Never Mind the Buttocks!
Punk Rock Aerobics wurde im Jahr 2000 von Hilken Mancini und Maura
Jasper gegründet. Die Idee hierzu wurde von den Freundinnen geschmiedet, als sie beide aus ihren Jobs entlassen wurden. Hilken arbeitete als Archivarin für eine Videofirma und
Maura in einer Kunstgalerie.
"Wir haben uns entschieden, einen Workout zu kreieren, an dem wir auch selber teilnehmen würden", berichtet Hilken, deren Trainingsoutfit aus roträndigen Röhrensocken, kurzen High-School-Shorts und funkelnden blauen Lidschatten besteht. "Wir haben angefangen, unsere eigenen verrückten Moves zu erfinden und ihnen eigene Namen wie bspw. "Skank", "Wack Jacks" oder "Rock" zu geben." Diese Moves wurden in ihrem englischsprachigen Buch "Punk Rock Aerobics: 75 Killer Moves, 50 Punk Classics, And 25 Reasons To Get Off Your Ass And Exercise" beschrieben. PRA wurde als Markenzeichen eingetragen, es wurden Shirts gedruckt und verkauft, die Presse wurde auf PRA aufmerksam und berichten landesweit darüber, ein Video war in der Planung. Hilken und Maura begannen mit den Workout-Kursen in Bostons Middle East Club, die für die TeilnehmerInnen 7 Dollar kostete. Der Beitrag deckte die Kosten für die Miete. Sie hatten Gast-DJs wie Punk-Ikone Mike Watt 1 und Evan Dando 2. Die Workouts erfuhren einen hohen Bekanntheitsgrad, die Fangemeinde wuchs, und PRA verbreitete sich schnell mit einigen Ablegern andernorts. PRA vermeidet traditionelle Gymnastikmusik und diskriminierende Schönheitsstandards. Anstelle dessen geht es bunt und punkig zur Sache. Punk Rock Aerobics ist eine 60-minütige workout-Übungsstunde, bei der originelle Punk-Tanzbewegungen (Pogo, Skank, Slamdance) mit Aerobic-Übungen kombiniert werden. Die PRA-Workouts werden in kleinen Clubs abgehalten. Unverzichtbare Merkmale sind Humor, Attitüde und Ästhetik, die für die Punk-Identität wichtig sind und DIY-Requisiten (Ziegel für Gewichte, recycelte Isomatten usw.).
Moves:
Bevor sie ihren eigenen Workout unterrichten durften, mussten Hilken und Maura einige Regeln einhalten, wie zum Beispiel, zertifizierte Aerobic-Lehrerinnen zu werden. Das
Prüfungsprogramm war für Jasper nicht gerade eine Selbstverständlichkeit, da sie noch nie ein Fitnessstudio betreten hatte. "Ich bin während der Zertifizierung fast
weggelaufen", erzählt sie. "Du bist in einem Raum mit 50 Leuten und einer Nummer auf deiner Brust. Du musst nach vorne in die Klasse rennen und sagen: 'Hallo, ich bin Maura, und ich bin
hier, um dir eine Übung zu zeigen!' Das war um 6 Uhr morgens. Es war mein schlimmster Albtraum." Beide erhielten jedoch das Zertifikat lassen und begannen im Sommer 2000 mit dem 1.
Workout-Unterricht. Im CBGB's ertönte "Beat on the Brat" von den Ramones, während Hilken ihre SchülerInnen dazu animierte, die Moves nachzuahmen. Im Anschluss an der schweißtreibenden
Stunde gab es Süßigkeiten und Getränke an der Bar 3.
Mancini und Jasper packten Vinyl, Süßigkeiten und Ziegelsteine wieder ein und machten sich dann auf zu ihrer nächsten Rebellionsstunde. Doch die forderte im Laufe der Zeit ihren
Preis. "Wir hatten den Unterricht gemacht und nicht wirklich Geld verdient", sagt Mancini. „Das Projekt kam einfach nie richtig ins Rollen. Maura und ich waren mit der
Zeit wirklich ausgebrannt. Maura wollte wieder zur Schule gehen, das geplante Video scheiterte an den Rechten zur Originalmusik und wurde nie realisiert. Wir beiden waren richtig fertig
und sind quasi körperlich zusammengebrochen", erzählt Hilken, mit der Konsequenz, dass PRA 2007 auf Eis gelegt wurde.
