Musik verleiht denjenigen, die keine haben, eine Stimme. Sie verleiht denjenigen, die nicht gehört werden, ein Sprachrohr um gehört zu werden. Sie verstärkt die Rufe der Geknechteten im Angesicht von Unterdrückung und Tyrannei. Sie ist die letzte Bastion des Widerstands.
„Widerstand ist die höchste Form des Patriotismus.“ – Howard Zinn
Seit der Veröffentlichung ihres Debüts Die For The Government im Jahr 1996 stärken und ermutigen Anti-Flag die
HörerInnen zweier Generationen, die mit einem von Krieg, Rassenunruhen und Finanzkrisen geprägten neuen Jahrtausend konfrontiert werden. Das aus Justin Sane (Gesang), Chris #2 (Bass, Gesang),
Chris Head (Gitarren, Gesang) und Pat Thetic (Schlagzeug) bestehende Quartett steht auf seinen neun einflussreichen Veröffentlichungen, über The Terror State und For Blood And Empire bis zum 2015
veröffentlichten American Spring, für zeitlosen Punk-Spirit. Letzteres zeichnete sich durch Gastbeiträge von Ikonen wie Tom Morello und Tim Armstrong aus und brachte die Hymne „Brandenburg Gate“
hervor, die über 1,3 Millionen Mal auf Spotify gestreamt wurde – Tendenz steigend.
Die Band brachte auf Europa-Touren mit Rise Against, Millencolin und den Donots sowie auf so renommierten Festivals wie dem Hurricane und dem Open Flair die Bühnen zum Beben und gilt heute als
kulturelle Institution. In der Vergangenheit liehen Anti-Flag Bewegungen wie Occupy Together, #keinkölschfürnazis, Greenpeace, Sea Shepherd und Amnesty International ihre Stimme und gründeten
nicht nur ihr eigenes Label A-F, sondern riefen gleichzeitig auch das ANTIFest ins Leben.
Als sich 2016 die Welt aufgrund der kontroversen Wahl des US-Präsidenten erneut veränderte, war die Zeit reif für Anti-Flags zehntes und bis dato reiftes Album: American Fall (Spinefarm Records).
“Gerade liegt der öffentliche Fokus aus nachvollziehbaren Gründen auf Politik“, sagt Chris #2. „Sobald so etwas passiert, bekommt unsere Band mehr Aufmerksamkeit. Wir wollten sichergehen, dass
wir uns auch auf unserer zehnten Platte treu bleiben. Es musste einfach nach Anti-Flag klingen. Andererseits ist London Calling auch mein liebstes Album von The Clash, weil sie damit Risiken
eingegangen sind. Da mehr Augen als je zuvor auf sie gerichtet waren, wählten sie nicht den leichten Weg. Wir wollten uns ebenso selbst herausfordern, damit wir einen Grund hatten, ein Album
herauszubringen während uns alle Welt unter die Lupe nimmt.“
Während des Schreibprozesses im heimischen Pittsburgh entwickelte sich der altbekannte Sound der Band in Richtung langsamere Grooves, kompakteres Songwriting, sattere Gitarren und größere
Melodien. Damit stellt die Platte den perfekten musikalischen Gegenentwurf zum brenzligen Thema des Albums dar.
„Wir leben in düsteren und polarisierenden Zeiten. Wir wollten unsere Message also nicht auf überhebliche oder beklemmende Art und Weise unter die Hörer bringen“, ergänzt Justin. „Mit ein
bisschen mehr Melodie lässt sich die Pille besser schlucken. So ist es wirkungsvoller und einfacher.“
Anfang 2017 tauschten die Jungs das verschneite Pittsburgh gegen das sonnige Südkalifornien, um American Fall mit Benji Madden von Good Charlotte zu produzieren. Seine persönliche Sichtweise
erwies sich im Studio als unverzichtbar.
„Ihm war klar, dass wir wissen was wir tun, aber er gab dem Ganzen auch eine frische Perspektive“, erzählt Chris #2. „Es war cool, ihn bei diesen Songs dabei zu haben, denn viele davon sind aus
musikalischer und struktureller Sicht ziemlich eingängiger Punkrock. Wir wollten einfach alle Singalongs und mächtige Refrains schreiben.”
