Inhalt: Nach dem großen Erfolg ihres Erstlingswerkes „Das Mühldorfer Hart – zu unbedeutend zum Erinnern?!“ hat sich die Filmgruppe des Jugendbüros Burghausen mit dem Mythos der „Stunde Null“ und aktuellen Entwicklungen im rechtsextremen und rechtspopulistischen Spektrum beschäftigt. Dieser Begriff wurde auf den frühesten Abschnitt der unmittelbaren Nachkriegszeit in Deutschland angewandt. Er bezieht sich auf die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht und den vollständigen Zusammenbruch des NS-Staates, die die Chance zu einem voraussetzungslosen Neuanfang geboten haben. Der Mythos der „Stunde Null“ besagt also, dass mit Kriegsende am 08. Mai 1945 sämtliche nationalsozialistischen Strukturen in Deutschland zerschlagen und verschwunden waren. Durch den Verlust der Selbstbestimmung des deutschen Volkes unter der Militärbesatzung ab 1945 habe auch die alte deutsche Gesellschaft aufgehört zu existieren, ihre alten Werte seien damals sämtlich als widerlegt empfunden worden. Ob dies wirklich so der Fall war und ob es keine Nazis in Deutschland mehr gab und gibt ist die große Frage des Films. Es wird versucht darauf eine Antwort zu geben. Für dieses Werk reiste die Filmgruppe quer durch Deutschland und auch Europa um Interviews mit Experten, Politikern und Zeitzeugen zu führen.
Gesamteindruck:
Petra Schulz ist Präventionsbeauftragte in Landratsamt Hof stellt gleich am Anfang der Dokumentation die richtigen rhetorischen Fragen: "Woher kommt das Minderwertigkeitsgefühl der
Neo-Nazis? Was steckt dahinter? Und was könnte man dagegen unternehmen?"
Felix Benneckstein ist Neo-Nazi-Aussteiger und macht deutlich, dass er in seiner Kindheit wohlbehütet in einem geschützten Rahmen aufgewachsen ist. Und Pfarrer Holger Winkler
findet es bedenklich, dass es Menschen gibt, die in keinem anderen sozialen Verband diese Liebe, Anerkennung und Respekt erfahren, sondern nur in dieser Gruppe, die hasserfüllt und kleingeistig
ist. Peter Ohlendorf (Regisseur von "Blut muss fließen") sieht Rassismus als gesamtgesellschaftliches Problem, erklärt, wie mensch verhindern kann, dass Jugendliche Neo-Nazis nicht
hinterherlaufen und sieht die Eltern in der Pflicht, gewisse Werte zu vermitteln, die eben keine Vorurteile schüren und rassistische Ressentiments bedienen.
Es sind diese kleinen Ausschnitte der Interviews, die die Kernfragen von Rassismus aufgreift. Die Jugendfilmgruppe greift in diesem Zusammenhang auch die NSU-Morde auf, Morde, die bis heute viele
Fragen aufwirft: Wie konnte die rechte Mörderzelle aus Zwickau so lange unentdeckt bleiben? Wo und wie haben Polizei- und Geheimdienstbehörden und die Politik versagt? Und wie kann ein solcher
Fall in Zukunft verhindert werden? Geheimdienste und Polizei versagten in einer Form, wie es bis dahin in Deutschland undenkbar war, weil die Behörden keinerlei Vermutungen aufstellten, die
TäterInnen der Mordserie könnten aus einer organisierten rechten Szene stammen.
SchülerInnen des Aventius-Gymnasium aus Burghausen erkennen, dass Rassismus kein nationales Alleinstellungsmerkmal ist, sondern, dass Diskriminierungsformen und rassistische Vorurteile bishin zu
Hass, Terror und Mord weltweit in allen Teilen der Gesellschaft manifestiert sind. Und das macht die Dokumentation auch deutlich. Rechter Terror und Rassismus hat nicht mit dem Niedergang des 3.
