Born to roll
Roller Derby (s. Artikel) ist ein Vollkontaktsport auf Rollschuhen, der (hauptsächlich) von Frauen* gespielt wird.
Die Geschichte der Harbor Girls1 begann 2008, als Spooky Spiky #1313 und Killing Zoe #114 das rollende Potenzial in der Hafenstadt erkannten und einen Roller Derby Verein gründeten. Damals wurde zunächst in leeren Parkhäusern und im ehemaligen Kaufhaus in Altona geskatet. Heute trainieren die Harbor Girls - mit Derby-Namen wie Pinky Pain, Big Bang, Barbarolla, Nyx, Yvi Gemein, Rough Rudie - bis zu viermal wöchentlich in verschiedenen Sporthallen. Neben dem Profitraining und einem wöchentlichen Scrimmage2 stehen auch Taktikstunden sowie Kraft- und Ausdauereinheiten auf dem Programm.
Im März 2014 ging ein Wunsch in Erfüllung: Der FC St. Pauli nahm Roller Derby als neue Sportabteilung auf. Seitdem gehören die Harbor Girls offiziell zu ihrem Herzensverein, mit dem sich ihr Wertekanon deckt - für eine Gesellschaft ohne Sexismus, Rassismus und Homo-, Trans*- und Inter*Feindlichkeit.
Roller Derby ist offen für alle, die Leidenschaft dafür mitbringen - unabhängig von Alter, Körperform, Gender und sexueller Orientierung. Mit diesem inklusiven Körperbewusstsein, das reglementierende Schönheitsnormen durchbricht, etablieren die Harbor Girls ein starkes, verantwortungsvolles Frauen*bild. Sie dienen als Role Model für Mädchen* und junge Frauen*, die lernen, sich selbst in ihrer Individualität anzunehmen und dem Körper normierendem Druck von außen ein gesundes Selbstverständnis entgegenzusetzen.
Seit der Gründung 2008 ist der Verein kontinuierlich gewachsen, sodass 2013 zwei Teams gebildet werden konnten. Nicht zu vergessen die Officials - Referees, TrainerInnen – wie Gumpmaster, JJ X Ref, Ricky Balboa und der Fan-Support.
Die Harbor Girls haben mittlerweile über 100 Mitglieder. Für den regelmäßigen Zuwachs werden jährlich zwei Recruiting Days, sogenannte Rookie Days, angeboten. Das Durchschnittsalter der Harbor Girls liegt bei 31 Jahren - die derzeit älteste Spielerin ist 50 und die jüngste 19 Jahre alt. Seit 2016 sind sie mit ihrem A-Team Vollmitglied im weltweiten Verband Women’s Flat Track Derby Association (WFTDA) und im internationalen Ranking gelistet3. Große Erfolge erzielten sie in der Bundesliga, wo das A-Team 2016 den Vize-Meistertitel holte.
Wir unterhielten uns mit Nyx über Sport als Vorbildfunktion, Feminismus und Selbstorganisation.
«Feminismus, Inklusivität, Unterstützung und Selbstorganisation sind nach wie vor wichtige Grundprinzipien.»
Es gibt Spielerinnen, die schon über viele Jahre mitwirken. Was waren deine Motive beim Roller Derby mitzumachen?
Nyx: Wie viele andere, bin ich ganz „klassisch“ zum Roller Derby gekommen: über den Film Whip It. Ich fand die Idee eines Vollkontaktsports auf Rollschuhen spannend und zum Glück gab es das auch in Deutschland. Letztes Jahr habe ich dann in München angefangen und bin seit Anfang des Jahres bei den Harbor Girls.
Warum ist Roller Derby kein Nebenbeisport (mehr), sondern ein(e) Lifestyle (Lebenseinstellung)?
Nyx: Roller Derby ist ein intensiver und einzigartiger Sport. Die Leagues (Vereine) machen alles selbst: das Training, den Merch, die Organisation von Spielen, die Öffentlichkeitsarbeit. Damit das funktioniert helfen alle mit. Es gehört also mehr dazu als mal nebenbei zum Training zu kommen. Das macht einen wichtigen Teil des Sports aus und ist für viele gerade am Anfang vielleicht erst einmal neu. Neue Skater*innen trainieren meist ein mal die Woche auf Skates, das steigert sich dann später. Das gleiche passiert mit der Mitarbeit. Mensch wächst sozusagen langsam hinein.
