Jeder Mensch verarbeitet Verlust anders. Manche trauern im Stillen, manche verdrängen den Schmerz, andere wiederum tragen ihre Gefühle nach außen und suchen Katharsis in der Konfrontation. Iron Chic gehören definitiv zu letzterer Kategorie, was auf dem am 13. Oktober auf Side One Dummy erscheinenden „You Can’t Stay Here“ deutlich wird. Nach dem tragischen Tod ihres Gitarristen Rob McAllister im Januar 2016 beschließt die hymnische Punk-Band aus Long Island nicht etwa, die Segel zu streichen, sondern ihre gesamte Energie in eine neue Platte zu stecken, um McAllister ein musikalisches Denkmal zu setzen.
„Ich habe schon vorher mit Verlust umgehen müssen“, erzählt Frontmann und Sänger Jason Lubrano. „Mein Vater starb als ich 21 war, aber er war sehr krank und wir wussten, dass es kommen würde, so
konnte ich es besser verarbeiten. Bei Rob war es anders, denn es war das erste Mal, dass ein enger Freund im selben Alter wie ich starb. Der Verlust von Rob durchdringt jeden Aspekt des Albums.“
Zwar waren die Frage nach dem Sinn des Lebens oder der Umgang mit Drogen, Depression und Angststörungen auch auf den Vorgängeralben „Not Like This“ von 2010 und „The Constant One“ von 2013
wichtige Themen. Auf ihrer dritten Platte „You Can’t Stay Here“ mischen Iron Chic allerdings weitaus weniger Hoffnungsschimmer unter die düstere Grundthematik.
Die Dinge, die der Band einen großen Stamm an Fans und Auftritte auf so legendären Szene-Festivals wie The Fest und dem belgischen Groezrock eingebracht hat, durchzieht „You Can’t Stay Here“
allerdings genau so wie seine Vorgänger: Das Händchen für große Hymnen, mächtige Singalongs und bittersüße Melodien. Bereits der Opener „A Headache With Pictures“ zeigt perfekt die Verknüpfung
der untrennbar mit dem Album verflochtenen Verzweiflung und dem krachigen Drive, zwischen Lubranos kraftvoll-kratzigem Gesang und den Whoa-Oh-Chören, zwischen hymnischem Lichtblick und
undurchdringlicher Dunkelheit. Da passt es perfekt, dass die Band ihre dritte Platte in Eigenregie im Haus von Gitarrist Phil Douglas aufgenommen und produziert hat und keinem Außenstehenden die
musikalische Umsetzung ihrer Trauer, ihrer Wut und ihrer Hoffnungslosigkeit überlassen hat.
Das Ergebnis sind Gitarren, die einem ins Gesicht springen und sich im Nacken festkrallen, ein kompaktes Schlagzeug und Gesangsmelodien, die aus der Mitte des Mixes direkt in die vor der Bühne
verknoteten Menschenknäuel dringen und zum Mitgrölen der Texte auffordern. Diese sind auch auf „You Can’t Stay Here“ weder besonders literarisch noch künstlerisch, dafür aber ehrlich, direkt und
für jeden nachvollziehbar. „Wenn die Leute das Gefühl bekommen, dass jemand versteht, was sie durch machen oder dass es Leute gibt, die ähnlich denken, oder sie einfach eine Geschichte mit dem
verknüpfen können, was sie hören, dann macht mich das glücklich“, sagt Lubrano.
Iron Chic jedenfalls haben allen Grund, glücklich zu sein. Immerhin macht das Quintett mit „You Can’t Stay Here“ aus einer schwierigen Situation, die man nicht mal seinem schlimmsten Feind
wünscht, ein Album, das zwar in dunkelsten Gefühlslagen fußt, sich jedoch durch seine kraftvollen Hymnen und singenden Melodien doch wieder um das Überleben in einer Welt bemüht, die sich mit
aller Kraft gegen einen stemmt. Und das ist letztlich der Hoffnungsschimmer, der dem Album selbst zwar fehlt, der Band aber die Kraft gibt, weiterzumachen.