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Pinkstinks

Dr. Stevie Meriel Schmiedel
Dr. Stevie Meriel Schmiedel

Dr. Stevie Meriel Schmiedel ist promovierte Dozentin für Genderforschung und lehrte an der Universität Hamburg und der Hochschule für Soziale Arbeit. Seit 2012 arbeitet sie ausschließlich für Pinkstinks. Hier ist sie Vorstandsvorsitzende, Geschäftsführerin und Pressesprecherin. Die Kampagne richtet sich gegen limitierende Geschlechterrollen für Jungen und Mädchen. Pinkstinks steht einfach dafür, dass die aufgezwungene Einteilung in Geschlechtsstereotype zur Profitsteigerung der Unternehmen kräftig stinkt.

Pinkstinks Logo
Pinkstinks Logo

Pinkstinks startete im Sommer 2012 mit Aktionen gegen sexistische Werbung. Was war der Auslöser und mit welchen Aktionen habt ihr auf sexistische Inhalte reagiert?
Wir sind 2012 ziemlich über Nacht gestartet aufgrund eines Artikels im ZEIT-Magazin1. Ich habe einen Leserinnenbrief an die ZEIT geschrieben und mich über die sexistische Außenwerbung in Hamburg beschwert. Daraufhin wurde ich von der Journalistin Silke Burmester angerufen. Es erschien danach von ihr ein halbseitiger Artikel in der ZEIT, ich bekam als Reaktion auf diesen Artikel über 300 Mails und Anfragen zu Kooperationen und Aktionen gegen sexistische Werbung. So ist dann „Pink stinks“ entstanden, nach englischem Vorbild. Dort gab es eine ähnliche Initiative2. Ich habe mich in England mit den Gründerinnen Emma und Abi Moore getroffen, habe mit ihnen gesprochen, ob ich das Logo verwenden dürfte und habe daraufhin das Dependance in Hamburg gestartet. Von Anfang an war unsere Idee, eine NGO aufzubauen. Und seit Sommer 2012 sind wir aktiv und reagieren am meisten auf sexistische Inhalte mit Kanalisation in sozialen Netzwerken. Bei uns melden sich tägliche Personen und weisen auf sexistische Inhalte hin. Das funktioniert wie beim Deutschen Werberat3, d.h. wenn du sexistische Werbung siehst, schreibst du uns, schickst uns sexistische Werbung mit einem Screenshot oder einem Link, und wir stellen das auf unsere Seite online. Dadurch, dass wir sehr gut mit anderen Organisationen vernetzt sind, viele Menschen in dem Verteiler haben, erreichen wir viele Leute, die mit uns zusammen mit shitstorms an die AdressatInnen/VerursacherInnen die Meinung, den Protest kundtun. Die Unternehmen reagieren. Entweder sie entschuldigen sie sich und nehmen die Werbung/das Produkt zurück. Ganz selten ignorieren sie uns.

Der Untertitel zum Logo lautet „Vielfalt ist Schönheit“. Wie profitiert auch die Gesellschaft als ganzes von der Vielfältigkeit?
Jede einzelne Person profitiert dadurch, dass sie nicht bestimmte Grenzen auferlegt bekommt. Wie sie zu sein hat, wie sie als Mann oder Frau richtig oder echt ist, sondern dass Männlichkeit und Weiblichkeit größere Spielräume haben. Die Gesellschaft als ganzes profitiert davon, dass wir als NGO vielfältig sind, um auch verschiedene Zielgruppen mitzudenken. Vielfalt zu schätzen und Vielfalt zu nutzen und die Kompetenzen stärken. Wenn Werbung vielfältiger wird, kann Werbung auch mehr erreichen. Wenn Werbung Stereotypen, Rollenbilder und -klischees abbaut, dann ist sie vielfältiger. Die Werbung nutzt aber Stereotype und Rollenbilder, weil sie von der Gesellschaft akzeptiert und einfach zu entschlüsseln ist. Sie sind allgemeingültig und für alle verständlich. So werden Männer und Frauen mit Produkten in Verbindung gebracht, die mit ihrer festgelegten Rolle keine Irritation oder Widerstände beim Konsumenten produziert. Insofern ist es Vielfalt nicht nur für die persönliche Freiheit wichtig, sondern auch mit einem gesellschaftlichen Wandel verbunden. Solange geschlechts-, schicht- und altersspezifische sowie ethnische Vorurteile auf subtile und indirekte Weise verstärkt werden und niemand darauf reagiert und gegensteuert, wird Werbung länger traditionell und rückständig sein. Inzwischen ist aber auch in Wirtschaftsetagen bekannt, dass Vielfalt in der Unternehmenskultur produktiv ist.

