Berlin is rollin’, rollin’, rollin’!
Roller Derby (s. Artikel) ist ein Vollkontaktsport, in dem Derby-Spielerinnen Geschlechterklischees mit Rollen überfahren. Die Spielerinnen geben sich/haben einen Derby-Namen, eine Art Superheldinnenidentität, wie ‚Marilyn Mon-Roll‘, ‚Bloody Holly‘, ‚Siren Slammer‘, ‚Cliff 'Anger‘, wobei es sich um Wortspiele oder Referenzen an Filme, Punk und Popkultur handelt, aber auch mit gängigen Rollenbildern spielt wie es Derbynamen wie bspw. ‚Broke White Boy‘ zum Ausdruck bringen. Hier trifft mensch auf ausgefallene Ästhetik und subkulturelle Verankerung. In den Pausen dröhnt meist Punkmusik aus den Boxen. Daneben hat dieser Sport noch eine Vielzahl anderer Facetten zu bieten.
Roller Derby ist Frauen-Empowerment. Das überträgt sich auf alle Lebensbereiche. Der athletische queer-feministische Sport hilft dabei, Unabhängigkeit und Selbstwirksamkeit zu entwickeln. Weltweit ist Roller Derby seit einigen Jahren der wahrscheinlich am stärksten wachsende Frauensport im Amateurbereich. Es gibt Teams in Russland, Ägypten, Abu Dhabi, Iran, Süd-Korea. Es gibt mittlerweile auch Männer-Derby („Merby“). Die Vereine sind queer- und transfreundlich.
Bear City Roller Derby1 ist eine WFTDA Class A Division 1 Roller Derby Liga aus Berlin und wurde im Mai 2008 als Berlin Bombshells von einer Hand voll Vereinsangehörigen gegründet. Heute sind die Roller Derby Spielerinnen mit inzwischen drei Teams, deren Schiedsrichter und Non Skating Officials in der Liga „Bear City Roller Derby“ organisiert; diese ist Teil des S.C. Lurich 02 e.V.
In der Bundesliga tritt seit der letzten Saison das B-Team an, das neuerdings unter dem Namen Berlin Wallbreakers firmiert. Zu groß war in der Vergangenheit die spielerische Dominanz. Die Top 20 Spielerinnen wie Hannah Satana, Emmazon, Jane van Pain bilden das A-Team, das unter dem Namen WFTDA20 antritt und Herausforderungen von den stärksten Teams in Europa und der ganzen Welt annimmt. In der WFTDA-Team-Rankingliste belegen sie Platz 332. WFTDA ist das Akronym des Weltverbands. Des Weiteren gibt es noch mit Breaking Bears ein variables Team, Nachwuchstalente, die den Minimum-Skills-Test3 bestanden haben. Die Breaking Bears werden 2019 zusätzlich erstmalig in der 3. Bundesliga antreten, somit ist Bear City die erste Roller Derby League mit mehreren Bundesliga-Teams. Darüber hinaus sorgen 7 Officials, Schiedsrichter (Referees/Refs) und Non-Skating Officials (NSOs), wie ‚Martin McFly‘ und ‚Formalhaut‘ für einen fairen Ablauf des Spiels.
Wir unterhielten uns mit Wild Sphinx, #8 (WS) vom Bear City Roller Derby über den Sport, Lifestyle und Feminismus.
Zur Person: Wild Sphinx, #8 ist 32 Jahre alt, spielt Roller Derby seit 2010, zwischenzeitlich verletzungsbedingte Pausen (gefährliches Fahrrad- und Longboardfahren, Derby hatte nichts damit zu tun), 2017 Transfer von Cologne Roller Derby zu Bear City Roller Derby, dort Crossover-Spielerin im B- und C-Team.
«Roller Derby macht nicht nur generell starke Frauen* sichtbar, sondern widersetzt sich gleichzeitig konstruierten Körpernormen, Rassismen, Ableismen, Geschlechterstereotypen oder anderen Diskriminierungsformen, etwa hinsichtlich der sexuellen Selbstbestimmung.»
Es gibt Spielerinnen, die schon über viele Jahre mitwirken. Was waren deine Motive beim Roller Derby mitzumachen?
