Polen, Ungarn, Lettland, Litauen, Amerika, Russland, Türkei haben etwas gemeinsam: Nationalismus. Für Trump bedeutet sein Leitmotiv „America First“ nicht nur oder vor allem nicht in erster Linie Fürsorge für die eigenen Landsleute. Im Vordergrund steht ein aggressiver Nationalismus mit Business-Kalkül, in seinem persönlichen Fall getragen von der Skrupellosigkeit eines Marktspekulanten. Von Bündnissen mit gleichberechtigten Nationen als Partnern kann nicht die Rede sein. Trumps Welt ist eine Spätausgabe vom Sozialdarwinismus ohne moralische Hemmungen. Nationalismus widerspricht Solidarität, Gemeinschaft und internationalem Denken.
In den letzten Jahren kam es zudem neben den in Europa dominierenden Krisen zu globalen Erhebungen, die sich teilweise aufeinander beziehen. Das führte dazu, dass der Begriff „Neuer
Internationalismus“ wieder in die Debatte gebracht wurde, ein Begriff, mit dem auch schon auch der Internationalismus der 1968er-Bewegung und der globalisierungskritischen Bewegung der 1990er
Jahre bezeichnet wurden.
Denn was gegen aggressivem Nationalismus hilft ist politische Mitgestaltung, Vielfalt und Dezentralität, Kooperation und grenzübergreifendes Handeln und einen Diskurs über Ideale, Werte und
Utopien einer internationalen Solidarität gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Kapitalismus.
Die Geschichte des Internationalismus hatte einen fulminanten Anfang. Marx und Engels forderten 1848 am Ende des Kommunistischen Manifests, dass sich die »Proletarier aller Länder« vereinigen
sollen. Seit dieser Zeit hat die Politik des Internationalismus mehrere Wandlungen erlebt. Eine bis heute nachwirkende Entwicklung, zeigte sich im veränderten politischen Verhalten der
BürgerInnen. In den Nachkriegsjahren bis in die 60er Jahren hinein war das politische und private Leben durch Parteimitgliedschaft, relativ feste Klassenzugehörigkeit und hierarchische Strukturen
geprägt, aber ab den 1960er-Jahren traten persönliches Engagement und Verantwortung traten in den Vordergrund.
Mit dem Abflauen der StudentInnenbewegung und der „Außerparlamentarischen Opposition“ (APO) ab Ende der 1960er-Jahre, mit dem Erstarken der internationalen globalisierungskritischen Bewegung der 90er Jahre lassen sich jedoch von ihren Zielen unterscheiden. So hatte die Protestbewegung Mitte und Ende der 60er Jahre ein neues politisch-soziales Bewusstsein, das geprägt war von rationaler Systemkritik, die Wiederentdeckung des Marxismus als Gesellschaftstheorie, die Anprangerung des imperialistischen Systems, die Verweigerung des Konsumfetischismus der Wohlstandsgesellschaft und die Forderung nach einer umfassenden Veränderung der Gesellschaft mit der Hochschulreform. Internationalismus, Solidarität und Sozialismus waren prägenden Aspekte mit Auswirkungen auf das Schul-, Bildungssystem, auf Politik und Gesellschaft.
Während die westliche neue Linke zu Beginn der 1960er-Jahre zunächst als Reaktion auf die Blockkonfrontation entstand, profitierte sie dann von der Situation der Entspannungspolitik und ließ die
Problematik der geteilten Welt mehr oder weniger hinter sich; in den 1970er-Jahren bezog sie sich primär auf interne Probleme der eigenen Gesellschaften. Selbst das Thema der „Dritten Welt“
verlor mit dem Ende der Kolonialkriege und des Vietnamkriegs seine zentrale Position, während Frauen- und Umweltfragen bestimmend wurden.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Themen und Forderungen der Bewegungen im Westen allmählich ins politische System integriert werden konnten. In den 1970er-Jahren wurden die sozialen
Bewegungen, ihre Ausdrucksformen und ihre Programmatik ein fester Bestandteil der politischen Szene Westeuropas, so dass man von einer „Vergesellschaftung der Kritik“ sprechen
konnte(1).
Die neueren sozialen Bewegungen waren und sind von verstärkt emotional geprägtem (nicht nur) politisch motiviertem Aktivismus geprägt. Das Individuum und die Individualität des Einzelnen hat(te)
eine größere Bedeutung als in den vorausgehenden sozialen Bewegungen. Politisch-ideologisch ist in den Bewegungen ein breites und buntes Spektrum an Weltanschauungen vertreten, die im politischen
Bereich von anarchistischen über sozialistische bis hin zu rechtspopulistischen und extrem rechten Positionen reichen.