“Er hatte einfach ein großartiges Gespür dafür zu erkennen, in welche Richtung ein Song geht und half dabei, ihn in diese Richtung zu bewegen”, ergänzt Justin. „Eine absolut beeindruckende
Fähigkeit.“
“American Attraction” dient nicht nur als Einführung in American Fall, sondern auch als dessen erste Single. Der Song dreht sich um einen wuchtigen Schlagzeugbeat und Gitarren, die zum Mitsummen
einladen, bevor er in explosiven Chorgesang umschlägt. Thematisch könnte der Song nicht mehr Anti-Flag sein…
“Wir wollten uns mit diesem Song Fall mit der Politik der Ablenkung auseinandersetzen“, sagt Justin. „Diese Art von Politik führt Menschen dazu, Entscheidungen zu treffen, die nicht in ihrem
Sinne sind. Sie folgen Anführern, die sie nur benutzen und eigentlich nichts Positives für ihr Land tun wollen. Wenn du in einer Gesellschaft lebst, die Waffen, Drogen und Krieg glorifziert,
wirst du empfänglich für derartige Politik, während die da oben nur an ihrer Wiederwahl interessiert sind. Sie interessieren sich einen Dreck für dich.“
„Früher oder später werden die Bewohner dieses Landes herausfinden, dass sie der Regierung einen Scheiß bedeuten. Die Regierung interessiert sich nicht für dich. Die Herrschenden wollen nur ihre
Macht behalten und ausweiten.“ – George Carlin
An einer anderen Stelle der Platte gallopiert „The Criminals“ in rasender Geschwindigkeit voran, getrieben von einer mit Blut, Schweiß, Tränen und purer Punk-Wut getränkten Performance. Die
Akustikgitarre und der Chorgesang von „When The Wall Falls“ gibt den Weg für einen flexiblen Groove frei, und „Casualty“ rundet das Gesampaket mit dem passenden Mittelfinger und der Textzeile
„Try to shut us down, but we won’t be another casualty“ ab.
„Casualty“ wendet sich direkt an diejenigen, die Hilfe benötigen, und ergänzt seinen Songtext durch Telefonnummern der Trans Lifeline, Suicide Prevention, Domestic Violence, Crisis Text Line und
Trevor Project Lifeline. Zusätzlich enthält das Booklet Essays, Zitate und Schriften der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, Peter Montgomery, Ryan Harvey und weiteren.
American Fall läutet eine neue Ära für Anti-Flag ein, ohne ihre Bedeutung zu schmälern. „Wir waren diesen Sommer auf der Warped Tour“, erinnert sich Pat. „Jeden Tag kamen drei bis fünf
Trans-Personen zu unserem Stand und begrüßten uns. Genau diese an den Rand der Gesellschaft gedrängten Kids waren vor 20 Jahren auf unseren Shows, aber sie hatten Angst, sich selbst auszudrücken.
Die Tatsache, dass sie sich jetzt dazu ermutigt fühlen, ist unglaublich, und dass sie von unserer Band und der Gemeinschaft mit offenen Armen empfangen werden ist großartig. Das Gleiche gilt für
so viele andere Menschen, die sich nicht willkommen fühlen, und sie empfangen die Nachricht laut und deutlich.“
Letztendlich gelingt American Fall das, was Anti-Flag immer wichtig war: Es regt Veränderung an.
„Ich will, dass jeder weiß, dass er nicht allein ist“, schließt Chris #2. „Die gleichen Unterhaltungen die wir führen führen andere auch. Vier Kids aus Pittsburgh mögen nicht alle Antworten auf
alle Fragen haben, aber wir blicken aus dem selben Fenster und stellen fest, dass die Dinge nicht so sind, wie wir es gerne hätten. Und wir können uns mit Gleichgesinnten zusammenschließen und
Dinge nach unserer Vorstellung verändern.“