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Thomas Groetz - Punk, New Wave und Joseph Beuys

Kunst-Musik
Kunst-Musik

In dem Buch „Deutscher Punk und New Wave in der Nachbarschaft von Joseph Beuys“ beschäftigt sich Thomas Groetz mit der Vernetzung von bildender Kunst und Musik in der Zeit des deutschen Punk. Ausgangspunkt ist der Joseph Beuys-Schüler Jürgen Kramer, der zwischen 1978 und 1982 in Gelsenkirchen die Zeitschrift „Die 80er Jahre“ herausgab und den Begriff Neue Welle prägte. Kramer war Schüler von Joseph Beuys, so wie Imi Knoebel, der das Cover der 2. SYPH-LP gestaltete und dessen Frau Carmen den Ratinger Hof betrieb, so wie Gottfried Tollmann von der Fred Banana Combo, der 1982 dann auch Beuys für die SPEX interviewte.
Auch Milan Kunc, der mehrere Cover für Der Plan machte, wollte bei Beuys studieren, aber Beuys empfand Ölbilder als von Gestern.

Joseph Beuys
Joseph Beuys

Kramer begann 1977 mit seinem Fanzine „Die 80er Jahre“, dessen dritte Ausgabe den Schriftzug „Neue Welle“ auf dem Titelblatt hatte und somit Alfred Hilsberg zu dem Slogan „neue deutsche Welle“ angeregt haben dürfte (das Fanzine ist in Sounds 12/79 abgebildet).    

Anfänglich fanden sich im Fanzine noch Berichte zu den Anfängen von „Punk“ im Ruhrgebiet, später wandelte sich der Inhalt jedoch mehr hin zum Bereich Industrial und andere avantgardistische Musik (Throbbing Gristle, Residents). Musik wurde immer mehr an den Rand gedrängt, Texte und Abbildungen zur Kunst wurden zum Hauptthema. Das ist alles sehr interessant, aber nur, wenn mensch in der Lage ist über den Tellerrand von Punk zu schauen. Kramer wurde 1977 von Punk dazu inspiriert, neue künstlerische Wege zu beschreiten - sein Fanzine-Layout war definitiv Inspiration für andere Fanzinemacher -  aber als Punk und New Wave sich den Rockkonventionen unterwarfen, verwarf er diesen Weg und kehrte zurück zur Malerei.
Der örtliche Knotenpunkt der Gelsenkirchener Szene befand sich in einer Baracke auf dem Schulhof eines Gymnasiums. Der Joseph-Beuys-Schüler Johannes Stüttgen, Lehrer an dieser Schule, veranstaltete hier eine wöchentliche Kunst-AG.
Zu einem besonderen Ereignis, das die Gedankenwelt von Joseph Beuys mit dem Phänomen Punk in Beziehung brachte, kam es am 18. Mai 1978. An diesem Tag führte Achim Weber mit anderen Mitgliedern der Kunst-AG einen Punk-Vortrag auf, der als Multimedia-Performance Beuys-Ikonographie (mit Kreuzen versehene Bandagen, Initiationshandlung, F.I.U.-Embleme) mit den Punk-Merkmalen schmerzhafte Intensität, Nihilismus und Konfusion konfrontierte.

«So, wie die Punks von der No Future-Erfahrung betroffen waren, so thematisierte Beuys immer wieder einen ´Todespunkt´ in der Kultur.»

