SWAIN - bedienen sich beim Sub Pop-Grunge

SWAIN
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Die melancholischen Gesangslinien und die aufgebrochenen Gitarrenakkorde erinnern an ruhigere Momente von Nirvana oder aktuellere Songs der Neu-Shoegazer Title Fight, aber unter der Oberfläche brodelt weiterhin ein Mix aus Abenteuerlust, Scheiß-drauf-Attitüde und der rastlosen Suche nach dem nächsten Kick.

Das Wichtigste, wenn dir das Leben einen Stock zwischen die Beine wirft: wieder aufstehen, Mittelfinger hoch, weitermachen und die Schürfwunden mit Hochprozentigem desinfizieren. Genau das beherzigt auch das holländische Alternative-Punk-Trio Swain. Nach einem turbulenten Jahr inklusive eines Umzugs nach Berlin und persönlichen Strapazen veröffentlicht die Band im Herbst ihr drittes Album „The Long Dark Blue“, das einen unerwarteten, aber gelungenen Stilwechsel mit sich bringt. Darauf klingen Swain mal bissig, mal nölig, mal nach Hardcore, mal nach Grunge, behalten dabei aber immer eines bei: eine lebensbejahende Jetzt-erst-recht-Attitüde und die Motivation, sich das Leben nach den eigenen Maßstäben zu vergolden.

Dabei hätte es für die Band Grund genug gegeben, ein weitaus schlechtgelaunteres Album als „The Long Dark Blue“ zu schreiben. Denn nach den ersten Achtungserfolgen mit ihrem Debüt „The Verve Crusade“ von 2010 und Touren durch Österreich, Tschechien, die Schweiz, Italien, Frankreich, Portugal und Deutschland im Zuge der Veröffentlichung des Hardcore-Bretts „Howl“ 2013 folgt eine Umbruchsphase für das Trio. Nicht nur, dass sich die Band Ende 2014 von This Routine Is Hell in Swain umbenennt. Sänger und Bassist Noam Cohen, Gitarrist Boy Tillekens und Schlagzeuger Boris Brouwer ziehen 2015 gemeinsam nach Berlin, um ein neues Kapitel aufzuschlagen – was zunächst aber ein Stück weit schief geht. „Als ich nach Berlin gezogen bin, habe ich ungefähr ein Jahr lang nie länger als ein paar Wochen in der selben Wohnung gewohnt und nach der Trennung von meiner Freundin zusätzlich eine ganze Reihe bedeutungsloser Affären“, erklärt Cohen.

SWAIN- The long, dark, blue
SWAIN- The long, dark, blue

„Dadurch hatte ich den zweifelhaften Luxus, keinerlei Verantwortung übernehmen zu müssen.“ Dieses Gefühl verarbeiten Swain im passend betitelten Track „Never Clean My Room“, der einen starken Kontrast zum bisherigen, eher Hardcore-lastigen Sound der Band darstellt. Nicht, dass es der Band deswegen an Feuer fehlt, denn Swain gieren geradezu danach, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und mehr Druck auf den Kessel zu bringen als je zuvor. Lediglich die musikalische Herangehensweise hat sich geändert: Die melancholischen Gesangslinien und die aufgebrochenen Gitarrenakkorde erinnern an ruhigere Momente von Nirvana oder aktuellere Songs der Neu-Shoegazer Title Fight, aber unter der Oberfläche brodelt weiterhin ein Mix aus Abenteuerlust, Scheiß-drauf-Attitüde und der rastlosen Suche nach dem nächsten Kick.
 
Besonders der Einfluss der Grunge-Heroen zieht sich auch durch die restlichen Tracks von „The Long Dark Blue“,  für das die Band nicht mehr wie noch auf der letzten Platte mit God-City-Chef und Hardcore-Ikone Kurt Ballou zusammenarbeitet, sondern sich Underground-Produzenten-Legende J. Robbins (War On Women, Paint It Black, Modern Life Is War, Jets To Brazil) ins Boot holt. Robbins‘ Expertise in Sachen 90er-Sound hört man dem brodelnden Mix aus Weezer, Nirvana, dem nihilistischen Garagenpunk von Fidlar und hier und da auch ein wenig schief-schönem Postpunk der Marke Ceremony in jeder Sekunde an. So auch dem wohl schönsten musikalischen Mittelfinger der Platte, „Punk-Rock Messed You Up, Kid“, der wie auch das Album als Seven-Inch-Single auf End Hits Records erscheinen wird. Die Gitarren janglen entlang der stoisch nach vorne polternden Rhythmus-Fraktion, während Cohen all das aufzählt, was den Charakter des Song-Adressaten verdorben haben soll: „High School messed you up, kid/ Parents messed you up/ Drugs messed you up, kid/ Punk-Rock messed you up“ – nur um im grungigen Refrain direkt dagegenzuhalten: „Feel just fine/ With this past of mine/ Punch my guts, grow me a spine“.

Widrigkeiten mit zum Himmel gereckten Fäusten zu begegnen statt sich zu verkriechen – das ist die Maxime von Swain. Cohen zum Track: „Ich habe ungefähr ein Jahrzehnt damit verbracht mir zu sagen, dass alles anders und so viel besser geworden wäre, wenn mein Vater unsere Familie nicht verlassen hätte, wenn ich die richtige Schule besucht hätte, oder ich nie die Leute kennengelernt hätte, die jetzt meine besten Freunde geworden sind, mit denen ich unwissenderweise Punkrock entdeckt habe“, so Cohen. „Die Liste ist endlos – und sinnlos. Anstatt mich davon herunterziehen zu lassen, bin ich nach Berlin gezogen um zu sehen, ob ich mich dann besser fühle. Ehrlich gesagt habe ich mich nicht wirklich verändert, aber durch die Leute, die ich hier kennengelernt habe, komme ich jetzt besser mit meiner Vergangenheit und mir selbst klar.“
 
Manchmal braucht es eben nur einen Tapetenwechsel, um die Energie zu mobilisieren, sich wieder in den Sattel zu setzen, auf das Brett zu stellen und den Skatepark unsicher zu machen, eben aufzustehen und weiterzumachen. Natürlich können komplette Neuanfänge auch scheitern, aber wer sich mit so viel Hunger und Drive in Richtung neue Ufer aufmacht wie Swain, kann der Möglichkeit des Versagens auch mal locker ins Gesicht lachen und jedem neuen Hindernis mit schiefem Grinsen und billigem Dosenbier zuprosten. „The Long Dark Blue“ ist trotz seiner melancholischer Untertöne eine positive Platte, die persönliche Tiefschläge lediglich als Motivation und Katalysator begreift. Eine musikalische Brandrodung, die neue Herausforderungen nicht fürchtet, sondern feiert. Der Soundtrack zum Wochenendexzess und zu kaputtgeskateten Knien. Und vor allem: ein in Albumform gegossenes Manifest, das den Blick nach vorn mit Böllern und Raketen zelebriert.

Dass sie diese Lebenslust und Energie auch auf der Bühne umsetzen können, werden Swain im September als Support für die letzten John-Coffey-Konzerte und im Oktober mit einer Reihe an Releaseshows beweisen.
 
„The Long Dark Blue“ erscheint am 9. September auf End Hits Records.

SWAIN - Live 2016

with John Coffey
07.09. Hamburg - Logo
08.09. Berlin - Cassiopeia
09.09. Nürnberg - Hirsch
10.09. Köln - Luxor

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