WS: Roller Derby ist für mich ein selbstbestimmter und körperlich extrem vielseitiger Sport. Mich haben von Anfang an die Persönlichkeiten der Spieler*innen fasziniert und ich fand die Mischung aus der Geschwindigkeit auf Skates, der Körperkontrolle durch den gesteuerten Kontakt und der komplexen Strategie und Taktik dahinter sehr reizvoll. Für mich war nach der Erstkontakt mit dem Sport beim Lesen eines Online-Artikels klar: Ein Teamsport starker Frauen*, auf Rollschuhen, im Vollkontakt und ohne Ball - das ist genau mein Ding!
Später kamen dann weitere Aspekte, etwa das feministische, queere und inklusive Selbstverständnis hinzu. Ich mag, dass jede* beim Roller Derby willkommen ist, nach den eigenen Voraussetzungen und Anlagen eine individuelle Spielposition finden kann und in der Gemeinschaft in der eigenen Persönlichkeit und Individualität bestärkt wird. Roller Derby hat das Potenzial, Dein ganzes Leben zu verändern – weil Du weißt, was Du Dir zutrauen kannst und weil eine der Grundideen des Sports ist, hinzufallen und wieder und wieder aufzustehen. Daran kann man wachsen.
Warum ist Roller Derby kein Nebenbeisport (mehr), sondern ein(e) Lifestyle (Lebenseinstellung)?
WS: Ich denke, Roller Derby kann für jede* das sein, was sie* möchte. Es ist möglich, Roller Derby einfach nur als Sport zu betreiben – allerdings wird von allen Spieler*innen erwartet, dass sie neben dem Training auch Zeit und Energie in den League-Betrieb stecken. Wir sind eine DIY-Sportart und unser Dachverband WFTDA hat den Leitspruch „By the skaters, for the skaters“. In der Praxis heißt das, dass jede* von uns sich in mindestens einem Komitee einbringt: Das kann der Trainings- oder Spielbetrieb sein, die Organisation von Events, die Vernetzung mit unseren Dachorganisationen oder, wie in meinem Fall, die Öffentlichkeitsarbeit. Dieser Anspruch, sich über die Trainingsteilnahme hinaus zu beteiligen und unser Angebot zu erschaffen und kontinuierlich zu verbessern, erfordert natürlich einen gewissen Einsatz.
Die Gemeinschaft bietet aber das Potenzial zu mehr, das was Du Lifestyle oder Lebenseinstellung nennst – und es ist für die meisten sicherlich sehr reizvoll, auch daran zu partizipieren: Beim Roller Derby triffst Du auf viele feministische, queere, engagierte Frauen*, die den Wunsch haben, aus dieser Vernetzung etwas aufzubauen. Wir arbeiten zum Beispiel bei Bear City daran, unsere League-Arbeit auch politisch zu verstehen, zu ausgewählten Themen Stellung zu beziehen und einen inklusiven Safe Space zu schaffen. Wir versuchen, uns über den Spielbetrieb hinaus gegenseitig zu unterstützen und - aus unserem gewählten kleinen Abschnitt heraus - die Welt ein kleines bisschen besser zu machen.
Wie haben Begriffe wie Punk, Riot Grrrl, Feminismus den Sport deiner Meinung beeinflusst/geprägt und tun es heute noch?
WS: Das moderne Roller Derby ist aus der Third Wave des Feminismus heraus entstanden und wurde gerade in der Anfangszeit extrem durch Punk- und Riot Grrrl-Bezüge geprägt. In dieser Zeit kamen die meisten Akteur*innen aus dieser Szene oder haben durch Roller Derby den Kontakt dorthin gefunden. Einiges davon hat sich erhalten, einiges hat sich weiterentwickelt. Insgesamt gibt es in den letzten Jahren eine starke sportliche Professionalisierung im Roller Derby. Dadurch entsteht ein gewisses - ich würde sagen, produktives - Spannungsverhältnis.
Einerseits gibt es den Wunsch, dass Roller Derby als Sport ernst genommen wird – was bei den Trainingsstrukturen und erbrachten sportlichen Leistungen eigentlich selbstverständlich sein sollte, lange Zeit - auch wegen der Punk- und Feminismuselemente - jedoch nicht der Fall war. Andererseits unterscheiden die Ursprünge und die fortdauernden Verbindungen, insbesondere zu Riot Grrrl und Feminismus Roller Derby zweifelsohne weiterhin von anderen Sportarten.