Die ab Ende der 1980er Jahre erstarkten Anti-Globalisierungsbewegung wurde das Schlagwort der Internationalen Solidarität, wie es im Grunde bereits in der frühen sozialistischen Arbeiterbewegung
angelegt war, neu aufgegriffen und auf weitere politische Inhalte ausgedehnt. Bei der Informations- und Solidaritätsarbeit mit Gruppen und Menschen, die in verschiedenen Ländern gegen
unterschiedliche Formen der Unterdrückung und Ausbeutung kämpfen, kam es zu einer verstärkten Vernetzung. So wurden überparteiliche Organisationen, sogenannte NGOs (Nichtstaatliche
Organisationen) gegründet, die mit einem internationalistischen Anspruch auftreten und öffentlich wirksam sind.
Die in den achtziger Jahren emporkommende neue Auffassung von Internationalismus äußerte sich also auch in neuen Konzepten und Strategien als Reaktion auf die Irrungen und Wirrungen, die
teilweise aus dem vorherigen Verständnis von internationalistischer Solidarität und insbesondere aus der recht unkritischen Suche nach BündnispartnerInnen entstanden waren. Beispiele dafür sind
etwa die Nicaragua-Solidarität, Kampagnen gegen das Apartheid- Regime in Südafrika oder thematische Projekte wie die von der BUKO (Bundeskoordination Internationalismus) 1985
lancierte „Stoppt Futtermittelimporte-Kampagne“.
Die Zeiten, in denen sich Bewegungslinken für den Themenkomplex „Globale Landwirtschaft“, an der so genannten Hungerfrage (und somit an der Macht kapitalistischer Agrarindustrie) politisierten,
meist sogar radikalisierten, scheinen vorbei.
War die BUKO-Kampagne darauf ausgerichtet, Aufklärung zu leisten und in konkrete politische Arbeit eingebettet, gab es auch praktisch-solidarische Aktionen wie beim Brigadeneinsatz auf dem Feld
in Nicaragua oder durch den Aufbau direkter Vermarktungsstrukturen für Kaffee und andere Produkte.
Politischer Höhepunkt dürfte die Anti-IWF-Kampagne 1988 gewesen sein; die unmittelbaren Auswirkungen der IWF-Strukturanpassungsprogramme wurden seinerzeit insbesondere anhand der
(Ernährungs-)Situation sowohl von Kleinbauern und -bäuerinnen als auch der subalternen Klassen in den Städten bzw. slum-cities verdeutlicht. An diese Kämpfe kann heute nicht mehr nahtlos
angeknüpft werden. Nicht nur weil das Thema in der Zwischenzeit an Komplexität reichlich zugenommen hat, sondern auch deshalb, weil es innerhalb der radikalen Linken im Zuge der 1990er Jahre zu
einem handfesten Bewusstseinseinbruch in Sachen globaler Landwirtschaft gekommen ist.
Bereits bei dieser letztgenannten wurde der Zusammenhang zwischen Hungererzeugung im Süden und Produktion von nicht für den menschlichen Verzehr gedachten Nahrungsmitteln in Ländern des Globalen
Südens thematisiert. Als der »Kalte Krieg« und der autoritäre, bürokratische Staatssozialismus am Ende waren, wandelte sich auch die internationalistische Bewegung.
Immer häufiger wählte sie nicht den Weg des Kampfes oder der direkten Solidarität mit den militanten Bewegungen, sondern den der Repräsentanz und Aushandlung. Professionalisierung und NGOisierung
breiteten sich auf dem Terrain aus, das zuvor von radikalherrschaftskritischen Positionen dominiert wurde. Erst wieder durch den Aufstand(2)der Zapatistischen Befreiungsarmee
(EZLN) in Chiapas, Mexiko, erlebten diese 1994 einen Neuanfang und vollzogen dabei eine weitere Wandlung. Neben einem undogmatischen Politikkonzept, beispielhaft verbildlicht in der Losung
»caminamos preguntando « (»fragend schreiten wir voran«), das die Erringung staatlicher Macht nicht als Ziel der Politik definierte, und dem basisdemokratischen Charakter ihrer lokalen
Organisierung, war es vor allem ihre ausdrückliche Solidarisierung und Vernetzung mit vielfältigen sozialen Bewegungen weltweit, die eine weitreichende Faszination der internationalistischen
Bewegung in der BRD und vielen anderen Ländern für die zapatistische Bewegung mit sich brachte. »Gegen die Internationale des Schreckens, die der Neoliberalismus darstellt, müssen wir die
Internationale der Hoffnung aufstellen«, schrieb die EZLN in ihrer Ersten Erklärung von La Realidad 1996 und lud ein zu mehreren »Interkontinentalen Treffen für die Menschheit und gegen den
Neoliberalismus«. Der zapatistische Aufstand war ein wichtiger Referenzpunkt für globalisierungskritische Bewegungen.
