. Dass sich das ändern soll und die Industrie mit Hilfe von Subventionen einen neuen Markt erschließen
will, der zukunftsweisend ist, sollte die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung alarmieren. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Ausbeutung wirbelloser Tiere noch unsichtbarer als die von
Wirbeltieren geschieht. Die Zucht und Tötung von Raupen für Seide ist weitgehend unbekannt, der Zusammenhang zwischen dem Sterben der Bienen und ihrer Hochzüchtung wird gemeinhin unterschlagen
und zerkleinerte Läuse als Zutat in Lebensmitteln oder Farbe werden hinter E-Nummern versteckt oder gar nicht erst angegeben. Auch sogenannte Zoohandlungen verdienen am Handel mit Wirbellosen,
wenn sie diese als Futtermittel für Reptilien oder größere Wirbellose verkaufen. Besonders markant ist die Ausnutzung ihres gesellschaftlich herabgesetzten Stellenwertes aber in der
tierexperimentellen Forschung: Tierversuche an wirbellosen Tieren müssen nicht einmal genehmigt werden.
Wir brauchen auch kein Gift aus dem Giftschrank kaufen, um Insekten im Garten zu töten. Hierfür gibt es zahlreiche Alternativen, wie wir auch ohne Gift und Chemie, Insekten friedlich auf Abstand
halten können. Der Schwerpunkt macht deutlich, dass die Ausbeutung und Tötung von Insekten immer von vielen Seiten vorangetrieben wird, dass sie als minderwertige Lebensform stigmatisiert wird.
Ihr großer Nachteil besteht unter anderem darin, dass wir ihnen nie in die Augen sehen und eine Reaktion erhalten – die Kommunikation scheitert, die Tiere bleiben Fremde. Aber legitimiert ihre
Fremdartigkeit ihre Tötung? Allein der Gedanke sollte uns Unbehagen bereiten, ist die Abwertung des Fremden doch die Wurzel allen auf Diskriminierung beruhenden Übels.