AIB #116
56 DIN-A-4 Seiten; € 3,50.-
AIB, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin
https://www.antifainfoblatt.de/
Im Editorial setzt sich die Redaktion mit den Folgen des AfD-Erfolges im Zuge der Bundestagswahl auseinander. Der Schwerpunkt selbst ist sehr überschaubar und thematisiert den "Rechtsterrorismus
unter Aufsicht der Geheimdienste".
Andreas Förster erklärt wie der für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) Maßstäbe festlegt, Kriterien, die Spitzel erfüllen sollen: "Man nehme gereifte Persönlichkeiten, die psychisch stabil
sind und mit der Erkenntnis leben können, dass sie eigentlich Verräter sind." Einziges Problem: In den letzten 5 Jahren sind zu viele Spitzel enttarnt und aufgeflogen. Seit der NSU-Affäre steht
der VS unter Beschuss und die gesammelten Informationen haben schließlich nicht ausgereicht, die NSU zu enttarnen. Tatsächlich hat das BfV auch mehrere Spitzenquellen aufgebaut und finanziell
unterstützt. Das zeigt Andreas anhand vieler Führungspersonen, die im B&H-Netzwerk als bezahlte Informanten aktiv waren. Der das BfV billigte Straftaten, schürten Militanz und
Gewaltbereitschaft. Andreas liefert Fallbeispiele von Tino Brandt, Thomas Richter, Kai Dalek, Michael See, Ralf Marschner, Carsten Szczepanski, die von dem VS gefördert wurden. Andreas Förster
konsterniert, dass "der Geheimdienst(...)ein mörderisches Biotop mitgeschaffen hat, das längst außer Kontrolle geraten ist."
Dirk Laabs zeichnet die Spitzel-Karriere von Stephan Lange alias "Nias" nach. Der im Juni aufgeflogene V-Mann stand an der Spitze des deutschen Nazinetzwerks Blood & Honour. Er ist einer von
mittlerweile einer von mehr als 40 Spitzel, die zwischen 1998 und 2011 im näheren und weiteren Umfeld des untergetauchten NSU-Trios positioniert waren. Die NSU-Helfer von Blood & Honour
beispielsweise und ihre illegal operierenden Nachfolger wurden vom Geheimdienst bis in die Führungsebene hinein unterwandert. So entpuppten sich neben dem jetzt aufgeflogenen „Nias“ auch
Spitzenleute der B&H-Sektionen in Sachsen und Thüringen als Verfassungsschutzspitzel. Hinzu kommen mehrere einflussreiche B&H-Aktivisten, etwa in Baden-Württemberg, Dortmund und Chemnitz,
die ebenfalls bezahlte Informanten deutscher Sicherheitsbehörden waren. Mit weitreichenden Folgen: V-Leute haben die rechte Szene mithilfe des VS schlagkräftiger gemacht und mitgeholfen, dass
sich das NSU-Trio radikalisierte. Die Akte "Nias" wird wohl unter Verschluss bleiben, denn das BfV teilte lapidar mit, er hätte nichts über den NSU berichtet.
Und welche Rolle spielt die Bundesregierung? Muss sie Fragen zu Nachrichtendiensten beantworten? Nach Überzeugung des Bundesverfassungsgerichts hat die Bundesregierung Informationen zum tödlichen
Attentat auf das Münchner Oktoberfest teilweise zu Unrecht unter Verschluss gehalten. Die Verfassungsrichter in Karlsruhe urteilten, in "eng begrenzten Ausnahmefällen" könne das Auskunftsrechts
des Parlaments zum Einsatz verdeckter Ermittler stärker wiegen als das Recht der Bundesregierung, genau solche Auskünfte zu verweigern. Parlamentarische Anfragen zum Einsatz von V-Leuten seien in
dem Fall unzureichend beantwortet worden. Die Fraktionen der Grünen und Linken sowie der Deutsche Bundestag seien dadurch in ihren Frage- und Informationsrechten verletzt worden. Hintergrund sind
zwei kleine Anfragen der Bundestagsfraktionen von Grünen und Linken zu nachrichtendienstlichen Erkenntnissen über den verheerenden Sprengstoffanschlag vom 26. September 1980. Bei der Explosion
eines Sprengsatzes am Haupteingang der Münchner Wiesn starben damals 13 Menschen, 211 wurden verletzt. Das Bundesverfassungsgericht stellte nun klar: Grundsätzlich muss die Bundesregierung Fragen
der Abgeordneten zur Tätigkeit von Geheimdiensten beantworten. Für die Arbeit der Nachrichtendienste gilt allerdings eine wichtige Ausnahme. Soweit es um Auskünfte über den Einsatz verdeckt
handelnder Personen geht, darf die Bundesregierung in der Regel schweigen. Und zwar dann, wenn das Staatswohl gefährdet ist, Leib und Leben von V-Leuten riskiert würden oder eine Verletzung von
Persönlichkeitsrechten drohe.
Gesamteindruck:
Es klingt schon beinahe zynisch, wenn mensch sich einmal das Logo des BfV anschaut, in dem es heißt "Demokratie schützen". Der kleine Schwerpunkt belegt, wie fragwürdig die Vereinbarkeit von Demokratie und geheimdienstlichen Praktiken ist. Die parlamentarische Kontrolle erfolgt ihrerseits geheim, also wenig demokratisch; und Gerichtsprozesse, in denen etwa V-Leute eine Rolle spielen, werden zu Geheimverfahren, in denen Akten manipuliert und geschwärzt, Zeugen gesperrt werden. Geändert kann das allerhöchstens mit öffentlichem Druck, denn Geheimdienste und Regierung wollen so wenig wie möglich preisgeben. Statt demokratische Prinzipien der Transparenz, Kontrollierbarkeit und Aufklärung gibt es Machtmissbrauch, Vertuschung und ausufernde geheimdienstlich-informationell-militärischen Komplexe, die den Rechtsterrorismus stärken.