Nachhaltig ist Aktivismus zum Einen dann, wenn sowohl die Außen-Wirkung von längerer Dauer ist und/oder weitere Veränderungen mit sich zieht. Zum Anderen ist Aktivismus nachhaltig, wenn er sich
an den persönlichen Ressourcen der aktivistisch wirkenden Person orientiert, so dass diese von ihrem Tun profitiert und möglichst keinen Schaden nimmt. So können und werden Konzepte erarbeitet,
mit denen die Überwindung gesellschaftlicher Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten sowie eine stärkere Teilhabe aller Beteiligten an gesellschaftlichen Prozessen angestrebt wird und die den
Anschluss an gesellschaftliche Diskurse suchen.
Die zusammen handelnden Menschen treten als kollektive Akteure auf, die durch eine spezifische Form der Solidarität verbunden sind. Das heißt sie bestimmen Kriterien der Zusammengehörigkeit
und gemeinsame Ziele. Die Akteure greifen auf Protestformen zurück, die sich jenseits der Kanäle institutionalisierter Politik abspielen. Gekennzeichnet ist der Protest von öffentlichen,
kollektiven Handlungen nichtstaatlicher Träger, die Widerspruch oder Kritik zum Ausdruck bringen und mit der Formulierung eines gesellschaftlichen bzw. politischen Anliegens verknüpft sind.
Protest ermöglicht defacto autonome Handlungsspielräume und bietet eine gemeinschaftliche politische Praxis.
Widerständig und aktiv sein und bleiben
Der persönliche Gewinn für die AktivistInnen ist immer sehr groß und sollte bei der Entscheidung sich kollektiv politisch zu engagieren
immer mit bedacht werden. In diesem Sinne lohnt sich es immer die eigenen politischen Überzeugung kollektiv zu artikulieren. In Zeiten der multiplen kapitalistischen Krisen, ist es für soziale
Bewegungen und Organisationen der Zivilgesellschaft von entscheidender Bedeutung, mit unseren persönlichen, organisatorischen wie politischen Krisen konstruktiv umzugehen. An diesem Punkt
entscheidet sich, wie wirkmächtig wir werden können. Doch ein soziales und politisches Engagement hat auch seine Schattenseiten. So hat ein unmittelbares Miterleben von Tierleid während einer
Tierbefreiungsaktion Folgen für die Psyche und bedeutet nicht nur Stress, sondern kann hierbei zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen. Wie wir lernen, damit umzugehen, hat Timo
Luthmann das Konzept von einem „Nachhaltigen Aktivismus“ erarbeitet. Dieses beinhaltet das Lernen aus sozialen Kämpfen, strategisches politisches Handeln, sowie individuelle und kollektive
Strategien zur Stärkung unserer Widerstandskraft, um langfristiges Engagement zu ermöglichen.
Das Wegbrechen von AktivistInnen u.a. durch Posttraumatische Belastungsstörungen aufgrund von Polizeigewalt, durch interne Machtkämpfe und
eine mangelhafte Kommunikations- und Konfliktkultur oder persönliche Überforderung durch eigene Ansprüche, hat fatale Folgen. Es kommt zum Verlust von wichtigen Erfahrungen, Wissen und Kontakten.
Unsere Weiterentwicklung wird behindert und es drohen Rückschritte und organisatorische Lücken.
Wenn wir uns vergegenwärtigen, wo all die AktivistInnen seit den 68ern und dem Aufkommen der neuen sozialen Bewegungen geblieben sind, könnte uns dies nachdenklich stimmen. Wenn nur die Hälfte
der ehemals Aktiven auf die eine oder andere Weise ihr Engagement kontinuierlich fortgesetzt hätte, würde dies die Schlagkräftigkeit von sozialen Bewegungen wesentlich erhöhen und den
Aktionsradius von zivilgesellschaftlichen Organisationen durch mehr ehrenamtliches Engagement beträchtlich erweitern. Wenn es uns gelingt, aus der Geschichte und unseren Fehlern zu lernen, und
mehr auf unsere Bedürfnisse zu achten und Grenzen zu ziehen, haben wir ein entscheidendes Rezept für mehr soziale Veränderung. Um wirklich erfolgreich zu sein, brauchen wir die Erfahrung und
Fähigkeiten aller Generationen und einen politischen Aktivismus mit langfristiger Perspektive jenseits der Jugendrevolte.