Ein Aspekt, in dem dieses Spannungsverhältnis zum Ausdruck kommt, sind Derby-Namen. In der Entstehungszeit von Roller Derby hatte jede Spieler*in einen eigenen Namen für den Einsatz auf dem Roller Derby Track. Diese Namen sind hochgradig individuell, manchmal ziemlich lustig und haben häufig sowohl popkulturelle als auch feministische Bezüge. Spontan fallen mir hier etwa Battlestar Grrrlactica, Aurora Brutalis oder meine Teamkollegin Oprohr Deern (plattdeutsch für Riot Girl) ein. Auf internationalem Level lässt sich nun beobachten, dass viele Spieler*innen auf diese Derbynamen verzichten und aus dem Wunsch nach professioneller sportlicher Wahrnehmung unter ihrem bürgerlichen Namen antreten. Wie gesagt, insgesamt nehme ich dieses Spannungsverhältnis als bereichernd wahr.
Wie siehst du die gesellschaftliche, sportliche Wahrnehmung und die Wertschätzung zum Roller Derby? Wie wichtig ist dir/euch Öffentlichkeitsarbeit als Imageprofilierung?
WS: Generell belegen Studien, dass die Wahrnehmung und Wertschätzung sportlicher Aktivitäten von Frauen* weit unterdurchschnittlich ist. Wir alle kennen dieses Phänomen, wenn wir einen beliebigen Sportteil einer Zeitung durchblättern oder die Sportberichterstattung im Fernsehen betrachten; selbst sportliche Großereignisse gehen hier regelmäßig unter. Ein Großteil des öffentlichen Interesses an Sport entfällt auf wenige, ausgewählte Sportarten – und hier im Regelfall auf männliche Akteure.
Deswegen ist es uns wichtig, dass erstens die bestehende Vielfalt an sportlichen Angeboten und Leistungen sichtbar wird und zweitens auch Frauen* als sportliche Identifikationsfiguren gezeigt werden. Sport ist ein verbindendes Element zwischen den Menschen, ein wichtiger Bereich unserer Gesellschaft. Ein Gebiet, in dem Frauen* und/oder marginalisierte Gruppen entgegen häufig bedienter Klischees oder Erwartungen als starke, leistungsfähige Menschen gezeigt werden können. Dabei ist es nicht wichtig, wer ganz oben auf dem Treppchen steht, es geht um eine grundlegende Repräsentation, die wichtig und angemessen ist.
«Das heutige Roller Derby wird bestimmt durch echte Athletik, starke Individuen und eine ungewöhnliche Community.»
Gleichberechtigung im Sport ist auch ein gesellschaftliches Thema. Denn nur, wenn mensch gesellschaftliche Probleme diskutiert, hat mensch die Chance die immer noch vorherrschende Diskriminierung gegenüber Frauen* und das Problem der Diskriminierung zu lösen. Ist Roller Derby dafür nicht ein positiver Werbeträger und wie setzt du dich dafür ein bzw. lässt sich dieser Schwerpunkt auch in die Öffentlichkeitsarbeit integrieren?
WS: Roller Derby ist in dieser Hinsicht ein positiver Werbeträger, weil hier Frauen* im Mittelpunkt der sportlichen Aktivität und der Aufmerksamkeit stehen. Es gibt zwar inzwischen auch Männer- und All Gender-Teams, Roller Derby ist mit diesem Fokus auf Frauen* jedoch eine absolute Ausnahmeerscheinung. Frauen* werden hier als starke, selbstbestimmte Individuen gezeigt, die sich der Herausforderung eines Vollkontaktsports stellen. Das stellt ein wichtiges Gegengewicht her zur leider immer noch allgegenwärtiger Diskriminierung, Sexismus oder der ubiquitären Reduzierung auf gesellschaftliche Schönheitsnormen.
Roller Derby macht nicht nur generell starke Frauen* sichtbar, sondern widersetzt sich gleichzeitig konstruierten Körpernormen, Rassismen, Ableismen, Geschlechterstereotypen oder anderen Diskriminierungsformen, etwa hinsichtlich der sexuellen Selbstbestimmung.