Girls Rock Camp
Hilken Manicini referierte beim "Rock ‘n’ Roll Camp for Girls" 4 in Portland, Oregon, welches 2001 gegründete wurde, über ihr Projekt PunkRockAerobics. Sie war total angefixt von den begeisterungsfähigen Mädchen im Camp und der ehrenamtlichen Arbeit der vielen HelferInnen, sodass sie mit den Gedanken spielte, in Boston ein ähnliches Projekt zu etablieren. Zusammen mit einer freiwilligen Helferin im Camp, Nora Allen-Wiles, realisierten sie 2010 die Idee und gründeten "Girls Rock Campaign Boston" (GRCB)5, eine feministische Non-Profit-Organisation mit Wurzeln in Punk, Riot Grrrl und DIY (Do-it-Yourself)-Ethik. Während Hilken bei GRCB als Programm Direktorin tätig ist, arbeitet Nora dort als Geschäftsführerin. Die zentrale Botschaft lautet: „Du musst nicht perfekt sein." Mädchen werden ständig beigebracht, sie müssten perfekt sein, sollten Angst haben, Lärm zu machen, wenn sie nicht die richtige Antwort wissen, sollten sie ihre Hand nicht heben und lieber schweigen usw. Daher ist der Unterrichtsstil bei Girls Rock erfahrungsorientiert und positiv, wobei das Selbstwertgefühl und die Zusammenarbeit im Vordergrund stehen. Die Musik ist eine Art Motor für einen Weg, um die eigene Stimme zu hören, sowie ein Ausdrucksmittel zur Selbstdarstellung.
Melanie Bernier stieß 2013 zu PRA dazu, als Hilken das Training wiederbelebte, um Geld für die Girls Rock Campaign Boston zu sammeln. Melanie hat im Rahmen einer Spendenaktion für die GRCB Workout-Klassen unterrichtet, beschäftigt sich mit Aktivismus und DIY-Musikkultur, mit politischen Fragen, ganzheitlicher Gesundheit. Sie nutzt ihre Arbeit, um allgemeine kulturelle Annahmen über Themen wie Schönheit, Geschlecht, Gesundheit und Gemeinschaft in Frage zu stellen.
'Girls Rock Campaign Boston' ermöglicht Mädchen die Teilnahme an Musikunterricht und Musikaufführung, um so Selbstausdruck, Selbstvertrauen und Zusammenarbeit zu fördern. Musikunterricht ist aber nur ein Teil der GRCB-Mission. Musikunterricht und -performance bieten einen interaktiven, praxisorientierten Ansatz, um abstrakte Fähigkeiten wie Selbstvertrauen und Ausdauer zu vermitteln. Durch die Bereitstellung von Mitteln und Möglichkeiten, musikalische Fähigkeiten aufzubauen, Stimmen zu finden und ihnen zu vertrauen, positive Beziehungen zu Gleichaltrigen und MentorInnen aufzubauen und ihr Potenzial zu entdecken, haben die GRCB-Programme seit 2010 das Leben von über 600 Mädchen aus der Gegend von Boston verändert.
Hilken trainiert gerne, weil es ihr hilft, ihre eigenen Stärken zu verstehen. "Das ist etwas, was wir alle tun können, um Platz zu beanspruchen, wann immer wir können, weil es uns
erlaubt, unsere Träume zu leben, Punk zu bleiben und dich niemals verdrehen zu lassen."
Des Weiteren sind Hilken und Melanie musikalisch aktiv. Der Song "Flashlight" 6 von Hilkens Band FUZZY wurde vom
Rolling Stone zu einem der 50 besten Songs der 90er Jahre gekürt.
Heute spielt Hilken Gitarre in den Bands Shepherdess 7 und The Monsieurs 8.
Melanie Bernie ist musikalisch seit 2011 mit Bands wie Boston Cream, Barbazons und Electric Street Queens aufgetreten. Zudem arbeitet sie ehrenamtlich für Non-Profit-Organisationen für
KünstlerInnen mit Handicap und betreibt Kampagnenarbeit für die Ehe für Alle.
Für Hilken und Melanie ist der Neustart von PRA voller Hindernisse. Um die Workouts regelmäßig durchzuführen, bedarf es eines guten Zeitmanagements. Beide haben aktive kreative
Projekte außerhalb von PRA. So ist Hilken neben ihren musikalischen Ambitionen als Exekutivdirektorin stark in der Girls Rock Kampagne eingebunden und arbeitet darüberhinaus in einem
Second-Hand-Laden. Melanie macht neben der Musik arbeitsintensive visuelle Kunst. Und dann haben beide den Anspruch, dass jeder Workout groß und aufregend werden soll, haben bestimmte
Standards in Bezug auf Requisiten, Musik und Choreografie. Des Weiteren versuchen sie seit Jahren ein Trainingsvideo zu erstellen. Und auch hier soll es - wenn Geld und Zeit kein Problem sind -
das verrückteste Trainingsvideo aller Zeiten werden. Wie bei jedem anderen Passionsprojekt muss die ehrenamtliche Arbeit der Arbeit, mit der Geld für die Miete bezahlt werden muss, hinten
anstehen. Das ist ärgerlich, vor allem für Fans, die sich mehr Workouts und Videos für zu Hause wünschen.
Fußnoten:
1. Musiker, Songwriter, Radio-Moderator und Produzent. Am bekanntesten sind seine Bands Minutemen und fIREHOSE ↩
2. Lemonheads ↩
3. https://youtu.be/OfyetuN9TYs ↩
4. https://girlsrockcamp.org/ ↩
5. https://girlsrockboston.org/ ↩
6. https://youtu.be/ZTmIiYcd3Ow ↩
7. Stoner-pop und Slacker-Psych: https://shepherdess.bandcamp.com/ ↩