Gleichzeitig fragt das Konzept des nachhaltigen Aktivismus nicht nur nach dem Was und dem Warum, sondern auch nach dem Wie. Auf welche Art und Weise werden wir als
Bewegung ansteckend und wie kann uns der politische Aktivismus glücklicher, humaner, fähiger zur Solidarität machen?
«Soziale Veränderung ist nicht ein Sprint, sondern ein Marathon und deswegen ist nachhaltiger Aktivismus notwendig, um politisch erfolgreich zu sein.»
Frustrierte Altlinke sind keine Werbung und ehemalige AktivistInnen, die nun auf der Gegenseite den Kapitalismus modernisieren; noch viel weniger. Glücklich sein als AktivistIn ist eine wichtige Grundvoraussetzung für ein langfristiges Engagement. Damit gemeint ist kein oberflächliches Glücksempfinden in unserer Warengesellschaft. Es geht um Tiefe, Achtsamkeit, gelingende soziale Beziehungen, lebendige Naturerfahrungen, die unser politisches Handeln nähren. Wenn wir andere durch unser positives Vorbild inspirieren, kann unsere Bewegung organisch wachsen. Kurzfristig machen wir dadurch vielleicht weniger, aber langfristig schaffen wir mehr. Es geht nicht um oberflächliche schnelle Siege. Soziale Veränderung ist nicht ein Sprint, sondern ein Marathon und deswegen ist nachhaltiger Aktivismus notwendig, um politisch erfolgreich zu sein. Oder anders ausgedrückt: Nachhaltiger Aktivismus ist eine Überlebensfrage.
Formen des politischen Engagements
Statt Herrscher und Staaten als zentrale historische Akteure zu begreifen, sahen Marx und Engels die soziale Bewegungen als Motor gesellschaftlichen Wandels.
Den Gipfel dieses Prozesses sahen sie in den Kämpfen der Arbeiterbewegungen.
Hausbesetzungsbewegungen gehörten zu den wichtigsten sozialen Bewegungen der 1970er und 1980er Jahre. In der HausbesetzerInnenbewegung wurde häufig auf Autonomie als Ziel der
Aktionen rekurriert. Die BesetzerInnen konstruierten einen Raum, der durch alternative Normen und Werte um Freiwilligkeit und Solidarität strukturiert war. Das Ausleben individueller Bedürfnisse
und Wünsche wurde dabei bewusst als Gegenkonzept zur bürgerlichen Gesellschaft verstanden, deren vermeintlichen oder tatsächlichen sozialen Anpassungsdruck sie zur Bedrohung des eigenen Lebens
stilisierten. Eine »andere« Gesellschaft in den besetzen Häusern zu verwirklichen, war aber nur ein Aspekt des leitenden Autonomiekonzepts. Die Suche nach einem anderen Leben gegen die uns
vorgesetzte Gesellschaft, bestehend aus Konkurrenzdenken, Arbeitshetze, Leistungsdruck, Konsumzwang, Opportunismus, Sexismus und Chauvinismus brachte Menschen zusammen, Freiräume zu schaffen und
zu gestalten.
Auch die Tierbefreiungsbewegung war ein attraktives Sammelbecken für all jene, welche eine nicht-konfrontative Politik ablehnten. Auf struktureller Ebene favorisierte bspw. die
Animal Liberation Front (ALF) in England ein Modell der direkten Aktionen, bei dem den einzelnen AktivistInnen die größtmögliche Eigenverantwortung übertragen wurde, und sie
propagierte absolute Dezentralisierung.
Mit dieser radikalen Form politischer Infrastruktur hatte sie in den 80er Jahren insbesondere Einfluss auf den linken Flügel der Umweltschutzbewegung. Weiterhin war die
ideologische Rahmung der Tierbefreiungsthematik beweglich genug, um Interpretationen zuzulassen und somit die Inklusion in die breitere linke Bewegung zu ermöglichen. Sie basieren auf den
anarchistischen Ideen, dass der Einzelne Dinge verändern könne und es in die Hand zu nehmen hätte, die Lebensumstände zu revolutionieren. TierbefreiungsaktivistInnen waren in den 80er Jahren
ihrerseits von dem theoretischen Input und der personellen Beteiligung einer ganzen Anzahl von AktivistInnen aus anderen Bewegungen abhängig, insbesondere von denen der Umwelt- und
Ökologiebewegungen und der antifaschistischen Gruppierungen. Alternative Volksküchen erklärten ihre Übernahme einer veganen Ernährung mit ökonomischen Notwendigkeiten und Prinzipien: Der
Fleischmarkt würde neben den Tieren auch die Landarbeiter/innen der sogenannten Dritten Welt und die Arbeiter/innen in den Schlachthäusern unterdrücken. Die Anzahl derjenigen, die zu einer
vegetarischen oder gar veganen Ernährung konvertierten, stieg in den 1980er Jahren in bis dahin beispiellosem Maße an. Insbesondere die Punk-Community um die Gruppe CRASS nahm den Vegetarismus
und Veganismus nachweisbar an. Punkrock machte die Thematisierung von Tierrechten und Vegetarismus zum elementaren Bestandteil ihrer kulturellen Nische. Punkbands, neben Crass insbesondere
VARURKERS, CONFLICT, Chumbawamba und Oi Polloi, sangen von der Befreiung der Tiere und legten ihren Tonträgern Informationsmaterial über »Tierausbeutung und Tierrechte«
bei.
