Österreichs prominentester Jugendforscher provoziert auch in seinem neuen Essay wieder dort, wo’s wehtut, und die, die es treffen soll: prinzipienlose Manager, die sich benehmen „wie das missratene Kind einer wohlstandsverwahrlosten Erziehung“, Politiker, die „nur an die Macht wollen, egal mit welchen Inhalten“. Aber auch den religiösen Totalitarismus und die neuen rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien analysiert Heinzlmaier in der gewohnten Schärfe.
Heinzlmaiers Bestandsaufnahme fällt nicht sehr optimistisch aus: „Die Politik ist dabei, zu verschwinden. Übrig bleibt eine Ansammlung von handlungsunfähigen hohlen Gefäßen, genannt Parteien,
deren Äußeres zwar adrett aussieht, deren Innenleben aber verrottet ist. Waren früher die Parteien Träger von Ideen, Idealen und Weltanschauungen, sind sie heute genauso opportunistisch wie ein
Softdrink-Konzern. Wie die schlimmsten Produkte der Kulturindustrie schmiegt die Politik sich gurrend und schnurrend an die ästhetischen Bedürfnisse des Durchschnittsmenschen an und umgarnt sein
Ego mit Treue-, Nutzen- und Sympathieversprechen, von denen sie schon weiß, dass sie sie nicht halten wird. So wie die BesucherInnen eines Helene-Fischer-Konzerts am Ende mit einem Packen
Illusionen in ihren freudlosen Alltag zurückgeschickt werden, erwachen die WählerInnen, wenn ihr von der manipulativen Überzeugungskommunikation hervorgerufener Gesinnungsrausch ausgeschlafen
ist, mit Kopfschmerzen und leeren Händen dort, wo sie sich immer schon befanden, außerhalb des Interesses der herrschenden politischen Elite.“
„Eine jede Politik, der es um Erfolg abseits von Überzeugungen geht, die WählerInnen als Manipulationsobjekte betrachtet, die sie mit Maßnahmen der strategischen Kommunikation mal mehr und mal
weniger subtil dorthin zu bringen versucht, wohin sie sie haben will, ist populistisch. Populistisch ist letztendlich jede Politik, die von Individuen beherrscht wird, die in erster Linie die
Macht wollen und denen es egal ist, mit Hilfe welcher Ideen, Inhalte, Aktionen und Kommunikationen sie zu dieser kommen. Populismus ist die pure Lust an der Macht, die ohne Werte und
Grundüberzeugungen auskommt. Geliefert wird das, was sich dem Bürger am besten verkaufen lässt. Und das sind in der gegenwärtigen Situation jene Ideen, deren Grundlage irrationale Ängste und
unterdrückter Hass sind. Politik hat heute dort Erfolg, wo sie an die Ressentiments der Massen anknüpft, an deren unterdrückten Ärger, der sich dadurch zur Entladung bringen und für den Vorteil
der eigenen Partei instrumentalisieren lässt, wenn man ein passendes Opferlamm anbietet, das dargebracht wird, um die eigene Schuld an der misslichen Lage zu sühnen und vergessen zu machen. Die
eigene Unfähigkeit der mitteleuropäischen Bevölkerung, mit der Zuwanderung emotional fertigzuwerden, wird durch die rituelle Stigmatisierung, Abwertung und Ausschließung der Flüchtlinge
kompensiert. Nicht die xenophoben, verunsicherten und ängstlichen BürgerInnen sollen daran schuld sein, dass das Zusammenleben mit den Flüchtlingen nicht klappt, der Flüchtling ist es, mit seinem
unzivilisierten Betragen, seiner gelogenen Not, seiner ungezügelten Sexualität.“
Nicht zufällig hat Bernhard Heinzlmaier seinen aktuellen Essay am Vorabend zahlreicher Wahlen verfasst, in denen sich rechtspopulistische Parteien anschicken, immer mehr Parlamente zu erobern und
Europa nachhaltig zu verändern. Welche Klientel bedienen diese Parteien eigentlich? Wo werden sie bei den kommenden Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern (4.9.), Niedersachen (11.9.) und Berlin
(18.9.), aber auch bei der erneuten Bundespräsidentenwahl in Österreich am 2. Oktober punkten können? fragt und analysiert Bernhard Heinzlmaier im abschließenden Teil seines Essays.
„Das Ressentiment ist immer mit Neid verbunden. Man beneidet die, denen etwas gegeben wird, das man selbst nicht haben kann. Dem Ressentimentbeladenen geht es gar nicht primär darum, dass das
Unrecht getilgt wird und er selbst das bekommt, von dem er glaubt, dass es ihm zusteht. Viel lieber verzichtet er auf den eigenen Vorteil, wenn er sich dafür an der Bestrafung derer, die aus
seiner Sicht unberechtigt genossen haben, mit perversem Vergnügen delektieren kann. Und so blüht der Neidbürger auf, wenn der Migrant in sein desolates Herkunftsland abgeschoben wird, die
weinenden Kinder am Arm hinter sich herziehend, die gerade alle ihre emotional wichtigen Bezugspersonen verloren haben. Sein geistiges Auge sieht die Ungebetenen und Ungeliebten bereits jetzt,
während er vor dem Fernsehapparat sitzend deren Verladung in Transportmaschinen beobachtet, wie sie auf hilfloser Herbergssuche durch ihnen fremd gewordene halbzerstörte Städte irren. Und um das
Herz wird es ihm ganz leicht, weil er sich ein klein wenig als Urheber des Strafgerichtes sieht, dass die Armen nun stellvertretend für jene über sich ergehen lassen müssen, die er wirklich
hasst, aber die er nicht hassen darf, weil es ihm sein nationalistisches Über-Ich verbietet: die ökonomischen und politischen Eliten seines Landes.“
Bernhard Heinzlmaier ist seit über zwei Jahrzehnten in der Jugendforschung tätig. Er ist Mitbegründer des Instituts für Jugendkulturforschung und seit 2003 ehrenamtlicher Vorsitzender.
Hauptberuflich leitet er das Marktforschungsunternehmen tfactory in Hamburg. 2013 erschien im
Bernhard Heinzlmaier:
Anpassen, Mitmachen, Abkassieren
Wie dekadente Eliten unsere Gesellschaft ruinieren
120 Seiten, Hardcover
ISBN: 978-3-945398-50-0
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