Die Idee entstand aus ihrer gegenseitigen Frustration über den Macho-Quatsch der meisten traditionellen Fitnessstudios (Boxen, Muay Thai, Taekwondo oder andere Disziplinen) und den Mangel an Orten, an denen Frauen trainieren können, ohne das Gefühl zu haben, dass sie besser sein müssen als die Männer, nur als kompetent zu gelten. Beide haben lange genug Kampfsport betrieben und in ihren jeweiligen Sportarten unverhohlen offenen Sexismus erlebt.
Sie wollten ein Fitnessstudio eröffnen, das den Teamgeist und die Gemeinschaft der Kampfkünste ohne jegliches Ego verbindet. Darüber hinaus beabsichtigten sie mit Solstar, AktivistInnen aus der lokalen türkischen und kurdischen Gemeinschaft mit anderen AktivistInnen aus London zusammenbringen. Das gelingt ihnen auch durch solidarische Teilnahme an Demos und Workshops auf Veranstaltungen, um den BesucherInnen die Idee von Solstar und die positive Wirkung von Kampfsport/Kampfkunst vorzustellen.
Kampfkünste3 können dich in jeder Situation stark, fit und selbstsicher machen. Die Fähigkeiten, die du aus den Kampfkünsten lernst, können von entscheidender Bedeutung sein, um dich aus unangenehmen Situationen zu befreien, wenn du auf der Straße bspw. sexuelle Belästigung oder Gewalt erfährst. Diese Fähigkeiten sind besonders nützlich für Menschen, die in solchen Szenarien geraten wie Frauen, insbesondere aus der MigrantInnengemeinschaft, LGBT-Menschen oder linkspolitische AktivistInnen. Das linke Studio bietet demnach einen offenen Raum, das einerseits das Potenzial hat, Gruppen zusammenzubringen, die sonst nicht zusammenarbeiten und ist andererseits Sport als ein Vehikel für politische Organisierung.
«Den Kapitalismus herausfordern und Teil einer fortschrittlichen sozialistischen Zukunft sein.»
Sport vereint - baut auf Solidarität, auf Bewegungen, auf Beziehungen auf - und das könnte nicht wichtiger sein, als in einer gespaltenen politischen Linken.
Bei Solstar wird von jedem/jeder eine linke Attitüde erwartet, der/die durch die Türen kommt. Ella und Paula versuchen, sich davon zu überzeugen, bevor die Leute kommen. Darüber hinaus wird die Politik im Gym an den Nagel gehängt. Denn es geht hier auch um Spaß, schwitzen, kämpfen - und eine Gemeinschaft aufzubauen. Solstar nutzt den Sport für die politische Organisation an der Basis.
Boxen war schon immer ein Sport der Arbeiterklasse. Es stellt daher nicht die gleichen Hindernisse für die Inklusion dar wie andere Sportarten. Boxen war wichtig, um Bandenkriminalität einzudämmen und das Selbstvertrauen und Engagement von Kindern und Jugendlichen in Gebieten mit wenig anderen Beschäftigungs-Möglichkeiten zu erhöhen. Antifaschismus und Boxen haben viele Parallelen: In der Lage zu sein, unter Druck, in stressigen und oft gewalttätigen Situationen mit sich selbst umzugehen, ist essenziell wichtig für antifaschistischen Aktivismus. Bei Solstar erlangen Menschen Fähigkeiten, die für diese Situationen relevant sind: wie mensch ruhig bleibt, wenn mensch mit Aggression konfrontiert wird, wie mensch sich selbst verteidigt und lernt, aus dieser Situation rauszukommen, ohne selbst verletzt zu werden. Für Paula und Ella ist Boxen und Kampfkunst ein Katalysator für persönliches Wachstum und bietet positiven Nebeneffekten wie körperliche Fitness, Selbstdisziplin und Selbstvertrauen.
Es gilt, den Kapitalismus herauszufordern und Teil einer fortschrittlichen sozialistischen Zukunft zu sein. Um dies zu erreichen, haben Paula und Ella drei Leitziele erarbeitet:
- Erstens möchten sie mehr Frauen in den Sport einbeziehen, indem sie das Fitnessstudio offen und nicht einschüchternd gestalten.
- Zweitens wollen sie eine stärkere, leistungsfähigere politische Linke bilden, die Linke aus dem gesamten politischen Spektrum und aus MigrantInnengemeinschaften zusammenbringt.
- Schließlich wollen sie damit ein Netzwerk für radikale Organisierung schaffen - indem sie die Solidarität und den Zusammenhalt nutzen, was durch gemeinsames Training entsteht, um einen positiven handlungsfähigen Charakter zu entwickeln,/stärken und gemeinsame politische Ziele zu erreichen.
Paula, du hast zusammen mit Ella die Solstar Sports Association gegründet. Was unterscheidet Solstar von anderen linken Sportstudios?
Ich würde sagen, dass wir mehr Gemeinschaft fördern, als die meisten anderen linken Fitnessstudios in Großbritannien. Wir trainieren in einem Flüchtlingszentrum und sind Teil der Gemeinschaft dort, nehmen an sozialen Veranstaltungen, Kampagnen und Demos mit der MigrantInnengemeinschaft teil. Wir sind sowohl als linke Sporthalle als auch als weiblich geführtes Sportprojekt einzigartig. Alle unsere Klassen werden von Frauen unterrichtet.
Was waren deine persönlichen Erfahrungen mit Diskriminierung und Sexismus im Sport?