Das heißt nicht, dass wir hier perfekt sind – im Gegenteil, wir sind weit davon entfernt. Uns ist bewusst, dass wir, obwohl wir uns bemühen, immer noch Diskriminierungserfahrungen mittragen oder verursachen. Dafür, dass unsere League in Berlin Kreuzberg beheimatet ist, sind wir im Durchschnitt viel zu weiß, zu sehr Mittelschicht, generell zu dünn und zu able-bodied. Wir haben noch sehr vieles zu verbessern und nachzuholen und arbeiten gerade an einem Diversity-Fokus innerhalb der League. Deswegen möchten wir uns auch in unserer Öffentlichkeitsarbeit nicht hinstellen und behaupten, die Weisheit aka Antidiskriminierung mit Löffeln gefressen zu haben; das wäre schlichtweg falsch. Wir können nur sagen, dass wir bereit sind, zu lernen und denen zuzuhören, die so großzügig sind, ihre Diskriminierungserfahrungen mit uns zu teilen.
Es gibt neben europäische Teams auch weltweite Teams in Brasilien Ägypten, Abu Dhabi, Iran1. Dabei hat sich doch eigentlich seit den 80er Jahren kein Mensch mehr für diesen Sport interessiert. Was glaubst du macht diesen Sport für Frauen* reizvoll und attraktiv?
WS: Das moderne Roller Derby ist inhaltlich nicht mit dem frühen Roller Derby vergleichbar. Das frühe Roller Derby war mehr Show als Sport. Standen damals inszenierte Auseinandersetzungen, konstruierte Protagonist*innen und abgesprochene Handlungsabläufe - ähnlich dem heutigen Wrestling- im Vordergrund, sind heute die Sportler*innen und die spielerischen Abläufe im Roller Derby echt.
Das heutige Roller Derby wird bestimmt durch echte Athletik, starke Individuen und eine ungewöhnliche Community. Hinter den Events stehen nicht länger Sportpromoter, sondern die Frauen* selbst. Sie bringen ihre Energie, ihren Kampfgeist und ihr Selbstbewusstsein ein. Wer einmal ein Roller Derby Spiel gesehen hat, wird vermutlich beeindruckt sein von diesem Erlebnis: Zunächst sieht es für ungeübte Beobachter*innen häufig nach einem unkoordinierten Aufeinandertreffen von Geschwindigkeit, Skating Skills und wuchtigen Körperkontakt aus - aber je länger man zusieht, desto mehr erschließen sich die strategische Struktur, die individuelle Körperbeherrschung und das Ineinandergreifen der Teambewegungen. Spätestens, wenn man sich der Zahl der involvierten Officials (alleine 7 Schiedsrichter*innen on skates, dazu 11 Non Skating Officials ohne Skates) bewusst wird, entsteht ein Verständnis für die Komplexität des Regelwerks und des Spielgeschehens.
Ich persönlich denke, dass das Geschehen auf dem Track häufig das Interesse weckt, dass die echte Faszination aber in dem Moment entsteht, wo sich entfaltet, was hinter dem Spielgeschehen steckt.
Wie hat sich der Roller Derby national im internationalen Vergleich verändert?
WS: Das Niveau ist ganz klar gestiegen. Neben dem eigentlichen Roller Derby Training fließt inzwischen das Training etwa auch von Skatetechniken oder mentalem Set-Up stärker ein, die Taktik und das Zusammenspiel sind viel komplexer geworden. In den letzten Jahren sind zudem europäische Teams in der Weltspitze viel präsenter geworden. Früher prägten ausschließlich US-Teams die Weltspitze. Inzwischen führt ein australisches Team die Weltrangliste an, ein Viertel der Teilnehmer der Playoffs der Top 28 Teams kommt aus Europa. Das sind London, Paris, Helsinki, Stockholm, Manchester, Malmö und erstmalig auch unser A-Team. Das ist ein unglaublicher sportlicher Erfolg, auf den die gesamte League stolz ist.