Roller Derby ist mehr als ein Sport, sondern in gewisser Weise auch eine Art Kultur und Gemeinschaft. Wir unterstützen uns gegenseitig innerhalb unserer Leagues, genauso wie die Leagues untereinander. Das schöne ist, dass Roller Derby viele unterschiedliche Menschen zusammenbringt.
So wie ich den Begriff verstehe ist Roller Derby für mich kein Lifestyle, sondern eine Gemeinschaft, die einen wichtigen Teil meines Lebens prägt.
Wie haben Begriffe wie Punk, Riot Grrrl, Feminismus den Sport deiner Meinung beeinflusst/geprägt und tun es heute noch?
Nyx: Die Pionier*innen des heutigen Roller Derby aus den Vereinigten Staaten hatten Verbindungen zum Feminismus der Dritten Welle und zur alternativen Szene. Roller Derby hat auch heute noch große Überschneidungen mit der alternativen, linkspolitischen Szene und einigen Subkulturen. Feminismus, Inklusivität, Unterstützung und Selbstorganisation sind nach wie vor wichtige Grundprinzipien. Das macht Roller Derby zu einer Teamsportart, die eine Alternative zum Mainstream aufzeigt. Roller Derby ist offen für alle und bietet Raum für Menschen sie selbst sein zu können. Feindschaften zwischen Teams, die häufig in anderen Sportarten auftreten gibt es nicht. Stattdessen umarmen sich die Teams nach dem Spiel und feiern das Ergebnis gemeinsam.
Wie siehst du die gesellschaftliche, sportliche Wahrnehmung und die Wertschätzung zum Roller Derby? Wie wichtig ist dir/euch Öffentlichkeitsarbeit als Imageprofilierung?
Nyx: Roller Derby ist noch vergleichsweise unbekannt. Das ändert sich aber langsam. Immer mehr Menschen zeigen Interesse an dem Sport und auch in den Medien liest mensch immer mehr. Das Finale des Roller Derby Worldcups Anfang dieses Jahres wurde zum Beispiel auf der BBC Sport Webseite live übertragen. Trotzdem sind viele noch überrascht, wenn sie das erste Mal davon hören. Leider verirren sich Beiträge über Roller Derby noch häufig in die Themenbereiche Kultur und Lifestyle. Die mediale Wertschätzung als sportliche Disziplin ist also noch nicht ganz da. Das der Sport von Frauen* dominiert wird, trägt sicherlich auch einen Teil dazu bei – Geschlechterklischees sei Dank. Hier ist Öffentlichkeitsarbeit natürlich wichtig, um die Bekanntheit zu steigern und zu zeigen, dass Roller Derby ein ernstzunehmender Sport ist.
Gleichberechtigung im Sport ist auch ein gesellschaftliches Thema. Denn nur, wenn mensch gesellschaftliche Probleme diskutiert, hat mensch die Chance die immer noch vorherrschende Diskriminierung gegenüber Frauen* und das Problem der Diskriminierung zu lösen. Ist Roller Derby dafür nicht ein positiver Werbeträger und wie setzt du dich dafür ein bzw. lässt sich dieser Schwerpunkt auch in die Öffentlichkeitsarbeit integrieren?
Nyx: Für mich erfüllt Roller Derby sogar eine Art Vorbildfunktion. In gewisser Weise zeigt Roller Derby eine alternative zu sportlicher Organisation und Kultur auf. Auch zeigen wir, dass sich eine Sportart in ihren Grundwerten für ein bestimmtes gesellschaftspolitisches Zeil einsetzen und diese auch an ihr Umfeld weitergeben kann. Feminismus und Inklusivität sind wichtige Themen und zeigen sich auch im Umgang der Leagues mit- und untereinander. Roller Derby stellt sich vielen Stereotypen, Rollen und Klischees entgegen und zeigt, dass es auch anders gehen kann. Als Verein können wir bestimmte Aktionen unterstützen und unsere Plattform nutzen, um auf diese hinzuweisen und uns zu platzieren.
Es gibt neben europäische Teams auch weltweite Teams in Brasilien Ägypten, Abu Dhabi, Iran. Dabei hat sich doch eigentlich seit den 80er Jahren kein Mensch mehr für diesen Sport interessiert. Was glaubst du macht diesen Sport für Frauen* reizvoll und attraktiv?