Um grenzüberschreitende Herrschaftsstrukturen zu überwinden bedarf es eine internationalisierte Perspektive. Dazu zählt die Solidarität mit emanzipatorischen Bewegungen in anderen Ländern genauso
wie der Kampf gegen Rassismus und die Regulierung und Kontrolle von Migration in Deutschland. Es geht nicht um Solidarität zwischen oder mit bestimmten Nationen; es geht um Solidarität zwischen
Menschen, die in unterschiedlichen Staaten leben (müssen). Menschen, die - wenn auch in durchaus unterschiedlicher Weise - mit den gleichen, miteinander verwobenen strukturellen
Gewaltverhältnissen zu kämpfen haben: Der Kampf gegen rassistische und sexistische Klassenverhältnisse, gegen Homo- und Transphobie und all ihre Verflechtungen ist transnational.
Ausgangspunkt unserer Überlegungen, erneut über Internationalismus nachzudenken, waren zum Einen die Erfahrungen aus der globalisierungskritischen Bewegung, zum Anderen der Film
„Comrade-where are you today“ von Kirsi Marie Liimatainnen(3), die in den 80er Jahren in die DDR fliegt, um die Lehren von Marx und Lenin zu studieren.
Sie hat in ihrer Heimatstadt Tampere Häuser besetzt und trifft an der FDJ-Jugendhochschule in der Nähe Berlins auf Gleichgesinnte (Funktionäre, Befreiungskämpfer, linke AktivistInnen) aus über
achtzig Ländern. Kurz nach Ende des Studienjahres fällt die Mauer und die DDR als System. Nach über 20 Jahren sucht Kirsi nach ehemaligen Gleichgesinnten und dreht einen Dokumentarfilm, der sie
rund um den Globus führt, angetrieben von der Frage was geblieben ist vom großen Traum der Revolution und was die Ideale von Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität heute noch wert sind. Und
diese Fragen sind es, die nicht nur an Marx und Engels und an ihre Forderung nach einer Gesellschaft der Freiheit, der sozialen Gleichheit und Gerechtigkeit und der Solidarität erinnern sollen,
sondern die Erkenntnis, dass Rassismus und soziale Ausgrenzung allgegenwärtig sind und vielerorts den Alltag prägen, und dass es umso wichtiger ist, dem eine solidarische und
antikapitalistische Perspektive entgegenzusetzen, die Grenzen überwindet.
Grenzen zu überwinden bedeutet, dass antirassistische und emanzipatorische Kämpfe zusammengehören - ob im Widerstand gegen Lagerindustrie, die Geflüchtete in Massenunterkünfte sperrt oder gegen
kapitalistische Renditeinteressen. Soziale, selbstverwaltete und -organisierte Zentren für alle müssen her, um sich kennenzulernen, zu vernetzen und um die Entfremdung, Isolierung und
Entsolidarisierung im Kapitalismus aufzubrechen. Rassismus und Verdrängung kann durch kollektive Räume der Kampf angesagt werden.
Damit Menschen miteinander leben können, muss jede Gesellschaft gemeinsame „Antworten“ auf eine Reihe von „Fragen“ haben. Genauso wie Unterdrückung und Ausbeutung überall präsent sind, so
auch der Widerstand. Der Kapitalismus impliziert nicht nur wirtschaftliche Ausbeutung, sondern nimmt den Menschen die Fähigkeit zu handeln, sich frei zu bewegen oder autonom darüber zu
entscheiden, wie sie leben wollen. Aber deshalb erfährt der Kapitalismus beständig den Widerstand und Kampf der Unterdrückten: um sich von der Ausbeutung zu befreien und die Fähigkeit, autonom zu
handeln und zu entscheiden wiederzugewinnen. Wohnraum darf nicht der Stadt oder dem „Wohlwollen“ von InvestorInnen überlassen werden: Gemeinsam und selbstorganisiert müssen wir dafür kämpfen,
unsere Räume zu verteidigen und neue zu schaffen. Neben der künstlichen Verknappung von Wohnraum wird parallel Druck auf die Lohnabhängigen ausgeübt. In Zeiten des Erstarkens nationalistischer
und sozialchauvinistischer Positionen sollten wir unsere gegenseitige Solidarität nicht nur virtuell zeigen, sondern aktiv. In Bürgerinitiativen, NGO's, Besetzungen, Kampagnen und Suppenküchen
drückt sich der Wille zum Kampf gegen soziale ungleiche Verhältnisse aus. Leider kommen die meisten dieser KapitalismuskritikerInnen während ihrer ständigen Kampagnen und bündnispolitischen