Thomas Grötz
Thomas Grötz

Thomas, du hast dich mit Punk, Kunst und Musik beschäftigt und hierzu Bücher geschrieben. Künstler ließen sich nicht selten von Punk inspirieren oder waren fasziniert von der freigesetzten Energie, die ja auch Teil künstlerischer Prozesse ist. Was hat dich persönlich an Punk und Kunst fasziniert?
    Thomas Groetz: Faszinierend fand ich zunächst, dass sich zwei unterschiedliche Welten und Systeme verbinden und voneinander profitieren. Und toll fand ich auch, dass es, bezogen auf das Phänomen Punk, eine paradoxe Spannung gab zwischen Nihilismus (No Future) und einer Explosion an Kreativität, die sich Bahn brach: Musik, Fanzines, Collagen, Selbstorganisation. Damals, am Ende der 70er Jahre habe ich das nicht bewusst registriert; es gab auch in dem kleinstädtischen norddeutschen Milieu, in dem ich aufgewachsen bin, das Phänomen Punk nicht wirklich. Aber ich habe diese merkwürdige apokalyptische Stimmung gespürt, wenn meine Klassenkameraden davon sprachen, dass sowieso alles bald zu Ende geht. Gleichzeitig begann ich – mehr oder weniger abgeschlossen von meiner Umgebung – ab 1979 zu malen und dann auch Musik zu machen. Viel später erst bekam ich mit, dass es in dieser Zeit in der bildenden Kunst eine neue Welle von Malerei gab. Mein historisches Interesse an einer Verbindung von bildender Kunst und Musik war zunächst von der Erfahrung abgeleitet, dass mein eigenes Musizieren mit der Art, wie ich Bilder machte, sehr viel zu tun hatte, dass es da fast ´naturgegebene´ Parallelitäten gab – etwa, wie ein formaler Rahmen strukturiert ist, wie Schwerpunkte, Rhythmen gesetzt werden, oder Material geschichtet wird.

Was verstehst du denn unter den Begriffen Punk-Kunst und Kunst-Punk?
    Thomas Groetz: Ich weiß gar nicht, ob das eingeführte Begriffe sind – bei denen zwei heterogene Welten miteinander verbunden werden.

Ist es Aufgabe der Kunst Chaos in die Ordnung zu treiben?
    Thomas Groetz: Kunst hat natürlich ihre eigene Ordnung. Ohne Ordnung entsteht keine Spannung, die für ein Kunstwerk doch wichtig ist. Oder meinst du Ordnung als gesellschaftlicher Ist-Zustand, der aufgewirbelt werden muss? Ich denke schon, dass Kunst den Finger in die Wunde der Zeit legen sollte. Dafür muss man sich aber erst einmal klar machen, was gegenwärtig los ist. Das ist gar nicht so einfach. Darüber hinaus ist auch heute – wie schon zu Zeiten von Caspar David Friedrich – das Herstellen von Kunst natürlich ein Akt des Widerstands gegen Lebensformen, die ´vernünftige´ und zweckorientierte Grundlagen besitzen. Ob Kunst heute ein gesellschaftlich relevantes Chaos erzeugen kann, weiß ich nicht, vielleicht in Russland oder in Ägypten. Hier, in Westeuropa und Amerika hat Kunst mittlerweile ganz andere Funktionen; sie scheint vor allem die ästhetischen Bedürfnisse einer pluralistischen Nischen-Gesellschaft zu bedienen.

Der frühe Punk in Deutschland war ja nicht ausschließlich vom ironischem Künstlertum dominiert, sondern mindestens ebenso von der mal heiteren, mal reaktionären Stumpfheit des Drei-Akkorde-Punkrock. Warum funktionierte Punk in vielfältiger Weise mit den ästhetischen Avantgarden gerade in Düsseldorf so gut?
    Thomas Groetz: Hier spielten natürlich soziologische Gegebenheiten eine große Rolle, bestimmte Szene-Treffpunkte wie der Ratinger Hof, wo verschiedene Charaktere aufeinander trafen, die sich gegenseitig kreativ angestachelt haben.

Foto von ar/gee gleim
FEHLFARBEN im Ratinger Hof, 1980

Welchen Einfluss hatten Künstler wie Joseph Beuys auf das Entstehen einer Düsseldorfer Punk und New-Wave-Szene?
    Thomas Groetz: Beuys hatte sicher keinen direkten Einfluss. Indirekt allerdings haben Leute, die von seiner Kunst / seinem Denken geprägt waren, auf Punk positiv reagiert – aber vielleicht anders, als Jugendliche, die aus einem Arbeiter-Milieu stammten.