Jenseits dieses Spitzensports breitet sich Roller Derby immer weiter aus, es entstehen weltweit ständig neue Teams. Hierzulande hat die aus Skater*innen verschiedener Teams bestehende Sportkommission Roller Derby Deutschland (RDD) einen Ligabetrieb aufgebaut. Inzwischen spielen dort in der 1., 2. und 3. Bundesliga (Nord/Süd) bereits 22 der insgesamt 36 in Deutschland aktiven Leagues. Dabei werden es von Jahr zu Jahr mehr, insgesamt und im Bundesligabetrieb.
Ihr bietet sogenannte Newbie-Kurse und Training für Junior Derby-Spielerinnen an. Gibt es immer noch - gemessen an einem relativ großen Kader - Bedarf an neue Spielerinnen und wie groß ist die Nachfrage?
WS: In Berlin gibt es ca. 135.000 aktive Fußballspieler*innen und über alle Vereine hinweg vielleicht 135 aktive Roller Derby-Spieler*innen. Wir sehen also noch Kapazitäten und “Bedarf”, klar. Wird diese Frage in den Fußballvereinen denn auch gestellt?
Es geht hier ja nicht nur darum, unsere League zu stärken, sondern auch ein Angebot an die Kinder, Jugendlichen und Frauen* zu platzieren, das jede*r einzelnen helfen kann, ein selbstbewusster, stärkerer Mensch zu werden. Und gerade im Junior-Team wäre es mittelfristig toll, wenn wir für die große Altersspanne von 7 bis 17 Jahren mehr als ein Team hätten; ich denke, das wäre auch im Sinne der Teenies.
Die Nachfrage ist definitiv da, für unseren aktuellen Newbiekurs gibt es eine inzwischen eine längere Nachrückliste, da wir mehr Interessent*innen haben, als wir Plätze anbieten können. Allerdings springen einige gerade in den ersten Monaten wieder ab, weil sie merken, dass sie nicht so viel Zeit ins Training und die League investieren können oder möchten.
Roller Derby ist ein zeitintensives Hobby, gerade in einer sportlich ambitionierten League wie unserer. Selbst unser C-Team trainiert 9 Stunden in der Woche (wobei 50 % Anwesenheit obligatorisch ist, um in Spielen aufgestellt zu werden), dazu kommt die Komitee-Arbeit. Das kann und will nicht jede* leisten. Langfristig möchten wir daher eigentlich auch gerne eine Rec-League aufbauen, um auch denen eine Möglichkeit zu geben, zu skaten, die diese Zeit nicht aufbringen können, aber gerne dabei bleiben möchten. Es gibt in Berlin mit den Berlin Rollergirls und den Berlin Capitals (All Gender, also auch für Spieler mit männlicher Selbstidentifikation) erfreulicherweise auch zwei Ligen, die freizeitorientiertes Roller Derby mit 1-2 Trainingszeiten in der Woche anbieten. Der Zeitaufwand für Schiedsrichter*innen und Non Skating Officials ist ebenfalls überschaubarer.
Ihr habt mittlerweile 3 Teams mit unterschiedlichen Spielstärken. Meiner Meinung nach ist eine wechselseitige Konkurrenz an der Bildung einer Rangordnung zum einen ein probates Mittel zur Differenzierung, zum anderen ist das aber auch das anti-sozialste aller logischer Formen, da sie zum Kampf jede*r gegen jede*n nötigt...
WS: Unsere Teamzuteilung bildet in der Tat Spielstärken ab, sie sagt nichts über den Wert der einzelnen Spieler*in im Verein. Wir haben den Anspruch, allen League-Mitgliedern mit Respekt und Hilfsbereitschaft zu begegnen, unabhängig davon, ob sie* im A-Team oder im C-Team spielen, im Newbiekurs trainieren oder die League als Official unterstützen.
Wir betreiben eine Teamsportart und versuchen, als Gemeinschaft konstant besser zu werden. Das erfordert, dass wir uns gegenseitig unterstützen. Mit einer einzelnen guten Spielerin kann man kein Roller Derby-Spiel gewinnen, auch nicht mit mehreren guten Spielerinnen, die gegeneinander und nicht miteinander agieren.