Wir erleben zurzeit, dass in vielen Systemen eher die bislang bestehende Solidarität mit der Vielfalt aufgegeben wurde, dass Menschen kein Verständnis mehr haben für die Forderung nach Vielfalt und eher das Bedürfnis nach Nationalität und Traditionen hat wie es bspw. die Afd einfordert. Werden wir in Zukunft eine Gesellschaft sein werden, die im Rahmen ihrer rechtlichen und moralischen Grenzen keinen Platz für Vielfalt hat?
Ich denke eher, dass der öffentliche Diskurs um soziale Teilhabe, um gesellschaftliche Integration stark zugenommen hat, weil grundlegende soziale Veränderungen und aktuelle politische Entwicklungen Chancen aber auch Risiken birgt. Für viele leben wir in unsicheren Zeiten oder ihnen wird diese Angst suggeriert, dass sie VerliererInnen der modernen Zeiten sind. Dafür haben sie mit PEGIDA und AfD einen Kanal gefunden, um ihre sozialen Ängste und die damit verbundene Wiederentdeckung der sozialen Ungleichheit stärker an ihre Bedürfnisse anzupassen. Freisetzung aus traditionellen Bindungen kann zu Entwurzelung, Vereinzelung, Vereinsamung und Orientierungslosigkeit führen. Je mehr sich diese Personengruppe öffentlich zeigt, je mehr zeigt sich aber auch vielseitiger, vielfältiger Protest. Der Aufschrei „Lügenpresse“ hat z.B. bewirkt, dass die Medienwelt gerade dabei ist, vielseitiger zu werden. Weil Journalist_innen gemerkt haben, dass mensch Leute, die gegen „das System“ und eine „Elite“ aus Medien und Politik wettern, welche die „Wahrheit“ verschweige, ernst nehmen muss, weil sonst Ressentiments bedient werden. Obwohl Aussagen der AfD beängstigend sind, bewirken sie gleichzeitig ein Umdenken in unseren Medien. So ist Dr. Barbara Hans zur Chefredakteurin von SPIEGEL ONLINE gewählt worden, die sehr stark für Diversität im Journalismus wirbt. Es braucht Selbstkritik statt Selbstzufriedenheit. Daher beginnt Vielfalt mit einer Erkenntnis und dem Sinneswandel: So wie bislang, so geht es nicht weiter. Eine wirkliche Vielfalt abzubilden, den Menschen mit den unterschiedlichen Lebensrealitäten zu verstehen, nicht zu (ver)urteilen.