Und wie begründest du diesen Einfluss?
    Thomas Groetz: Es gibt da einige weltanschauliche Übereinstimmungen. So, wie die Punks von der No Future-Erfahrung betroffen waren, so thematisierte Beuys immer wieder einen ´Todespunkt´ in der Kultur. Er glaubte, dass wir schon an einem Endpunkt angekommen waren, auch in der Kunst selbst, dass überkommene Vorstellungen und Begriffe nicht mehr funktionieren, oder erschöpft sind. Diese Krise der Gegenwart setzte archaische und mythische Quellen der Kultur frei – bei Beuys zeigte sich ein Interesse für die Kelten oder die Schamanen. Im Punk gab es ebenso Anknüpfungen an Archaik: siehe The Slits, oder das Y-Cover der Pop Group. Ferner ähnelt die Ästhetik von Beuys der ´unkünstlerischen´, schroffen Haltung des Punk: Seine Kunstwerke wirken über weite Strecken schäbig, trostlos, grau, glanzlos, lädiert. Im Kontrast dazu appellierte Joseph Beuys als positive Antwort auf die Krisensituation der Moderne an die Kreativität jedes einzelnen. Er entwickelte seine Idee von einem unmittelbaren und vielgestaltigen kreativen Engagement aller Menschen, um auf eine ´bessere´ Zukunft hinzuarbeiten, an die er fest glaubte. Beuys nahm den mit Punk verbundenen kreativen Aufbruch als etwas Positives zur Kenntnis, hätte sich aber sicher gewünscht, dass aus der Punk-Revolte eine deutliche Formulierung hinsichtlich einer Veränderung der Verhältnisse abgeleitet werden würde, was so dann auf breiterer Front nicht stattfand, allerdings ebenso wenig, wie die ´soziale Skulptur´ von Beuys Wirklichkeit geworden ist.

Anders herumgefragt. Welchen Einfluss hatte Punk auf die bildende Kunst?
    Thomas Groetz: Punk hatte international deutliche Einflüsse auf die künstlerischen Haltungen in / seit den späten 70ern: Aspekte wie: Radikalität, Impulsivität, Expressivität, eine schnelle, direkte und im akademischen Sinne nachlässige Umsetzung von Ideen, sowie ein provokativer Impuls: Die Herausforderung eines Avantgarde-Kunstbegriffes, der zum Beispiel die Malerei für erledigt und überholt gehalten hatte. Das wurde alles durcheinander gewirbelt, war also ein revolutionärer Vorgang, könnte man sagen, der siegreich war, denn heute würde niemand der Malerei pauschal ihr Existenzrecht aberkennen.

Dein Buch erweckt den Eindruck, Punk könne man gänzlich auf ein Kunstphänomen reduzieren. Tatsächlich gab es im Punk zunehmend eine Vermischung zwischen den Ausdrucksmedien. DIE TÖDLICHE DORIS und andere kombinierten Performance, Kunst und Musik. Wodurch konnte punkbeeinflusste Kunst und kunstbeeinflusster Punk die Punk- und Kunstgeschichte radikalisieren?
    Thomas Groetz: Natürlich kann man Punk nicht auf ein Kunst-Phänomen reduzieren. Aber ich habe mich halt insbesondere für die künstlerischen, ästhetischen und weltanschaulichen Gesichtspunkte interessiert – vielleicht auch, weil ich selbst nie konkret Teil einer solchen Szene war.

Welche Formen des Protests haben Punk und Kunst und wie sinnvoll und effektiv sind diese für die Subkultur?
    Thomas Groetz: Bei Punk und Kunst geht es immer auch um eine Begegnung und Vermischung von sogenannten Hoch- und Subkulturen. Das war damals schon so und ist bis heute sicherlich Grundlage vieler Missverständnisse. Bereits in den späten 70ern gab es diese Diskussionen über Street Punk und Art Punk – ideologisch wurde das eine gegen das andere ausgespielt, obwohl die Verbindung beider Bereiche offensichtlich und fruchtbringend war. Zum Selbstverständnis vieler Punks gehörte und gehört es natürlich zurecht, nicht Teil der etablierten Kultur sein zu wollen. Von Seiten der Hochkultur wiederum wurde und wird Punk als minderwertig und nicht relevant eingeschätzt. Die Gräben bleiben also bestehen.