Ich denke, wir respektieren zudem alle den enormen Aufwand, der dahinter steht, sich ins B- oder gar ins A-Team vorzuarbeiten - das bekommt auch jemand mit viel Talent nicht geschenkt. Wer in der Teamstruktur aufsteigen möchte, muss in der Regel mehr oder intensiver als gleichstarke Spieler*innen trainieren. Wer sich bewusst dafür entscheidet, diesen Aufwand nicht zu betreiben, kann mit genauso viel persönlicher Wertschätzung sein aktuelles Level halten. Der Prozess der Teamzuteilung bezieht die Spieler*innen und deren Wünsche und Lebenssituationen mit ein. Es ist uns wichtig und eine konstante Aufgabe, den Zusammenhalt in den Teams und über die Teams hinweg zu stärken. Crossover-Spieler*innen, wie ich eine bin, tragen dabei die Fortschritte aus dem stärkeren Teamlevel in das nächstgelegene Team, sodass alle von der Gesamtentwicklung profitieren können. Wir alle wissen, dass wir unsere Spielstärke anderen Spieler*innen verdanken, die ihr Wissen und Können mit uns teilen - es ist daher selbstverständlich, dass wir das, was uns vermittelt wurde, weitergeben. Im Einzelfall kann das übrigens auch mal bedeuten, dass eine C-Team-Spieler*in in einer konkreten Trainingssituation auch Feedback an eine A-Team-Spieler*in gibt. In der Regel ist es natürlich anders herum...
Bleiben wir noch einmal beim Konkurrenzdenken. Immer die Beste sein zu wollen kann neben dem Sportbereich auch zu einer Lebenseinstellung werden, was das gesellschaftliche Umfeld negativ beeinflusst. Wie wichtig siehst du diesbezüglich einen selbstkritischen Umgang oder gar einen erzieherischen Auftrag bei den jüngeren Spielerinnen, der charakteristischen Degeneration entgegenzuwirken?
WS: Ich sehe beim Roller Derby nicht die Gefahr, Einzelziele über Teamziele zu stellen. Selbst wenn jemand diesen Ansatz verfolgen würde - und nicht selbst realisiert, dass das in der Team- und Spielpraxis nach hinten losgeht - würde das Team diese Person sehr schnell auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Aus dem Fußball gibt es den schönen Satz, „Doppelpass alleine geht nicht“ und im Roller Derby gilt das umso mehr. Sobald mensch gegen ungefähr gleichstarke Gegner*innen spielt, ist mensch auf die Zusammenarbeit im Team und die Leistung jedes Teammitgliedes angewiesen. Eine Wall (Defensivformation im Roller Derby) ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied und selbst eine exzellente Jammer*in (=Punktemacherin) ist auf die Unterstützung durch ihre Blocker*innen angewiesen. Insofern erfüllen wir hier eher automatisch einen erzieherischen Auftrag all derer, die mit uns trainieren...
Vom Leistungssport ist oft ein gesamter Lebensweg abhängig. Training, Auswärtsspiele...Wie steht es hierbei um die Vereinbarkeit von Sport, Beruf, Familie...
WS: Das ist in der Tat ein wunder Punkt. Wir haben einige Spieler*innen mit Familie und Kindern, die spielen in der Regel jedoch nicht im A-Team. Ich habe absoluten Respekt vor jede*r, die das vereinbaren kann. Häufig wechseln die Spieler*innen nach einer Schwangerschaft allein des zeitlichen Aufwandes wegen in ein niedriger geleveltes Team oder wechseln in einen Verein, der Roller Derby als reinen Freizeitsport anbietet. Es gibt Vereine, in denen das besser funktioniert, die Kombination von Familie und Leistungssport ist allerdings schon in Sportarten ohne DIY-Struktur eine Herausforderung. Hier liegt für uns definitiv noch ein Arbeitsfeld für die Zukunft, etwas, das wir mittelfristig angehen möchten.
Bereits das Zusammenwirken von Beruf und Leistungssport gestaltet sich häufig schwierig. Eine Teamsportart muss nun einmal gemeinsam trainiert werden, daher haben wir relativ strikte Anwesenheitsanforderungen. Das ist sehr schwierig für diejenigen, die beispielsweise im Schichtdienst arbeiten oder abends oftmals länger im Office festsitzen. Es gibt zwar Elemente wie Krafttraining, die jede* für sich trainieren kann, für das reguläre Training wird es aber zumindest für all diejenigen kompliziert, die keinen 9to5-Job haben. Bei unserem League-Tag haben wir Witze darüber gerissen, wie nett es wäre, wenn alle League-Mitglieder für ihre Aktivitäten bezahlt würden - aber seien wir ehrlich, das schafft in der Regel neue Abhängigkeiten, die man sich nicht unbedingt wünscht. Daher bleibt es leider vorerst ein Balance-Akt.