Pinkstinks wurde im Auftrag der Bundesfrauenministerkonferenz beauftragt, Daten über sexistische Werbung zu sammeln und aufzubereiten. Hierfür habt ihr eine App entwickelt, die das Problemfeld abbilden soll. Wie funktioniert das und was soll damit erreicht werden?
Die Arbeitsgruppe für Recht und Verbraucherschutz der SPD-Bundestagsfraktion hatte dieses Projekt vorgeschlagen. Wir führen seit Oktober für die kommenden zwei Jahren ein Monitoring durch. Das Ziel wird sein, festzustellen, welche Methoden verbessert werden müssen, um gegen sexistische Werbung - ohne zensorisch zu agieren - vorzugehen. Dazu haben wir eine App zur Meldung sexistischer Werbung mit dazugehöriger Webseite4entwickelt um darzulegen, welche sexistische Werbeanzeigen auch trotz Rügen des Deutschen Werberats nicht beseitigt wurden. Per Smartphone können uns Bilder zugeschickt werden, die dich stören, z.B. der sexistische Bierdeckel in der Kneipe. Wir stellen dann auf einer Karte dar, wo dieses Bild an welchem Ort, welcher Stadt gefunden wurde. So entsteht ein Gesamtbild, wo genau es sexistische Werbung in Deutschland gibt. Nach unserem Bauchgefühl eher im ländlichen mittelständischen Gebieten, weil heute jedeR, der/die ein PC mit einem Bildbearbeitungsprogramm bedienen kann, auch Werbung selbst produzieren kann. Das betrifft kleinere Traditions-Betriebe, KfZ-Betriebe, Dienstleistungsbtetriebe etc. Auf der Webseite kannst du in einem Formular sexistische Werbung melden, die wir dann auf einer Karte sichtbar machen. Wir liefern auch Beispiele für Kriterien, was sexistisch ist, was nicht und nutzen für die Kategorisierung farblich verschiedene Marker, die auf der Karte zu sehen sind. Das Monitoring, unsere Bildungsarbeit und Datenbank, wird bis Juli 2019 vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Wir können so Schwerpunktgebiete ermitteln und vor Ort Bildungsarbeit leisten, z.B. mit Bullshit-Bingo, das wir auf Bierdeckel drucken und in den Kneipen verteilen, durch Vorträge in den Schulen, in den Behörden vor Ort etc.

Werbemelder-App
Werbemelder-App

Gegner_innen kritisieren ein Vorgehen gegen sexistische Werbung als Zensur. Aber wo fängt Werbung an, sexistisch zu werden?
Wir arbeiten mit einer Juristin zusammen, die genau diese Frage über 3 Jahre in ihrer Doktorarbeit behandelt und eine Gesetzesnorm entworfen hat. Die Kriterien dieser Norm ist unsere Basis. Für uns ist es bspw. nervig, wenn H&M das immer gleiche Frauenbild in der Dessous- oder Bikini-Werbung zeigt, ist als solches aber nicht sexistisch. Sexismus ist dort, wo die stark sexualisierte Frauen in der Darstellung zum Objekt werden, ohne einen Bezug zum Produkt zu haben, also in sexy Dessous für ein schnelles Auto, ein Möbelstück o.ä. wirbt.

Möglicherweise könnte im Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb verankert werden, dass Frauen und Männer nicht als bloße Sexualobjekte dargestellt werden dürfen. Der ehemalige Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sah dafür keinen Handlungsbedarf. Wie wahrscheinlich schätzt du ein bundesweites Verbot gegen sexistische Werbung ein?
Die SPD hat sich intensiv mit einem Verbot beschäftigt und einen Gesetzesentwurf zurückgestellt, was aber nicht heißt, dass sie ein Verbot komplett ablehnt, eher im Gegenteil. Der Vorstand der SPD, genauso wie die Basis, haben ein Vorgehen gegen sexistische Werbung weiter auf ihre Agenda gesetzt. Das Monitoring, mit dem wir beauftragt wurden, ist erst einmal zwischengeschaltet worden, um zunächst über 2 Jahre Daten zu sammeln. Die Frauenministerkonferenz hat ja ein Verbot gefordert. Wir müssen abwarten und schauen, ob wir in 2 Jahren tatsächlich so viel sexistische Werbung haben, dass es dieses Gesetz geben muss. Vielleicht haben wir in dieser Zeit mit Bildungsarbeit und Kampagnen zu einer Sensibilisierung beigetragen, dass dieses Gesetz nicht mehr notwendig ist.

Bremen ist ein absoluter Vorreiter, was die Positionierung gegen sexistische Werbung angeht. Bislang werden Behörden erst aktiv, wenn sich jemand beschwert.
Der Werberat nennt Kriterien, um im Einzelfall ein Werbemotiv als frauenfeindlich zu bewerten und kann ohnehin nur eine Rüge erteilen. Der Senatsbeschluss schafft in Bremen eine neue Grundlage: Bürger_innen können sich an eine Beschwerdestelle wenden, die eine Empfehlung ausspricht und an die zuständige Baubehörde weiterleitet. Diese entscheidet dann, ob ein beanstandetes Plakat abgehängt werden muss. Dieses Modell ist sehr lobenswert, vor allem, wenn endgültig Leitlinien für öffentliche Werbeflächen gelten. Wir haben ein Problem damit, wenn überzogene Kriterien gefordert werden wie vom Frieda-Frauenzentrum, die uns überzogen erscheinen5.