In deinem Buch „Kunst <> Musik: Deutscher Punk und New Wave in der Nachbarschaft von Joseph Beuys“ stellst du die Arbeit des Gelsenkirchener Künstlers Jürgen Kramer in den Mittelpunkt, der bei Beuys studiert hatte und zwischen 1978 und 1982 die Zeitschrift Die 80er Jahre herausgab. Warum hast du gerade die Person Kramers ausgewählt?
    Thomas Groetz: Deine Frage erinnert mich an eine etwas absurde Kritik von Tilman Baumgärtel, die nach der Veröffentlichung meines Buches in der taz erschienen war. Er wunderte sich darüber, dass Jürgen Kramer ein solch großer Raum zugebilligt wurde und andere Personen nicht zur Sprache kommen. Das ist ein bisschen so, als würde man jemandem, der ein Buch über Goethe veröffentlicht, zum Vorwurf machen, dass er nicht über Schiller geschrieben hätte. Jürgen Kramer erwies sich bei meinen Recherchen in der Szene als eine wichtige, impulsgebende und radikale Figur, über die wenig, bis gar nichts bekannt oder dokumentiert war. Das lag sicher auch daran, dass er sich ab 1982 wieder von der Punk-New Wave-Szene distanziert hatte und nicht, wie andere Protagonisten, seine eigene Legendenbildung bis heute weiterverfolgt hat – was im Grunde ja eine traurige Sache ist. Viele maßgebliche Personen aus der Zeit kannten Jürgen Kramer und waren sich seiner Bedeutung bewusst, wie Hollow Skai, Burkhardt Seiler, Alfred Hilsberg, Carmen Knoebel, Diedrich Diederichsen, die Spex hatte ihn seinerzeit interviewt und so weiter. Kramer zeichnete sich auch dadurch aus, dass er nicht nur regional, im Ruhrgebiet und im Düsseldorfer Raum, aktiv und bekannt war, sondern er baute sehr früh Kontakte zu einer radikalen internationalen Punk- und New Wave-Szene auf, und gab diese Verbindungen weiter, zum Beispiel seinen Kontakt zu den Residents oder zu Boyd Rice an die Gruppe Der Plan. Seine Zeitschrift Die 80er Jahre war international verbreitet; ich kenne seine Korrespondenz mit Genesis P-Orridge, Linder, oder Tony Wilson von Factory Records in Manchester.

Die 80er Jahre; Teil 1 eines 2-seitigen Prospekts von J. Kramer
Die 80er Jahre; Teil 1 eines 2-seitigen Prospekts von J. Kramer

Warum definierst du die einzelnen Ausgaben Kramers als Kunstwerke?
    Thomas Groetz: Auch diese Frage bezieht sich wieder auf einen Kritikpunkt von Tilman Baumgärtel, den ich nicht verstanden habe. Ich definiere sie nicht als Kunstwerke, sondern beschreibe und deute ihre jeweiligen formalen und inhaltlichen Gestaltungsweisen. Wenn man diese Produkte sieht, ist ganz klar, dass man es hier mit grafisch und konzeptuell eigensinnigen künstlerischen Entwürfen zu tun hat, die noch dazu Zwitter zwischen Fanzines und Künstler-Publikationen sind.

Wo ziehst du Parallelen zwischen diesen Fanzines und Joseph Beuys?
    Thomas Groetz: Direkte Parallelen sind da nicht und werden von mir ja auch nicht behauptet. Es kommt allerdings verschiedenes Material in der Zeitschrift vor, das eindeutig auf Beuys bezogen ist, wie ein abgedruckter Text von dem Beuys-Schüler Johannes Stüttgen oder die Dokumentation eines Punk-Vortrages in Gelsenkirchen und so weiter.

Kennst du weitere Beispiele aus der Subkultur, wo die Verbindung zwischen Punk und Kunst hergestellt wird?
    Thomas Groetz: Allein in Deutschland gab es in den späten 70er, bzw. den frühen 80er Jahren einige nicht unwichtige Szenen, wo eine fruchtbare Interaktion dieser beiden Bereiche stattfand: In Frankfurt durch W. E. Baumann: sein Fanzine Shvantz, die Kunst-Musik-Festivals, die er organisierte, in Köln im Umkreis der Künstlergruppe Mühlheimer Freiheit, in München im Umfeld der Band FSK, in Berlin im Zusammenhang mit dem Club SO 36, das von verschiedenen bildenden Künstlern organisiert wurde, nicht nur von Martin Kippenberger. Auch international gab es verschiedene Szenen, in denen es eine deutliche Verflechtung zwischen Punk/New Wave und bildender Kunst gab: In Frankreich die Szene um das Design-Kollektiv Bazooka, sowie um das Label Illusion Production der Band DDAA, in Amsterdam gab es einen interessanten Kontext um das Magazin art hole, in Rotterdam um die Band Rondo, in Los Angeles die World Imitation Productions, die No New York-Szene, wo es viele Interaktionen zwischen Punk-Musik und Film gab, in England verschiedene Kontexte um die Bands Wire und Mekons, natürlich auch Factory Records, Industrial Records usw.