Das größte Problem besteht darin, sich nicht willkommen zu fühlen. Ich bin immer wieder überrascht, wenn Frauen nicht von Fitnessstudios begeistert sind, die am Kampfsport teilnehmen. Wenn sich das in kommerziellen Fitnessstudios nicht wirklich ändert, ist eine starke Beteiligung von Frauen gut für unser Studio und unsere Idee hinter Solstar!
Was sind deine sportlichen Hintergründe zu Kampfsport?
Ich habe den 2. Dan (Leistungsgrad) im Taekwondo mit Schwarzem Gürtel, etwas Erfahrung mit Boxen, MMA und Jujitsu.
Wie hat das Boxen dein Leben verändert?
Wenn du an Kampfkünsten teilnimmst, verändert sich deine Lebensperspektive komplett, das Leben ist weniger anstrengend, du fühlst dich sicherer und fitter, du findest erstaunliche FreundInnen und triffst unglaublich aufregende Menschen.
Warum ist es wichtig, für ein Gender-integratives Denken im Sport zu kämpfen?
Da Frauen in fast allen Bereichen des Lebens unterdrückt werden, ist das Selbstvertrauen der Kern der Veränderung des Lebens eines Menschen. Sport trägt dazu bei, dieses und die psychische Gesundheit zu verbessern und uns körperlich gesünder zu machen.
Wie kann Solstar zur Überwindung von Geschlechterstereotypen beitragen?
Frauen, die Männern das Kämpfen beibringen, stellen jedes tradierte Geschlechterstereotyp auf den Kopf. Es fordert alle dazu auf, darüber nachzudenken, wie wir in der Gesellschaft funktionieren.
Wie hängen Boxen und Antifaschismus zusammen?
Kampfsport war schon immer mit militantem Antifaschismus verbunden. Es ist der Kern des Lernens, wie wir unsere politische FreundInnen und uns selbst verteidigen können. Sport sollte inklusive sein. Ich denke, in der Realität geht es auch um physische Kulturen und Identitätsprobleme. Homosexualität oder Intersexualität bleibt ein Tabu.
Brauchen wir eine verbindliche politische Regelung zur Förderung von Frauen im Sport?
Ja, und wir brauchen eine gleichwertige Finanzierung, viel mehr Support für Frauen mit Vorbildfunktion und Fernsehberichte, die darüber berichten.
Für viele Frauen kann der Einstieg in eine von Männern dominierte Welt ziemlich einschüchternd sein. Wie können diese Hindernisse überwunden werden?
Wir müssen mutig und entschlossen sein, diese Dynamik herauszufordern, und Frauen müssen andere beim Kampfsport unterstützen.
Sex sells, Leistung eher weniger. Denkst du, dass Frauen härter arbeiten müssen, um gesellschaftlich akzeptiert zu werden, bis sich das für sie auszahlt?
Ja, Frauen müssen härter arbeiten, um in allen Lebensbereichen ernst genommen zu werden.
Wie führen Medien und Sponsoring zu geschlechtsspezifischen Ungleichheiten?
Frauen werden in der Sportwerbung häufig zu stark sexualisiert. Dies muss infrage gestellt werden.
Was sind die Erfolge seit der Gründung von Solstar und welche Ziele möchtest du erreichen?
Die Geschlechterbalance unserer Klassen liegt in der Regel bei 50/50 - etwas, das in traditionellen Turnhallen noch unbekannt ist. Wir haben und bieten eine erstaunliche einladende Atmosphäre, ich unterrichte seit zweieinhalb Jahren jede Woche, ohne jemals eine Sitzung abgesagt zu haben. Ich glaube, dies ist das Geheimnis unseres Erfolges, auch in eng verknüpfter Zusammenarbeit mit der lokalen Flüchtlingsgemeinschaft. Das ist etwas, was die meisten linken Gruppen in London nicht erreicht haben, mit integrierten Aktivitäten und Veranstaltungen, die ständig stattfinden. Einige unserer TeilnehmerInnen haben uns erzählt, wie wichtig Solstar für den Wiederaufbau ihres Selbstvertrauens nach einem Überfall oder für die Behandlung von traumatischen Ereignissen in ihrem Leben war. Wir knüpfen Kontakte auf nationaler und internationaler Ebene, reisen zu Interclubs und Seminaren. Unser Modell funktioniert, es bleibt nur noch, weiter zu wachsen.
Fußnoten:
1. Ivana Hoffmann (*1. September 1995 in Emmerich am Rhein, Deutschland; † 7. März 2015 in Tell Tamer, Syrien) war eine deutsche Kommunistin aus Duisburg. Sie wurde als Mitglied der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei Nordkurdistan-Türkei (MLKP) an der Seite von Angehörigen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) am 7. März 2015 unter dem Kampfnamen Avaşin Tekoşin Güneş in einem Gefecht gegen bewaffnete Kräfte des Islamischen Staates (IS) im syrischen Tell Tamer getötet. Sie gilt als erste Deutsche und erste ausländische Frau, die im bewaffneten Kampf gegen den IS ums Leben kam. ↩
2. https://solstarsports.org/ ↩
3. Im Gegensatz zum Kampfsport gehört zur Kampfkunst die Stärkung des Charakters mit dazu, auch Geist und Seele sollen fit sein. Gesundheit und Philosophie sind daher in vielen Kampfkünsten eng miteinander verknüpft. ↩