Kurz vor Jahreswechsel hat das Bundesinstitut für Ernährung und Landwirtschaft1 die Versuchstierzahlen für das Jahr 2016 veröffentlicht. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Tiere, die für wissenschaftliche Zwecke verwendet wurden um 1,59% auf 2.796.773 Tiere gestiegen. Das ist ein Trend, der überrascht und enttäuscht, so war doch der Tierschutz zum Staatsziel ernannt und mit der Umsetzung der EU-Richtlinie 63/2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere als klare Richtung, der schrittweise Ausstieg aus dem Tierversuch vorgegeben.
Die Hauptbereiche, in denen Tiere eingesetzt wurden sind nach wie vor die Grundlagenforschung (53%), regulatorische Zwecke (26%) und die angewandte Forschung (14%). Wobei der Tierverbrauch für die Grundlagenforschung leicht gesunken, dafür aber im regulatorischen Bereich um etwa den gleichen Wert gestiegen ist
Hohe Dunkelziffer
Fast 2,8 Millionen Tiere sind für sich allein betrachtet schon eine hohe Zahl. Zusätzlich gibt es aber eine große Dunkelziffer, die in den Statistiken gar nicht auftaucht. Tiere, die auf sogenannte Vorratshaltung oder zur Erhaltung gewisser genetischer Zuchtlinien vermehrt werden, aber am Ende nicht in Versuchen zum Einsatz kommen, werden gar nicht erst gemeldet, außer sie besitzen aufgrund einer genetischen Manipulation belastende Merkmale. Auch all die Tiere, die nach genetischer Manipulation nicht die geplanten Merkmale besitzen und direkt getötet werden, sind in den Tierzahlen nicht erfasst. Die Zahl solcher genetisch veränderten, verwendeten Tiere ist 2016 ebenfalls gestiegen, um rund 93.000 auf über 1,2 Millionen Tiere. Der Großteil der betroffenen Tiere sind Mäuse, gefolgt von Zebrafischen, dementsprechend wird wohl auch für diese Tierarten die größte Dunkelziffer angenommen. In den letzten Jahren wurden viele neue, effizientere gentechnische Methoden entwickelt, was zu einem regelrechten Boom neuer Tiermodelle geführt hat. Es ist auch hier an der Politik dafür zu sorgen, dass nicht immer mehr Tiere dieser Gentechnik-Euphorie zum Opfer fallen, nur weil es möglich ist. Strenge und kritische Genehmigungsverfahren auf der Grundlage anerkannter Prüfkriterien für beantragte Tierversuche könnten hier fürs Erste Abhilfe schaffen.
Maus bleibt Spitzenreiter unter den Verlierern
Wie immer ist die Maus der Verlierer unter den Versuchstieren. Mit 1.959.169 Tieren ist die Gesamtzahl zwar um knapp 46.000 gesunken, dennoch ist die Maus mit über 70% der Versuchstiere klarer
Spitzenreiter dieser traurigen Aufstellung. Mehr als die Hälfte der eingesetzten Mäuse waren genetisch manipuliert und erfahrungsgemäß kann man davon ausgehen, dass der Großteil dieser Tiere für
die Grundlagen- und angewandte Forschung verwendet wurde. Leider ist dies aus den veröffentlichten Tabellen nicht konkret ableitbar.
Generell ist interessant, dass bei fast allen klassischen Versuchstieren (außer den Fischen) die Gesamtzahlen gesunken sind. So gab es deutliche Rückgänge auch bei Ratten (-7975), Kaninchen
(-11.916), Meerschweinchen (-3954) und Krallenfröschen (-3.241). Auch bei nichtmenschlichen Primaten, Katzen und Hunden wurden weniger Tiere verwendet. Dass die Gesamtzahl dennoch im Vergleich zu
2015 gestiegen ist, liegt vor allem an einem beachtlichen Anstieg bei den verwendeten Fischen (+104.352) und einigen Nutztierarten wie Geflügel (+9.739), Schweinen (+4,716), Schafen (+1.965) und
Rindern (+951). Gerade bei Schweinen und Rindern wurden deutlich mehr Tiere in Versuchen zu tierischen Krankheiten und allgemeinem Tierwohl eingesetzt. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass
mehr Forschung betrieben wird, um die Unzulänglichkeiten des Systems der industriellen Massentierhaltung auszubügeln. Eine Änderung des Systems wäre hier eine bessere Wahl.