Heute trifft Punk auf Haute Couture, ist im Museum angekommen oder Teil vieler Ausstellungen. Das klingt sehr nach Nostalgie, in der Protestgesten zum bürgerlich-anerkannten Lifestyle werden oder rebellische Posen für nichts mehr stehen außer Traditionspflege. Hat Punk heute nichts mehr mitzuteilen?
    Thomas Groetz: Ich denke oder hoffe, dass Punk, obwohl er in gewisser Weise natürlich historisch ist, auch heute noch eine Ausstrahlung hat von: Kompromisslosigkeit, Direktheit, Unverstelltheit, Bewusstsein über das Ende, kreativer Selbstermächtigung und Selbstbestimmung – alles Dinge, die weiterhin wichtig und relevant sind.

Thomas, du bist Kunsthistoriker, Autor, Musiker und bildender Künstler. Deine Malerei widmet sich den Themen Religion, Geist und Phantasie. Worin besteht zwischen Kunst und Religion eine Gemeinsamkeit?
    Thomas Groetz: Ich glaube, das war ein ironisches Statement, dass mal jemand über mich abgegeben hat, dass sich meine Malerei den Themen Religion, Geist und Phantasie widmen würde. Ich suche mir nicht ein Thema wie die Religion aus, um mich damit künstlerisch zu beschäftigen, sondern das Phänomen tritt einfach in Erscheinung. Für mich war es immer selbstverständlich und gerade toll an Kunst, dass sie – ebenso wie Musik – eine transzendente Dimension hat. Mich hatte schon als Jugendlicher tief berührt, dass ein Maler wie Vincent van Gogh noch mehr meint, als das Kornfeld, die Sonne, den Stuhl, und anderes, was er darstellt. Kunst kann mehr sein, als eine exklusive Dekoration oder eine Spiegelung gesellschaftlicher und politischer Ist-Zustände, was manchmal unweigerlich auftritt, weil man sich vom Zeitgeist gar nicht komplett frei machen kann. Kunst ist eine besondere Kulturleistung des Menschen, die ich nicht preisgeben möchte. Kunst berührt etwas, oder kann an einer Schwelle angesiedelt sein, wo die subjektive oder die gesellschaftliche Erfahrung des Menschen eine andere Wirklichkeitssphäre berührt, oder aufruft. Kulturhistorisch gesehen war bis zum Zeitalter der Aufklärung und des Rationalismus ein Kunstwerk nur ein Hilfsmittel, ein Anschauungsgegenstand, der dem Gläubigen helfen sollte, ihm oder ihr etwas in sinnlicher Form anschaulich zu machen, was über das Sinnliche hinausgeht.

Ist Kunst heute die Ersatzreligion?
    Thomas Groetz: Ich fürchte, dass das teilweise so ist. Heute gehen ganze Familien sonntagvormittags in Ausstellungen moderner und zeitgenössischer Kunst, die vielleicht eine, oder zwei Generation früher gemeinsam zur Kirche gegangen sind. Entscheidend ist natürlich nicht dieser soziale Habitus, sondern das, was man in einem solchen Kontext für sich Entscheidendes erleben könnte. Darüber hinaus spielen natürlich in der zeitgenössischen Kunst transzendente oder gar religiöse Aspekte fast keine Rolle – so wie in der gesamten ´modernen´ Gesellschaft auch. Die Kunst bietet immerhin bestimmte Möglichkeiten – etwa die Möglichkeit, sich selber zu begegnen. Das ist immer auch der Anfangspunkt einer spirituellen oder religiösen Erfahrung. Die Kunst bleibt also ein ganz besonderer Fokus.

Info: Das Buch „Kunst-Musik...“ erschien im Martin Schmitz Verlag, Berlin 2002
ISBN 9783927795303
199 Seiten, 14,50 EUR

http://thomasgroetz.tumblr.com/

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