Nyx: Die Version des Roller Derby, die bis in die 1970er Jahre in den USA beliebt war, unterscheidet sich stark vom heutigen Roller Derby. Die Anfänge des Roller Derby waren kommerzielle Veranstaltungen, häufig auch mit Wrestling ähnlichen Anteilen. Umsatzeinbußen in den 70er Jahren brachten den Sport dann erst einmal zum Erliegen. In den 80er Jahren gab es in den USA Versuche den Sport wiederzubeleben, die allerdings aufgrund von mangelndem, kommerziellen Erfolg gescheitert sind.
Der Sport, den wir heute als Roller Derby kennen und lieben, wurde um 2000 komplett von Spieler*innen in Austin, Texas selbst organisiert. Es ist also ein Sport von Frauen* für Frauen*. Zur selben Zeit änderte sich auch die Spielfläche. Roller Derby wurde vorher auf einem Banked Track, also einer Steilbahn, gespielt, dessen Lagerung und Instandhaltung sehr teuer sein kann. Der Wechsel zu einer flachen Bahn, also dem Flat Track, hat auch dazu beigetragen, dass Roller Derby für mehr Menschen zugänglich wird.
Die Selbstorganisation und die gegenseitige Wertschätzung und Unterstützung definieren Roller Derby noch immer. Im Gegensatz zu der kommerziellen Motivation der Vergangenheit steht im heutigen Roller Derby der Sport und die Gemeinschaft im Vordergrund. Roller Derby bietet also einen Raum sich frei entfalten zu können. Jede* ist willkommen, völlig unabhängig von ihrem* Körper oder sportlicher Vorerfahrung. In gewisser Weise kann man sich neu erfinden, auch durch die Derby Namen und (neue) Kraft und Selbstbewusstsein finden. Plötzlich ist mensch Teil einer großartigen Community. Für mich war es ein bisschen wie Ankommen. Ich glaube, das macht den Sport für viele so attraktiv.
Wie hat sich der Roller Derby national im internationalen Vergleich verändert?
Nyx: Roller Derby wächst und entwickelt sich rasant, sowohl in Deutschland als auch international. Das erste deutsche Team wurde 2006 in Stuttgart gegründet, die Harbor Girls folgten in 2008. In dieser Zeit hat sich natürlich viel verändert. Inzwischen gibt es mehr als 30 Roller Derby Vereine in Deutschland. Roller Derby hat sich also innerhalb der letzten 12 Jahre als (Nischen-)Sportart etabliert. Die ersten Spiele wurden noch mit Live Bands ausgetragen und die Spieler*innen trugen selbst bedruckte T-Shirts und Strumpfhosen und Röcke. Heute verlassen wir uns eher auf Trikots und Sportkleidung. Der Sport sich also etwas mehr der gängigen Vorstellung von „professionellem“ Sport anpasst. Das hat natürlich Vor- und Nachteile und wird häufig innerhalb der Roller Derby Szene diskutiert. Während die Harbor Girls und viele andere Vereine zu Beginn noch in Parkhäusern und draußen auf öffentlichen Plätzen trainierten, haben die meisten Vereine mittlerweile feste Trainingszeiten in Sporthallen. Das ist natürlich auch auf die gestiegene Bekanntheit, die „Professionalisierung“ und die Bindung an größere Vereine zurückzuführen.
Heutzutage gibt es in Deutschland auch Spezialgeschäfte, die die nötige Ausrüstung verkaufen. In den Anfängen musste vieles direkt aus den Vereinigten Staaten importiert werden. Außerdem wird der Sport nicht mehr ganz so stark von den US Teams dominiert, da die Konkurrenz aus Europa und Südamerika immer stärker wird. In Deutschland gibt es seit einigen Jahre eine Bundesliga und Anfang diesen Jahres wurde der dritte Roller Derby World Cup ausgetragen. Was sich allerdings nicht geändert hat, sind die feministischen Grundwerte, auf denen Roller Derby aufbaut. Diese werden eher noch besser integriert und fortgeführt; zum Beispiel durch die Entscheidung der WFTDA (Women‘s Flat Track Derby Association), ihre Gender Policy anzupassen und inklusiver zu gestalten, vor allem um die Rechte und die Privatsphäre von Trans*, Inter* und gender expansive Personen zu schützen.
Gibt es immer noch - gemessen an einem relativ großen Kader - Bedarf an neue Spielerinnen und wie groß ist die Nachfrage?
Nyx: Natürlich! Wer einsteigen möchte, kann zu einem unserer Schnuppertage, sogenannte Rookie Days kommen. Bei Interesse kann mensch dann direkt ins Rookie Training einsteigen. Hier lernt mensch das Skaten von Anfang an und zusätzliches Fitnesstraining beugt Verletzungen vor. Die Rookie Days sind immer gut besucht. Allerdings bleiben natürlich nicht immer alle dabei. Manchmal passt es zeitlich nicht oder das Interesse schwindet.