Anders gefragt: Wie lässt sich deiner Meinung nach ein öffentliches Bewusstsein schaffen, sich dem Thema Sexismus zu nähern?
Wären Anti-Sexismus Plakate eine wirkungsvolle Methode? Was wäre noch denkbar?
Ja. Wichtig wäre, dass diese Plakate sehr gut gestaltet und für viele Leute zugänglich sind. Unser Plakat „Sexy yes, Sexism no“ wurde bewusst so gestaltet, dass es sehr viele Leute erreicht. Wenn wir bspw. ein Plus Size-Model gewählt hätten, wäre das vielleicht zu viel Botschaft und somit eine Überforderung für den/die Adressat_in gewesen. Aber eine normschöne Frau wie mensch in jeder Triumph-Werbung sehen würde, hat viele angesprochen. Es geht uns also nicht darum, nackte Haut von den Straßen zu verbannen, sondern klar zu machen, dass eine Frau noch so wenig anhaben kann oder so viel, wie sie will: Sie gehört respektiert! Im Rahmen unseres Monitorings werden wir noch viele weitere Kampagnen und Aktionen planen und durchführen.

Anti-Sexismus-Aufklärungskampagne
Anti-Sexismus-Aufklärungskampagne

Sexistische Werbung findet sich vermehrt im Internet. Auch private Werbeflächen werden für sexistische Inhalte genutzt. Eine andere Methode wäre Adbusting. Ist dir jedes Mittel recht, um Sexismus sichtbar zu machen?
Adbusting hat 2013 bewirkt, dass gerade Werbung von unilever in Berlin beschmiert und kreativ umgedeutet wurden. Das wurde im jeden Fall vom Unternehmen wahr genommen. Die Plakate wie das Motiv von AXE (s. Foto unten) wurde vom Deutschen Werberat als diskriminierend eingestuft und von Unilever – leider erst nach Monaten – zurück gezogen. In diesem Kontext ist uns eine vielschichtige Weise wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese Art des Werbens einfach nicht richtig ist. Beim Adbusting gibt es Vorbehalte, dass eine spezielle linke Bevölkerungsgruppe dahintersteckt, sogar eine autonome Bewegung, und dass eher abschreckt und einen stigmatisierenden Effekt hat. Wenn sich aber ein bürgerlicher Protest bewegt und aktiv wird, der Mainstream anfängt, sich zu wehren und nicht nur die Sprayer, dann wird das mehr erreichen.

Protest gegen Unilever
Protest gegen Unilever

Die Dekonstruktion von Geschlechterrollen zu erreichen, muss als gesamtgesellschaftlichen Prozess gesehen werden. Was ist unter „Dekonstruktion von Geschlecht“ zu verstehen?
Dekonstruktion heißt ja nicht, alles gleich zu machen. Dem Mädchen die Puppe, dem Jungen das Auto wegzunehmen. Sondern dem Jungen, der mit dem rosa Pony zum Kindergarten kommen will, dass auch darf und nicht dafür ausgelacht wird. Vielfalt atmen zu lassen, möglich zu machen, indem mensch zeigt, dass Geschlechterrollen sozial konstruiert sind.

Brauchen wir einen neuen Feminismus? Falls ja, wie sollte der deiner Meinung nach aussehen?
Wir brauchen ganz viele Feminismen. Wir brauchen keinen neuen. Es ist gar nicht so schlimm, dass wir einen neo-liberalen Feminismus wie wir ihn derzeit auch erleben, wenn auf H&M, C&A und Monki-Shirts „Feminismus“ steht. Das wird nicht die Gesellschaft umkrempeln, macht aber ein Wort salonfähig, was viele Jahre als ekelig galt. Wir haben Feminismen, die sich nur auf Inklusivität konzentrieren, andere, die für Führungspositionen in den Führungsetagen kämpfen. Ich finde es wichtig, viele Feminismen atmen zu lassen, sie auch mal zu kritisieren...in einer angemessenen, höflichen Form.

Anmerkungen: