Die SPD soll es, der Islam tut es, die Gesellschaft ist auf dem Weg dahin: radikaler werden! Konsequente Entscheidungen und Selbstoptimierung als Motor für ein gutes Gewissen.
Als Indikator dienen äußere Einflüsse, die wir unbewusst oder bewusst aufnehmen und verarbeiten: Wie wir auf Kritik reagieren, wie andere uns durch Wörter manipulieren und dabei helfen, wie wir
die Welt sehen. Während einige sich an Fakten halten, lassen sich andere über Meinungen, Stimmungen, Sprache und Gestiken beeinflussen. Worte entfalten ihre Wirkung aber nicht nur in Wahlkämpfen,
sondern beeinflussen tagtäglich, wie wir denken und handeln, was wir wahrnehmen und woran wir uns erinnern. Gebäck schmeckt besser, wenn es laut Speisekarte nach einem "Rezept der Großmutter"
gebacken oder "traditionell" erzeugt wurde. Ein exotischer Name verleiht Getränken ein frischeres Aroma. Ein Urteil über die neue Frisur kann zu Depressionen führen. Ein Urteil über ein ganzes
Volk Kriege herbeiführen. "Flüchtlinge überschwemmen/überfluten Deutschland." Und weil Nutella die Rezeptur ändert, kommt es zu Hamsterkäufen der Restbestände.
Fitnessfanatiker_innen, Neo-Nazis, Tierbefreiungs-, Umweltaktivist_in, Politiker_innen scheinen gemein, sie handeln zunächst aus dem Gefühl der Angst heraus. Angst vor alles Fremde, Angst vor dem
Niedergang, Angst vor der Gesundheit/Umwelt etc. Und während der Körper und Geist in Aufruhr ist, in ständigem Konflikt mit sich selbst, schüren andere die Panik, die in uns aufkommt, bis wir ums
Verrecken nicht anders können, als uns diesem Zustand, diesem Gefühl zu ergeben oder radikal zu werden. In diesem Spannungsakt heißt es: Dazugehören oder dagegen sein. Kämpfen oder sich
verkriechen. Ein Duell mit ethisch-moralischen Prinzipien. Einfach nur empört oder betroffen sein reicht nicht mehr. Radikalität ist der Trend, bald auch der Mainstream. Was auf der Strecke
bleibt sind Utopien und Lebensentwürfe. Wie kann sich eine Gesellschaft ändern, wenn wir bisher zu sehr davon ausgehen, dass wir uns eben irgendwann nicht mehr ändern können? Bei all der
Symptombekämpfung obiger Beispiele ist es meiner Meinung immens wichtig, von der Wurzel her zu denken. Vegan sein wird zum Lifestyle, nicht politisch, sondern irgendwie chic und trendy.
Feminismus wird zum Lifestyle, zu einer Hipsterversion von sich selbst. Wenn wir nicht aufpassen, bestimmen andere über uns und unseren Körper, unsere Gedanken. Wir müssen unbequem sein,
reflektieren und auch der unbequemen Kritik Raum geben. Ansonsten laufen wir Gefahr, von jedem/r vereinnahmt werden kann, der/die das möchte, einer Bundestagswahl, dem Kampf gegen Rechts oder was
auch immer. Keine Zeit über Begrifflichkeiten zu streiten. Das wäre reaktionär. Es geht mir um ein Verständnis für eine Radikalität, hinsichtlich der verschiedenen Kämpfe um Gleichheit, z.B.
Antisexismus, Antirassismus, Antikapitalismus. Ebenso wichtig ist, die politische Praxis zu analysieren, um das Politische zu denken. Dann ist Widerstand erst möglich.