Roller Derby Sport wie ihr ihn betreibt, benötigt auch finanzielle Unterstützung und Sponsoren. Gibt es hinsichtlich zum wachsenden Interesse am Roller Derby auch zunehmende SponsorInnen-Anfragen, gibt es eurerseits SponsorInnen-Anfragen und wie werden die Kosten gerade für eure internationalen Spielauftritte getragen?
WS: Es gibt zunehmend Sponsoring-Anfragen; wir differenzieren hier jedoch: Wir freuen uns über und wünschen uns Sponsor*innen, die uns als Sport unterstützen möchten. Wir möchten uns aber nicht vor den Karren von Konzernen spannen lassen, die im Widerspruch zu unseren sportlichen und gemeinschaftlichen Zielen stehen und wir möchten vor allem keine Eingriffe in das demokratische Selbstbestimmungsrecht der League. Deshalb haben wir auch schon mehrfach Sponsoring-Anfragen abgelehnt.
Wir bekommen erfreulicherweise großzügige Unterstützung von unserem Dachverein, dem Sport-Club Lurich 02 e.V. Derzeit finanzieren wir Reisekosten unter anderem, indem wir Trainingscamps für Spieler*innen anderer Vereine anbieten und eine jährliche Konferenz mit Seminaren und Strategieworkshops organisieren. Dennoch würden wir uns über die Unterstützung von Sponsor*innen, die unsere Ziele teilen, sehr freuen.
In anderen Sportarten müssen insbesondere Frauen innerhalb der Fankultur noch mit einigen Klischees kämpfen. Interessiert dich Geschlechterverhältnis im Sport, speziell im Roller Derby und wie ist euer Fan-Support besetzt?
WS: Ja, das Geschlechterverhältnis und Geschlechterfragen im Sport beschäftigen mich. Neben Roller Derby interessiere ich mich persönlich für Boxen und Schach, beides sehr männlich dominierte Sportarten. Beim Boxen verfolge ich unter anderem die Aktivitäten des Team Fighterella und bin bestürzt über die Versäumnisse des Deutschen Boxsportverbands bezüglich einer mangelnden Reaktion auf die Kampagne #CoachDontTouchMe.
Während ich persönlich im Kölner Boxclub Guts’n’Glory hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses und im Umgang mit Sportler*innen ausschließlich sehr positive Erfahrungen gemacht habe (Grüße! Ihr seid toll!), haben sich im Boxen insgesamt leider viele unzeitgemäße sexistische Relikte erhalten, man denke nur an die Nummerngirls. Auch die generelle Atmosphäre unter den Zuschauer*innen ist eine andere: Im Roller Derby wird niemand ausgebuht, bei Boxkämpfen habe ich das leider schon mehrfach erlebt.
Was unseren Fan-Support angeht: Weil wir in Berlin seit einigen Jahren sehr wenige öffentliche Heimspiele anbieten können, ist es aktuell für uns sehr schwierig, ein echtes Verhältnis zu einer größeren Anzahl an Fans aufzubauen. Wir sind konstant auf der Suche nach einer Spielstätte, mit der wir das wieder ändern können. Insgesamt ist das Publikum bei unseren Spielen sehr bunt gemischt, sowohl was das Geschlechterverhältnis als auch die Alterszusammensetzung angeht. Unser A-Team hat zudem seit vielen Jahren einen kleinen, sehr loyalen Fanclub, die Emmazonahs, die sogar mit bis in die USA gereist sind. Das ist eine Clique aus fünf jungen Männern. Wir haben aber auch sehr lautstarke weibliche Fans.
Der Support beim Roller Derby ist natürlich auch wichtig. Gibt es hier auch Ultra-Gruppen mit Choreografien und Gesänge?
