Subversivität ist eine große Selbsttäuschung. Das eigensinnige Subjekt glaubt, etwas Widerständiges zu tun und tappt doch immer wieder nur in die Falle der Systemstabilisierung und Affirmation. Führe dem kapitalistischen System rebellische Energien zu – und es verwandelt sie in einen Trend, mit dem sich gute Geschäfte machen lassen. Widerstands-Communities werden in Lifestyle-Communities verwandelt, provokante Kunst in den Dernier Crie und das Nietenarmband der Punks gibt es vierzig Jahre später bei H&M zu kaufen. Und all das vollzieht sich zudem in immer rasanterem Rhythmus. Jahrzehnte braucht es nicht mehr: Was heute die Subkultur rockt, ist in der nächsten Saison schon auf den Brettern der großen Staatstheater. Oder anders gesagt: Hochkultur ist die Subkultur von gestern, die erfolgreich geworden ist.
Womöglich war “Subversion” ohnehin immer ein etwas romantischer Begriff, getragen von der Vorstellung, es könnte eine Abkürzung zur Verbesserung der Welt geben. Dass es mal anders zuging, belegen Talkshow-Gäste im Fernsehen wie Nikel Pallat (TON STEINE SCHERBEN), NINA HAGEN oder SEX PISTOLS.
"Das Fernsehen macht hier so eine scheißliberale Sendung. Wir haben hier die Möglichkeit sozialistisch zu quatschen. [...] An der Unterdrückung ändert sich überhaupt nichts! Fernsehen ist ein Unterdrückungsinstrument in dieser Massengesellschaft", wütet der Manager von Ton Steine Scherben 1971 in der WDR Sendung "Ende offen" und zertrümmert mit einer Axt den Tisch(1).
Der 9. August 1979 ging dank Punk-Röhre Nina Hagen in die österreichische Fernsehgeschichte ein. Dabei war sie lediglich als Gast zur seriösen Diskussionssendung "Club 2" unter dem Thema "Jugendkultur" eingeladen worden. Unaufgefordert gab die Berlinerin plötzlich Masturbationstipps, durch Gesten anschaulich untermalt, und sorgte auf diese Weise für einen der bis heute größten Skandale im österreichischen Fernsehen. Dennoch, oder gerade deshalb, gilt diese spezielle "Club 2"-Folge als unvergesslich. Übrigens nicht nur für die Zuschauer, sondern auch für Moderator Dieter Seefranz: Er musste nach dieser Ausgabe den Hut nehmen(2).
Am 1. Dezember 1976 traten die SEX PISTOLS mitsamt ihrer Gefolgschaft in der BILL GRUNDY-Sendung auf, die am Nachmittag ausgestrahlt wurde(3). Als Grundy die Band vorstellte, provozierte er sie gleichzeitig in seiner ironischen Art und Weise und behauptete: „... die sind ja genauso betrunken wie ich.“ Als Grundy Gitarrist Steve Jones fragte, was die Band mit den 40.000 Pfund gemacht hat, die sie von der Plattenfirma bekommen hatten, antwortete dieser, schon sichtlich aufgebracht: „Wir haben das Scheißgeld ausgegeben!“ Jones wiederholte das Wort „fuck“ dann noch zwei weitere Male, was eine Seltenheit im englischen Fernsehen ist. Danach brabbelte Johnny Rotten das Wort „shit“. Als Nächstes begann der Moderator einen Plausch mit Siouxsie Sioux, welche unter dem Gefolge der Sex Pistols war. Er fragte sie, ob sie sich mit ihm nach der Sendung treffen wolle. Nun war Jones stinksauer, er nannte Grundy ein „dreckiges Schwein“, einen „Hurensohn“, und einen „dreckigen, alten Mann“, allerdings brachte er diese harten Schimpfworte in einer recht ruhigen Art hervor. Grundy stachelte dann Jones an, ihm noch ein paar ausfallende Worte an den Kopf zu werfen, was sich dieser auch nicht nehmen ließ; er nannte den Showmaster ein „Arschloch“ und einen „dreckigen Schuft“. Obgleich die Sendung nur in London ausgestrahlt wurde, wurde diese Folge zu einem landesweiten Skandal. Daraus folgte Bill Grundys Rauswurf beim Sender zwei Monate später.
Und heute? Wo ist die Figur des originellen, provozierenden und rebellischen Künstlers, der/die sich vielleicht sogar aus der Gesellschaft, zumindest aber aus dem Mainstream absentiert, sich womöglich sogar aufopfert, um etwas Neues oder sagen wir mal - Anderes zu erschaffen? Wo die Menschen, die nicht nur ihre bloße Arbeitskraft investieren, sondern ihren Grips, ihre Emotionen, ihre Leidenschaft und Kreativität, um Widerstand nutzbar zu machen, weil längst bekannt ist, dass Widerständigkeit und Rebellischsein eine der größten Produktivkräfte überhaupt sind, da sie eigensinnige Individuen hervorbringen, die selbst in der Lage sind, für jedes Problem eine Lösung zu finden. Schlussendlich sind es gerade die vielen Widersprüche, die im Detail versteckt sind und doch eine so große Wirkung haben. Details, die wir nicht immer gleich entdecken oder nicht mehr sehen können, weil wir übersättigt sind von belanglosen Informationen, Bildern, Musik und Texten.