Was sollte eine neue (potenzielle) Spielerin „mitbringen“, um im Team aufgenommen zu werden?
Nyx: Spaß, Motivation, Zeit und Interesse daran sich aktiv einzubringen. Jede*r kann mitmachen und für jede*n gibt es einen Platz im Team. Neben dem skaten und dem aktiven spielen, kann mensch die Spieler*innen an der Bench unterstützen, als Non-Skating oder Skating Official sicherstellen, dass alles nach den Regeln verläuft oder die Organisation der Bouts vielfältig unterstützen. Alle sind ein wichtiger Teil, ohne sie würde Roller Derby nicht funktionieren.
«Ein bewusster Umgang mit eigenen Zielen und Zielen im Team ist natürlich auch ein wichtiger Teil des Sports.»
Ihr habt mittlerweile 2 Teams mit unterschiedlichen Spielstärken. Meiner Meinung nach ist eine wechselseitige Konkurrenz an der Bildung einer Rangordnung zum einen ein probates Mittel zur Differenzierung, zum anderen ist das aber auch das anti-sozialste aller logischer Formen, da sie zum Kampf jede*r gegen jede*n nötigt...
Nyx: Die Frage erinnert mich ein wenig an das gängige Klischee, dass Frauen* in Gruppen sich gegenseitig bekämpfen, um ihre eigenen Ziele zu erreichen, wie es oft auch medial in Filmen wie Mean Girls gezeigt wird. Dies steht im starken Kontrast zu meinen Erfahrungen im und meinem Verständnis vom Roller Derby.
Roller Derby ist ein Team Sport. Ein Team ist grundsätzlich immer nur so gut wie sein „schwächstes“ Mitglied. Roller Derby ist außerdem ein sehr vielseitiger Sport und jede* hat besondere Talente und Schwächen. Wie das Team gemeinsam spielt, hängt also davon ab wie gut sich alle aufeinander abstimmen und aufeinander einlassen. Ein ausgeprägtes Konkurrenzdenken und eine Rangordnung würden den feministischen Prinzipien des Roller Derby und der Harbor Girls widersprechen und dem Teamgefühl schaden. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Spieler*innen, schon alleine, weil einige Spieler*innen einfach erfahrener sind als andere. Ich spiele selbst seit Anfang dieses Jahres im B-Team, bin also selbst eher unerfahren und habe noch vieles was ich verbessern kann und möchte. Wenn ich in einem knappen Spiel nicht so häufig aufgestellt werde wie erfahrenere Spieler*innen, ist das völlig okay. Es geht ja um uns als Team und nicht um mich als Person.
Bleiben wir noch einmal beim Konkurrenzdenken. Immer die Beste sein zu wollen kann neben dem Sportbereich auch zu einer Lebenseinstellung werden, was das gesellschaftliche Umfeld negativ beeinflusst. Wie wichtig siehst du diesbezüglich einen selbstkritischen Umgang oder gar einen erzieherischen Auftrag bei den jüngeren Spielerinnen, der charakteristischen Degeneration entgegenzuwirken?
Nyx: Ich würde die Frage etwas differenzierter angehen. Ich persönlich würde eher mutmaßen, dass der Leistungsgedanke überall im gesellschaftlichen System zu finden ist und sich auch auf den Sport auswirkt. Sport und vor allem Sport im Team kann sich hier sehr positiv auswirken. Teamsport kann einen gesunden Umgang mit Zielen vermitteln und aufzeigen, dass Leistungsdruck und Konkurrenzdenken häufig genau den gegenteiligen Effekt haben. Grundsätzlich glaube ich also nicht, dass der Wunsch, sich zu verbessern und das Setzen von hohen Zielen schädlich sind. Selbstbewusst und realistisch gesteckte Ziele können auch sehr bestätigend sein und motivierend wirken. Einige Skater*innen merken erst wie viel Kraft sie haben und was ihre Körper alles können, nachdem sie mit dem Roller Derby angefangen haben. Das kann eine sehr bestärkende Erfahrung sein – vor allem mit Bezug auf gängige Gender-Stereotypen.
