Subversive Filmkunst im irritierenden Spannungsverhältnis zwischen Selbstzerstörung, Selbstbefreiung, Selbstfindung und Ästhetik
Die gebürtige Leonbergerin Julia Ostertag begann 1989 mit dem Studium von Malerei und Film in Hannover, wechselte dann an die HBK Braunschweig und schloss das Studium 2003 als Meisterschülerin (Diplom mit Auszeichnung) ab. Ihre Abschlussarbeit war Sexjunkie, ein 10-minütiger Video-Essay, das internationale Beachtung fand und beschreibt die Schwierigkeit, Liebe und Sexualität mit der Unfähigkeit zu verbinden, ohne emotionalen Kontakt zu leben.
In ihrem filmischen Essay zeigt Julia „Sexualität als Quelle von Wärme in einer kalten Welt“ in intimen Bildern. Über den Bildern legt Julia einen analytisch gesprochenen Kommentar, der kühl und
sachlich erzählt wird und in dem die Filmemacherin offen mit sich ins Gericht geht. Ein Akt im Spannungsverhältnis zwischen Selbstzerstörung, Selbstbefreiung und Selbstfindung. In grobkörnigen
Bildern zeigt Julia Sexualität als Manifestation völliger Einsamkeit und zugleich als wiederkehrendes Erlösungsmoment. Es ist seine stumpfe Freimütigkeit, die SEXJUNKIE zu einem
spannenden und authentischen Stück Underground-Kino macht.
Im Anschluss folgten viele weitere Produktionen. Den Fokus legt Julia auf einen alternativen Lebensstil, greift die Themen Musik, Gender, Queer auf und hat mit ihren subversiven
Experimentalfilmen wie „Saila-Punk Dystopia", den Dokumentationen „GenderX“, „And you belong“, „Under the Red Umbrella“ und „Noise&Resistance“ auch international Erfolge gefeiert.
In „Noise&Resistance“ zeigen Julia und Co-Regisseurin Francesca Araiza Andrade eine höchstlebendige und pulsierende, eine aufbegehrende und selbstbewusste europäische
Punk-Szene, die Widerstand artikuliert, eine kollektive Selbstbehauptung und auch Selbstaneignung zeigt, die verschiedenste Lebenskonzepte vorstellt und eine europäische DIY-Subkultur
präsentiert, die die Menschen in ihrem Wunsch nach Autonomie vereint.
„Saila“ iat Julias erster experimenteller Spielfilm. Hierin durchstreift eine junge Frau ein postapokalyptisches Ruinenland, in dem die einzige Überlebensstrategie Gewalt ist.
Die Frau als Raubtier im Parallelraum, auf einer alptraumhaften Suche, deren Ursprung und Ziel im Dunklen bleiben. Auf dem Female Eye Film Festival in Toronto gerade zum besten Experimentalfilm
gekürt, ist Julia Ostertags Saila rätselhaft, stilistisch radikal und in jeder Hinsicht aktueller, junger deutscher „Underground“. Ein von der Außenwelt abgeriegelter Stadtteil verwandelt sich in
ein Paralleluniversum aus Anarchie, Obsessionen und Gewalt. Hier lebt Saila in einem leerstehenden Hochhaus, wo sie ihre Besucher empfängt. Zeit und Raum verschwimmen, während das Radio
Katastrophenmeldungen sendet.
Julias Spielfilmdebüt, ein surreales Undergroundepos - gedreht im Guerillastyle in Ostberliner Industriebrachen - mit einem atmosphärischen Soundtrack und einer der blutigsten
Liebesszenen der Filmgeschichte.
Julia arbeitet mit LaiendarstellerInnen, die z.T. auch aus der Punkszene kommen. Kathryn Fischer hat in der Rolle als Saila Gender-Studies studiert, aber auch als Stripperin
gejobbt. In dem Film drückt sich sehr viel Lebensgefühl aus. Wenn mensch darunter versteht, einer seltsamen Welt mit einem Wissen um die Sinnlosigkeit der Existenz und dem Scheitern der
Zivilisation, so wie sie sich uns darstellt, und des Kapitalismus mit einem gewissen Heroismus zu begegnen. Oder mit einem Fetischismus, der entgegengesetzt wird. Also einer eigenen Ästhetik, die
gegen diesen Konsumkapitalismus und dessen Symbole gesetzt wird.
Mit der Strategie der Self-Exploitation geht Julia der Frage nach, was es eigentlich ist, das sie an der Verbindung von Sex und Gewalt interessiert. Insofern ist das Filmemachen auch ein
Stück weit Forschungsarbeit. So fühlt sich Julia eher den Menschen verbunden, die eine etwas grenzwertige Einstellung zum Leben haben bzw. vielleicht nicht unbedingt die stabilsten und
geradlinigsten Charaktere sind. Ihre Filme bewegen sich von ihr selbst und ihrer Gefühlswelt als Zentrum weg, was ein Akt der Befreiung ist.
Nun hat sie mit „Dark Circus“ einen aufwändigen okkulten Mystery Thriller als Langzeitfilm produziert. Eine Geschichte der Transformation, eine bizarre Reise in das Innere
selbst, ein Trip mit verborgenen Wünschen, dunklen Gedanken, Fetisch und Okkultismus. Der Film ist zugleich eine Metapher über die Erfahrungen und Träume, die Julia im Laufe der Jahre gesammelt
hat und nun zum ersten Mal versucht, so viel davon zu materialisieren. Der Film wirkt wie eine Initiation, eine Reise zu den dunkleren Teilen des Inneren voller epischer Visionen, mit starken
weiblichen Charakteren. Julia provoziert mit der Inszenierung von verstörenden und verführerischen Bildern kontroverse Gefühle und Gedanken beim Betrachten. Für sie als Regisseurin und Autorin
stellt die Mischung zwischen Irritation und Schönheit eine spannende, reizvolle Herausforderung dar.
Julia interessiert sich für die atmosphärische traumhafte wie alptraumhafte Seite des Grauens. Das wird auch in ihrem neuesten experimentellen Spielfilm offenbar.
In „Dark Circus“ treibt eine junge Frau, Johanna (gespielt von Angela Maria Romacker), ziellos durchs Leben, als sie in ein Parallel-Universum voller bizarrer Charaktere und okkulter
Rituale entführt wird.
Dark Circus ist die Geschichte einer Transformation, eine sinnliche Reise in die Abgründe des Unbewussten.
Ab September wird Julia ihren neuen Film Dark Circus auf internationalen Filmfestivals präsentieren.
Und als wäre das nicht genug Arbeit, spielt Julia Gitarre und shoutet bei der Berliner Crust/D-Beatcombo HUMAN DEAD ENDS, die mit „Visions of Doom“ bereits ein Demo veröffentlicht haben.
Anmerkungen:
Alles über Dark Circus:
http://www.darkcircus.net/
Über alle anderen Filme:
www.saila-film.de
www.noise-resistance.de
www.andyoubelong.com
www.julia-ostertag.de/genderx