AHEADS
s/t LP
Mad Butcher Classics
Als ich mir irgendwann Mitte der 80er Jahre auch die "Soundtracks zum Untergang 1" zulegte, war ich von der Band AHEADS aus Herford mit ihrem recht eigenwilligen Sound nicht sonderlich
begeistert. Aber zu diesem Zeitpunkt war ich in meinem Verhalten auch recht egoistisch und rücksichtslos.
Und musikalisch ging mir alles, was kein Deutschpunk war, am Arsch vorbei. So verpasste ich mehrmals die Möglichkeit, mich auch aus heutiger Sicht wirklich guten Bands zu widmen, die den
trivialen 3 bis 4 Akkorde-Punk-Rhythmus verließen und einen ganz anderen Stil entwickelten oder adaptierten. Gemeint sind Bands wie JOY DIVISON, DINOSAUR JR., HÜSKER DÜ, THE FALL, WIRE, NEW MODEL
ARMY. Diese Bands und ihre Musik hörte ich in der WG und nahm diese auch mehr ungewollt zur Kenntnis, passten sie doch nicht in mein damaliges Punk-Schema und Weltbild. Nun, umso wichtiger ist es
mir heute, nachzuholen, was ich damals versäumt habe bzw. nicht in der Lage war, anzunehmen. Und wenn ich mir heute den "Soundtrack zum Untergang 1"-Sampler anhöre, dann ragen AHEADS im jeden
Falle heraus. Mehr noch, finde ich sie heute mit ihrem zwar immer noch eigenwilligen Sound einzigartig und herausragend...ja zeitlos. Das liegt vor allem daran, dass AHEADS einen sehr
differenzierten Blick auf die Arbeitsweise legten. Der Sound war von atonalen Rhythmen geprägt, die Songs trotzdem melodisch, experimentell-avantgardistisch, der Gesangsstil meist schräg und
eintönig. AHEADS waren für deutsche Verhältnisse Pioniere und Vorreiter für ein Genre, das sich 1981 gerade auch in England vom Punk der Sex Pistols entfernte, ohne deren Wurzeln zu verleugnen:
britischer Postpunk Pop-Avantgarde. Und genau hierin sehe ich auch AHEADS verortet. Das musste auch John Peel begeistert haben, der die erste Single "Freedom of speech" (1979) in seiner
legendären John Peel Radio Show auf BBC spielte. 1981 wurde das Debütalbum in Cambridge aufgenommen und auf AGR veröffentlicht. 1983 entluden sich nach einem Konzert bandinterne Querelen und
Spannungen in einer Schlägerei, woraufhin sich AHEADS auflösten. Nach der Auflösung der Aheads spielten AHEADS-Gitarrist Bernd Weitkamp, der heute in Herford als Künstler unter dem Namen
Weizenfeld bekannt ist, und Bassist Werner Kureinski in den 80er Jahren in mehreren nicht sehr langlebigen Bands. Hier ist vor allem die Band ROLL ON ROLL OFF erwähnenswert, die gegen Ende der
80er Jahre ebenfalls innovative experimentelle Musik spielten und mit improvisierten Stücken das Hardcore-Gegenstück zum Free Jazz waren. Inmitten der Überlegungen zu einer möglichen Re-Union
überraschte die Nachricht vom Unfall-Tod des AHEADS-Sängers, Andy Stillion. Am 11. Juli 2010 war er am Vormittag mit seiner Freundin auf einem Bootsausflug zu den Farne Inseln, als er auf dem
Boot tödlich zusammenbrach.
Nun gibt es eine Neuauflage der ersten und einzigen LP von AHEADS. Zum Einen ärger ich mich über meine bodenlose Ignoranz und Arroganz, diese Band damals nicht jene Wertschätzung
entgegenzubringen und Aufmerksamkeit zu schenken, die sie verdient hat. Umso mehr erfreut es mich heute, jeden einzelnen Song bewusst zu hören, zu genießen und die Genialität zu erkennen, die die
Band auszeichnete. AHEADS haben mit diesen Songs und der LP einen sehr wertvollen, nachhaltigen Beitrag in der langen, großen Punk-Historie geleistet. Heute weiß ich das!