Wie oben schon erwähnt ist Roller Derby ein Teamsport. Eine Spieler*in ist immer nur so gut wie ihr* Team und alleine lässt sich kein Spiel gewinnen. Konkurrenzdenken ist also absolut fehl am Platz und widerspricht auch völlig der Grundidee der gegenseitigen Unterstützung im Roller Derby. Wie mensch mit Zielen umgeht und ob mensch in der Lage ist zwischen gesunder Selbstmotivation und ungesundem Leistungsdrang zu unterscheiden, würde ich nicht am Alter festmachen. Von Erziehung würde ich auch nicht sprechen wollen, das hätte einen sehr bevormundenden Charakter. Ich denke eher, dass es um einen gemeinsamen Lernprozess geht. Dazu gehört auch sich nicht unter Druck zu setzen und den Spaß am Spiel nicht zu verlieren. Wir alle haben die Verantwortung bewusst mit unseren eigenen und den Zielen im Team umzugehen und mit- und voneinander zu lernen.
Gleichzeitig ist Roller Derby auch ein Sport, bei dem Freundschaften entstehen. Gibt es da besonders schöne Momente, die du erzählen magst?
Nyx: Da gibt es sehr viele. Besonders prägend war eine Situation bei einem meiner ersten Spiele.
Ich war recht frisch im Münchener B-Team, den Municorns, auf einem Turnier. Es war also nicht nur mein erstes Spiel, sondern auch mein erstes Turnier, und das gleich als Jammer*in. Ich war natürlich mega nervös, versuchte aber ruhig und positiv an die Spiele zu gehen - ich wollte ja die anderen nicht mit verunsichern. Das lief auch gut bis zum letzten Spiel des Tages. Ich sammelte drei Strafen in einem Jam, war völlig verunsichert und zur Halbzeitpause den Tränen nahe. Ich hatte das Gefühl mein Team hängenzulassen. Dass es offensichtlich war, dass es mir nicht gut ging, machte eigentlich alles noch schlimmer. Zwei meiner Teammates waren sofort da, machten mir Mut und bauten mich wieder auf. Kurz vor Beginn der zweiten Halbzeit standen plötzlich alle um mich herum und es gab eine Riesen Gruppenumarmung. Das hat mich unheimlich berührt und mir viel Kraft gegeben für die zweite Halbzeit und vieles danach. Derby Love.
Harbor Girls Hamburg mischt in der 1. Bundesliga weit oben mit. Was denkst du, macht diesen Erfolg aus?
Nyx: Vieles, denke ich. Die Trainer*innen sind sehr gut und engagiert. Das Training, das sie gestalten, ist sehr gut strukturiert und geht auf das Team ein. Schwächen und Stärken werden analysiert. (Selbst-)Reflektion ist, denke ich, sehr wichtig um sich verbessern zu können und stark zu bleiben. Teamgefühl und Motivation sind natürlich auch wichtige Faktoren. Ich würde auch sagen, dass die Unterstützung von allen aus dem Verein vieles erst ermöglicht. Die Unterstützung durch die Fans, allen voran natürlich durch die Harbor Girls Deckhands, leistet auf jeden Fall auch einen wichtigen Beitrag.
Was für Eigenschaften sollte eine Roller Derby Spielerin mitbringen und haben, um als Team erfolgreich zu sein?
Nyx: Ich glaube, mitbringen muss eine (potentielle) Skater*in erst einmal nicht viel außer Motivation und Spaß am Roller Derby. Vieles lernt mensch im Prozess und wächst sozusagen in den Sport und das Team hinein. Die eignen Schwächen zu kennen und an ihnen zu arbeiten ist für mich genauso wichtig wie die Fähigkeit Kritik und Hilfe annehmen zu können. Es ist wichtig sich als Teil des Teams zu verstehen. Alleine kann man keine Spiele gewinnen.
Vom Leistungssport ist oft ein gesamter Lebensweg abhängig. Training, Auswärtsspiele...Wie steht es hierbei um die Vereinbarkeit von Sport, Beruf, Familie...
Nyx: Mehrmaliges Training in der Woche, Spiele und Mithilfe im Verein brauchen natürlich Zeit. Natürlich kann es da manchmal schwer sein Roller Derby mit anderen Dingen unter einen Hut zu bringen. Es hilft, wenn sich Freund*innen, Familie und der*die Partner*innen auch für den Sport begeistern können. Grundsätzlich kann natürlich jede*r selbst entscheiden, wie viel Zeit mensch investieren kann und möchte. Alle haben ein Leben außerhalb des Roller Derby und dafür haben auch alle Verständnis.