Reiches aufgehört zu existieren. In der Bundesrepublik verüb(t)en Neo-Nazis Attentate mit einem klaren Ziel: Der Wiedererrichtung eines neuen Dritten Reiches! 1980 starben 13 Menschen nach einem
rechtsterroristischen Attentat auf dem Münchener Oktoberfest, 200 wurden schwer verletzt. mit dem Wegfall der Grenzen wurde die Migration zu einem alltäglichen Merkmal. Für Rechtsradikale und
Neonazis Anlass, der Integration von Ausländern militanten Nationalismus und die rassistische Idee eines „Europas der weißen Vaterländer“ entgegenzusetzen. Sie propagierten die Gefahr der
multikulturellen Überfremdung.
Ab 1993 bildeten sich funktionierende Netzwerke rechtsradikalen Organisationen aus Frankreich, Großbritannien, Belgien, den Niederlanden, Schweden, Dänemark, Österreich und Deutschland. Eine
Welle der Gewalt gegen Ausländer setzte ein. In Deutschland verbrannten Asylanten in ihren Unterkünften, in Schweden wurden Ausländer, in Österreich Roma und Sinti getötet. Als Mitte der
1990er-Jahre in Deutschland zahlreiche neonazistische Vereine verboten wurden, reagierte die rechtsradikale Szene mit einer neuen Strategie. Sie löste feste Strukturen auf, bildete lose
Kameradschaften, um spontan handeln und nicht mehr verfolgt werden zu können.
Heute sind es insbesondere die rechtspopulistischen Parteien, die rechte und rechtskonservative Weltbilder erfolgreich vermitteln, das sich seit den 20er Jahren wenig geändert hat. Geändert hat
sich im jeden Fall der soziale und öffentliche Resonanzraum, in dem es seine Wirkung entfaltet und für WählerInnen plausibel wird. Herbeifabulierte Krisen, insbesondere im Kontext der
Flüchtlinge, bedrohen offenbar die nationale Sicherheit. In diesem Bedrohungsszenarium bleibt für die neue Rechte nur ein Weg offen: die nationale Selbsthilfe, der Rückzug in die feste Burg des
autoritären Staates.
Nazis waren niemals weg. Die Jugendfilmgruppe hat sich auf die Spuren der Nazis begeben und ZeitzeugInnen erklären, reflektieren analysieren und erzählen lassen, dass der ganz normale,
alltägliche Rassismus kein historisches Problem, sondern ein gesamtgesellschaftliches ist, dass nicht zu unterschätzen ist. Wer dagegen glaubt, dass das Angebot der Nazis nur auf Dummheit
basiert, wer denkt, dass ihre Parolen nicht auch bei Eltern, Freunden und Verwandten auf fruchtbaren Boden fallen und wer sich der Illusion hingibt, die braune Dominanz der Jugendkultur gerade
bei männlichen Jugendlichen im Osten würde von allein wieder verschwinden – der begeht gleich mehrere schwere Fehler, die sich bitter rächen und weitere Menschenleben kosten werden.
Die Dokumentation eignet sich hervorragend als Teil in einer Projektwoche in der Schule zum Thema Rassismus mit anschließender Diskussionsrunde. Die Passagen der Interviews sind so
zusammengeschnitten, dass sie nie zu lang sind oder eine Überforderung darstellen, sondern von verschiedenen Personen immer kurze analytische Blicke auf Täter und Opfer werfen.
Was in der Dokumentation zu kurz kommt, ist, wie konkret mensch sich gegen Nazis wehren und an wen mensch sich wenden kann. Die Interviews bieten aber auch so genügend Ansätze wie durch einen
kontinuierlichen Erfahrungsaustausch, Wissens- und Praxistransfer langfristig Strategien entwickelt werden können, um durch präventive Maßnahmen Rassismus erfolgreich zu begegnen.