Mehr Tiere für schwerbelastende Versuche
Leider ist auch bei den schwer belastenden Versuchen die Zahl der eingesetzten Tiere um knapp 2.500 auf insgesamt 114.824 Tiere gestiegen, wobei auch hier wieder Mäuse mit knapp 78% die Hauptlast tragen. Eigentlich sollten Versuche mit einer erwarteten schweren Belastung nur in Ausnahmefällen genehmigt werden, das gilt aber nicht für gesetzlich vorgeschriebene Tierversuche. Mehr als 70% der Tiere, die in schweren Versuchen leiden und sterben mussten, wurden für regulatorische Zwecke und Qualitätskontrollen verwendet. Das ist erschreckend und umso dringlicher wäre es für die Bundesregierung, dem schrittweisen Abbauplan der Niederländer zu folgen und die Abschaffung von Tierversuchen zielstrebig zu verfolgen. Die Förderung der Entwicklung neuer Methoden für solch regulatorische Tests muss verstärkt werden damit diese schnellstmöglich den Tierversuch ablösen können.
Fazit
Was genau ist eigentlich der Wert der jährlichen Statistik, wie verlässlich sind die Aussagen und zu welchen Konsequenzen führen die aufwändig erhobenen Zahlen? Genau betrachtet haben sie rein
akademischen Wert. Denn für die Praxis blieben sie bisher konsequenzlos. Das trifft in besonders trauriger Weise für das rechtlich vereinbarte Ziel „ dem Ende der Tierversuche“ zu. Hinzu kommen
noch weitere Fragezeichen: Bei der Analyse der Daten fällt auch auf, dass sich die Zahlen aus unterschiedlichen Tabellen nicht zwangsläufig korrekt addieren lassen oder es nicht ersichtlich ist,
wie diese sich zusammensetzen. Deshalb fällt es teilweise schwer, die tatsächlichen Tierzahlen für bestimmte Versuchszwecke zu ermitteln. Auch 2015 gab es schon diverse Ungereimtheiten in den
veröffentlichten Tabellen. Alles in allem ist die einzig sichere Aussage: Die Zahl der Tiere, die in der Versuchstierstatistik erfasst werden, sind gegenüber dem Vorjahr um 1,59% auf 2.796.773
Tiere angestiegen. Der angestrebte Rückgang der Tiere ist also nicht erkennbar. Wir fordern von der Politik und hier insbesondere von der zukünftigen Bundesregierung, einen konkreten
Maßnahmenplan zum Abbau der Tierversuche vorzulegen. Hierbei ist die Zusammenarbeit mit den anderen EU-Mitgliedsstaaten essentiell um EU-weit einheitliche Regelungen zu erreichen und den
Fortschritt im Feld der tierversuchsfreien Methoden zu maximieren.
Die Häme, mit der insbesondere Wissenschaftler und auch Politiker den Niederländischen Abbauplan überziehen, wird sich nicht halten können. Der Abbauplan zeigt einen gangbaren Stufenplan, der
alle Unterstützung wert ist. Ob bis 2025 alle Versuche im Bereich der Regulatorischen Tierversuche tatsächlich zu beenden sind, ist nachrangig. Wir erwarten, dass bei den aktuell laufenden
Koalitionsgesprächen von CDU/CSU und SPD in Sachen Abbau der Tierversuche Nägel mit Köpfen gemacht werden. Zu guter Letzt noch eine kleine Häme unsererseits: Warum erscheinen die
Versuchstierzahlen kurz vor Jahresende, also zu einer Zeit, in der die meisten in Urlaub sind und sozusagen Ruhe herrscht? Doch wohl nicht etwa aus taktischen Gründen, um kritische Resonanzen zu
verwässern? Nein, natürlich nicht und wie wir bereits ausgeführt haben: die Versuchstierzahlen in dieser Form sind ein wertloses Instrument für den Abbau der Tierversuche.
(Quelle)