WS: Es gibt im Roller Derby auch Ultra-Gruppen, unsere nächsten Bundesliga-Gegnerinnen von St. Pauli Roller Derby haben - natürlich, wir sprechen immerhin von St. Pauli - ihre eigenen Ultras, die Deckhands. Die Deckhands singen sehr viel. Auch andere Roller Derby Teams bringen Ultras mit, die Fans von Sucker Punch Roller Derby Nürnberg haben etwa bei ihrem Bundesligabesuch letztes Jahr kräftig Stimmung gemacht. Insgesamt sind Ultra-Gruppen aber eher die Ausnahme.
Meine persönliche Lieblings-Support-Gruppe sind die Fearleaders von Vienna Roller Derby, eine reine Männergruppe, die mit ihrer Cheerleading-Performance Geschlechterrollen dekonstruiert und Klischees kreativ beantwortet. Die Fearleaders hätten hier eigentlich einen eigenen Artikel verdient...
Wie steht es allgemein um den Fan-Support im Roller Derby? Werden hier eher Geschlechterrollen dekonstruiert/aufgelöst oder dominiert deiner Erfahrung nach ein männlich, heterosexuell dominierter Fan-Support?
WS: Wie gesagt, die Fearleaders sind ein exzellentes Beispiel für die Dekonstruktion von Geschlechterrollen - weil hier eine rein männliche Gruppe weibliche* Sportler*innen supportet, mit den Klischees knapper Bekleidung und sexuell aufgeladener Bewegungsmuster spielt und damit Rollenstereotype umkehrt. Natürlich ist es kein nachhaltiger Ansatz, bestehende Geschlechterrollen einfach umzudrehen. Aber das Sichtbarmachen dieser Stereotype führt ja dazu, dass wir uns damit auseinandersetzen und die Fearleaders sind reflektiert genug, nicht an diesem Punkt aufzuhören.
Ansonsten sind die Fan-Strukturen wohl je nach League unterschiedlich. Für mich persönlich war bezüglich der Fans die Roller Derby Weltmeisterschaft im Januar in Manchester ein absolutes Highlight. Hier haben auch die Fearleaders performt, aber es liefen daneben von Menschen im Hühnerkostüm (Team France), distinguierten Herren in Schottenröcken (Team Scotland), bunten Frauen*gruppen mit aufblasbaren Kängurus (Team Australia), über Eltern mit Babys (natürlich mit Kopfhörern), die beim Derby obligatorischen und von Menschen aller Geschlechter getragenen fancy Leggings und Ganzkörper-Glitzerkostüme, Omis mit bunten Haaren bis zu Einhörnern in Onesies die allerbuntesten Menschen herum. Und dabei haben alle gefeiert: Alle Fans alle Spieler*innen - auch die jeweiligen Gegner*innen - und Officials auf dem Track, aber auch die Fans sich gegenseitig, die Spieler*innen die Fans und alle gemeinsam den Sport. Wenn wir endlich wieder eine regelmäßige öffentliche Spielstätte gefunden haben, wünsche ich mir genau das.
Was sind deine nächsten großen sportbedingten Aufgaben, Herausforderungen und Ziele?
WS: Mein nächstes großes sportliches Ziel ist es, bei einem Bundesligaspiel mit auf dem Track zu stehen. Unser B-Team bestreitet für Bear City Roller Derby die 1. Bundesliga. Als B-/C-Crossover trainiere ich mit C- und B-Team, konnte das B-Team in Bundesligaspielen jedoch bislang nur an der Bench unterstützen. Für mich würde sich ein Traum erfüllen, wenn ich in einem Bundesligamatch mitspielen könnte.
Fußnoten:
1. http://bearcityrollerderby.com ↩
2. Stand: Oktober 2018: https://wftda.com/rankings-september-30-2018/ ↩
3. https://wftda.org/resources/wftda-minimum-skill-requirements.pdf ↩
4. Eine Anmerkung zu Team Iran: Während in Brasilien, Ägypten und Abu Dhabi originäre lokale Leagues aktiv sind, handelt es sich bei Team Iran um einen Zusammenschluss aktiver Spieler*innen iranischer Nationalität und/oder Herkunft, die in Neuseeland, USA oder Europa leben und trainieren und sich gezielt für die Weltmeisterschaft zusammengefunden haben ↩