Der Schuhhersteller Salamander hat es lange geleugnet, und doch ist es belegt: das Unternehmen hat in der Nazizeit Schuld auf sich geladen. Vera Friedländer liefert eine spannende und faktenreiche Auseinandersetzung mit der Firmengeschichte des Schuhherstellers Salamander in Kornwestheim. 1933 wird bereits die schrittweise „Arisierung“ des Unternehmensvorstands in Angriff genommen und die jüdischen KapitalgeberInnen kaltgestellt.
Den ganzen Krieg über lebte Vera Friedländer (geb: 27.02.1928; li. im Bild) in Angst um sich und um ihre Familie. Ihre Mutter war Jüdin, ihr Vater Christ. Doch während ihr Vater bis
Kriegsende in einem Lager bei Merseburg einsaß, blieb ihre Mutter während der gesamten Zeit unbehelligt. Bis heute weiß sie nicht warum. Sie vermutet, dass eine Widerstandsgruppe im Berliner
Arbeitsamt für Juden die Registriermarke ihrer Mutter verschwinden ließ.
Vera Friedländer arbeitete zunächst – freiwillig und bezahlt – als Stenotypistin bei einer Rüstungsfirma, bis ihr Chef Anfang 1945 jene Zwangsverordnung erhielt, die sie als unbezahlte
Hilfsarbeiterin in den Reparaturbetrieb der Salamander A.-G. in der Köpenicker Straße anforderte. Dort arbeitete sie, so berichtet Friedländer, „zusammen mit 50 bis 60 Leuten“, polnischen
Schuhmachern, Franzosen, Serbinnen und jüdischen Frauen – bis zum 18. März 1945, als das Gebäude von einer Bombe teilweise zerstört wurde. Danach wurde sie einem Lederbetrieb zugeordnet. Diese
Stationen sind alle in ihrem Arbeitsbuch dokumentiert.
Vera Friedländer musste für Salamander Zwangsarbeit leisten. Sie musste noch tragbare Schuhe, die aus den Konzentrationslagern kamen, prüfen und sortieren zwischen denen in gutem Zustand und
denen, die repariert werden mussten. Eine SS-Aufseherin zwang sie, Lederriemen, die auf Haftung überprüft werden mussten, mit dem Fingernagel (statt mit einem Werkzeug, das auch vorhanden war,
ihr aber nicht gegeben wurde) zu testen. Sie bekam blutende und eiternde Finger davon.
1999 sprach man von Zwangsarbeit bei Salamander, doch der Firmenhistoriker Hans Peter Sturm und die Pressesprecherin wiesen alle Vorwürfe ab. Salamander habe nie Zwangsarbeiter beschäftigt und
der Firmenchef sei gegen Hitler gewesen, wurde behauptet. Salamander habe sich vorbildlich verhalten.
Aber Salamander hat Zwangsarbeiter beschäftigt.
Vera Friedländer liefert eine spannende und faktenreiche Auseinandersetzung mit der Firmengeschichte des Schuhherstellers Salamander in Kornwestheim (Baden-Württemberg). Aus den Schriften des
Stadt- und Firmenhistorikers Hanspeter Sturm befördert sie unter Falschdarstellungen, Fehlinterpretationen und Auslassungen die tatsächliche Entwicklung des Unternehmens Salamander zwischen 1933
und 1945 ans Tageslicht und vervollständigt diese durch eigene Quellenrecherchen.
1933 wird bereits die schrittweise „Arisierung“ des Unternehmensvorstands in Angriff genommen und die jüdischen KapitalgeberInnen kaltgestellt. Die Massnahmen haben den gewünschten Effekt: Die
Firma wird aus der Boykottliste der Nazis gestrichen. Die weitere Hinwendung der Firma an die Nazis zeitigt die Spende von 10.000 Reichsmark des Firmenchefs Alex Haffner zu Hitlers erstem
Jubiläum als Reichskanzler. Gleich nach den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 und weit vor der Reichsprogromnacht 1936 „erwirbt“ die Salamander AG bereits gut gehende Schuhfirmen aus Offenbach
und Speyer. Die Offenbacher J. Mayer & Söhne Leder AG ist zu diesem Zeitpunkt sechs Millionen Reichsmark wert, die Besitzer werden mit einer halben Millionen abgefunden. Das mag damals gerade
gereicht haben, um ihr Vermögen aufzulösen und die Ausreise zu bewerkstelligen. Zudem „erwirbt“ Salamander die württembergische Schuhfabrik Faurndau GmbH und im Jahr 1937 Anteile der Gerberei
Sihler & Co AG. Durch diese Einkäufe wird sie zu einem der größeren Schuhkonzerne neben der Freundenberg AG.
Die Autorin arbeitet anhand von Fakten heraus, dass neben der Ledergewinnung vor allem das Lederrecycling und die Gewinnung von Ersatzstoffen für Leder wichtige Schwerpunkte der Firmenpolitik
waren. Sie beschreibt, wie Ledernachschub in grossem Stil aus der Sowjetunion geraubt wurde. Dies war neben der Beschäftigung von mehr als 2000 Kriegsgefangenen als ZwangsarbeiterInnen
überwiegend aus Frankreich, Griechenland und weiteren 19 Nationen ein wichtiger Produktionsfaktor für den Erfolg des Unternehmens. Denn für geraubtes Leder fielen nur Transportkosten an,
ZwangsarbeiterInnen waren billig. Hingegen konnte sie keine Informationen finden über die Wiederaufbereitung von Leder aus Schuhen, die ermordete jüdische Häftlinge verschiedener KZ zurück
liessen, und die von Berliner JüdInnen, PolInnen und FranzösInnen in der Berlin aufgearbeitet wurden. Obwohl die Firma Salamander zunächst bestritt, damit etwas zu tun zu haben, konnte der Beweis
mit Berliner Adressbüchern von 1937 erbracht werden, die die Salamander AG als Betreiberin eines Reparaturbetriebes in der Köpenicker Strasse 6a ausweisen.