Organisationsbemühungen der Lösung des Problems nicht wirklich näher. Aber deshalb erfährt der Kapitalismus beständig den Widerstand und Kampf der Unterdrückten: um sich von der Ausbeutung zu
befreien und die Fähigkeit, autonom zu handeln und zu entscheiden wiederzugewinnen. Der Klassenkampf ist dieses ständige Ringen zwischen Unterdrückung und Widerstand dagegen. Er zwingt den
Kapitalismus, ständig neue Formen zu entwickeln, um die Menschen zu unterdrücken, auszubeuten und zu teilen, aber diese finden immer neue Arten, um sich zu befreien, zu vereinigen und der
Ausbeutung zu entkommen. Und: der Kampf hört niemals auf! Streiken, langsam und lustlos arbeiten, aktiv gegen Umweltzerstörung, aktiv auf der Tierrechtsdemo, aktiv gegen Bildungsungerechtigkeit
usw. Aus diesem Grund ist die Macht der dominanten Klasse instabil und zerbrechlich, und muss täglich neu erfunden werden. Der Kapitalismus lebt als System in einer ständigen und inhärenten
Krise. Auch wenn es spezielle technische Erklärungen dafür gibt – die Ursache, die hinter allen periodischen Krisen des Kapitalismus steckt, sind wir selbst: unsere Fähigkeit zu rebellieren, zu
widerstehen und zu entkommen.
Reale Erfolge der unterschiedlichen „Verbesserungskampagnen“ bleiben selten nachhaltig, der deutsche Alltag geht ungehindert seinen gewohnten Gang und die meisten der bei diesen Bewegungen
beteiligen Personen verschwinden nach einiger Zeit wieder von der Bühne des Geschehens, bspw. wenn der Sinn-/Nutzfaktor erreicht worden ist. Eine Minderheit wiederum stürzt sich, genau wie schon
Generationen vor ihnen, in die Erlebniswelt der linken Community und engagiert sich hier in den unterschiedlichsten Aktionsfeldern. Neben der Frage um menschenwürdiges Wohnen gilt es, prekären
Arbeitsbedingungen und ungleichen Bildungschancen den Kampf anzusagen.
Es wäre schön, wenn es einen stetigen Auseinandersetzungsprozess über diese Fragen und oben erwähnter Ideale innerhalb linker Bewegung gäbe.
Denn die Tatsache, dass die Leute innerhalb dieser „sozialen“ Bewegung auf Dinge aus sind, die dem herrschenden Umgang mit Wissen, Dingen und Menschen widersprechen, macht einen
Möglichkeitskorridor auf, in dem Menschen oft wesentlich aufgeschlossener gegenüber neuen Deutungsmustern sind als das für gewöhnlich der Fall ist. Darüber hinaus wäre es auch wichtig, die
Auseinandersetzung um Herrschaftsverhältnisse zu führen, die nicht in der Ablehnung von Wertverwertung, Tausch und Geld aufgehen. Etwa um das moderne Geschlechterverhältnis, das auch in linken,
queeren Szenen reproduziert wird.
In Organisierungsprojekten jenseits des Mainstreams wie Wohngemeinschaften, Punkbands, Kneipenkollektive, selbstorganisierte Häuser/Räume, Küfas usw. laufen ähnliche Prozesse ab wie in sozialen
Bewegungen. Hier wird eine soziale Praxis etabliert, die in gewisser Weise den herrschenden Anforderungen widerspricht. Das kann der gemeinsame Einkauf in der WG ebenso sein wie der kostenlose
Kaffee-Ausschank im Selbstorganisierten Café oder die gemeinsame, dezentrale Entscheidungsfindung im Kneipenkollektiv. Auch hier hat diese Praxis oftmals für einen Teil der Beteiligten bereits
etwas damit zu tun, die herrschenden Vergesellschaftungsformen überwinden zu wollen. Aber auch hier ist das keineswegs Konsens, oftmals werden Dinge nur deshalb praktiziert, weil sie einfach
Vorteile mit sich bringen, aktuell angenehm sind oder was auch immer. Und das alles ist natürlich auch kein Wunder. Schließlich ist die kapitalistische Vergesellschaftung eine überaus
widersprüchliche.
Anmerkungen:
(1) Thomas Etzemüller, 1968 - ein Riss in der Geschichte? Gesellschaftlicher Umbruch und 68er-Bewegungen in Westdeutschland und Schweden, Konstanz 2005, S. 200; ders., Imaginäre Feldschlachten?
„1968“ in Schweden und Westdeutschland, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 2 (2005), S. 203-223.
(2) https://www.aroma-zapatista.de/catalog/category/view/id/23
(3) Film-Rezension