Roller Derby Sport wie ihr ihn betreibt, benötigt auch finanzielle Unterstützung und Sponsoren. Gibt es hinsichtlich zum wachsenden Interesse am Roller Derby auch zunehmende SponsorInnen-Anfragen, gibt es eurerseits SponsorInnen-Anfragen und wie werden die Kosten gerade für eure internationalen Spielauftritte getragen?
Nyx: Die Harbor Girls finanzieren sich hauptsächlich über Mitgliedsbeiträge, Eintritte zu Spielen und den Verkauft von Merch und Getränken bei den Spielen. Die Reisekosten zu Auswärtsspielen, auch zu internationalen, werden komplett vom Verein übernommen.
In anderen Sportarten müssen insbesondere Frauen innerhalb der Fankultur noch mit einigen Klischees kämpfen. Interessiert dich Geschlechterverhältnis im Sport, speziell im Roller Derby und wie ist euer Fan-Support besetzt?
Nyx: Ich identifiziere mich sehr mit den Werten und Zielen des intersektionellen Feminismus, dementsprechend sind Geschlechterverhältnisse und andere strukturelle Ungleichheiten für mich immer ein wichtiges Thema.
Wer schon einmal bei einem Roller Derby Spiel war weiß, dass es sehr schwierig ist dort an Geschlechterklischees festzuhalten. Ich kenne Männer*, deren Bild von Frauen* sich durch den Sport sehr gewandelt hat.
Die Gruppe unserer Unterstützer*innen ist groß, es ist demnach schwierig etwas Genaues zu allen Fans zu sagen. Grundsätzlich sind die Fans sehr gemischt was Geschlecht und Alter betrifft. Ich habe den Eindruck, dass Roller Derby auch für die Fans einen Ort bietet, an dem mensch sein kann wie mensch ist und so akzeptiert wird.
Der Support beim Roller Derby ist natürlich auch wichtig. Gibt es hier auch Ultra-Gruppen mit Choreographien und Gesänge?
Nyx: Gibt es! Bei einigen Teams sind die Gruppen größer, bei anderen kleiner. In Hamburg haben wir das Glück von den unglaublichen Deckhands mit Choreografien, Gesängen, Bannern, Glitzerkonfetti und Einhörnern unterstützt zu werden.
Wie steht es allgemein um den Fan-Support im Roller Derby? Werden hier eher Geschlechterrollen dekonstruiert/aufgelöst oder dominiert deiner Erfahrung nach ein männlich, heterosexuell dominierter Fan-Support?
Nyx: Die feministische, inklusive und alternative Kultur des Roller Derbys spiegelt sich auch bei den Fans wider. Ich glaube, auch für die Fans ist es schön als Mensch willkommen zu sein. Glitzerkonfetti ist für alle da, egal welches Geschlecht. Für mich persönlich schließen sich die Dekonstruktion und das Auflösen von Geschlechterrollen und Bildern und die Präsenz von männlichen, heterosexuellen Menschen gegenseitig nicht aus. Um Geschlechterrollen wirklich infrage stellen und auflösen zu können, müssen alle involviert sein. Viel wichtiger ist es, denke ich, sich von Vorstellungen der hegemonialen Maskulinitäten abgrenzen und Stereotypen und Rollen infrage stellen. Die Fearleaders aus Wien, die Cheerleader von Vienna Roller Derby, sind hier ein gutes Beispiel. Sie unterstützen mit ihren Choreografien nicht nur die Skater*innen ihres Teams, sondern stellen mit ihrer Arbeit auch Rollenklischees infrage und drehen Geschlechterklischees bewusst um4.
Was sind deine nächsten großen sportbedingten Aufgaben, Herausforderungen und Ziele?
Nyx: Erstmal muss ich einen kleinen Bänderriss auskurieren. Danach möchte ich mich auf zusätzliches Kraft und Ausdauertraining konzentrieren, um mich im Spiel zu verbessern.
Fußnoten:
1. https://www.stpaulirollerderby.de/ ↩
2. Ein Scrimmage (Gedränge) ist ein informelles Spiel im Roller Derby. Dies wird nicht in den Statistiken aufgeführt und ist meist ohne ZuschauerInnen. ↩
3. Rank 248; Stand Oktober 2018: https://wftda.com/category/rankings/ ↩
4. Ein Artikel über die Fearleaders Wien: https://www.kleinezeitung.at/international/panorama/4958613/Fearleaders-Vienna_Kurze-Hoeschen-Pompons-Baerte_Maenner-als ↩