Entgegen anderslautender Behauptungen war Salamander ein kriegswichtiges Unternehmen: Denn Stiefel und Schuhe wurden nicht nur für die Wehrmacht im Krieg gebraucht, sondern auch für den Bau. Als
nicht zweifelsfrei belegt, aber sehr wahrscheinlich gilt, dass Salamander auch Holzschuhe für Konzentrationslager produzierte. Gesichert ist jedenfalls, dass das Unternehmen als aufsteigender
Schuhproduzent maßgeblich an der Testung von Ersatzstoffschuhen im KZ Sachsenhausen bei Oranienburg beteiligt war. Der Firmenchef von Untertürkheim war Mitglied der Fachabteilung
Lederfaserwerkstoff (FLWS). Dominant neben weiteren 76 Unternehmen waren in der FLWS die Konzerne Freudenberg und Salamander.
Eine ihrer Aktivitäten war die Gebrauchswertprüfung von Schuhen durch Häftlinge, für die die Schuh- beziehungsweise Lederfirmen sechs Reichsmark pro Tag und Häftling an die SS zahlten. 1940 wurde
dazu die berüchtigte „Schuhläuferstrecke“, eine halbrunde Laufbahn von 700 Metern mit acht bis zehn Meter Breite und abwechselnden Belägen von Beton, Schotter, Sand, feuchtem Lehm oder ähnlichem
eingerichtet. Unterernährte Häftlinge mussten täglich elf Stunden lang mit 15 bis 30 Kilogramm Gepäck auf dem Rücken bis zu 40 Kilometer/Stunde schnell auf dieser Strecke laufen. Das überlebten
nur wenige.
Etliche „Schuhläufer“ liefen sich nicht nur ihre Füsse blutig, da sie oftmals zu kleine Schuhe testen mussten, sondern sie wurden nach ihrem Umfallen sofort von der SS erschossen. Das ist von
einem der wenigen Überlebenden überliefert: Der damals 20 Jahre alte Holländer Josef Snep wies auch darauf hin, dass die Experten der Forschung und Entwicklung der Unternehmen sich direkt vor Ort
die Ergebnisse des Laufens mit dem Schuhwerk aus Ersatzstoffen ansahen. Wenn die Direktoren der Lederbetriebe die Gebrauchsspuren und die Haltbarkeit der Schuhe besichtigen wollten, musste das
Schuhkommando geschlossen vor der Schuhprüfstelle Aufstellung nehmen und die Schuhe ausziehen. Daher wussten auch die Vertreter von Salamander sehr genau, in welcher verbrecherischen und
menschenverachtenden Form ihre Entwicklungen getestet wurden.
Vera Friedländer ist deshalb so sehr an dieser Unternehmensgeschichte interessiert, weil sie selbst als 16-Jährige Zwangsarbeiterin bei Salamander in Kreuzberg war. Sie ist Tochter einer Jüdin.
Ihr Vater ließ sich während des Nationalsozialismus nicht scheiden, sondern ging zum Schutz seiner Familie zur Organisation Todt, um dort seine „Wehrwürdigkeit“ unter Beweis zu stellen.
Friedländer wurde 1944 zur Zwangsarbeit im Reparaturbetrieb bei Salamander verpflichtet.
Nach einem friedlichen Leben in der DDR, dass ihr ein Studium der Germanistik und eine Professur ermöglichte, ist sie als Bundesbürgerin seit 1990 wieder mit rechtsextremistischen Entwicklung
konfrontiert. In diesem Kontext erinnerte sie sich an ihre Jugend, und an die Fragen, die sie als junges Mädchen nicht auflösen konnte: Woher kommen die vielen Schuhe? Wer sind ihre
BesitzerInnen? Warum sind die Schuhe nicht mit einer Nummer markiert, damit sie wieder abgeholt werden können? In ihren Recherchen stieß sie auf die Firma Salamander: Sie entdeckte, dass sich das
Unternehmen mit einem Nichtverwickeltsein in die Naziherrschaft schmückte. Die Firma rühmte sich dessen, obwohl die Schuhproduktion kriegswichtig war und sie als eine der einflussreichsten
Schuhproduzentinnen im damaligen „Dritten Reich“ dokumentiert ist.
In der zweiten Hälfte ihres Buch entkräftet sie Hanspeter Sturms Legende von den „Schützenden Händen über unsere Juden“: Sie berichtet von der weitaus umfangreicheren jüdischen Bevölkerung in
Kornwestheim und widerlegt halb- und unwahre Einzelaussagen des „Historikers“ Hanspeter Sturm. Vera Friedländers Buch ist deshalb großartig, weil es zur Aufdeckung der Methodik des Lügens zum
Zwecke der Weisswaschung von deutschen Wirtschaftsunternehmen nach dem 2. Weltkrieg einen hervorragenden Beitrag leistet.
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