Veganismus wurde somit nicht nur als pure Ernährungsform betrachtet, sondern als Teil der Gegenkultur, dem genug polarisierendes Potential anhaftete, um sich von der »Mainstream Gesellschaft«
absetzen zu können und die Utopie im Hier und Jetzt zu leben. Er verband in idealer Weise individuelle Ideen und Vorstellungen darüber, wie man das eigene Leben gestalten wollte, mit einer auf
soziale Transformation ausgerichteten Politik. »Kontrolle über sein eigenes Leben zurückzugewinnen« war ein weiteres politisches Proklamat, das autonome Gruppen, die in »Befreiungskampagnen«
involviert waren, häufig nutzten.
Soziale Protestbewegungen sind heutzutage sehr vielschichtig. Proteste sind allgegenwärtig – von der Bürgerinitiative gegen eine Umgehungsstraße zur Revolte in autoritären Regimen, von extrem
rechten Aufmärschen zu mit Graffiti versehenen Wänden.
Neue Soziale Bewegungen
Die Bezeichnung Neue Soziale Bewegungen (fortan NSB) kam in den 60er und 70er Jahren auf, um die „neuen“ Bewegungen, wie das Engagement für Menschen- und Bürgerrechte, Initiativen zu den Themen
Migration, Refugees, Frauen-, Friedens-, Ökologie-Bewegung, Bewegung der GlobalisierungsgegnerInnen – meist in Unterscheidung zu den „alten“ Bewegungen, wie der Arbeiterbewegung, zu beschreiben.
Was ist nun aber das Neue an diesen Bewegungen?
Gesellschaft wird nicht mehr als Gesellschaft der Klassen, die gesellschaftliche Auseinandersetzung nicht mehr als Klassenkampf gedacht. Die soziale Grundlage der Bewegungen ist nicht die
Arbeiter- sondern die Mittelklasse. Wichtig ist aber vor allem: dieser Klassenhintergrund ist nicht mehr konstitutiv für die kollektive Identität der Bewegung. Damit ändert sich auch die
Organisationsweise: diese Bewegungen gründen keine Parteien oder Gewerkschaften, sondern Graswurzelgruppen; horizontale Organisationsweisen und Netzwerke sind die Grundlage gemeinsamen Handelns.
Auch Forderungen und Ziele haben sich verändert. Es wird nicht mehr gefordert, dass „die“ es richten, sondern mensch möchte selbst mitbestimmen, das öffentliche zurückerobern und sich beteiligen.
Inhaltlich arbeiten die Gruppen hauptsächlich mit Recherche und Öffentlichkeitsarbeit. Sie organisieren Veranstaltungen, Flugblattaktionen, Demonstrationen, Kundgebungen. NSB haben keine weit
reichenden Änderungen des politisch-institutionellen Grundgefüges errungen. Dagegen konnten sie einzelne Politikfelder – etwa in der Energiepolitik, der Umweltpolitik und Frauenpolitik –
beeinflussen. Auf der Ebene konkreter Einzelkonflikte sind neben wenigen Erfolgen der NSB viele Teilerfolge, aber auch deutliche Misserfolge zu verzeichnen. Nicht zu unterschätzen sind die
Auswirkungen der NSB auf die politische Kultur. NSB haben einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Liberalisierung geliefert, insbesondere zur Abschwächung obrigkeitsstaatlicher Denkmuster,
Akzeptanz demokratischer Werte und größeren Toleranz gegenüber von der Norm abweichenden Lebensstilen.